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Änderungskündigung - LAG Hamm, Beschluss vom 31. Oktober 2003, AZ: 1 Ta 623/03, -

Leitsätzliches

Bei einer Änderungskündigung hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis entweder zu den veränderten Bedingungen fortzusetzen oder die Kündigung zu akzeptieren bzw. anzugreifen. Auch die Verteidigung gegen die Kündigung unterliegt kurzen Fristen.Anders sieht es aber aus, wenn der Arbeitgeber dem Mitarbeiter eine längere Frist einräumt - in diesem Fall kann sich die Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage deutlich verlängern.

 

LANDESARBEITSGERICHT HAMM

BESCHLUSS

 

Aktenzeichen: 1 Ta 623/03

 

Entscheidung vom 31. Oktober 2003

 

In dem Rechtsstreit

 

...

 

hat die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm durch die Präsidentin des Landesarbeitsgerichts Göhle-Sander als Vorsitzende ohne mündliche Verhandlung beschlossen:

 

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Münster vom 04.07.2003 4 Ca 527/03 abgeändert.

Der Antrag des Klägers auf nachträgliche Klagezulassung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger.

 

Wert des Beschwerdegegenstandes: 6.600,00 EUR

 

Der 58 Jahre alte, verheiratete Kläger ist seit Februar 1994 bei der Beklagten und über weitere 20 Jahre bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten beschäftigt. Seine durchschnittliche monatliche Bruttovergütung lag zuletzt bei ca. 2.200,00 EUR.

Mit Schreiben vom 06.01.2003 (Bl. 8 d. A) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger aus betriebswirtschaftlichen Gründen zum 30.06.2003. Gleichzeitig bot sie die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses ab 01.07.2003 zu geänderten Arbeitsbedingungen an. Weiter heißt es in dem Schreiben:

 

„Teilen Sie uns bitte innerhalb der nächsten vier Monate nach Zugang dieses Schreibens mit, ob Sie mit den geänderten Arbeitsbedingungen und mit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses einverstanden sind. Anderenfalls endet das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Kündigungsfrist.“

 

Das Wort "Monate" ist dabei auf dem Schreiben handschriftlich unter Streichung des ursprünglich verwendeten Wortes "Wochen" eingefügt. Die Kündigung erhielt der Kläger am 06.01.2003 ausgehändigt. Die Beklagte hatte bereits zuvor am 20.12.2002 einem Großteil ihrer Arbeitsnehmer entsprechende Kündigungen bei einer Mitarbeiterversammlung übergeben. Der Kläger war zu dieser Zeit nicht im Betrieb anwesend gewesen.

 

Der Kläger begab sich am 19.02.2003 in anwaltliche Beratung. Mit Schreiben vom 21.02.2003 nahm er das Angebot der Beklagten zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu den geänderten Bedingungen unter dem Vorbehalt ihrer sozialen Rechtfertigung an. Gleichzeitig erhob er mit am 21.02.2003 beim Arbeitsgericht Münster eingegangenen Schriftsatz Kündigungsschutzklage einschließlich des Antrages, die Klage nachträglich zuzulassen. Dazu hat er vorgetragen, er sei davon ausgegangen, dass er die Kündigung innerhalb der in dem Schreiben angeführten 4-Monatsfrist, also bis zum 06.05.2003, gerichtlich habe angreifen können. Von der 3-wöchigen Klagefrist habe er erst von seinem Rechtsanwalt erfahren. Die Klagefrist habe er unverschuldet aufgrund der Formulierung im Kündigungsschreiben versäumt. Die Richtigkeit seiner Angaben hat er an Eides statt versichert.

Ergänzend hat er weiter vorgetragen, der Ehemann der Geschäftsführerin habe ihn bei Übergabe der Kündigung darauf hingewiesen, dass die handschriftliche Änderung von "4 Wochen" auf "4 Monate" vorgenommen worden sei, damit er ausreichend Zeit zur Prüfung des Änderungsangebotes habe. Deswegen habe er gemeint, dass er auch eine Klage gegen die Kündigung innerhalb dieses Zeitraumes erhebe könne.

 

Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass sich die 4-Monatsfrist in dem Kündigungsschreiben eindeutig nur auf das Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bezogen habe. Die lange Frist sei auf ausdrücklichen Wunsch ihrer ebenfalls von Änderungskündigungen betroffenen Mitarbeitern gewählt worden. Auch spreche der Umstand, dass der Kläger bereits am 19.02.2003 einen Rechtsanwalt aufgesucht habe, gegen seinen Vortrag, dass er von einer 4-monatigen Klageerhebungsmöglichkeit ausgegangen sei.

 

Mit Beschluss vom 04.07.2003 hat das Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage mit der Begründung nachträglich zugelassen, mit der Überlegungsfrist von 4 Monaten habe die Beklagte dem Kläger suggeriert, dass eine Entscheidung während der nächsten 4 Monate fallen könne. Damit habe die Beklagte den Kläger von der rechtzeitigen Klageerhebung abgehalten.

