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KitKat-Schokoriegel als dreidimensionale Marke, EuGH, Urt. v. 25.07.2018, Az.: C-84/17 P, C-85/17 P und C-95/17 P

Leitsätzliches

Es ist zwar nicht erforderlich, dass für die Eintragung einer Marke, die anfangs keine Unterscheidungskraft hat, für jeden einzelnen Mitgliedstaat nachgewiesen wird, dass sie durch Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat, jedoch müssen die vorgebrachten Beweismittel den Nachweis ermöglichen, dass die Unterscheidungskraft in allen Mitgliedstaaten der Union erlangt wurde, in denen sie keine originäre Unterscheidungskraft besaß.

 

URTEIL DES GERICHTSHOF

(Dritte Kammer)

Entscheidung vom 25. Juli 2018

Aktenzeichen: C-84/17 P, C-85/17 P und C-95/17 P

 

In den verbundenen Rechtssachen C-84/17 P, C-85/17 P und C-95/17 P

betreffend drei Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, die ersten beiden eingelegt am 15. Februar, das dritte am 22. Februar 2017,

Société des produits Nestlé SA mit Sitz in Vevey (Schweiz), Prozessbevollmächtigte: G. S. P. Vos, advocaat, und S. Malynicz, QC,

Rechtsmittelführerin,

unterstützt durch

European Association of Trade Mark Owners (Marques) mit Sitz in Leicester (Vereinigtes Königreich), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt M. Viefhues,

Streithelferin im Rechtsmittelverfahren,

andere Parteien:

Mondelez UK Holdings & Services Ltd, vormals Cadbury Holdings Ltd, mit Sitz in Uxbridge (Vereinigtes Königreich), Prozessbevollmächtigte: T. Mitcheson, QC, und J. Lane Heald, Barrister, beauftragt von P. Walsh und J. Blum, Solicitors,

Klägerin im ersten Rechtszug,

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch A. Folliard-Monguiral als Bevollmächtigten,

Beklagter im ersten Rechtszug (C-84/17 P),

Mondelez UK Holdings & Services Ltd, vormals Cadbury Holdings Ltd, mit Sitz in Uxbridge, Prozessbevollmächtigte: T. Mitcheson, QC, und J. Lane Heald, Barrister, beauftragt von P. Walsh, J. Blum und C. MacLeod, Solicitors,

Rechtsmittelführerin,

andere Parteien:

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch A. Folliard-Monguiral als Bevollmächtigten,

Beklagter im ersten Rechtszug,

Société des produits Nestlé SA mit Sitz in Vevey, Prozessbevollmächtigte: G. S. P. Vos, advocaat, und S. Malynicz, QC,

Streithelferin im ersten Rechtszug (C-85/17 P),

und

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch A. Folliard-Monguiral als Bevollmächtigten,

Rechtsmittelführerin,

andere Parteien:

Mondelez UK Holdings & Services Ltd, vormals Cadbury Holdings Ltd, mit Sitz in Uxbridge, Prozessbevollmächtigte: T. Mitcheson, QC, und J. Lane Heald, Barrister, beauftragt durch P. Walsh und J. Blum, Solicitors,

Klägerin im ersten Rechtszug,

Société des produits Nestlé SA mit Sitz in Vevey, Prozessbevollmächtigte: G. S. P. Vos, advocaat, und S. Malynicz, QC,

Streithelferin im ersten Rechtszug (C-95/17 P),

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen sowie der Richter J. Malenovský, M. Safjan, D. Šváby und M. Vilaras (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. Februar 2018,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. April 2018

folgendes

Urteil

Mit ihren jeweiligen Rechtsmitteln begehren die Société des produits Nestlé SA (im Folgenden: Nestlé), die Mondelez UK Holdings & Services Ltd, vormals Cadbury Holdings Ltd (im Folgenden: Mondelez), und das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 15. Dezember 2016, Mondelez UK Holdings & Services/EUIPO – Société des produits Nestlé (Form einer Schokoladentafel) (T-112/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:735) (im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem dieses die Entscheidung der Zweiten Beschwerdekammer des EUIPO vom 11. Dezember 2012 (Sache R 513/2011-2) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen Cadbury Holdings und Nestlé (im Folgenden: streitige Entscheidung) aufgehoben hat.

 

 Rechtlicher Rahmen

Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die [Unions]marke (ABl. 2009, L 78, S. 1) lautete:

„Die [Unions]marke ist einheitlich. Sie hat einheitliche Wirkung für die gesamte [Union]: sie kann nur für dieses gesamte Gebiet eingetragen oder übertragen werden oder Gegenstand eines Verzichts oder einer Entscheidung über den Verfall der Rechte des Inhabers oder die Nichtigkeit sein, und ihre Benutzung kann nur für die gesamte [Union] untersagt werden. Dieser Grundsatz gilt, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist.“

 In Art. 7 der Verordnung hieß es:

„(1)      Von der Eintragung ausgeschlossen sind

b)      Marken, die keine Unterscheidungskraft haben;

(2)      Die Vorschriften des Absatzes 1 finden auch dann Anwendung, wenn die Eintragungshindernisse nur in einem Teil der [Union] vorliegen.

(3)      Die Vorschriften des Absatzes 1 Buchstaben b, c und d finden keine Anwendung, wenn die Marke für die Waren oder Dienstleistungen, für die die Eintragung beantragt wird, infolge ihrer Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat.“

In Art. 52 der Verordnung hieß es:

„(1)      Die [Unions]marke wird auf Antrag beim [EUIPO] oder auf Widerklage im Verletzungsverfahren für nichtig erklärt,

a)      wenn sie entgegen den Vorschriften des Artikels 7 eingetragen worden ist;

(2)      Ist die [Unions]marke entgegen Artikel 7 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d eingetragen worden, kann sie nicht für nichtig erklärt werden, wenn sie durch Benutzung im Verkehr Unterscheidungskraft für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, erlangt hat.

