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Rechtsschutzbedürfnis für einstweiligen Verfügung trotz Erledigung der Hauptsache, wenn weiterhin Kosteninteresse besteht - OLG Nürnberg , Beschluss vom 25. April 2005, AZ: 3 W 482/05 -

Leitsätzliches

Das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 926 ZPO fehlt jedenfalls dann nicht, wenn sich bei einem Verfahren nach § 809 BGB die Hauptsache durch die Besichtigung erledigt hat und der Antragsteller weiterhin zumindest ein Kosteninteresse hat.

OBERLANDESGERICHT NÜRNBERG

BESCHLUSS


Aktenzeichen: 3 W 482/05

Entscheidung vom 25. April 2005

In dem Rechtssreit

...
gegen
... 

erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 3. Zivilsenat, durch die unterzeichneten Richter folgenden Beschluß:

 

I. Auf die sofortige Beschwerde der Verfügungsbeklagten wird der Abhilfebeschluß des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 17.02.2005 aufgehoben.

II. Die Erinnerung der Verfügungsklägerinnen gegen den Fristsetzungsbeschluss vom 29.9.2004 wird zurückgewiesen.

III. Es verbleibt somit bei der Anordnung der Klageerhebung durch die Rechtspflegerin vom 29.09.2004.

IV. Die Verfügungsklägerinnen tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

V. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 20.000,00 EUR festgesetzt.

VI. Die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.

Gründe

I.
Die Parteien streiten um Urheberrechtsverletzungen.

Mit Beschluß vom 15.03.2004 hat das Landgericht im Wege der einstweiligen Verfügung den zuständigen Gerichtsvollzieher ermächtigt, in den Geschäftsräumen der Verfügungsbeklagten befindliche Personalcomputer vorübergehend in Verwahrung zu nehmen. Einem Sachverständigen wurde gestattet, die Personalcomputer zu besichtigen und festzustellen, ob auf den Festplatten unzulässigerweise Kopien der Computerprogramme der Verfügungsklägerinnen gespeichert sind. Nach Widerspruch der Verfügungsbeklagten hat das Landgericht die einstweilige Verfügung aufrechterhalten. Die dagegen eingelegte Berufung hat die Verfügungsbeklagte nach einem Hinweis des Senats gemäß § 522 ZPO zurückgenommen.

Im Rücknahmeschriftsatz hat die Verfügungsbeklagte jedoch beantragt, den Verfügungsklägerinnen nach § 926 ZPO eine Frist zur Klageerhebung zu setzen. Diesem Antrag ist die zuständige Rechtspflegerin nachgekommen. Auf die Erinnerung der Verfügungsklägerinnen hat das Landgericht den Beschluß der Rechtspflegerin aufgehoben und den Antrag auf Fristsetzung zur Klageerhebung nach § 926 ZPO wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die sofortige Beschwerde der Verfügungsbeklagten.

II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 11 Abs. 2 RpflG, § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Sie ist auch begründet, denn der Antrag nach § 926 Abs. 1 ZPO ist zulässig. Es war deshalb eine Frist zur Klageerhebung zu setzen.

Ein Antrag nach § 926 Abs. 1 ZPO wäre u.a. dann unzulässig, wenn die Hauptsache bereits anhängig ist oder wenn der Antragsgegner aus sonstigen Gründen kein berechtigtes Interesse an der Durchführung des Hauptsacheverfahrens haben kann.

1. Im Zeitpunkt der Anordnung der Klageerhebung durch die Rechtspflegerin am 29.09.2004 und bei der Zustellung dieses Beschlusses am 08.10.2004 war eine Hauptsacheklage nicht anhängig. Unabhängig von der Frage, ob die Klage der Verfügungsklägerinnen den Anforderungen genügt (darum streiten die Parteien), wurde diese jedenfalls erst am 04.11.2004 beim Landgericht Nürnberg-Fürth eingereicht.

2. Dem Antrag der Verfügungsbeklagten auf Fristsetzung zur Klageerhebung nach § 926 ZPO fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis.

Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt jedenfalls dann, wenn die Antragstellerin kein schutzwürdiges Interesse an ihrem Begehren haben kann, wenn sie bereits einen Titel in Händen hat oder wenn sie auf einfacherem Weg zu ihrem Ziel kommen kann (Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., Vorbemerkung § 253, Rn. 18 - 18 b).

Ein Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag kann auch fehlen, wenn der materiell-rechtliche Anspruch weggefallen ist, so zum Beispiel nach Wegfall der Wiederholungsgefahr aufgrund einer strafbewehrten Unterlassungserklärung, oder nicht mehr durchsetzbar ist, etwa aufgrund einer Verjährungseinrede. Es fehlt auch, wenn der Antragsteller auf Vollstreckung aus einer einstweiligen Verfügung und auf den materiell-rechtlichen Anspruch einschließlich der Rechte aus der Kostenentscheidung verzichtet hat (Harte/Henning/Retzer, UWG, § 12 Rn. 551, 552).

a) Zwar ist richtig, dass der Verfügungsanspruch aus § 809 BGB nach Durchführung der Besichtigung der Personalcomputer und Erstellung des Gutachtens erfüllt und damit erloschen ist. Eine auf § 809 BGB gestützte Klage wäre wegen Wegfalls des Verfügungsanspruchs daher von vornherein erfolglos.

b) Jedoch kann die Klage darauf gerichtet werden, dass der Verfügungsanspruch zum Zeitpunkt des Erlasses der einstweiligen Verfügung begründet war (OLG Karlsruhe, OLG-Report 1998, 404), bzw. dass sie im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses zulässig und begründet war (Kammergericht, NJW 2001, 233).

