Renate Künast gegen Facebook: Was der neue Auskunftsanspruch des TMG im Einzelfall wert ist
von Rechtsanwalt Michael Terhaag, LL.M.
und Rechtsreferendar Felix Hielscher
Für hohe Wellen hat diese Woche ein Beschluss des Landgerichts Berlin gesorgt. Dies lag vor allem an einer explosiven Mischung von Themen: Politik, Hass im Netz und sexuelle Handlungen gegenüber Minderjährigen.
Dieser Beitrag soll daher einen Beitrag dazu leisten, dieses Verfahren zu beleuchten und die Entscheidung einzuordnen.
Das Verfahren beschäftigt sich mit einem Anspruch, welcher bislang noch nicht hinreichend in Erscheinung getreten ist. Frau Künast beantragte, dass das Gericht der Social-Media-Plattform Facebook gestattet, Informationen über Nutzer herauszugeben, die unter einem Facebook-Post im Kommentarbereich ihrer Ansicht nach Beleidigungen äußerten. Mit diesen Informationen wären sodann im zweiten Schritt, rechtliche Schritte gegen die dann potenziell namentlich bekannten Personen möglich gewesen. Hierzu kommt es jetzt erst einmal aber nicht.
Als Anspruchsgrundlage dient dabei der § 14 Abs. 3 TMG, wonach Diensteanbieter im Einzelfall Auskunft über bei ihnen vorhandene Bestandsdaten erteilen dürfen, soweit dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger Inhalte, die von § 1 Absatz 3 des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes erfasst werden, erforderlich ist.
Der Vorschrift ist der Charakter einer Anspruchsgrundlage schon nicht auf den ersten Blick unbedingt zu entnehmen. So hat beispielsweise das OLG Nürnberg in seinem Beschluss vom 17. Juli 2019 (Az. 3 W 1470/19) die Qualität einer tauglicher Anspruchsgrundlage der Vorschrift aus dem TMG abgesprochen und ein solches Auskunftsbegehren lieber auf § 242 BGB gestützt. Aus dem Gesetzgebungsverfahren und der dortigen Begründung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ist jedoch eindeutig zu entnehmen, dass die Regelungen der § 14 Abs. 3 – 5 TMG einen wirksamen und durchsetzbaren Anspruch auf Feststellung der Identität des Verletzers bei Rechtsverletzungen im Internet verschaffen sollen (vgl. BT-Drucks. 18/13013, S. 24). Auch das Landgericht Berlin hatte hieran grundsätzlich keinen Zweifel.
Rechtswidrige Inhalte sind nach § 1 Abs. 3 NetzDG unter anderem solche Inhalte, die die Äußerungsdelikte der Beleidigung, üblen Nachrede und Verleumdung nach den §§ 185 bis 187 des Strafgesetzbuches (StGB) tatbestandlich erfüllen.
Dies ist eine leicht missverständliche Regelung, da es sich vorliegend immer noch um ein zivilrechtliches Verfahren handelt, in dem Auskunft zur Geltendmachung von zivilrechtlichen Ansprüchen verlangt wird. Im Rahmen diesen Verfahrens muss nun aber inzident geprüft werden, ob der Tatbestand einer der Vorschriften der §§ 185 bis § 187 StGB vorliegt. Dies erscheint umso umständlicher, da das Zivilrecht mit dem § 823 BGB eine Vorschrift zum Schutz der persönlichen Ehre parat hält.
Eingebettet wird dies alles durch § 14 Abs. 4 TMG in ein gerichtliches Verfahren. Nach dieser Vorschrift bedarf es vor Auskunftserteilung des jeweiligen Diensteanbieters der gerichtlichen Anordnung. Das Verfahren ist nach den Vorschriften des FamFG entsprechend geregelt. Die Kosten soll nach Satz 6 der Verletzte tragen, scheinbar unabhängig von Obsiegen oder Unterliegen.
Eine Nichtbefolgung der Anordnung würde gemäß § 95 Abs. 1 FamFG in Verbindung mit § 890 Abs. 1 ZPO dazu führen, dass wegen der Zuwiderhandlung auf Antrag des Gläubigers ein Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, eine Ordnungshaft oder eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten verhängt werden kann. Das einzelne Ordnungsgeld darf den Betrag von 250 000 Euro, die Ordnungshaft insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen.
