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Verfassungsbeschwerde gegen Begrenzung von Abmahnkosten unzulässig - BVerfG, Beschluss vom 20. Januar 2010, Az.: 1 BvR 2062/09

Leitsätzliches

Eine Verfassungsbeschwerde gegen die Deckelung von Abmahnkosten nach § 97a Abs. 2 UrhG ist unzulässig, wenn der Beschwerdeführer nicht darlegen kann, wenigstens in einem konkreten Fall durch diese Vorschrift konkret beeinträchtigt zu sein.

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

BESCHLUSS

Aktenzeichen: 1 BvR 2062/09

Beschluss vom 22. Januar 2010

In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
 
des Herrn …,
 
Bevollmächtigter:

gegen

§ 97a Abs. 2 des Urheberrechtsgesetzes

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten … und die Richter …., …
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 20. Januar 2010 einstimmig beschlossen:
 
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I.
1. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen Absatz 2 des durch das Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums vom 7. Juli 2008 (BGBl I S. 1191) eingefügten und am 1. September 2008 in Kraft getretenen § 97a Urheberrechtsgesetz (UrhG), der lautet:

§ 97a Abmahnung

(1) Der Verletzte soll den Verletzer vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens auf Unterlassung abmahnen und ihm Gelegenheit geben, den Streit durch Abgabe einer mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrten Unterlassungsverpflichtung beizulegen. Soweit die Abmahnung berechtigt ist, kann der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangt werden.

(2) Der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen für die Inanspruchnahme anwaltlicher Dienstleistungen für die erstmalige Abmahnung beschränkt sich in einfach gelagerten Fällen mit einer nur unerheblichen Rechtsverletzung außerhalb des geschäftlichen Verkehrs auf 100 Euro.

Die Einführung des § 97a UrhG war nicht von der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl Nr. L 195 vom 2. Juni 2004, S. 16) veranlasst. Die Regelung geht bei Abmahnungen wegen der Verletzung von im Urheberrechtsgesetz geregelten Rechten dem bislang unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag hergeleiteten Kostenerstattungsanspruch als lex specialis vor.

2. Der Beschwerdeführer ist als Händler für gebrauchte Hifi-Geräte tätig, die er zum Großteil über eBay und einen eBay-Shop veräußert. Die für den Verkaufserfolg bedeutsamen Produktfotos stellt der Beschwerdeführer selbst her; er hat sich eigens hierfür fortgebildet und eine professionelle Fotoausrüstung angeschafft. Sein Fotoarchiv umfasst inzwischen mehr als 20.000 Produktfotos. Die den Schutz des § 72 UrhG genießenden, professionell gestalteten und bearbeiteten Fotos werden des Öfteren von anderen eBay-Mitgliedern kopiert und im Rahmen eigener Auktionen verwendet. Versuche des Beschwerdeführers, dies durch entsprechende Aufforderungen zu unterbinden, blieben regelmäßig ergebnislos. Der juristisch unerfahrene Beschwerdeführer, dem in seinem Gewerbe lediglich seine Frau zur Hand geht, bedient sich daher seit Mitte 2007 anwaltlicher Hilfe.

Anwaltliche Abmahnschreiben waren in der Folge teilweise schon außergerichtlich erfolgreich, teilweise musste der Unterlassungs- und Schadensersatzanspruch des Beschwerdeführers (§ 97 UrhG) gerichtlich durchgesetzt werden. In einer Reihe von Fällen, in denen der Beschwerdeführer die Abmahnungen vor September 2008 aussprechen ließ, haben die Verletzer die dem Beschwerdeführer entstandenen Anwaltskosten bis 1. September 2008 noch nicht erstattet.

3. Mit seiner binnen Jahresfrist nach Inkrafttreten der angegriffenen Norm eingelegten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine von § 97a Abs. 2 UrhG ausgehende Verletzung seines Eigentumsgrundrechts und eine unzulässige Rückwirkung.

a) Durch die Norm sei der Schadensersatz- und Kostenerstattungsanspruch im Fall von Urheberrechtsverletzungen praktisch wertlos geworden, da sich der Beschwerdeführer gegen Eingriffe in sein geistiges Eigentum nicht mehr zur Wehr setzen könne. Er sei auf die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe angewiesen. Die ihm dadurch entstehenden, jeweils deutlich über 100 € liegenden Rechtsanwaltskosten könne er nur noch zum geringen Teil von den Verletzern ersetzt verlangen. Zugleich werde damit in seinen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingegriffen, da die Substanz seiner gewerblichen Tätigkeit betroffen sei.