 

Gegen den ihr am 08.07.2003 zugestellten und wegen seiner weiteren Einzelheiten in Bezug genommenen Beschluss hat die Beklagte mit am 22.07.2003 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt.

 

Sie hebt hervor, mit ihrem Entgegenkommen, sich 4 Monate an das neue Arbeitsvertragsangebot gebunden zu halten, habe sie die Rechtsposition des Klägers - wie der übrigen gekündigten Arbeitsnehmer - lediglich verbessern wollen, nämlich ihren Arbeitnehmern die Möglichkeit offen halten wollen, entweder zu den neuen Arbeitsbedingungen weiterzuarbeiten oder endgültig mit Ablauf der Kündigungsfrist auszuscheiden. Der Kläger sei dann offenbar allein wegen Unkenntnis von der 3-wöchigen Klagefrist nicht rechtzeitig gegen die Kündigung vorgegangen.

 

Der Kläger verteidigt den angefochtenen Beschluss als zutreffend.

Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

 

II.

Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist nach § 5 Abs. 4 KSchG statthaft und form- und fristgerecht eingelegt worden ( §§ 78 ArbGG, 567, 569 ZPO). Sie ist auch begründet.

 

1. Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass das Kündigungsschutzgesetz auf das zwischen ihnen begründete Arbeitsverhältnis Anwendung findet. Die Kündigungsschutzklage ist verspätet erhoben worden. Die Kündigung ist dem Kläger am 06.01.2003 zugegangen. Die 3-wöchige Klagefrist des § 4 KSchG lief damit am 27.01.2003 ab. Die Klage ist jedoch erst am 21.02.2003 beim Arbeitsgericht Münster anhängig gemacht worden.

 

2. Der Antrag auf nachträgliche Klagezulassung ist nach § 5 KSchG zulässig. Er erfüllt die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2, 3 KSchG. Insbesondere ist die 2-wöchige Antragsfrist des § 5 Abs. 3 KSchG gewahrt. Danach hat der Kläger von dem Zulassungsgrund, auf den er sich beruft, erst am 19.02.2003 Kenntnis erlangt.

 

3. Der Antrag auf nachträgliche Klagezulassung ist jedoch unbegründet. Der Kläger war an der Einhaltung der Klagefrist nicht trotz aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert (§ 5 Abs. 1 KSchG).

Abzustellen ist darauf, was dem Arbeitnehmer in seiner konkreten Situation und in seinem konkreten Fall an Sorgfalt abverlangt werden kann. Es darf ihn unter Beachtung dieses Maßstabes kein Verschulden, auch nicht in Form leichter Fahrlässigkeit, an der Nichteinhaltung der Klagefrist treffen. Ein solches fehlendes Verschulden lässt sich hier nicht feststellen.

In Rechtsprechung und Literatur ist im Einzelnen streitig, inwieweit ein bestimmtes Verhalten des Arbeitgebers einen Grund zur nachträglichen Klagezulassung bilden kann. Zum Teil wird angenommen, dass selbst arglistiges Verhalten keine nachträgliche Klagezulassung, sondern allenfalls Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers rechtfertigen kann (von Hoyningen-Huene/ Linck, KSchG, 13. Aufl., § 5 Rdnr. 5; a.A. KR-Friedrich, 6. Aufl., § 5 KSchG Rdnr. 40; APS/Ascheid, § 5 KSchG Rdnr. 16, 21; LAG Köln v. 24.05.1994 - NZA 1995, 127). Zum Teil wird angenommen, dass eine nachträgliche Klagezulassung schon dann gerechtfertigt sein kann, wenn der Arbeitgeber durch sein - nicht zwingend arglistiges - Verhalten Anlass zur Fristversäumung gegeben hat (HK-Hauck, 4. Aufl., § 5 KSchG Rdnr. 42; Kittner-Trittin, KSchR, 5. Aufl., § 5 KSchG Rdnr. 5; LAG Frankfurt v. 5.9.1988 - LAGE § 5 KSchG Nr. 40; vgl. auch Knorr/ Bichlmeier/ Kremhelmer, Handbuch des Kündigungsrechts, 4. Aufl., Kap. 14 Rdnr. 83). Auch nach der letztgenannten Ansicht kommt es jedoch stets auf den Einzelfall an. Es ist immer eine Prüfung veranlasst, inwieweit der Arbeitnehmer bei Berücksichtigung der an ihn zu stellenden Sorgfaltsanforderungen durch ein Verhalten des Arbeitgebers auch nicht leicht fahrlässig an der Einhaltung der Klagefrist gehindert war.

