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Zum Verbot des Vertriebs von Ginkgo-Getränken ohne Zulassung als Arzneimittel- LG Köln, Urteil vom 3. Februar 2006. Az.: 81 O 257/02

Leitsätzliches

Die Klägerin kann von der Beklagten Unterlassung nach Maßgabe des Hauptantrages verlangen, denn das streitgegenständliche Produkt ist ein Präsentationsarzneimittel und darf deshalb mangels Zulassung nicht in der Bundesrepublik Deutschland in den Verkehr gebracht werden, §§ 3, 4 Nr.11 UWG in Verbindung mit § 21 AMG.

 

LANDGERICHT KÖLN

 IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

Aktenzeichen: 81 O 257/02

Entscheidung vom 3. Februar 2006

In Sachen

Tenor: 

Die Beklagte wird verurteilt,

es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu € 250.000,- zu unterlassen,

in der Bundesrepublik Deutschland ein Produkt unter der Bezeichnung "D GINGKO"und/oder "GINKGO"

mit den Inhaltsstoffen Wasser, Saccharose, Traubenzucker, Kohlensäure, natürliche und naturidentische Aromen, Säuerungsmittel: Zitronensäure und Apfelsäure, Grüntee-Extrakt, Ginkgo-Extrakt, Farbstoff: Zuckercouleur,

in einer 1-Liter-Flasche und etikettiert wie nachfolgend wiedergegeben:

- Es folgt eine einseitige Bilddarstellung. -

in den Verkehr zu bringen, solange es nicht über eine Zulassung als Arzneimittel nach §§ 21 ff AMG verfügt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, hinsichtlich des materiellen Ausspruchs gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von € 150.000,- und hinsichtlich der Kosten in Höhe von 120% desjenigen Betrages, dessentwegen vollstreckt wird.

T A T B E S T A N D:

Die Klägerin ist ein Pharmaunternehmen und hat sich auf die Erforschung und Herstellung hochwertiger pflanzlicher Arzneimittel spezialisiert ; zu ihrem Sortiment gehören unter der Bezeichnung Tebonin auch Ginkgo-Präparate. Hierbei handelt es sich um zugelassene Arzneimittel, die auf einem pflanzlichen Trockenextrakt aus Ginkgo biloba-Blättern basieren, der in der Therapie insbesondere zur Behandlung symptomatischer hirnorganischer Störungen, u.a. von Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, depressiver Verstimmungen, Schwindel, Ohrensausen und Kopfschmerzen eingesetzt wird.

Die Beklagte ist ein Lebensmittelunternehmen mit Sitz in Österreich, zu deren in der Bundesrepublik Deutschland vertriebenen Sortiment eine "Wirkungsgetränklinie" mit der Bezeichnung "D" gehört; im Rahmen dieser Produktlinie gibt es das Erzeugnis Gingko oder auch D Gingko, welches die im Tenor wiedergegebene Etikettenausstattung hat und die ebenfalls aus dem Tenor ersichtliche Zutatenliste aufweist. Es wird in einer 1-Liter-Flasche im Lebensmitteleinzelhandel vertrieben und wird von einer Verzehrempfehlung von "täglich ein bis zwei Gläser" begleitet.

Gingko bzw. D Gingko ist Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites. Die Klägerin hält das Erzeugnis wegen seines Gehaltes von 200mg Ginkgo-Extrakt (in der Literflasche) für ein Arzneimittel, das mangels einer entsprechenden Zulassung nicht verkehrsfähig sei. In Verbindung nämlich mit der Verzehrempfehlung ergebe sich nämlich eine tägliche Menge von 40 mg bis 100 mg Ginkgo-Extrakt, je nach dem ob 200ml- oder 250ml-Gläser verwendet werden. Damit erreiche die empfohlene tägliche Dosis praktisch die Mengen, die der Aufbereitungsmonographie aus dem Jahre 1994 zu Grunde liege und aus der sich die arzneilichen Wirkungen eindeutig ergäben. Auch aus weiteren Untersuchungen ergebe sich eine Wirksamkeit bei sogar noch niedrigeren Dosen, wobei es nicht darauf ankomme, diese bereits therapeutisch einsetzbar seien: auch und gerade besonders müsse der Verbraucher vor unwirksamen Medikamenten geschützt werden.