Der Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG sei nicht gerechtfertigt. Die Norm sei weder geeignet noch erforderlich, um das gesetzgeberische Ziel der Verhinderung missbräuchlicher Abmahnungen mit überzogenen Anwaltskostenforderungen zu erreichen. Auch in Zukunft könnten Anwälte vermeintliche Urheberrechtsverletzungen missbräuchlich abmahnen. Verbraucher hätten auch schon bislang die Möglichkeit gehabt, sich gegen überzogene Forderungen zu wehren. Denn maßgebend sei hier die gerichtliche Streitwertfestsetzung; die Gerichte seien inzwischen zu realistischen, einzelfallbezogenen Festsetzungen übergegangen.

Die Norm sei auch nicht effektiv. Schon das Vorliegen ihrer Tatbestandsmerkmale sei jeweils fraglich, zum Beispiel bei Abmahnungen bezogen auf unerlaubtes Filesharing (Tauschbörsen). Der Gesetzgeber greife in Grundrechte ein, um der Geltendmachung von unbegründeten Forderungen vorzubeugen, die seitens der Verbraucher lediglich nicht erfüllt werden müssten.

Die Adressaten berechtigter Abmahnungen hingegen seien nicht schutzwürdig, denn heutzutage könne aufgrund vielfacher Hinweise, etwa auch in den AGB von eBay, kein Zweifel mehr daran bestehen, dass das Kopieren und Veröffentlichen fremden, urheberrechtlich geschützten Materials unzulässig ist. § 97a UrhG leiste Urheberrechtsverstößen weiter Vorschub. Solche Verstöße stellten dadurch angesichts der niedrigen Aufdeckungsquote ein nur geringes Risiko dar.

b) § 97a Abs. 2 UrhG greife weiter im Sinne echter Rückwirkung in bereits entstandene Kostenerstattungsansprüche des Beschwerdeführers ein, indem diese Ansprüche, soweit sie bis 31. August 2008 noch nicht erfüllt waren, nachträglich auf 100 € gedeckelt würden. Eine Rechtfertigung hierfür sei nicht ersichtlich; der Gesetzgeber habe sich mit dieser Frage gar nicht befasst. Insbesondere lägen keine zwingenden Gründe des Allgemeinwohls für eine Durchbrechung des Verbots echter Rückwirkung vor. Es fehle an einer angemessenen Übergangsregelung.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da keine Annahmegründe vorliegen, § 93a Abs. 2 BVerfGG. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

1. Richtet sich eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen eine gesetzliche Vorschrift, so muss der Beschwerdeführer ausreichend substantiiert (§ 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG) geltend machen, durch die angegriffene Norm selbst, gegenwärtig und unmittelbar verletzt zu sein (vgl. BVerfGE 40, 141 <156>; 60, 360 <370>; 72, 39 <43>; 79, 1 <13>; stRspr). Daran fehlt es hier.

Der Umstand allein, dass der Beschwerdeführer als „Powerseller“ bei eBay oftmals mit Urheberrechtsverletzungen im Hinblick auf seine Fotografien konfrontiert ist, impliziert keine konkrete Betroffenheit im Hinblick auf die angegriffene Vorschrift. Es genügt für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde nicht, dass eine angegriffene Norm objektiv, das heißt nach Struktur und Inhalt geeignet ist, Grundrechtspositionen zum Nachteil des Beschwerdeführers zu verändern (vgl. BVerfGE 79, 1 <15>). Ein Rechtsschutzinteresse in Bezug auf eine gegenwärtige Betroffenheit ist auch nicht schon deswegen zu bejahen, weil der Beschwerdeführer potentiell durch die Gesetzesnovelle betroffen sein kann (vgl. BVerfGE 1, 97 <102>). Aus der Verfassungsbeschwerde geht auch nicht hervor, dass bereits eindeutig abzusehen wäre, dass und wie der Beschwerdeführer in der Zukunft von der Regelung betroffen sein wird (vgl. BVerfGE 97, 157 <164>; 101, 54 <73 f. >). Denn der Beschwerdeführer nennt nicht einen konkreten Fall, in dem er unter und wegen Geltung des neuen § 97a Abs. 2 UrhG nicht die vollen, von ihm aufgewendeten Anwaltsgebühren erstattet erhalten hat, und er beziffert auch nicht den ihm entstandenen oder voraussichtlich künftig entstehenden Schaden. Dies gilt auch für die vom Beschwerdeführer herangezogenen, jedoch nur typisiert beschriebenen „Altfälle“, in denen er eine durch das Dazwischentreten der Neuregelung zugunsten des Verletzers „gedeckelte“, ihm aber zuvor in voller Höhe berechnete Anwaltshonorarforderung beklagt.