(3)      Liegt ein Nichtigkeitsgrund nur für einen Teil der Waren oder Dienstleistungen vor, für die die [Unions]marke eingetragen ist, so kann sie nur für diese Waren oder Dienstleistungen für nichtig erklärt werden.“

Art. 65 der Verordnung bestimmte:

„(1)      Die Entscheidungen der Beschwerdekammern, durch die über eine Beschwerde entschieden wird, sind mit der Klage beim Gerichtshof anfechtbar.

(2)      Die Klage ist zulässig wegen Unzuständigkeit, Verletzung wesentlicher Formvorschriften, Verletzung des [EU]-Vertrags, dieser Verordnung oder einer bei ihrer Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm oder wegen Ermessensmissbrauchs.

(3)      Der Gerichtshof kann die angefochtene Entscheidung aufheben oder abändern.

(4)      Die Klage steht den an dem Verfahren vor der Beschwerdekammer Beteiligten zu, soweit sie durch die Entscheidung beschwert sind.

(5)      Die Klage ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Entscheidung der Beschwerdekammer beim Gerichtshof einzulegen.

(6)      Das [EUIPO] hat die Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs ergeben.“

 

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

Die Vorgeschichte des Rechtsstreits ist in den Rn. 1 bis 11 des angefochtenen Urteils ausgeführt und lässt sich für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens wie nachfolgend dargestellt zusammenfassen.

Am 21. März 2002 beantragte Nestlé beim EUIPO die Eintragung der folgenden dreidimensionalen Marke:

[Abbildung]

Die Marke wurde für Waren in Klasse 30 des Abkommens von Nizza vom 15. Juni 1957 über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken in revidierter und geänderter Fassung angemeldet. Am 28. Juli 2006 wurde das genannte Zeichen als Unionsmarke für folgende Waren der Klasse 30 eingetragen: „Bonbons [sweets], Bäckereierzeugnisse, feine Backwaren, Kleingebäck, Kuchen, Waffeln“ (im Folgenden: streitige Marke).

Am 23. März 2007 stellte Cadbury Schweppes plc (später Cadbury Holdings, sodann Mondelez) beim EUIPO einen insbesondere auf Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 gestützten Antrag auf Nichtigerklärung dieser Eintragung. Am 11. Januar 2011 gab die Nichtigkeitsabteilung diesem Antrag statt und erklärte die streitige Marke für nichtig. Auf Beschwerde von Nestlé hob die Zweite Beschwerdekammer des EUIPO mit der streitigen Entscheidung die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung auf. Sie stellte u. a. fest, die streitige Marke habe zwar für die Waren, für die sie eingetragen sei, keine originäre Unterscheidungskraft, jedoch habe Nestlé gemäß Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 nachgewiesen, dass die Marke durch Benutzung im Verkehr Unterscheidungskraft erlangt habe.

 

 Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

Mit Klageschrift, die am 19. Februar 2013 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob Mondelez Klage auf Aufhebung der streitigen Entscheidung. Sie stützte ihre Klage auf drei Klagegründe. Das Gericht prüfte nur den ersten Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen Art. 52 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 geltend gemacht wurde und der in vier Teile untergliedert war.

In den Rn. 21 bis 44 des angefochtenen Urteils prüfte das Gericht den zweiten Teil des ersten Klagegrundes von Mondelez und gab diesem statt. Wie aus den Rn. 41 bis 44 des angefochtenen Urteils hervorgeht, stellte das Gericht fest, die Beschwerdekammer habe zu Unrecht festgestellt, dass Nestlé die Benutzung der streitigen Marke für Bäckereierzeugnisse, feine Backwaren, Kuchen und Waffeln nachgewiesen habe. Daher prüfte das Gericht die anderen Teile des ersten Klagegrundes von Mondelez nur in Bezug auf Bonbons (sweets) und Kleingebäck. Keines der Rechtsmittel betrifft die Rn. 21 bis 44 des angefochtenen Urteils.

In den Rn. 45 bis 64 des angefochtenen Urteils prüfte das Gericht den ersten Teil des ersten Klagegrundes von Mondelez, mit dem die fehlende Benutzung der streitigen Marke in der eingetragenen Form gerügt wurde, und wies ihn zurück.

In den Rn. 65 bis 111 des angefochtenen Urteils prüfte das Gericht den dritten Teil des ersten Klagegrundes von Mondelez, mit dem die fehlende Benutzung der streitigen Marke als Herkunftsnachweis und die dafür unzureichenden Beweise gerügt wurden, und wies ihn zurück. Zur Stützung dieser Entscheidung stellte das Gericht zum einen in Rn. 94 des angefochtenen Urteils fest, die Beweise für die ernsthafte Benutzung der streitigen Marke, die Nestlé dem EUIPO vorgelegt habe, seien relevante Beweise, die bei einer umfassenden Beurteilung für den Nachweis geeignet seien, dass die Marke in den Augen der maßgeblichen Verkehrskreise als Hinweis auf die gewerbliche Herkunft der fraglichen Waren wahrgenommen werde. Zum anderen führte das Gericht in Rn. 107 des Urteils aus, dass die Beschwerdekammer eine Prüfung vorgenommen habe, ob die streitige Marke dadurch Unterscheidungskraft erworben hat, und dass sie ihre Schlussfolgerungen bezüglich dieses Erwerbs in Bezug auf Dänemark, Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich, Finnland, Schweden und das Vereinigte Königreich untermauert habe.

Schließlich prüfte das Gericht in den Rn. 112 bis 178 des angefochtenen Urteils den vierten Teil des ersten Klagegrundes von Mondelez. In Rn. 143 des Urteils führte es aus, die Beschwerdekammer habe einen Fehler begangen, indem sie im Wesentlichen entschieden habe, dass es zum Beweis ihrer infolge ihrer Benutzung erlangten Unterscheidungskraft (im Folgenden auch bezeichnet als: Verkehrsdurchsetzung) in der gesamten Union ausreiche, nachzuweisen, dass ein wesentlicher Teil der maßgeblichen Verkehrskreise in der Union, alle Mitgliedstaaten und alle Regionen zusammengenommen, die betreffende Marke als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der Waren wahrnehme, die diese Marke kennzeichne, und dass der Nachweis nicht notwendig sei, dass eine solche Marke in allen betreffenden Mitgliedstaaten Verkehrsdurchsetzung erlangt habe.

