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Streitwert bei unerwünschter Telefon-Werbung - KG Berlin, Beschluss vom 9. April 2010, Az.: 5 W 3/10

Leitsätzliches

Bei der Klage eines Verbraucherverbandes auf Unterlassung unerbetener Telefonwerbung ist bei der Streitwertbemessung zu berücksichtigen, dass ein massiver Angriff auf Verbraucherinteressen in Rede steht, welcher das - auch verfassungsrechtlich - geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angerufenen und dessen Privatsphäre in nicht hinzunehmender Weise missachtet.

KAMMERGERICHT BERLIN

BESCHLUSS

Aktenzeichen: 5 W 3/10
Entscheidung vom 9. April 2010

In dem Rechtsstreit (...)

hat der 5. Senat der Kammergerichts Berlin beschlossen:

1. Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Klägers wird - unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels - der Beschluss der Kammer für Handelssachen  des Landgerichts Berlin vom 23. November 2009 - 101 O 92/09 - geändert:

        Der Streitwert wird auf 37.500 € festgesetzt.

2. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe
Die gegen die Festsetzung des Streitwerts auf 2 x 5.000 € = 10.000 € mit dem Ziel der Heraufsetzung auf 2 x 30.000 € = 60.000 € eingelegte Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Klägers ist gemäß § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG, § 68 Abs. 1 GKG zulässig. Teilweise hat sie auch in der Sache Erfolg.

1. Der Sache nach ist um unerbetene Telefonwerbung des Beklagten, einem Weinhändler, sowie um dessen Fernabsatz ohne Widerrufsbelehrung gestritten worden, was der Kläger, eine gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG qualifizierte Einrichtung (Verbraucherzentrale), beides unterbunden wissen wollte und dies in der Klageschrift mit je 30.000 € bewertet hat.

2. Gemäß § 3 ZPO ist der Streitwert nach freiem Ermessen im Wege der Schätzung zu bestimmen. Maßgeblich für die Schätzung ist bei einer auf Unterlassung von Lauterkeitsrechtsverletzungen gerichteten Klage das Interesse, das der Kläger an der Unterbindung weiterer gleichartiger Verstöße hat. Dieses Interesse wird maßgeblich durch die Art des Verstoßes, insbesondere seine Gefährlichkeit für den Wettbewerber oder Verbraucher anhand des drohenden Schadens bestimmt. Dabei sind u. a. die Unternehmensverhältnisse bei dem Verletzer (Umsätze, Größe, Wirtschaftskraft, Marktstellung und deren voraussichtliche Entwicklung), die Auswirkungen zukünftiger Verletzungshandlungen (Ausmaß, Intensität und Häufigkeit, insbesondere durch die bereits begangene Verletzungshandlung) und die Intensität der Wiederholungsgefahr (Verschuldensgrad, späteres Verhalten) zu berücksichtigen (vgl. zu Vorstehendem BGH GRUR 1990,1052, 1053 - Streitwertbemessung; Köhler in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 28. Aufl., § 12 UWG Rdn. 5.3, m. w. N.).

Ein gewichtiges Indiz für die Schätzung des Interesses nach vorstehenden Grundsätzen bildet nach ständiger Rechtsprechung des Senats die Angabe des Streitwerts in der Klage- bzw. Antragsschrift; denn diese Angabe erfolgt grundsätzlich noch unbeeinflusst vom Ausgang des Rechtsstreits. Sie kann daher der Streitwertfestsetzung regelmäßig zugrunde gelegt werden, es sei denn, dass sich aus den Umständen die Fehlerhaftigkeit der Angabe ergibt. Die Streitwertangabe enthebt das Gericht daher nicht der Notwendigkeit, diese anhand der Aktenlage und sonstiger Gegebenheiten unter Berücksichtigung seiner Erfahrung und in vergleichbaren Fällen erfolgter Wertfestsetzungen selbständig nachzuprüfen (vgl. Senat KG-Report 1998, 170, 171).