2. Der Zulässigkeit der unmittelbar gegen das Gesetz erhobenen Verfassungsbeschwerde steht ferner der Grundsatz der Subsidiarität entgegen.

Dieser verpflichtet den Beschwerdeführer, vor einer Anrufung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich die Fachgerichte mit seinem Anliegen zu befassen. Das gilt unabhängig davon, ob das Gesetz einen Auslegungs- oder Entscheidungsspielraum offenlässt oder ob ein solcher Spielraum fehlt (vgl. BVerfGE 58, 81 <104 f.>; 72, 39 <43 ff.>). Erreicht werden soll, dass das Bundesverfassungsgericht nicht auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage weitreichende Entscheidungen trifft (vgl. BVerfGE 79, 1 <20>; BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2009 - 2 BvR 890/06 -, NVwZ 2009, S. 1217 <1218>). Bei der Rechtsanwendung durch die sachnäheren Fachgerichte können - aufgrund besonderen Sachverstands - möglicherweise für die verfassungsrechtliche Prüfung erhebliche Tatsachen zutage gefördert werden (vgl. BVerfGE 56, 54 <69>; 79, 1 <20>). Nach Maßgabe der Voraussetzungen des Art. 100 Abs. 1 GG ist zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Vorschriften gegebenenfalls eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen (vgl. BVerfGE 58, 81 <105>; 72, 39 <44>).

Die Pflicht zur Anrufung der Fachgerichte besteht ausnahmsweise dann nicht, wenn die angegriffene Regelung den Beschwerdeführer zu Dispositionen zwingt, die später nicht mehr korrigiert werden können (vgl. BVerfGE 43, 291 <387>; 60, 360 <372>), oder wenn die Anrufung der Fachgerichte dem Beschwerdeführer nicht zuzumuten ist, etwa weil das offensichtlich sinn- und aussichtslos wäre (vgl. BVerfGE 55, 154 <157>; 65, 1 <38>; 102, 197 <208>).

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Die fachgerichtliche Entscheidung verschiedener, durch die Neuregelung aufgeworfener Zweifelsfragen ist geeignet, die verfassungsrechtliche Bewertung der Norm zu beeinflussen. Deswegen kann derzeit im Wege einer Rechtssatzverfassungsbeschwerde weder ein Verstoß gegen die Eigentumsgarantie im Allgemeinen (a) noch gegen das ebenfalls in Art. 14 Abs. 1 GG wurzelnde Verbot rückwirkender Entziehung von grundrechtlich geschützten Eigentumspositionen im Besonderen (b) mit Erfolg gerügt werden.

a) Die Rüge einer Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG durch eine quasi abschreckende Wirkung der Neuregelung im Hinblick auf die Verfolgung von unter ihren Tatbestand fallenden Urheberrechtsverletzungen ist aus Gründen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde unzulässig. Eine Entscheidung über die auch an anderer Stelle erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 97a Abs. 2 UrhG (vgl. Ewert/von Hartz, ZUM 2007, S. 450 <452 ff.>; Czychowski, GRUR-RR 2008, S. 265 <267>) erübrigt sich daher.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es Sache des Gesetzgebers, im Rahmen der inhaltlichen Ausprägung des Urheberrechts nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG sachgerechte Maßstäbe festzulegen, die eine der Natur und der sozialen Bedeutung des Rechts entsprechende Nutzung und angemessene Verwertung sicherstellen. Der Urheber hat nach dem Inhalt der Eigentumsgarantie grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass ihm der wirtschaftliche Nutzen seiner Arbeit zugeordnet wird, soweit nicht Gründen des gemeinen Wohls der Vorrang vor den Belangen des Urhebers zukommt (vgl. BVerfGE 31, 229 <241, 243>; 79, 1 <25>; 79, 29 <40>). Bei der Bestimmung dessen, was als angemessene Verwertung eines Werks anzusehen ist, hat der Gesetzgeber einen verhältnismäßig weiten Gestaltungsraum (vgl. BVerfGE 21, 73 <83>; 79, 1 <25>). Dieser bezieht sich auch auf die gesetzliche Ausgestaltung der Maßgaben, nach denen Urheber ihren Anspruch auf Vergütung, auch gegenüber etwaigen Verletzern, verfolgen und dabei entstehende Kosten ersetzt verlangen können (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. November 2009 - 1 BvR 213/08 -, juris Rn. 59). Von der Verfassungsbeschwerde wird dabei nicht geltend gemacht, dass schon das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel illegitim wäre, nämlich die Praxis der Abmahnung für das Urheberrecht in Anlehnung an das Wettbewerbsrecht zu normieren und dabei zu verhindern, dass Verletzer von Urheberrechten in Bagatellfällen überzogene Anwaltshonorare bezahlen müssen (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf, BTDrucks 16/5048, S. 48; dazu Ewert/von Hartz, ZUM 2007, S. 450 <451 f.>).