Wie aus den Rn. 144 und 145 des angefochtenen Urteils hervorgeht, vertrat das Gericht dennoch die Ansicht, es sei ungeachtet der falschen Rechtsauffassung des Prüfungskriteriums zum Nachweis der Verkehrsdurchsetzung einer Marke in der gesamten Union nicht ausgeschlossen, dass die Beschwerdekammer dieses Kriterium richtig angewandt habe, als sie die von Nestlé vorgelegten Beweise geprüft habe. Es stellte daher fest, dass die Würdigung dieser Beweise durch die Beschwerdekammer zu prüfen sei.

Nach Prüfung der Beweise in Bezug auf Frankreich, Italien, Spanien, das Vereinigte Königreich, Deutschland, die Niederlande, Dänemark, Schweden, Finnland und Österreich zog das Gericht in den Rn. 146, 148, 151, 153, 155, 158, 159, 164 und 167 des angefochtenen Urteils den Schluss, die Beschwerdekammer habe zu Recht festgestellt, dass der Nachweis erbracht worden sei, dass die streitige Marke durch ihre Benutzung im Verkehr in allen diesen Mitgliedstaaten Unterscheidungskraft erlangt habe.

Das Gericht stellte jedoch in Rn. 173 des angefochtenen Urteils fest, die Beschwerdekammer habe nicht ausdrücklich dazu Stellung genommen, ob erwiesen sei, dass die streitige Marke in Belgien, Irland, Griechenland und Portugal Unterscheidungskraft erlangt habe, und diese Mitgliedstaaten seien auch nicht unter denen, für die sie festgestellt habe, dass der Nachweis der Unterscheidungskraft erbracht worden sei.

Aus den Rn. 177 bis 179 des Urteils ergibt sich, dass das Gericht somit dem vierten Teil des ersten Klagegrundes von Mondelez stattgab und die streitige Entscheidung insgesamt aufgehoben hat. Die Beschwerdekammer habe keine rechtswirksame Prüfung der Verkehrsdurchsetzung der streitigen Marke durchgeführt, da sie keine Feststellungen dazu getroffen habe, wie die Marke durch die maßgeblichen Verkehrskreise insbesondere in Belgien, Irland, Griechenland und Portugal wahrgenommen werde, und sie die von Nestlé in Bezug auf diese Mitgliedstaaten vorgelegten Beweismittel nicht geprüft habe.

 

 Anträge der Parteien und Verfahren vor dem Gerichtshof

Mit ihrem Rechtsmittel in der Rechtssache C-84/17 P beantragt Nestlé,

–        das angefochtene Urteil wegen Verstoßes des Gerichts gegen Art. 7 Abs. 3 und Art. 52 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 aufzuheben und

–        Mondelez die Kosten aufzuerlegen.

Mit ihrem Rechtsmittel in der Rechtssache C?85/17 P beantragt Mondelez, die Rn. 37 bis 44, 58 bis 64, 78 bis 111 und 144 bis 169 sowie 177 des angefochtenen Urteils aufzuheben, soweit in diesem festgestellt wird: „ungeachtet dessen, dass die durch Benutzung im Verkehr erlangte Unterscheidungskraft der [streitigen] Marke in Dänemark, Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Österreich, Finnland, Schweden und dem Vereinigten Königreich nachgewiesen wurde“.

Mit seinem Rechtsmittel in der Rechtssache C-95/17 P beantragt das EUIPO,

–        das angefochtene Urteil aufzuheben und

–        Mondelez die Kosten aufzuerlegen.

Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 10. Mai 2017 sind die Rechtssachen C-84/17 P, C-85/17 P und C-95/17 P zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamem Urteil verbunden worden.

In ihrer Rechtsmittelbeantwortung beantragt Nestlé,

–        das Rechtsmittel in der Rechtssache C-85/17 P per Beschluss oder hilfsweise per Urteil als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet zurückzuweisen und

–        Mondelez die Kosten aufzuerlegen.

Mondelez beantragt in ihrer Rechtsmittelbeantwortung,

–        die Rechtsmittel in den Rechtssachen C-84/17 P und C-95/17 P zurückzuweisen und

–        Nestlé bzw. dem EUIPO in diesen beiden Rechtssachen die Kosten aufzuerlegen.

In seiner Rechtsmittelbeantwortung beantragt das EUIPO,

–        dem Rechtsmittel in der Rechtssache C-84/17 P stattzugeben,

–        das Rechtsmittel in der Rechtssache C-85/17 P zurückzuweisen und

–        Mondelez die Kosten des EUIPO aufzuerlegen.

Mit Schriftsatz, der am 13. November 2017 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat die European Association of Trade Mark Owners (Marques) (Europäischer Verband der Markeninhaber, im Folgenden: Marques) in der Rechtssache C-84/17 P gemäß Art. 40 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union ihre Zulassung als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge von Nestlé, der Rechtsmittelführerin in der vorliegenden Rechtssache, beantragt. Der Präsident des Gerichtshofs hat diesem Antrag mit Beschluss vom 12. Januar 2018 stattgegeben.

 

 Zum Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens

Mit Schriftsatz, der am 17. Mai 2018 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat Nestlé die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens nach Art. 83 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs beantragt.

