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OLG München: Facebook-Nutzer dürfen nicht in den Medien an den Pranger gestellt werden

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Rechtsanwalt Michael Terhaag, LL. M.

Fachanwalt für IT-Recht
Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz

OLG München: Facebook-Nutzer dürfen nicht in den Medien an den Pranger gestellt werden

Von Rechtsanwalt Michael Terhaag, LL.M.

Die europäische Flüchtlingspolitik sorgt noch immer für viel Diskussion – besonders auch im Internet. Nicht immer wird auf sachlicher Ebene argumentiert. An vielen Stellen entgleitet die Debatte, es wird viel geschimpft, beleidigt und auch gehetzt. Rassistische, entwürdigende Kommentare und Veröffentlichungen waren - und sind auch heute noch - im Netz zu finden.

Eine große deutsche Boulevardzeitung entschied sich zu einer Gegen-Hetze – und stellte vor einiger Zeit verschiedene Facebook-Nutzer in ihrem Medium an den Pranger. Die Zeitung veröffentlichte Screenshots von Kommentaren. Deutlich erkennbar: Foto und Name des jeweiligen Nutzers.

In der Einleitung des Artikels hieß es unter anderem: „So viel offener Hass war noch nie in unserem Land! Und wer Hass sät, wird Gewalt ernten (…) Wir stellen die Hetzer an den Pranger! Herr Staatsanwalt, übernehmen Sie!“ Es folgte eine Auswahl von Facebook-Beiträgen – viele davon waren mit schwer beleidigenden und widerlichen Inhalten.

Nun musste sich das Oberlandesgericht München mit der Frage beschäftigen, ob die Veröffentlichung der Zeitung rechtmäßig war (OLG München, Urteil vom 17. März 2016, Az. 29 U 368/16). Eine Nutzerin hatte ihren Eintrag beim Boulevardblatt entdeckt und sich im einstweiligen Verfügungsverfahren dagegen gewehrt – und bekam Recht.

Der Senat entschied unter anderem, dass das Profilfoto der Nutzerin nicht ohne weiteres hätte veröffentlicht werden dürfen. Dabei wendete das Gericht das sogenannte abgestufte Schutzkonzept bei Fotoveröffentlichungen an: Grundsätzlich dürfen Personenfotos nur mit Einwilligung verbreitet werden. Nur in bestimmten Ausnahmefällen, kann eine Veröffentlichung auch ohne Einverständnis erfolgen. Eine solche Ausnahme liege hier jedoch nicht vor.

Keine Einwilligung in die Veröffentlichung des Fotos

Es liegt auf der Hand, dass die Boulevardzeitung vorliegend keine Einwilligung der jeweiligen Nutzer eingeholt hatte. Zugestimmt hätte vermutlich keiner. Und nur, weil sie dieses Foto selbst bei Facebook eingestellt habe, könne noch nicht von einer Einwilligung in die Wiedergabe einer Veröffentlichung auf einer Medienseite geschlossen werden, so die Richter:

„Wer ein Foto auf seinen Account bei einem Social Network hochlädt, ohne von möglichen Zugriffssperren Gebrauch zu machen, willigt nicht in die Weiterverbreitung des Fotos durch Dritte außerhalb des Kreises der zugriffsberechtigten Mitglieder des Netzwerks im Rahmen eines gänzlich anderen Kontextes ein.“

In Ausnahmefällen dürfen Bilder auch ohne Einwilligung veröffentlicht werden. Ein solcher liegt dann vor, wenn es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt.

Kein Bildnis der Zeitgeschichte

Maßgebend ist hierbei das Interesse der Öffentlichkeit an vollständiger Information über das Zeitgeschehen, wobei dieser Begriff zugunsten der Pressefreiheit in einem weiten Sinn zu verstehen ist. Er umfasst nicht nur Vorgänge von historisch-politischer Bedeutung, sondern alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse.

Dies könne man jedoch bei dem streitgegenständlichen Facebook-Foto nicht annehmen, so der Senat.

„Es steht folglich außer Frage, dass es Aufgabe der Antragsgegnerin ist, die in Politik und Gesellschaft geführte Flüchtlingsdebatte in ihrer Berichterstattung aufzugreifen, abzubilden und auch zu bewerten. Dazu zählt selbstverständlich auch die kritische Würdigung der Haltung bestimmter Bevölkerungskreise, die dem Zuzug von Flüchtlingen ablehnend gegenüberstehen. Nicht zu beanstanden ist auch, dass die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Berichterstattung - etwa zur Darstellung der Stimmungslage in der Bevölkerung - Äußerungen wie die der Antragstellerin wiedergibt, mit denen sich einzelne Personen in der Flüchtlingsdebatte außerhalb ihres privaten Umfeldes zu Wort gemeldet haben.“

Berücksichtigung müsse zudem finden, dass sich die Nutzerin hier selbst in die Öffentlichkeit begeben habe, indem sie ihre Meinung öffentlich bei Facebook einstellte. Es bestehe allerdings kein berechtigtes Interesse der Boulevardzeitung, die Nutzerin im Rahmen der Wiedergabe ihrer Äußerung durch die Abbildung eines mit ihrem Namen versehenen Fotos kenntlich zu machen.