Es ist wohl als Ironie des Schicksals einzuordnen, dass die Ausgestaltung der § 14 Abs. 3, 4 TMG – wohl zwar nach Intention des ursprünglichen Gesetzesentwurfs – durch den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des deutschen Bundestages erfolgte, dessen Vorsitzende zu dieser Zeit Renate Künast selbst war (vgl. BT-Drucks. 18/13013).
Nun aber zum Beschluss des LG Berlin im Falle Künast:
In den Medien wurde bereits viel Kritik zum Beschluss des Gerichts ausgeschüttet und zum Teil wurde dieser sogar als krasse Fehlentscheidung bezeichnet. Zu einem großen Teil muss dem auch zugestimmt werden. Dabei ist umso erstaunlicher, dass das Gericht zu Beginn seiner Entscheidung den Maßstab zur Beurteilung von Aussagen geradezu vorbildlich entwickelt, um dann später allerdings völlig falsch abzubiegen.
Es ist grundsätzlich zwischen Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen zu unterscheiden. Tatsachen sind dabei Umstände, die dem Beweis zugänglich sind, also als zutreffend oder falsch ermittelt werden können. Meinungen sind gegenüber durch ein Element des „Dafürhaltens“ gekennzeichnet, das heißt hier kann grundsätzlich nicht gesagt werden, ob die Aussage falsch oder richtig ist, da sie aus einem rein subjektiven Blickfeld herrührt.
Das Gericht führt unter anderem aus, dass der Schutzbereich der Meinungsfreiheit verkannt wird, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft wird, wodurch die Aussage nicht unter den Schutz der Meinungsfreiheit gefasst wird. Es sei hierbei angemerkt, dass die Kammer im Weiteren den Begriff der Formalbeleidung gänzlich unter den Tisch fallen lässt, was in der Einzelbewertung zu einigen Problemen führt. Im Folgenden konzentriert sich das Gericht stattdessen auf den Begriff der Schmähkritik. Diese liege nicht vor, wenn eine Sachauseinandersetzung bestehe. Nur soweit der diffamierende Gehalt der Aussage so erheblich ist, dass jeder denkbare Sachzusammenhang als Herabsetzung des Betroffenen erscheint, wie bei der Verwendung schwerwiegender Schimpfwörter – etwa aus der Fäkalsprache – könne von diesem Ergebnis abgewichen werden. Auch diese Feststellung scheint das Gericht im Folgenden aus den Augen zu verlieren wenn es dann ausführt, dass nach diesen Grundsätzen folgendes gelte:
Alle angegriffenen Äußerungen seien Reaktionen auf einen Post, welcher sich mit einem Zwischenruf von Frau Künast im deutschen Bundestag befasst und diesen so würdige wie er in der Öffentlichkeit wahrgenommen werde. Dass die Öffentlichkeit die Äußerung als Zustimmung zur Straflosigkeit von Geschlechtsverkehr gegenüber Minderjährigen, soweit keine Gewalt im Spiel sei, wahrnimmt zeige – so das Gericht - ein Online-Artikel in der Welt vom 24.05.2015. Warum sich Frau Künast dann jedoch den gesamten Post mit Aussagen, die unstreitig nicht von ihr stammen, zurechnen lassen muss bleibt schleierhaft.
Die Reaktionen unter dem Post seien zulässige Meinungsäußerungen. Dies gelte vor allem auch deshalb, da Frau Künast mit dem Zwischenruf im Bundestag, den sie laut Gericht angeblich nie öffentlich revidiert oder klargestellt habe, Widerstand aus der Bevölkerung provoziert habe.
Sodann nimmt das Gericht, teils mehr, teils weniger genau, teilweise sogar gar nicht, die einzelnen Aussagen unter die Lupe. Es soll hier nur exemplarisch auf einige Beispiele eingegangen werden.
Vertretbar erscheint, wenn überhaupt, vielleicht die Einordnung der Aussage „Ich könnte bei solchen Aussagen diese Personen die Fresse polieren“. Auch hier ist der Tonfall sicherlich derb, aber es wird durch die Formulierung „bei solchen Aussagen“ wenigstens ein Bezug zum Zwischenruf von Frau Künast hergestellt. Wenn es nur um diesen Eintrag gegangen wäre, hätte man so vielleicht noch entscheiden können - wobei auch das fraglich erscheint.