Zur Begründung trägt sie zum einen eine ihrer Ansicht nach neue Tatsache vor, die nach der Verlesung der Schlussanträge des Generalanwalts zu Tage getreten sei. So macht sie geltend, dass sie Unterlagen zu den Akten der Sache vor dem EUIPO gereicht habe, die belegen sollten, dass im Hinblick auf die von der streitigen Marke erfasste Ware die für die Märkte Dänemarks, Deutschlands, Spaniens, Frankreichs, Italiens, der Niederlande, Österreichs, Finnlands, Schwedens und des Vereinigten Königreichs vorgelegten Beweise auch für die Märkte Belgiens, Irlands, Griechenlands, Luxemburgs und Portugals gälten. Die gegenteilige Feststellung in Nr. 87 der Schlussanträge des Generalanwalts beruhe auf einer fehlerhaften Antwort des Anwalts von Nestlé, der den Sinn der Frage nicht verstanden habe, die ihm der Generalanwalt in der mündlichen Verhandlung gestellt habe.

Zum anderen macht Nestlé geltend, dass ein Fehler in der englischsprachigen Übersetzung des Urteils vom 24. Mai 2012, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli/HABM (C-98/11 P, EU:C:2012:307), den der Generalanwalt in Nr. 70 seiner Schlussanträge anführe, von den Parteien erörtert werden müsse.

Es ist darauf hinzuweisen, dass die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und die Verfahrensordnung keine Möglichkeit für die Parteien vorsehen, eine Stellungnahme zu den Schlussanträgen des Generalanwalts einzureichen (Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/Aer Lingus und Ryanair Designated Activity, C-164/15 P und C-165/15 P, EU:C:2016:990, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Gemäß Art. 252 Abs. 2 AEUV hat der Generalanwalt öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen zu stellen, in denen nach der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union seine Mitwirkung erforderlich ist. Der Gerichtshof ist weder an die Schlussanträge des Generalanwalts noch an ihre Begründung gebunden.

Dass eine Partei nicht mit den Schlussanträgen des Generalanwalts einverstanden ist, kann folglich unabhängig von den darin untersuchten Fragen für sich genommen kein Grund sein, der die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens rechtfertigt (Urteil vom 28. Februar 2018, mobile.de/EUIPO, C-418/16 P, EU:C:2018:128, Rn. 30).

Dennoch kann der Gerichtshof nach Art. 83 seiner Verfahrensordnung jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Eröffnung oder Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen, insbesondere wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält oder wenn eine Partei nach Abschluss des mündlichen Verfahrens eine neue Tatsache unterbreitet hat, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung des Gerichtshofs ist.

Dies ist vorliegend nicht der Fall. Der Gerichtshof ist nämlich nach Anhörung des Generalanwalts der Auffassung, dass er über alle für die Entscheidung erforderlichen Informationen verfügt und die Rechtssache nicht im Hinblick auf eine neue Tatsache, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung ist, oder im Hinblick auf ein vor ihm nicht erörtertes Vorbringen zu prüfen ist.

Aus dem in Rn. 28 des vorliegenden Urteils zusammengefassten Vorbringen von Nestlé werden keine neuen Tatsachen ersichtlich, da es sich auf Gesichtspunkte bezieht, die bereits vor der mündlichen Verhandlung in der Verfahrensakte enthalten waren. Dieses Vorbringen stellt in Wirklichkeit einen Versuch von Nestlé dar, die Erklärungen ihres Anwalts in der mündlichen Verhandlung rückgängig zu machen. Im Hinblick auf die Abweichungen zwischen den unterschiedlichen Sprachfassungen des Urteils vom 24. Mai 2012, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli/HABM (C-98/11 P, EU:C:2012:307), ist darauf hinzuweisen, dass das Urteil zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in allen Amtssprachen verfügbar war, so dass die Parteien in der Lage waren, zu etwaigen Übersetzungsfehlern Stellung zu nehmen, wenn sie der Meinung gewesen sein sollten, dass derartige Fehler für die vorliegenden Rechtssachen besonders maßgeblich seien.

Aufgrund dieser Erwägungen sieht der Gerichtshof keine Veranlassung, die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens anzuordnen.

 

Zu den Rechtsmitteln

Zur Zulässigkeit des Rechtsmittels in der Rechtssache C-85/17 P

Vorbringen der Parteien

Nestlé trägt vor, das Rechtsmittel von Mondelez sei unzulässig, da diese nur beantragt habe, dass der Gerichtshof bestimmte Teile der Begründung des angefochtenen Urteils und nicht dessen Entscheidungsformel aufhebt.

Mondelez vertritt die Auffassung, dass ihr Rechtsmittel trotz der Tatsache, dass das Gericht die streitige Entscheidung insgesamt aufgehoben habe, zulässig sei. Die Zurückweisung bestimmter ihrer Argumente durch das Gericht wirke sich auf die Prüfung aus, die die Beschwerdekammer infolge der Aufhebung der streitigen Entscheidung vorzunehmen habe. Da die Beschwerdekammer durch die Zurückweisung ihrer Argumente gebunden sei, müsse Mondelez in der Lage sein, das angefochtene Urteil zu beanstanden. Zur Stützung dieses Vorbringens beruft sie sich auf die Rn. 19 bis 26 des Urteils vom 20. September 2001, Procter & Gamble/HABM (C-383/99 P, EU:C:2001:461).

 Würdigung durch den Gerichtshof

Gemäß Art. 56 Abs. 1 und 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann „von einer Partei …, die mit ihren Anträgen ganz oder teilweise unterlegen ist“, gegen die Endentscheidungen des Gerichts ein Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt werden.

Grundsätzlich wird den Anträgen der Parteien des Rechtsstreits in der Entscheidungsformel stattgegeben oder sie werden in der Entscheidungsformel zurückgewiesen. Daher bestimmt Art. 169 Abs. 1 der Verfahrensordnung, dass die Rechtsmittelanträge auf die vollständige oder teilweise Aufhebung der Entscheidung des Gerichts in der Gestalt der Entscheidungsformel gerichtet sein müssen.

Wie der Generalanwalt in Nr. 43 seiner Schlussanträge ausführt, betrifft diese Vorschrift den fundamentalen Grundsatz im Bereich der Rechtsmittel, wonach das Rechtsmittel gegen die Entscheidungsformel der Entscheidung des Gerichts gerichtet sein muss und nicht lediglich auf die Änderung bestimmter Gründe dieser Entscheidung (Urteil vom 14. November 2017, British Airways/Kommission, C-122/16 P, EU:C:2017:861, Rn. 51).