Klagt - wie hier - ein Verbraucherverband (§ 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG), so ist das satzungsmäßig wahrgenommene Verbraucherinteresse zu schätzen, was unter Umständen – etwa bei Gesundheitsgefährdung der Verbraucher – auf einen wesentlich höheren Betrag hinauslaufen kann als beim zu bewertenden Interesse eines Mitbewerbers (Hess in: Ullmann, jurisPK-UWG, 2. Aufl., § 12 Rdn. 230 m.w.N.).

3. Nach Maßgabe vorstehender Grundsätze erweist sich der vom Landgericht wegen der unerbetenen Telefonwerbung festgesetzte Wert von 5.000 € unter Berücksichtigung der maßgeblichen Umstände des vorliegenden Falls als deutlich untersetzt, und rückt diese Verletzung wertmäßig zu Unrecht in die Nähe des Bagatellbereichs. Bei unerbetener Telefonwerbung handelt es sich um einen massiven Angriff auf Verbraucherinteressen, der das - auch verfassungsrechtlich - geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angerufenen und dessen Privatsphäre in schlechterdings nicht hinzunehmender Weise missachtet.
Unter Berücksichtigung alles Vorstehenden rechtfertigt sich im Streitfall - dem klägerischen Interesse an wirklich nachhaltiger Unterbindung dieses Grundübels Rechnung tragend - in der Tat eine Bewertung des ersten Begehrens mit 30.000 € (vgl. auch Senat, Beschl. v. 16.2.2010 - 5 U 26/09 sowie - noch weiter gehend: 50.000 € - Senat, Beschl. v. 9.2.2010 - 5 U 200/07 [beides unveröffentlicht]).

Die vom Landgericht zur Begründung herangezogene Entscheidung des 9. Zivilsenats des Kammergerichts vom 12. September 2006 - 9 U 176/06 (KGR 2007, 206) steht dem nicht entgegen (und dürfte ohnehin schon infolge BGH a.a.O. jetzt nur noch mit Vorsicht heranzuziehen sein). Der dortige Fall war anders gelagert: Es wurde kein Verbraucher privat angerufen, und es klagte der angerufene und sich belästigt fühlende Unternehmer mit dem Begehren, es zu unterlassen, ihn nochmals zu Werbezwecken anzurufen.

4. Die landgerichtliche Bemessung der Unterbindung von Fernabsatz ohne jegliche Widerrufsbelehrung mit nur 5.000 € ist gleichfalls - wenn im Ergebnis auch nur geringfügig - untersetzt (insoweit freilich bundesweit sehr stark differierende Streitwerte, vgl. dazu die Nachweise bei Hess a.a.O. Rdn. 229 und [Online-Ausgabe 2010] Rdn. 229.1). Soweit sich das Landgericht hier auf KG v. 5.12.2006 - 5 W 295/06 - (juris) zu stützen sucht und ausführt, der Streitfall gebe zur Abweichung keinen Anlass, ist dem aus drei Gründen zu widersprechen: Erstens wurden dort 6.500 € (a.a.O. - juris - unter "Tenor") und nicht wie hier nur 5.000 € festgesetzt. Zweitens ging es dort um ein Eilverfahren und nicht wie hier um eine Hauptsachenklage (zur diesbezüglichen "2/3-Rechtsprechung" vgl. Senat GRUR-RR 2007, 63, 64; Hess a.a.O. Rdn. 233). Und drittens ging es dort nur um eine in einem Detail unrichtige Widerrufsbelehrung und nicht wie hier um eine gänzlich fehlende Widerrufsbelehrung, was aber der Senat normalerweise und so auch hier im Ausgangspunkt mit 15.000 € bewertet, diesen Betrag jedoch bei - auch hier - erfüllten Voraussetzungen des § 12 Abs. 4, 1. Alt. UWG auf die Hälfte, also 7.500 € reduziert (dazu Senat a.a.O.; Hess a.a.O. Rdn. 245 ff., 248).

5. Nach allem ist der Streitwert in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung auf 30.000 € + 7.500 € = 37.500 € festzusetzen.

Die Nebenentscheidungen zu den Kosten beruhen auf § 68 Abs. 3 GKG.

Unterschriften