Wie das Gericht dazu aber kommt, dass der Kommentar „Drecks Fotze“ sich „haarscharf an der Grenze des von der Antragstellerin noch hinnehmbaren“ bewege, sich Frau Künast aber so etwas gefallen lassen müsse, „weil das Thema, mit dem sie vor vielen Jahren durch ihren Zwischenruf an die Öffentlichkeit gegangen ist sich ebenfalls im sexuellen Bereich befindet und die damals von ihr durch den Zwischenruf aus der Sicht der Öffentlichkeit zumindest nicht kritisierte Forderung der Entpönalisierung des gewaltfreien Geschlechtsverkehrs mit Kindern erhebliches Empörungspotential in der Gesellschaft hat“, erscheint diesseits vorsichtig ausgedrückt völlig unverständlich.
Hier handelt es sich erkennbar um eine Formalbeleidung, aber auch unter den vom Gericht selbst erklärten Maßstäben trägt dieser Kommentar erkennbar nichts zum Diskurs bei und ist unter anderem durch die Verwendung von schwerwiegenden Schimpfworten der Fäkalsprache als reine Herabsetzung des Adressaten einzuordnen.
Ähnlich verhält es sich mit der Aussage „Wurde diese „Dame“ vielleicht als Kind ein wenig viel gef… und hat dabei etwas von ihrem Verstand eingebüßt….“. Darin möchte das Gericht eine „polemische und überspitze, aber nicht unzulässige Kritik“ sehen. Die Sexualisierung der Äußerung sei „Spiegelbild der Sexualisiertheit des Themas. Eine Diffamierung und damit eine Beleidigung nach § 185 StGB der Antragstellerin lässt sich hieraus nicht ableiten.“ Man erhält den Eindruck, dass der Mensch hier zu „Freiwild“ degradiert wird.
Insgesamt ist festzuhalten, dass die Entscheidung zu dem grotesken Ergebnis führt, dass der Tatbestand der Beleidung bei Hass im Netz kaum noch einen Anwendungsbereich erfährt, sobald auch nur ein entferntester Sachbezug hergestellt werden kann. Dies läuft dem Gesetzeszweck von TMG und NetzDG aus unserer Sicht völlig zuwider, welche eigentlich einen besseren Zugriff auf den „rechtfreien Raum: Internet“ schaffen wollen.
Überhaupt erscheint der ‚Rettungsanker‘ Sachbezug hier völlig fehl am Platz. Während bei einer Aneinanderreihung diffamierender Meinungsäußerungen als so genannte Schmähkritik untersagungsfähig ist, wenn diese keinen Sachbezug mehr haben und lediglich dazu dienen, den Betroffenen öffentlich verächtlich zu machen, kann ein wie auch immer gearteter Sachbezug eine (und dann auch noch mit Fäkalsprache verbundene) Formalbeleidigung in keiner Weise zulässig machen. Da hilft auch das sonst häufig in Felde geführte Argument nicht weiter, dass in der Öffentlichkeit stehende Politiker da etwas mehr erdulden müssten, denn die Menschenwürde wird auch den Volksvertretern niemand absprechen wollen.
Insgesamt geht von der aktuellen Entscheidung des Landgerichts Berlin erkennbar das falsche Signal aus, um der eh schon immer heftiger werdende Diskussionskultur im Netz Einhalt zu gebieten und ein Mindestmaß an Anstand in jede Form der Diskussion zurückkehren zu lassen. Die früher häufig noch geforderte „Netiquette“, als Gesamtheit der Regeln für soziales Kommunikationsverhalten im Internet, wird ja heute vor diesem Hintergrund und aus unserer Sicht zu Unrecht bestenfalls nur noch belächelt.
Das letzte Wort ist in diesem Rechtsstreit allerdings noch nicht gesprochen. Frau Künast hat bereits angekündigt gegen das Urteil Beschwerde zu erheben. Es bleibt abzuwarten und wäre natürlich wünschenswert, ob dies Abhilfe schaffen wird. Im Zweifelsfall ist dieser Fall allerdings wie gemacht, um nach dem Bundesgerichtshof auch noch das Bundesverfassungsgericht zu beschäftigen.
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