Ein Rechtsmittel, das nicht auf eine auch nur teilweise Aufhebung des angefochtenen Urteils, d. h. seiner Entscheidungsformel, sondern nur auf eine Änderung eines Teils seiner Begründung abzielt, ist nämlich unzulässig (Urteil vom 15. November 2012, Al-Aqsa/Rat und Niederlande/Al-Aqsa, C-539/10 P und C-550/10 P, EU:C:2012:711, Rn. 44 und 50).

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Anträge im Rechtsmittel von Mondelez nicht die Aufhebung der Entscheidungsformel des angefochtenen Urteils betreffen, sondern nur bestimmte seiner Urteilsgründe.

Zwar hat der Gerichtshof im Urteil vom 20. September 2001, Procter & Gamble/HABM (C-383/99 P, EU:C:2001:461, Rn. 19 bis 26), die Zulässigkeit eines Rechtsmittels anerkannt, mit dem nicht die Aufhebung eines bestimmten Punkts der Entscheidungsformel des angefochtenen Urteils des Gerichts verfolgt wurde, da sich aus dessen Begründung ergab, dass das Gericht eine Entscheidung getroffen hatte, die nicht ausdrücklich in ihrer Entscheidungsformel zum Ausdruck gebracht worden war.

Jedoch ergibt sich – anders als dies in der Rechtssache, in der das oben genannte Urteil ergangen war – aus den Gründen des angefochtenen Urteils, gegen die das Rechtsmittel von Mondelez gerichtet ist, nicht, dass diese eine Entscheidung des Gerichts enthielten, mit der ihr Klageantrag zurückgewiesen worden wäre.

In der streitigen Entscheidung hat die Beschwerdekammer festgestellt, dass die streitige Marke keine originäre Unterscheidungskraft habe, jedoch Unterscheidungskraft durch die Benutzung erlangt habe, so dass der Antrag von Mondelez auf Nichtigerklärung dieser Marke habe zurückgewiesen werden müssen.

Der erste Teil der streitigen Entscheidung, der im Übrigen günstig für Mondelez war, war vom Rechtsstreit vor dem Gericht nicht betroffen, so dass Nestlé nach Rn. 16 des angefochtenen Urteils in der mündlichen Verhandlung den Antrag auf Aufhebung dieses ersten Teils zurückgenommen hat.

Also ging es vor dem Gericht allein um den zweiten Teil der streitigen Entscheidung. Insoweit ergibt sich aus den Rn. 12 und 15 des angefochtenen Urteils, dass die Klageanträge von Mondelez nur auf die Aufhebung der streitigen Entscheidung sowie auf die Verurteilung der anderen Parteien zur Kostentragung gerichtet waren.

Das Gericht hat zwar in den Randnummern des angefochtenen Urteils, gegen die sich das Rechtsmittel von Mondelez richtet, bestimmte von ihr vorgetragene Argumente zurückgewiesen, es hat jedoch andere für berechtigt erachtet und schließlich ihrem Aufhebungsantrag stattgegeben, so dass es die streitige Entscheidung insgesamt aufgehoben hat.

Daraus folgt, dass mit dem Rechtsmittel von Mondelez ausschließlich bezweckt wird, bestimmte Gründe des angefochtenen Urteils zu ändern, so dass ein solches Rechtsmittel nach der oben in Rn. 42 des vorliegenden Urteils genannten Rechtsprechung unzulässig ist.

Im Hinblick darauf, dass das Erfordernis gemäß Art. 169 Abs. 1 der Verfahrensordnung eindeutig ist,kann diese Schlussfolgerung nicht durch das Vorbringen von Mondelez widerlegt werden, wonach die Beschwerdekammer durch die – von ihr mit dem Rechtsmittel beanstandete –Begründung des angefochtenen Urteils gebunden sei.

Jedenfalls erstreckt sich die Rechtskraft eines Urteils lediglich auf die Gründe eines Urteils, die den Tenor tragen und von ihm daher nicht zu trennen sind (Urteil vom 15. November 2012, Al-Aqsa/Rat und Niederlande/Al-Aqsa, C-539/10 P und C-550/10 P, EU:C:2012:711, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Infolgedessen erlangen bei einer Aufhebung einer Entscheidung des EUIPO durch das Gericht die Gründe, aufgrund derer es bestimmte von den Parteien vorgebrachten Argumente zurückgewiesen hat, keine Rechtskraft.

Vorliegend ist die Beschwerdekammer somit entgegen der Auffassung von Mondelez durch die Zurückweisung bestimmter Argumente durch das Gericht nicht gebunden, und Mondelez kann gegebenenfalls im Rahmen einer etwaigen neuen Klage gegen die Entscheidung, die möglicherweise nach der Aufhebung der streitigen Entscheidung durch das Gericht erlassen wird, die gleichen Argumente vorbringen.

Aus alledem folgt, dass das Rechtsmittel in der Rechtssache C-85/17 P als unzulässig zurückzuweisen ist.

 

 Zu den Rechtsmitteln in den Rechtssachen C-84/17 P und C-95/17 P

Die Klägerin macht zur Stützung ihres Rechtsmittels in der Rechtssache C-84/17 P als einzigen Rechtsmittelgrund einen Verstoß gegen Art. 52 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 geltend.

Das EUIPO beruft sich seinerseits auf zwei Rechtsmittelgründe zur Stützung seines Rechtsmittels in der Rechtssache C-95/17 P. Mit dem ersten rügt es einen Verstoß gegen die Begründungspflicht, mit dem zweiten einen Verstoß gegen Art. 52 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009.

