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OLG Koblenz, Urteil vom 31. Oktober 2002, AZ.: U 642/02 Kart.- Belieferungsboykott

Leitsätzliches

Zwar darf ein Unternehmen nicht deshalb von der Belieferung mit Waren ausgeschlossen werden, weil es diese Waren ausschließlich via Internet vertreiben will und kein stationäres Ladengeschäft betreibt. Ein entsprechend ergangenes Urteil, in dem die Rechtswidrigkeit des Belieferungsboykotts festgestellt wurde, kann jedoch nicht im Wege des Einstweiligen Verfügungsverfahrens durchgesetzt werden.

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

Aktenzeichen: U 642/02

Entscheidung vom 31. Oktober 2002

 

 

 

Vorinstanz: LG Mainz 12 HK.O 9/02 Kart. vom 04.04.2002

 

 

in dem Verfahren der einstweiligen Verfügung

 

Der Kartellsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und die Richter am Oberlandesgericht Dr. ... und ...

 

am 12. September 2002

 

für Recht erkannt:

 

I. Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil der 12. Zivilkammer - 2. Kammer für Handelssachen - des Landgerichts Mainz vom 4.4.2002 abgeändert.

 

Der Beschluss vom 25.1.2002 wird aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

 

II. Die Kosten beider Rechtszüge trägt die Antragstellerin.

 

 

 

Tatbestand:

 

Die Antragsgegnerin stellt Luxuskosmetika her und vertreibt diese in einem selektiven Vertriebssystem an ihre Depositäre, die jeweils Ladengeschäfte betreiben. Seit Herbst 2000 gestattet sie ihren Depositären auf der Grundlage einer Internetzusatzvereinbarung auch den Vertrieb der Vertragsprodukte über das Internet.

Die Antragstellerin ist ein V... Capital-Unternehmen im Bereich des elektronischen Handels. Seit 1999 vertreibt sie kosmetische Produkte ausschließlich über das Internet. Die Antragsgegnerin verweigert der Antragstellern die Belieferung mit ihren Produkten zum Vertrieb ausschließlich über das Internet mit der Begründung, die Antragstellerin sei mangels Vorhandenseins eines stationären Ladengeschäfts als Depositär nicht autorisierungsfähig.

 

Auf Anregung der Antragsgegnerin hat die Antragstellerin in dem zwischen den Parteien vor dem Oberlandesgericht München anhängigen Rechtsstreits Widerklage erhoben, die zunächst darauf gerichtet war, die Antragsgegnerin zu verurteilen, mit ihr einen Depotvertrag unter Ausschluss solcher Elemente zu schließen, die sich auf den stationären Handel beziehen. Auf Anregung des Oberlandesgerichts München änderte die Antragstellerin den Antrag und beantragte festzustellen, dass die Beklagte (Antragsgegnerin) verpflichtet ist, die Klägerin (Antragstellerin) entsprechend ihren Bestellungen mit den Produkten der Marken Lancaster, Jil Sander, Davidoff und JOOP zu den Konditionen der mit den anderen Kunden der Beklagten (Antragsgegnerin) abgeschlossenen Depotverträge zu beliefern.

 

Durch Urteil vom 6.12.2001 gab das Oberlandesgericht München dem Feststellungsbegehren statt.

Da die Antragsgegnerin auch nach Zustellung des Urteil des Oberlandesgerichts München eine Belieferung der Antragstellerin zum ausschließlichen Vertrieb im Internet verweigerte, beantragte die Antragstellern im Wege der einstweiligen Verfügung der Antragsgegnerin aufzugeben, die Antragstellerin mit Kosmetikprodukten der als Anlage A1 beigefügten Bestellliste Zug um Zug gegen Zahlung der in dieser Liste genannten Nettoeinkaufspreise zu beliefern. Zur Dringlichkeit führte sie aus, infolge der Nichtbelieferung durch die Antragsgegnerin sei sie nur noch bis Ende Februar 2002 zahlungsfähig, weil die Kapitalgeber nach Erlass des Urteils des Oberlandesgerichts München zwar eine Kapitalerhöhung angekündigt, diese aber angesichts der Weigerung der Antragsgegnerin, die Belieferung nunmehr durchzuführen, wieder zurückgenommen hätten.