Außer durch seine Funktion sei D Gingko auch von seiner Präsentation her ein Arzneimittel, wobei der Verbraucher in seinem Verständnis geprägt werde von der langjährigen, umfänglichen Präsenz verschreibungspflichtiger, von den Kassen erstattungsfähiger Ginkgo – Präparate. Er kenne deshalb Gingko als arzneieichen Wirkstoff und werde von der Ausstattung sowie den weiteren unmittelbaren und auch mittelbaren Bewerbungen in dieser Erwartung bestärkt. In die Gesamtbewertung müssten auch die von der Beklagten mittlerweile zur Unterlassung erklärten Aussagen einbezogen werden, denn diese hätten das Verbraucherverständnis verstärkt.

Auch unabhängig von der Frage der Arzneimitteleigenschaft von DGingko hält die Klägerin das Produkt für nicht verkehrsfähig, denn nach ihrer Auffassung unterliegt es als Lebensmittel der Regelung für neuartige Lebensmittel und insoweit fehle es – dies ist unstreitig – an einer Zulassung als Novel Food; darüber hinaus handele es sich bei Ginkgo biloba um ein im Lebensmittelrecht unzulässigen Zusatzstoff. Diese und damit zusammenhängende Beanstandungen sind Grundlage des 1.Hilfsantrages.

In zweiter Linie hilfsweise wendet sich die Klägerin gegen bestimmte Werbeaussagen der Beklagten, die sie für rechtswidrig hält.

Sie beantragt,

wie erkannt und stellt hilfsweise Anträge, auf deren Formulierung im Schriftsatz vom 8.3.2004, Bl. 281 und 282 d.A. Bezug genommen wird.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie leugnet eine Arzneimittel – Eigenschaft von D Gingko, weil die empfohlene Verzehrmenge deutlich unterhalb jeglicher Wirksamkeit liege und das Produkt deshalb in etlichen Ländern der Europäischen Union als Lebensmittel anerkannt sei und unbeanstandet vertrieben werde. Es handele sich um ein Wellnessgetränk wie es mittlerweile in der Bundesrepublik Deutschland viele gebe, auch viele mit dem Zusatz von Ginkgo biloba, weshalb der Verbraucher an dieses spezielle Aroma mittlerweile gewöhnt sei. Jedenfalls vor diesem Hintergrund erwarte niemand, wenn er im Einzelhandel eine 1 Liter Flasche D Gingko sehe, ein Arzneimittel zu erwerben. Die versprochenen Wirkungen kämen – wie dies auch auf den Etiketten erläutert sei, wo das Getränk auch immer als "Gingko mit Traubenzucker" bezeichnet werde – vom Traubenzucker und seien deshalb auch zulässig.

Als Lebensmittel sei D Gingko ohne weiteres verkehrsfähig, weil Ginkgo schon 1997 in der Europäischen Union in nennenswertem Umfang eingesetzt worden sei und es sich im übrigen lediglich um ein Aroma handele. Es sei vielfach üblich und deshalb unbedenklich, ein Getränk nach dem prägenden Aroma zu benennen ("Zitronenlimonade").

Beide Parteien haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch den Vorsitzenden einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.

E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :

Die Klage ist begründet.

Die Klägerin kann von der Beklagten Unterlassung nach Maßgabe des Hauptantrages verlangen, denn das streitgegenständliche Produkt ist ein Präsentationsarzneimittel und darf deshalb mangels Zulassung nicht in der Bundesrepublik Deutschland in den Verkehr gebracht werden, §§ 3, 4 Nr.11 UWG in Verbindung mit § 21 AMG.

Ausgangspunkt dieser Erkenntnis und Grundlage der Entscheidung ist zum einen Art. 1 Nr. 2b der RL 2001/83/EG (Gemeinschaftskodex) in der Fassung gemäß der RL 2004/27/EG (Änderungsrichtlinie), der Arzneimittel wie folgt definiert:

"a) Alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind,

oder

b) alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen."

wobei die Definition zu a) das sog. Präsentationsarzneimittel beschreibt und die Definition zu b) das Funktionsarzneimittel,

und zum anderen Artikel 2, Abs.2 des Gemeinschaftskodexes in der Fassung der Änderungsrichtlinie, wo die Frage der Konkurrenz anwendbarer Vorschriften bei Erzeugnissen, die nach den jeweiligen Definitionen sowohl Arzneimittel als auch (z.B.) Lebensmittel sind, wie folgt gelöst ist:

(2) In Zweifelsfällen, in denen ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften sowohl unter die Definition von ,Arzneimittel‘ als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, das durch andere gemeinschaftliche Rechtsvorschriften geregelt ist, gilt diese Richtlinie.