Jedoch ist in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Generalanwalts in Nr. 49 seiner Schlussanträge festzustellen, dass mit dem ersten Rechtsmittelgrund des Rechtsmittels des EUIPO, obwohl mit diesem formal ein Verstoß gegen die Begründungspflicht gerügt wird, in Wirklichkeit dem Gericht der gleiche Rechtsfehler vorgeworfen wird wie der, auf den der zweite Rechtsmittelgrund desselben Rechtsmittels abzielt. Mit dem ersten Rechtsmittelgrund macht das EUIPO nämlich geltend, dass die vom Gericht in Rn. 139 des angefochtenen Urteils vorgenommene Auslegung von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 widersprüchlich sei. Wäre dem so, müsste jedoch festgestellt werden, dass das Gericht bei der Auslegung dieser Bestimmung einen Rechtsfehler begangen hat.

Folglich sind der einzige Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C-84/17 P und die beiden Rechtsmittelgründe in der Rechtssache C-95/17 P gemeinsam zu prüfen.

Vorbringen der Parteien

Nestlé, die von Marques unterstützt wird, und das EUIPO machen geltend, das Gericht habe gegen Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 in der Auslegung durch den Gerichtshof in seinem Urteil vom 24. Mai 2012, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli/HABM (C-98/11 P, EU:C:2012:307), verstoßen, indem es in Rn. 139 des angefochtenen Urteils entschieden habe, dass die Verkehrsdurchsetzung einer Marke für das gesamte Unionsgebiet und nicht nur für einen wesentlichen oder überwiegenden Teil des Unionsgebiets nachzuweisen sei, so dass eine Verkehrsdurchsetzung nicht festgestellt werden könne, wenn die Beweismittel für die Benutzung einen Teil der Union nicht abdeckten, selbst wenn dieser unwesentlich sei oder nur aus einem einzigen Mitgliedstaat bestehe.

Nach Ansicht von Nestlé, Marques und dem EUIPO hat das Gericht zu Unrecht festgestellt, dass die Beschwerdekammer einen Rechtsfehler begangen habe, als sie entschieden habe, dass es ausreiche, nachzuweisen, dass ein wesentlicher Teil der maßgeblichen Verkehrskreise in der gesamten Union, alle Mitgliedstaaten und alle Regionen zusammengenommen, eine Marke als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der von der streitigen Marke erfassten Waren wahrnehme, und dass es nicht notwendig sei, die durch Benutzung im Verkehr erlangte Unterscheidungskraft in allen betroffenen Mitgliedstaaten nachzuweisen.

Folglich habe das Gericht zu Unrecht festgestellt, dass die Beschwerdekammer einen Rechtsfehler begangen habe, als sie entschieden habe, dass die streitige Marke Verkehrsdurchsetzung erlangt habe, ohne sich zur Wahrnehmung dieser Marke durch die maßgeblichen Verkehrskreise in Belgien, Irland, Griechenland und Portugal zu äußern und ohne die für diese Mitgliedstaaten vorgelegten Beweise zu prüfen.

Nestlé, Marques und das EUIPO tragen vor, diese Entscheidung des Gerichts, bei der es auf die einzelnen nationalen Märkte abstelle, sei mit der Einheitlichkeit der Unionsmarke und dem einheitlichen Markt selbst unvereinbar. Die Einheitlichkeit der Unionsmarke bedeute nämlich, dass die Grenzen der Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten bei der Beurteilung der Verkehrsdurchsetzung außer Betracht gelassen würden, wie durch Rn. 44 des Urteils vom 19. Dezember 2012, Leno Merken (C-149/11, EU:C:2012:816), bestätigt werde.

Mondelez ist hingegen der Ansicht, das Gericht habe Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 und das Urteil vom 24. Mai 2012, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli/HABM (C-98/11 P, EU:C:2012:307), richtig ausgelegt und angewandt. Ihrer Ansicht nach reicht es nicht, dass eine Unionsmarke in einem wesentlichen Teil der Union Unterscheidungskraft hat, wenn sie in einem anderen Teil der Union keine Unterscheidungskraft hat, auch wenn dieser andere Teil nur aus einem einzigen Mitgliedstaat besteht.

Hierüber anders zu entscheiden, führe zum widersinnigen Ergebnis, dass eine Markenanmeldung, die mangels Unterscheidungskraft in einem einzigen Mitgliedstaat hätte zurückgewiesen werden müssen, dennoch als Unionsmarke eingetragen werden könnte, so dass man sich vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats darauf berufen könnte.

 Würdigung durch den Gerichtshof

Zunächst ist festzustellen, dass die Unionsmarke gemäß Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 einheitlich ist und einheitliche Wirkung für die gesamte Union hat.

Wie das Gericht in den Rn. 119 und 120 des angefochtenen Urteils zutreffend festgestellt hat, ergibt sich aus der Einheitlichkeit der Unionsmarke, dass ein Zeichen in der gesamten Union Unterscheidungskraft haben muss, damit es zur Eintragung zugelassen werden kann. Daher ist gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit Art. 7 Abs. 2 der Verordnung eine Marke von der Eintragung ausgeschlossen, wenn sie in einem Teil der Union keine Unterscheidungskraft besitzt.

Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009, der die Eintragung von Zeichen ermöglicht, die durch Benutzung Unterscheidungskraft erlangt haben, ist im Licht dieses Erfordernisses zu verstehen. Aus der Einheitlichkeit der Unionsmarke folgt daher, dass ein Zeichen in der gesamten Union originäre oder durch Benutzung erlangte Unterscheidungskraft haben muss, um zur Eintragung zugelassen zu werden.

Zunächst ist insoweit darauf hinzuweisen, dass das Urteil vom 19. Dezember 2012, Leno Merken (C-149/11, EU:C:2012:816), auf das sich Nestlé und EUIPO berufen, nicht einschlägig ist, da es die Auslegung von Art. 15 Abs. 1 der Verordnung betrifft, bei dem es um die ernsthafte Benutzung einer bereits eingetragenen Unionsmarke geht.