„Denn es ist nicht erkennbar, welche Bedeutung es für eine sachbezogene Erörterung der in der Flüchtlingsdebatte in einem Interneteintrag geäußerten Meinung einer beliebigen Person aus Sicht des angesprochenen Publikums haben könnte, zu wissen, wie diese Person heißt und aussieht. Zur Darstellung des Meinungsbildes und dessen Bewertung durch die Antragsgegnerin bedarf es lediglich der Mitteilung der Äußerung selbst. Das Bildnis einer Person wird nicht schon dadurch zu einem solchen der Zeitgeschichte, dass sich die fragliche Person in einem Interneteintrag zum Zeitgeschehen geäußert hat.“

Ein Informationsanspruch des Publikums besteht daher insoweit nicht. Die Nutzerin habe zwar damit rechnen müssen, ihre Äußerung in einem Massenmedium kritisch bewertet wiederzufinden.

„Die mit ihrem Facebook-Eintrag erfolgte partielle Selbstöffnung der Privatsphäre der Antragstellerin ist allerdings nicht mit der von der Antragsgegnerin vorgenommenen und als „Pranger“ bezeichneten Wiedergabe der mit Foto und Namen versehenen Äußerung in einem Massenmedium gleichzusetzen: Die Breitenwirkung, welche die Antragsgegnerin mit ihrer Bildnisveröffentlichung erzielt hat, geht weit über das hinaus, was der Antragstellerin mit ihrem Facebook-Eintrag möglich war.“

Der von der Nutzerin mit ihrer Veröffentlichung angesprochene Personenkreis, beschränke sich nämlich auf die Personen, denen die Nutzerin entweder bereits bekannt war oder die ihre Äußerungen zumindest auf Facebook zur Kenntnis genommen haben. Die Nutzerin habe mit ihrem Eintrag aber nicht alle potentiellen Internetnutzer oder auch nur das Publikum der Antragsgegnerin angesprochen.

Fazit

Die Entscheidung befasst sich mit einem sehr aktuellen Thema: Viele Medienunternehmen legen immer mehr den Fokus auf konkrete Nutzerbeiträge bei Facebook, Twitter & Co. In vielen Zeitungs-, Radio- und Fernsehberichten findet man Zitate verschiedener Äußerungen. Dabei muss es nicht immer um hochpolitische Themen gehen – auch die Meinung zu einem beliebten Konzert kann Anlass sein, um die sozialen Medien auf Nutzerstimmen zu durchforsten. Das Urteil zeigt diesem Vorgehen nun gewisse Grenzen auf. Nicht jeder, der etwas im Internet postet, möchte sich auch in sogenannten Massenmedien wiederfinden.

Dabei beschäftigt sich das Urteil des Oberlandesgerichts München allein mit der Veröffentlichung eines Profilbildes. Erschwerend kommt noch hinzu, unter welchem thematischen Schwerpunkt die Veröffentlichung vorliegend geschah: „Wir stellen die Hetzer an den Pranger“. Künftig dürften solche Stimmungsbarometer aus den sozialen Medien jedoch auch aus anderen Gründen für Rechtsstreitigkeiten sorgen.

Im vorliegenden Fall wurden die Nutzer von der Boulevardzeitung bewusst als Hetzer vorgeführt. Auf viele der dort zitierten Äußerungen dürfte es wohl zutreffen, sie als hetzerisch, beleidigend und menschenverachtend zu bezeichnen. Möglicherweise trifft dies jedoch nicht auf alle zu: die Grenze zur zulässigen Meinungsäußerung ist nicht leicht zu ziehen. Auch unschöne Meinungen sind grundsätzlich von Art. 5 GG geschützt, solange die Äußerungen eben nicht allein aus Beleidigungen, Hetze oder Schmähung bestehen, sondern sich mit einer bestimmten Sache inhaltlich auseinandersetzen.

Zudem ist wohl nicht jeder, der sich abfällig im Internet äußert sofort auch ein „Hetzer“ – mag seine Veröffentlichung noch so widerlich sein. Wer sich bewusst verächtlich über andere im Internet äußert, gehört aber nicht in einer Zeitung erkennbar an den Pranger gestellt – sondern bei einer zuständigen Ermittlungsbehörde angezeigt. Es ist dann Aufgabe der Justiz zu entscheiden, ob ein Straftatbestand erfüllt ist oder nicht.

Auch wird, losgelöst vom hiesigen Verfahren, in manchen Fällen die Frage zu stellen sein, ob der veröffentlichte Post auch tatsächlich vom genannten und bildlich gezeigten Nutzer stammt – bei Facebook & Co. gibt es bekanntlich eine Vielzahl von falschen Accounts. Möglicherweise werden dann ganz schnell vermeintliche Nutzer (von manchen Medien ungeprüft) öffentlich als „Hetzer“ an den Pranger gestellt. Dabei hat die dort gezeigte Person vielleicht nicht einmal einen Facebook-Account. Dieser Gefahr sollten sich Medien bewusst sein und nicht wahllos nach Stimmen aus der Social-Media-Welt suchen.

Haben Sie Fragen zum Presse- und Medienrecht? Wir beraten Sie gerne - nehmen Sie einfach Kontakt mit uns auf.

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