Auf dieser Grundlage ist D Gingko dann ohne ausdrückliche Zulassung gemäß § 21 AMG nicht verkehrsfähig, wenn es (jedenfalls auch) als Arzneimittel zu qualifizieren ist. Hierbei ist es ohne entscheidende Bedeutung, dass der Vertrieb von D Gingko z.B. in Österreich unbeanstandet vorgenommen wird; dies ergibt sich aus dem Urteil des EuGH vom 9.6.2005 "Lactobact Omni FOS" Rdn.60.

Es kann dahinstehen, ob das streitgegenständliche Erzeugnis schon von seinen Inhaltsstoffen und damit von seiner Funktion her als Arzneimittel einzustufen ist und ob dies vom Gericht auch ohne Einholung eines Gutachtens hätte festgestellt werden können, denn jedenfalls ist D Gingko ein Arzneimittel kraft seiner Präsentation.

Ein Präsentationsarzneimittel liegt nicht nur dann vor, wenn ein Präparat als "Arzneimittel" – sei es auch nur in Umschreibungen – "bezeichnet" wird, sondern auch dann,

"wenn bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher auch nur schlüssig, aber mit Gewissheit der Eindruck entsteht, dass dieses Erzeugnis – in Anbetracht seiner Aufmachung – die in der ersten gemeinschaftsrechtlichen Definition beschriebene Wirkung haben müsse." (EuGH, Urteil vom 30.11.1983 "van Bennekom", Rdn.18; vgl. wtrp)

Für diese Feststellung bedarf es der Würdigung sämtlicher Elemente, die auf das Vorstellungsbild des Verbrauchers einwirken, angefangen mit der Produktaufmachung bis hin zur Werbung und dem sonstigen Umfeld, wobei Äußerungen und ähnliche meinungsprägende Elemente, die mittlerweile zur Unterlassung erklärt sind, nur insoweit zu berücksichtigen sind wie sie noch aktuell spürbare Folgen zeitigen; der Unterlassungsanspruch ist nur in die Zukunft gerichtet und kann sich deshalb nicht auf in der Vergangenheit liegende, abgeschlossene Sachverhalte gründen. Ausländische Sachverhalte sind – soweit sie sich ausschließlich dort abspielen – ebenfalls unbeachtlich, denn es ist das gute Recht eines jeden Gewerbetreibenden, sich freiere Regelungen im Ausland zu Nutze zu machen.

Kern der zu prüfenden Elemente ist vorliegend die Ausgestaltung der Etiketten des streitgegenständlichen Produktes, denn das Frontetikett wird – abgesehen vom Serien-Namen "D"– dominiert von Gingko und damit von einem Begriff, der seit sehr vielen Jahren und damit traditionell (ausschließlich) besetzt ist mit der Vorstellung von einer Heilpflanze. Auch die Beklagte hat nicht vortragen können, dass es seit einer spürbar langen Zeit Lebensmittel in erheblicher Verbreitung auf dem bundesdeutschen Markt gegeben hat und gibt, deren Verkaufsbezeichnung Gingko lautet bzw. die Gingko innerhalb der Bezeichnung führen und deshalb die Verbrauchergewöhnung verändert haben.

Bereits in der Klageschrift und ergänzend in der Replik hat die Klägerin unwidersprochen vorgetragen und im übrigen auch belegt, dass in der Bundesrepublik Deutschland seit Jahrzehnten eine Vielzahl von apothekenpflichtigen Ginkgo – Präparaten auf dem Markt sind und jährlich in ganz erheblichen Mengen abgesetzt werden. Dieser Umstand prägt das Verbraucherbewusstsein sehr intensiv und führt ganz automatisch Assoziationen zu den ihm bekannten Heilmitteln, wenn es mit dem Namen Gingko konfrontiert wird.