 

Das Landgericht hat durch Beschluss vom 24.1.2002 die beantragte einstweilige Verfügung erlassen und durch Urteil vom 4.4.2002 im Wesentlichen aufrechterhalten.

 

Hiergegen richtet sich die Berufung der Antragsgegnerin, mit der sie ihren Antrag um Abweisung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung weiterverfolgt.

 

Sie ist der Ansicht, für den Erlass einer einstweiligen Verfügung fehle es an der erforderlichen Dringlichkeit. Die Antragstellerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass aus der Nichtbelieferung seitens der Antragsgegnerin unmittelbar so schwerwiegende Nachteile für ihren Geschäftsbetrieb folgen, dass es die Anordnung einer Belieferung rechtfertige. Im Übrigen habe es der Antragstellerin freigestanden, bereits im Prozess vor dem Oberlandesgericht München einen entsprechenden Leistungsantrag zu stellen.

 

Darüber hinaus bestehe ein Anspruch der Antragstellerin auf eine Belieferung durch die Antragsgegnerin nicht.

 

Die Antragstellerin ist dem entgegengetreten.

Die für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderliche Dringlichkeit setze im Streitfall keine existentielle Gefährdung der Antragstellerin voraus, weil das Verfahren angesichts des Urteils des Oberlandesgerichts München die Hauptsache nicht mehr vorwegnehmen könne und eher die Funktion habe, den im Hauptsacheverfahren erstrebten Feststellungstitel zu vollziehen. Im Verfahren vor dem Oberlandesgericht München sei es ihr nicht möglich gewesen, einen Leistungsantrag zu stellen, weil sie eine grundsätzliche Klärung der Belieferungsverpflichtung der Antragsgegnerin nur im Rahmen einer Feststellungsklage habe erreichen können.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze der Parteien nebst Urkunden sowie das angefochtene Urteil Bezug genommen.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

I. Die Berufung ist begründet. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung gemäß §§ 935, 940 ZPO ist nicht zulässig. Es fehlt der Verfügungsgrund.

1. Die Antragstellerin begehrt eine Verurteilung der Antragsgegnerin zur Leistungserbringung und damit eine Befriedigung des von ihr geltend gemachten Anspruchs. Eine Befriedigung des Hauptsacheanspruchs kann jedoch grundsätzlich nicht im Wege der einstweiligen Verfügung erlangt werden, die nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung primär auf die Sicherung des Hauptsacheanspruches abzielt. Nach feststehender Rechtsprechung wird aber in Ausnahmefällen auch eine auf eine endgültige Befriedigung hinauslaufende Leistungsverfügung im Rahmen des § 940 ZPO für zulässig erachtet. Die Annahme eines solchen Ausnahmefalles ist aber nur gerechtfertigt, wenn besondere Gründe vorliegen, welche die Position des Gläubigers noch schutzwürdiger erscheinen lassen als dies bei der "normalen" Sicherungsverfügung ohnehin der Fall sein muss (vgl. OLG Saarbrücken WuW (OLG 2573) 1982, 377, 378). An das Vorliegen des für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderlichen Verfügungsgrundes sind daher verschärfte Anforderungen zu stellen. Dies gilt auch im Streitfall.

2. Die Antragstellerin beruft sich zu Unrecht auf eine hier vorliegende atypische Situation, weil durch das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 6.12.2001 die Hauptsache schon entschieden sei, die einstweilige Verfügung also die Hauptsache nicht mehr vorwegnehmen könne.

 

Zum einen handelt es sich bei dem Urteil des Oberlandesgerichts München nicht um die Entscheidung in der Hauptsache. Hauptsache wäre eine dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung entsprechende Leistungsklage gewesen. Das Oberlandesgericht München hat aber lediglich über eine Feststellungsklage entschieden.