Dem Gesetzgeber muss Zeit gegeben werden, das mit der Neuregelung verfolgte Konzept auf seine Tauglichkeit und Angemessenheit hin zu beobachten. Er wird nur dann von Verfassungs wegen zu Korrekturen veranlasst sein, wenn sich hinreichend nachhaltig eine Unstimmigkeit des neuen Konzepts erweisen sollte, die mit ungerechtfertigten Eingriffen in verfassungsmäßige Rechte von Beteiligten einhergeht (vgl. BVerfGE 111, 10 <42>; zur Beobachtungspflicht des Gesetzgebers vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 1 BvF 4/05 -, NVwZ-RR 2009, S. 655 <659 f.> m.w.N.; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats, a.a.O. Rn. 62). Solche Erkenntnisse können sich im Hinblick auf die angegriffene Norm insbesondere aus der hierzu ergehenden Rechtsprechungspraxis ergeben. Demgegenüber ist das Bundesverfassungsgericht allein auf der Grundlage des Normtexts selbst, der Gesetzesmaterialien und der hieraus ersichtlichen Intention des Gesetzgebers sowie in Anbetracht der bislang wenigen veröffentlichten Literatur und Rechtsprechung zu § 97a Abs. 2 UrhG nicht dazu berufen, im vorliegenden Fall einen Grundrechtsverstoß festzustellen.

bb) So wirft § 97a Abs. 2 UrhG Fragen zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale der „erstmaligen“ Abmahnung, des „einfach gelagerten“ Falls und der „nur unerheblichen“ Rechtsverletzung „außerhalb des geschäftlichen Verkehrs“ auf (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks 16/8783, S. 49 f. zu typischen Fallgruppen; Amtsgericht Hamburg, Urteil vom 14. Juli 2009 - 36a C 149/09 -, BeckRS 2009 26779; Ewert/von Hartz, MMR 2009, S. 84 <85 ff.> m.w.N.; Hoeren, CR 2009, S. 378 ff.).

Auch die Honorarpraxis der Rechtsanwälte und mögliche, an der Neuregelung ausgerichtete Honorarmodelle befinden sich noch im Stadium der Entwicklung (vgl. Ewert/von Hartz, MMR 2009, S. 84 <89>). Insoweit ist auch nicht abzusehen, ob die Nachfrage nach anwaltlicher Dienstleistung im Zusammenhang mit der Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen einen Markt für gering honorierte anwaltliche Abmahnungen eröffnet, etwa wenn die Daten zur Person des Verletzers und seiner Verletzungshandlung vom Verletzer oder beauftragten Dritten weitgehend vorrecherchiert werden (vgl. Ewert/von Hartz, ZUM 2007, S. 450 <453>). Die hierbei, etwa für die Ermittlung des hinter einer IP-Adresse stehenden Verletzers, anfallenden Kosten kann der Verletzte gemäß § 97a Abs. 1 UrhG gesondert ersetzt verlangen (vgl. BTDrucks 16/5048, S. 49).

Schließlich bleibt abzuwarten, ob sich die Neuregelung überhaupt als wirksam erweist oder ob die Praxis Wege findet, ihren Anwendungsbereich zu minimieren. Dies könnte zum einen aus dem Umstand herrühren, dass die missbräuchliche Abmahnung als solche, bei der es bereits an einem Urheberrechtsverstoß fehlt, von § 97a Abs. 2 UrhG nicht erfasst wird, sondern nur die berechtigte Abmahnung unter Forderung hoher oder überhöhter Anwaltskosten in Bagatellfällen. Weiterhin wird die Norm einen böswilligen Abmahner nicht davon abhalten, allein durch Aufbauen einer Drohkulisse etwa unerfahrene Internetnutzer zur Bezahlung unberechtigter, jedenfalls überhöhter Forderungen zu drängen (vgl. Tyra, ZUM 2009, S. 934 <939 ff.>). Schließlich könnten die in ihrem Urheberrecht in einem von § 97a Abs. 2 UrhG erfassten Fall Verletzten versuchen, durch eine zunächst von ihnen selbst ausgesprochene Abmahnung die hierbei entstehenden Kosten niedrig zu halten, um erst bei Erfolglosigkeit in einem zweiten Schritt einen Anwalt zu beauftragen, dessen Abmahnung nicht mehr „erstmalig“ im Sinne von § 97a Abs. 2 UrhG sein könnte (vgl. Nordemann, in: Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 10. Aufl. 2008, § 97a Rn. 36; Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl. 2008, § 97a Rn. 15). All dies hätte erhebliche Auswirkungen auf die Eingriffswirkung des § 97a UrhG im Hinblick auf den grundrechtlichen Eigentumsschutz.