Zwar hat der Gerichtshof entschieden, dass die Anforderungen an die Prüfung der ernsthaften Benutzung einer Marke im Sinne von Art. 15 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1), der unverändert als Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 1 in die Verordnung Nr. 207/2009 übernommen wurde, denen entsprechen, die für den Erwerb der Unterscheidungskraft eines Zeichens infolge seiner Benutzung im Hinblick auf dessen Eintragung im Sinne von Art. 7 Abs. 3 dieser Verordnung gelten (Urteil vom 18. April 2013, Colloseum Holding, C-12/12, EU:C:2013:253, Rn. 34).

Jedoch betrifft, anders als in der Rechtssache, in der das Urteil vom 19. Dezember 2012, Leno Merken (C-149/11, EU:C:2012:816), ergangen ist – in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass für die Beurteilung, ob eine „ernsthafte Benutzung in der Gemeinschaft“ im Sinne von Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 vorliegt, die Grenzen der Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten außer Betracht zu lassen sind – das Urteil vom 18. April 2013, Colloseum Holding, C-12/12, (EU:C:2013:253), nicht die zur Beurteilung der ernsthaften Benutzung im Sinne dieser Bestimmung maßgebliche geografische Ausdehnung, sondern die Frage, ob die Voraussetzung der ernsthaften Benutzung einer Marke im Sinne dieser Bestimmung als erfüllt angesehen werden kann, wenn eine eingetragene Marke, die ihre Unterscheidungskraft infolge der Benutzung einer anderen, zusammengesetzten Marke erlangt hat, deren Bestandteil sie ist, nur vermittels dieser anderen zusammengesetzten Marke benutzt wird oder wenn sie nur in Verbindung mit einer anderen Marke benutzt wird und beide Marken zusammen zusätzlich als Marke eingetragen sind.

Rn. 34 des Urteils vom 18. April 2013, Colloseum Holding, C-12/12, EU:C:2013:253), ist somit nicht so zu verstehen, dass die Anforderungen an die Beurteilung der Größe des Gebiets, von deren Einhaltung die Eintragung einer Marke wegen ihrer Verkehrsdurchsetzung abhängt, denen entsprechen, von deren Einhaltung die Erhaltung der Rechte des Inhabers einer eingetragenen Marke abhängt.

Zudem gibt es im Bereich der ernsthaften Benutzung einer bereits eingetragenen Unionsmarke keine Bestimmung, die Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 entspricht, so dass nicht ohne weiteres davon auszugehen ist, dass eine solche Benutzung nur deswegen nicht vorliegt, weil die betreffende Marke in einem Teil der Union nicht benutzt worden ist.

So ist es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs, auch wenn die Erwartung berechtigt ist, dass eine Unionsmarke in einem größeren Gebiet als dem eines einzigen Mitgliedstaats benutzt wird, um diese Benutzung als „ernsthafte Benutzung“ qualifizieren zu können, doch nicht ausgeschlossen, dass der Markt der Waren oder Dienstleistungen, für die eine Unionsmarke eingetragen wurde, unter bestimmten Umständen faktisch auf das Hoheitsgebiet eines einzigen Mitgliedstaats begrenzt ist, so dass eine Benutzung der Marke in diesem Gebiet die Voraussetzung der ernsthaften Benutzung einer Unionsmarke erfüllen könnte (Urteil vom 19. Dezember 2012, Leno Merken, C-149/11, EU:C:2012:816, Rn. 50).

Was hingegen den infolge Benutzung erfolgten Erwerb von Unterscheidungskraft durch eine Marke angeht, hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass ein Zeichen nur dann als Unionsmarke gemäß Art. 7 Abs. 3 eingetragen werden kann, wenn der Nachweis erbracht wird, dass es infolge seiner Benutzung in dem Teil der Union Unterscheidungskraft erlangt hat, in dem es im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b keine originäre Unterscheidungskraft von Anfang an hatte (Urteil vom 22. Juni 2006, Storck/HABM, C-25/05 P, EU:C:2006:422, Rn. 83). Der Gerichtshof hat auch klargestellt, dass der Teil der Union, um den es in Art. 7 Abs. 2 geht, gegebenenfalls aus nur einem einzigen Mitgliedstaat bestehen kann.

Daraus folgt, dass eine Marke, die keine originäre Unterscheidungskraft in allen Mitgliedstaaten hat, nach dieser Bestimmung nur eingetragen werden kann, wenn nachgewiesen wird, dass sie durch Benutzung im gesamten Hoheitsgebiet der Union Unterscheidungskraft erlangt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Mai 2012, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli/HABM, C-98/11 P, EU:C:2012:307, Rn. 61 und 63).

Gewiss hat der Gerichtshof in Rn. 62 des Urteils vom 24. Mai 2012, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli/HABM (C-98/11 P, EU:C:2012:307), auf das sich Nestlé und das EUIPO berufen, festgestellt, dass zwar der infolge Benutzung erfolgte Erwerb von Unterscheidungskraft durch eine Marke für den Teil der Union nachgewiesen werden muss, in dem die Marke keine originäre Unterscheidungskraft besaß, es aber zu weit ginge, zu verlangen, dass der Nachweis eines solchen Erwerbs für jeden Mitgliedstaat einzeln erbracht werden muss.

Daraus folgt jedoch entgegen dem Vortrag von Nestlé und dem EUIPO nicht, dass es, wenn eine Marke keine originäre Unterscheidungskraft in der gesamten Union hat, für die Eintragung als Unionsmarke gemäß Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 der Nachweis ausreicht, dass sie infolge ihrer Benutzung in einem bedeutenden Teil der Union Unterscheidungskraft erlangt hat, obwohl dieser Nachweis nicht für jeden Mitgliedstaat erbracht wurde.

Insoweit ist der Unterschied zwischen den zu beweisenden Tatsachen, nämlich dem Erwerb von Unterscheidungskraft infolge der Benutzung eines Zeichens ohne originäre Unterscheidungskraft einerseits, und den zum Nachweis dieser Tatsachen geeigneten Beweismitteln andererseits hervorzuheben.