 

 

Es mag dahinstehen, ob die Zahlungsfähigkeit der Antragstellerin nur noch bis Ende Februar 2002 sichergestellt war, weil Aktionäre ihre nach Erlass des Urteils des Oberlandesgerichts München angekündigte Zustimmung zur Kapitalerhöhung zurückgenommen haben, als die Antragsgegnerin trotz des Urteils des Oberlandesgerichts München mitteilte, keine Belieferung vorzunehmen und die Entscheidung der Revisionsinstanz abzuwarten. Von der im Belieben der Aktionäre der Antragstellerin stehenden Entscheidung, der Antragstellerin Kapital zuzuführen oder nicht, kann nicht die Entscheidung abhängig gemacht werden, ob - auch in Abwägung gegenüber den Interessen der Antragsgegnerin - die Belieferung durch die Antragsgegnerin nötig war, um eine existentielle Gefährdung der Antragstellerin abzuwenden. Hierzu hätte es näherer Darlegung dazu bedurft, in welcher Weise die Antragstellerin von dieser Belieferung durch die Antragsgegnerin abhängig war. Da die Antragstellerin ihre Belieferung mit Produkten der Antragsgegnerin aus dem grauen Markt sicherstellen konnte, konnte nur die fehlende oder zu geringe Gewinnmarge zu der behaupteten Zahlungsunfähigkeit führen. Insoweit fehlt es jedoch an jeglichen näheren Anhaltspunkten. Die Antragstellerin hat weder dargetan, welcher Anteil ihres Umsatzes auf Produkte der Antragsgegnerin entfällt, noch in welchem Verhältnis der Gewinn aus dem Vertrieb anderer Kosmetikprodukte zu der Gewinnmarge aus den Verkäufen der aus dem grauen Markt bzw. von der Antragsgegnerin unmittelbar an die Antragstellerin gelieferten Produkte steht. Dies wäre umso notwendiger gewesen, als die Antragstellerin im Jahre 2001 einen Umsatz von 1,3 Mio. Euro erzielt hat und die mit der einstweiligen Verfügung begehrte Lieferung lediglich einen Umfang von ca. 150.000 Euro ausmacht. Die von der Antragstellerin zur Glaubhaftmachung vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen verhalten sich hierzu nicht.

Die von der Antragstellerin als zutreffend bezeichneten Angaben in der Lebensmittelzeitung vom 19.7.2002 (S. 26) sprechen zudem eher gegen eine existentielle Notlage der Antragstellerin wegen der Nichtbelieferung durch die Antragsgegnerin. Danach ist von der Antragstellerin für das Jahr 2002 eine Verdoppelung des Umsatzes geplant, wobei sie - etwa Mitte des Jahres 2002 - wunderbar im Plan liege. Außerdem sei seit Juni 2002 ein neuer Großinvestor und Anteilseigner gefunden, der 72 % der Anteile halte. Es ist unter diesen Umständen nicht nachvollziehbar und erst recht nicht glaubhaft gemacht, dass ohne die mit der einstweiligen Verfügung begehrte und zur Abwendung der Zwangsvollstreckung im Februar 2002 erfolgte Lieferung der Antragstellerin im Umfang von etwa 150.000 Euro eine existenzbedrohende Notlage der Antragstellerin eingetreten wäre, die den Erlass der Leistungsverfügung erfordert hätte.

5. Bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Antragstellerin die von ihr behauptete Notlage selbst herbeigeführt hat und es sich somit um eine provozierte Notlage handelt. Dies geht bei der Interessenabwägung zu Lasten der Antragstellerin.

 

Die Antragstellerin hat bei Aufnahme des Internethandels mit hochwertigen Kosmetika die bestehenden Marktverhältnisse und Vertriebswege gekannt. Sie wusste, dass das Risiko der Nichtbelieferung bestand. Demgegenüber gebührt den Interessen der Antragsgegnerin der Vorrang, nicht in einem vorläufigen Verfahren zu einer Belieferung gezwungen zu werden und eine Überprüfung der Belieferungspflicht im ordentlichen Verfahren abwarten zu können.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

 

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 100.000 Euro festgesetzt.

 

(Unterschriften)