b) Auch im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer gerügte „Rückwirkung“ der Norm ist derzeit eine Sachentscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht geboten.

aa) Die Gewährleistung eines subjektiven Rechts durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG bedeutet nicht Unantastbarkeit einer Rechtsposition für alle Zeiten; sie besagt auch nicht, dass jede inhaltliche Veränderung einer geschützten Rechtsstellung unzulässig wäre. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ermächtigt den Gesetzgeber, in bereits begründete Rechte einzugreifen und diesen einen neuen Inhalt zu geben. Die Eigentumsgarantie und das konkrete Eigentum sollen keine unüberwindliche Schranke für die gesetzgebende Gewalt bilden, wenn Reformen sich als notwendig erweisen (vgl. BVerfGE 31, 275 <284 f.>). Die Umformung subjektiver Rechte ist aber nur zulässig, wenn sie durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist (vgl. BVerfGE 31, 275 <290>).

bb) Ob überhaupt in den vom Beschwerdeführer beschriebenen „Altfällen“ eine solche beschränkende Umformung eines unter grundgesetzlichem Eigentumsschutz stehenden Forderungsrechts vorliegt, ist zweifelhaft. Die Verfassungsbeschwerde bezieht sich insoweit auf Abmahnvorgänge, die vor Inkrafttreten des neuen § 97a UrhG in Gang gesetzt, jedoch mangels Zahlung der Anwaltskosten durch den Verletzer erst nach Inkrafttreten abgeschlossen wurden oder noch werden.

In der fachgerichtlichen Rechtsprechung werden hierzu unterschiedliche Positionen eingenommen. So wendete das Oberlandesgericht Brandenburg in einem Fall, in dem vor Inkrafttreten der angegriffenen Regelung abgemahnt, jedoch nach Inkrafttreten geurteilt wurde, § 97a Abs. 2 UrhG deswegen an, weil die Norm ohne Übergangsregelung in Kraft getreten sei (Urteil vom 3. Februar 2009 - 6 U 58/08 -, MMR 2009, S. 258 <259>; ebenso Nordemann, a.a.O. Rn. 3). Demgegenüber will das Amtsgericht Halle die Norm nur in Fällen anwenden, in denen die Abmahnung nach dem 1. September 2008 ausgesprochen wurde (Urteil vom 24. November 2009 - 95 C 3258/09 -, juris Rn. 25). Das Landgericht Köln geht ebenfalls davon aus, dass der Norm keine Rückwirkung zukommt, da diese nicht ausdrücklich angeordnet sei (Urteil vom 13. Mai 2009 - 28 O 889/08 -, CR 2009, S. 684 <687>). In ihrer Anmerkung zu diesem Urteil gehen Ebke/Werner der Frage nach, zu welchem Ergebnis eine Anwendung der allgemeinen Grundsätze des intertemporalen Privatrechts führt (CR 2009, S. 687 <688>), und verweisen auf Art. 170 EGBGB. Dieser nicht mehr unmittelbar bedeutsamen Norm wird der allgemeine Grundsatz entnommen, dass Schuldverhältnisse dem Recht unterstehen, das zur Zeit der Verwirklichung ihres Entstehungstatbestandes galt; es bedarf daher einer besonderen gesetzlichen Regelung, wenn sie bei einer Gesetzesänderung nunmehr dem neuen Recht unterworfen werden sollen (vgl. BGHZ 10, 391 <394>; Hönle, in: Staudinger, BGB, Bearb. 2005, Art. 170 EGBGB Rn. 4 ff.; Krüger, in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Aufl. 2006, Art. 170 EGBGB Rn. 2 ff.).

Die Diskussion zeigt, dass in „Altfällen“ eine Auslegung des § 97a Abs. 2 UrhG möglich sein dürfte, welche die Urheber nicht ihres einmal entstandenen und somit im Grundsatz nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Aufwendungserstattungsanspruchs weitgehend beraubt. Daher bedarf es aus Gründen der Subsidiarität keines Einschreitens des Bundesverfassungsgerichts.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.