Keine Bestimmung der Verordnung Nr. 207/2009 schreibt nämlich vor, dass die Verkehrsdurchsetzung mit unterschiedlichen Beweisen für jeden einzelnen Mitgliedstaat nachgewiesen wird. Daher ist nicht auszuschließen, dass Beweismittel dafür, dass ein bestimmtes Zeichen infolge der Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat, für mehrere Mitgliedstaaten, ja sogar die gesamte Union, einen Aussagewert hat.

Wie der Generalanwalt im Wesentlichen in Nr. 78 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, kann es insbesondere sein, dass die Wirtschaftsbeteiligten im Hinblick auf bestimmte Waren oder Dienstleistungen mehrere Mitgliedstaaten im gleichen Vertriebsnetz zusammengefasst und diese Mitgliedstaaten besonders aus der Sicht ihrer Marketingstrategien behandelt haben, als ob sie einen einzigen und einheitlichen nationalen Markt darstellen würden. In einem solchen Fall können die Beweise für die Benutzung eines Zeichens auf einem solchen grenzüberschreitenden Markt für alle betreffenden Mitgliedstaaten aussagekräftig sein.

Dies gilt auch dann, wenn aufgrund der geografischen, kulturellen oder sprachlichen Nähe zweier Mitgliedstaaten die maßgeblichen Verkehrskreise des einen Mitgliedstaats über ausreichende Kenntnisse der Waren oder Dienstleistungen verfügen, die es auf dem nationalen Markt des anderen Mitgliedstaats gibt.

Nach diesen Erwägungen ist es zwar nicht erforderlich, dass für die Eintragung einer Marke gemäß Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009, die keine originäre Unterscheidungskraft in allen Mitgliedstaaten der Union hat, für jeden einzelnen Mitgliedstaat nachgewiesen wird, dass sie durch Benutzung Unterscheidungskraft erlangt hat, jedoch müssen die vorgebrachten Beweismittel den Nachweis ermöglichen, dass die Unterscheidungskraft in allen Mitgliedstaaten der Union erlangt wurde.

Somit ist die Frage, ob die vorgelegten Beweismittel für den Nachweis ausreichen, dass ein bestimmtes Zeichen infolge seiner Benutzung in einem bestimmten Teil des Unionsgebiets Unterscheidungskraft erlangt hat, in dem es über keine originäre Unterscheidungskraft verfügte, Teil der Beweiswürdigung ist, die in erster Linie den Stellen des EUIPO obliegt.

Diese Würdigung unterliegt der Kontrolle des Gerichts, das bei einer bei ihm erhobenen Klage gegen eine Entscheidung der Beschwerdekammer allein zuständig ist, diese Tatsachen festzustellen und somit zu würdigen. Die Tatsachenwürdigung stellt hingegen, vorbehaltlich dessen, dass das Gericht den ihm unterbreiteten Sachvortrag entstellt, keine Rechtsfrage dar, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofs im Rechtsmittelverfahren unterläge (Urteil vom 19. September 2002, DKV/HABM, C-104/00 P, EU:C:2002:506, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Davon bleibt unberührt, dass die Stellen des EUIPO bzw. die Instanzen des Gerichts, wenn sie nach der Würdigung der ihnen unterbreiteten Beweismittel feststellen, dass bestimmte Beweismittel ausreichen, um nachzuweisen, dass ein bestimmtes Zeichen infolge seiner Benutzung in dem Teil des Unionsgebiets Unterscheidungskraft erlangt hat, in dem es über keine originäre Unterscheidungskraft verfügte, und somit ausreichen, seine Eintragung als Unionsmarke zu rechtfertigen, diese Feststellung in ihren jeweiligen Entscheidungen klar zum Ausdruck bringen müssen.

Im vorliegenden Fall ergibt sich zum einen aus den vorangegangenen Erwägungen, dass das Gericht in Rn. 139 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei festgestellt hat, dass zur Anwendung von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 auf eine Marke, die keine originäre Unterscheidungskraft in der gesamten Union hat, die Verkehrsdurchsetzung für das gesamte Unionsgebiet und nicht nur für einen wesentlichen oder überwiegenden Teil des Unionsgebiets nachzuweisen ist, so dass, obwohl ein solcher Nachweis alle betreffenden Mitgliedstaaten umfassend oder aber für verschiedene Mitgliedstaaten oder Gruppen von Mitgliedstaaten einzeln erbracht werden kann, es nicht ausreicht, dass derjenige, der die Beweislast trägt, sich darauf beschränkt, Beweismittel für eine solche Verkehrsdurchsetzung vorzulegen, die einen Teil der Union nicht abdecken, selbst wenn es sich nur um einen einzigen Mitgliedstaat handelt.

Zum anderen hat das Gericht aus den gleichen Erwägungen zu Recht in den Rn. 170 bis 178 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die streitige Entscheidung einen Rechtsfehler aufwies, da die Beschwerdekammer festgestellt hat, dass die streitige Marke Verkehrsdurchsetzung erlangt habe, so dass auf sie Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 anwendbar sei, ohne dass sie sich zur Verkehrsdurchsetzung der Marke in Belgien, Irland, Griechenland und Portugal geäußert hat.

Daraus folgt, dass der einzige Rechtsmittelgrund in der Rechtssache C-84/17 P und die beiden Rechtsmittelgründe in der Rechtssache C-95/17 P unbegründet und – wie die Rechtsmittel insgesamt –zurückzuweisen sind.

 

Kosten

Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist. Art. 138 Abs. 1 und 2 der Verfahrensordnung, der gemäß deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, bestimmt, dass die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen ist und dass der Gerichtshof über die Verteilung der Kosten entscheidet, wenn mehrere Parteien unterliegen.

Da alle Rechtsmittel zurückgewiesen werden, trägt jede Partei ihre eigenen Kosten, einschließlich Marques als Streithelferin im Rechtsmittelverfahren gemäß Art. 140 Abs. 3 der Verfahrensordnung.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Rechtsmittel werden zurückgewiesen.

2.      Die Société des produits Nestlé SA, die European Association of Trade Mark Owners (Marques), die Mondelez UK Holdings & Services Ltd sowie das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) tragen ihre eigenen Kosten.