Einer solchen Feststellungsklage fehlt nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.

aa) Zwar hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass allein das Interesse des Schuldners an einer vom Anordnungsverfahren abweichenden Kostenentscheidung die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens in Gestalt einer Feststellungsklage nicht rechtfertigt (BGH NJW 1973, 1329; BGH NJW 1974, 503; vgl. auch OLG Hamburg, NJW-RR 1986, 1122; Harte/Henning/Retzer, a.a.O., § 12 Rn. 553).

bb) Dies kann jedoch nicht generell gelten.

Vorliegend ist das Rechtsschutzbedürfnis allein aus dem Kosteninteresse der Verfügungsbeklagten gegeben (so im Ergebnis auch Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 926 Rn. 12 a.E., Rn. 26 a.E.).

Denn die Verfügungsbeklagte hat keine andere Möglichkeit, um eine Umkehr der Kostentragungspflicht aus der einstweiligen Verfügung zu erreichen.

Das Verfahren der einstweiligen Verfügung ist abgeschlossen, nachdem die Verfügungsbeklagte nach einem Hinweis des Senats gemäß § 522 ZPO ihre Berufung nicht zuletzt aus Kostengründen zurückgenommen hat. Eine Abänderung der Kostenentscheidung kann die Verfügungsbeklagte dort jedenfalls nicht mehr erreichen.

Durch die einstweilige Verfügung ist die Verfügungsbeklagte nicht nur in der Hauptsache belastet, sondern auch mit der Kostentragungspflicht beschwert. Dementsprechend würde der Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses voraussetzen, dass die Verfügungsklägerinnen auch auf die Rechte aus der Kostenentscheidung verzichten. Dies ist jedoch gerade nicht der Fall, wie die Geltendmachung der Kosten im Kostenfestsetzungsverfahren zeigt. Die Verfügungsbeklagten haben wegen der Belastung mit den Kosten ein fortbestehendes Interesse daran, dass die einstweilige Verfügung aufgehoben wird und damit ihre Pflicht zur Kostentragungspflicht entfällt (OLG Köln, GRUR-RR 2005, 101).

Der Bundesgerichtshof hat auch die Möglichkeit aufgezeigt, in einem Verfahren nach § 927 einen Antrag auf Abänderung der Kostenentscheidung einer zu Unrecht erlassenen einstweiligen Verfügung geltend zu machen. Das Verfahren nach § 927 ist dem Schuldner grundsätzlich eröffnet, wenn im Hauptsacheverfahren festgestellt worden ist, dass der Erlaß der einstweiligen Verfügung nicht gerechtfertigt war. In derartigen Fällen ist in der Aufhebungsentscheidung auch über die Kosten des Verfahrens der einstweiligen Verfügung zu entscheiden (BGH NJW 1993, 2685). Wenn zwischenzeitlich Erledigung eingetreten ist, muß diese Möglichkeit der Verfügungsbeklagten dadurch gegeben sein, dass sie mit einer Feststellungsklage den Nachweis führen kann, dass die einstweilige Verfügung zu Unrecht erlassen wurde.

Der Verfügungsbeklagten ist es auch verwehrt, ihre eigenen Auslagen in einem Verfahren nach § 945 ZPO geltend zu machen, weil diese infolge der Anordnung der einstweiligen Verfügung und nicht aus deren Vollziehung entstanden sind. Eine entsprechende Anwendung des § 945 ZPO verneint der Bundesgerichtshof (BGH a.a.O.).

3. Gegen die Abweisung eines Antrages nach § 926 Abs. 1 ZPO spricht auch folgende Überlegung:

Einerseits soll eine Verselbständigung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens durch das Antragsrecht des § 926 ZPO geradezu unterbunden werden. Andererseits bietet allein das Hauptsacheverfahren gerade bei von vorneherein fehlendem Verfügungsanspruch einen adäquaten Schutz des angeblichen Schuldners und die angemessene Sanktion zu Lasten des angeblichen Gläubigers. Damit reicht offenkundige Erfolglosigkeit der Hauptsacheklage für sich nicht aus, um den Antrag nach Absatz 1 abzuweisen, sondern nur in den Fällen, in denen der Schuldner selbst beispielsweise durch Erfüllung oder durch außergerichtliche Einigung das Hauptsacheverfahren obsolet hat werden lassen. Die herrschende Meinung mindert damit entgegen dem Gesetzessinn das Risiko des Gläubigers unangemessen und erhöht folglich den Reiz, das einstweilige Rechtsschutzverfahren als ein weithin risikoloses "Schnellschuß"-Verfahren zu mißbrauchen (Münchener Kommentar - ZPO/Heinze, 2. Aufl., § 926 Anm. 10).

4. Schließlich kann es nicht angehen, derartig komplizierte Rechtserörterungen im vom Rechtspfleger durchzuführenden Anordnungsverfahren anzustellen (Harte/Henning a.a.O., § 12 Rn. 552; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 8. Aufl., 56. Kapitel, Rn. 14).

5. Eine prozessuale Überholung durch die zwischenzeitlich erfolgte Klageerhebung ist nicht eingetreten, da die Parteien gerade darum streiten, ob die erhobene Klage die "richtige" Hauptsacheklage ist (vgl. Antrag IX der Klage vom 03.11.2004). Ob dies der Fall ist, ist daher allenfalls im Verfahren nach § 926 Abs. 2 ZPO zu prüfen.

III.
Der Streitwert ergibt sich aus dem Kosteninteresse der Parteien, das der Senat auf 20.000,00 EUR schätzt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 9l ZPO.

Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

(Unterschriften)