Die von der Beklagten in ihrer Erwiderung dagegen gehaltene Präsenz von modernen Erzeugnissen, die unter Beifügung von Gingko hergestellt sind und vermarktet werden, behindert diese Assoziation in keiner Weise, denn Gingko wird für diese Getränke ganz überwiegend nur als geschmacksbegründend oder –beeinflussend angekündigt, ohne dass ihm wirklich konkretere Wirkungen zugeschrieben würde:

Christinen Wellness life "ist ein Erfrischungsgetränk mit Kräuterextrakten..", wobei dann die Wirkung des Gingko als "vitalisierend" beschrieben wird; erst in der verlinkten Erläuterung werden die Wirkungen von Gingko sehr vorsichtig mit "sollen" beschrieben

Nestlé Wellness Relax wird als "entspannend und beruhigend" beschrieben, ohne dem Zusatz von Gingko eine spezielle Rolle dabei zuzuweisen

Hohes C Vital führt Gingko lediglich als hinzugefügt auf

Merziger esprit "sanfte Anregung für Geist und Gaumen" führt (u.a.) Gingko als Zusatz auf

Beutelsbacher Bio Ginkgo Ginseng führt Gingko immerhin im Namen auf, schreibt ihm aber keine besonderen Eigenschaften zu; lediglich die "weltweite besondere Wertschätzung" des "ältesten Baumes der Erde" wird erwähnt

Vöslauer Balance Rosé führt Gingko lediglich unter den "Zutaten" auf

Adelholzener Pflaume erwähnt Gingko als "Wirkstoff", ohne individuell zu erläutern, worin dessen Wirkung besteht

Nestlé Quick Drink plus ... mit Gingko erwähnt einen "innovativen Kräuterextrakt Ginkgo"

verschiedene Tees "Gingko", "mit Ginkgoblättern", "Ginkgoblätter" und "Ginkgo-Citronengras": lediglich teilweise (neuform Kräutertee und Meßmer Manana-Tee) werden dem Bestandteil Gingko besondere Wirkungen zugeschrieben.

Zur Klarstellung sei vorab darauf hingewiesen, dass das Gericht sich nicht dazu äußert, ob die dort jeweils vorgenommene Etikettierung zulässig ist oder nicht. Die vorstehende Liste kann aber ohne Unterstellung als weitgehend "vollständig" in Bezug auf Gingko – Produkte in der Bundesrepublik Deutschland angesehen werden, denn die Beklagte ist schon in ihrem Interesse bemüht gewesen, umfassend zur Verbrauchervorstellung vorzutragen. Sie belegt, dass nur ganz ausnahmsweise ein Produkt mit Gingko benannt worden ist und dem Bestandteil Gingko noch seltener konkrete Wirkungen zugeschrieben werden.

Unabhängig davon ist festzustellen, dass die Veränderung der bestimmten, über Jahrzehnte geprägten und damit sehr gefestigten Verbrauchererwartung in Bezug auf die Arzneimittel-Eigenschaft von GINKGO nicht kurzfristig erfolgt; ohne konkreten Vortrag zu Dauer und Umfang der Marktpräsenz der jeweiligen Produkte auf dem hiesigen Markt kann aber nicht angenommen werden, dass ein Umlernprozess beim Verbraucher überhaupt auch nur begonnen hat.

Ganz im Gegensatz zu den Produkten auf der von der Beklagten zusammen gestellten Liste greift das hier streitgegenständliche Produkt der Beklagten nicht nur in seiner Benennung auf die altbekannte Heilpflanze zurück, sondern bildet sie auch noch zentral auf dem Frontetikett ab um dann schließlich noch –ebenfalls auf dem Frontetikett – "Jugend für den Geist" auszuloben, ein Anspruch, der nichts anderes darstellt als eine Umsetzung der klassischen Indikation für die Heilpflanze ("Behandlung ... von Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen") in eine für jeden verständliche Werbesprache. Anders als alle von ihr herangezogenen Beispiele greift die Beklagte in der streitgegenständlichen Ausstattung nicht nur die Pflanzenbezeichnung als Verkaufsbezeichnung auf, sondern erläutert sie schlagwortartig und damit griffig mit der arzneieichen Kernindikation. Damit stellt sich das Getränk ungeachtet seines Vertriebsweges für den Verbraucher schlüssig als ein Produkt dar, welches in seiner Vorstellung wegen seiner Benennung und seiner Beschreibung so wirken muss wie ein Arzneimittel. Die chininhaltige Limonade schließlich – um einen Hinweis der Beklagten aufzugreifen - heißt "Tonic Water" und nicht etwa "Chinin – Widerstandskraft in den Tropen".

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.

Streitwert: € 150.000,-.