 

Nach diesen Grundsätzen kann - unter Abkehr von der Entscheidung des Beschwerdegerichts vom 15.02.2000 (12 Ta 502/99) - den Erwägungen des angefochtenen Beschlusses nicht gefolgt werden. Es trifft zwar zu, dass der letzte Passus des Kündigungsschreibens vom 06.01.2003 dem Kläger eine 4-monatige Frist zu einer Reaktion zubilligt. Diese ihm eingeräumte Reaktionsmöglichkeit bezieht sich aber ausdrücklich nur auf die Annahme des Angebots zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu bestimmten neuen Arbeitsbedingungen. Die Alternative dazu ist in diesem Passus ebenfalls deutlich aufgeführt, nämlich das Ende des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf der Kündigungsfrist. In dieser Aussage schließt sich der Kreis zu der in den Vorabsätzen erklärten Kündigung zum 30.06.2003. Der Kläger durfte bei der ihm eingeräumten Überlegungsfrist zum Änderungsangebot der Beklagten die Kündigungserklärung der Beklagten nicht ausblenden. Diese Kündigung bedeutete ersichtlich eine akute Gefährdung seiner bisherigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage, sodass höchste Vorsicht im Hinblick auf die Wahrung seiner Rechte geboten war. Auch der letzte Absatz des Kündigungsschreibens musste auf diesem Hintergrund näher als nur oberflächlich betrachtet werden. Er beinhaltet den deutlichen Hinweis auf das Ende des Arbeitsverhältnisses bei Nichtannahme der neuen Arbeitsbedingungen. Einzig diese Alternative blieb dem Kläger nach der Kündigungserklärung für den Zeitraum von 4 Monaten. Von der zusätzlichen Überlegungsfrist nach §§ 2 S. 2, 4 KSchG und den Möglichkeiten der Erhebung einer Kündigungsschutzklage oder einer Änderungskündigungsschutzklage nach Annahme der neuen Arbeitsbedingungen unter Vorbehalt erwähnt das Kündigungsschreiben nichts und musste es auch nichts erwähnen. Hierüber hatte sich der Kläger selbst kundig zu machen, wozu ihm der Gesetzgeber in §§ 2, 4 KSchG im Hinblick auf die Bedeutung der Angelegenheit eine 3-wöchige Frist eingeräumt hat.

 

Dem Kläger ist zuzugeben, dass das Rechtsinstitut der Änderungskündigungen als zusammengesetztes Rechtsgeschäft mit den Teilen "Kündigung" und "Vertragsangebot" und die in diesem Zusammenhang notwendigen und möglichen Erklärungen für den juristischen Laien nicht leicht durchschaubar sind. Dies gilt allerdings für beide Vertragsteile mit der Konsequenz, im Zweifel rechtzeitig Rechtsrat einholen zu müssen. Die Beklagte verweist zu Recht darauf, dass der Arbeitgeber sich faktisch gehindert sähe, dem Arbeitnehmer eine längere als 3-wöchige Frist zur vorbehaltlosen Annahme eine Änderungsangebots zuzubilligen, wenn er damit stets Gefahr liefe, dass ihm dies seitens des Arbeitnehmers als - womöglich noch arglistige - Veranlassung einer Klagefristversäumnis vorgehalten werden könnte. Tatsächlich empfiehlt ihm jedoch selbst das Bundesarbeitsgericht zur Vermeidung von Unsicherheiten über die Dauer der Möglichkeit zur Annahmeerklärung in seiner Entscheidung vom 06.02.2003 - NZA 2003, 659 - , eine - durchaus auch längere - Fristsetzung für die Angebotsannahme nach § 148 BGB. In dieser Entscheidung unterscheidet das Bundesarbeitsgericht deutlich zwischen einerseits der vom Arbeitnehmer innerhalb der 3-Wochenfrist anzustellenden Überlegung einerseits, die Kündigung gerichtlich anzugreifen, und andererseits der ihm auch noch nach Ablauf der Klagefrist verbleibenden Überlegung, ob er nach Ablauf der Kündigungsfrist zu den neuen Arbeitsbedingungen weiterarbeiten will oder nicht. Nur zu der letzten Überlegung verhält sich der letzte Passus im Kündigungsschreiben der Beklagten.

 

Es entspricht nicht der dem Kläger in seiner konkreten Situation zumutbaren Sorgfalt, wenn er sich ohne rechtzeitige rechtliche Beratung auf seine Einschätzung verließ, die im Kündigungsschreiben angeführte Überlegungsfrist beziehe sich auch auf ein mögliches gerichtliches Vorgehen gegen die Kündigung insgesamt. Im Zusammenhang mit der Verfolgung einer so wichtigen Angelegenheit wie dem möglichen Ende seines Arbeitsverhältnisses unterlag er gesteigerten Sorgfaltspflichten (KR-Friedrich a.a.O. Rdnr.13).

 

Die vom Kläger in Zweifel gezogene Vollmacht des Unterzeichners des Schreibens vom 06.01.2003 zur Kündigungserklärung ist im Rahmen des nachträglichen Klagezulassungsverfahrens nicht zu prüfen.

 

III.

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten war der angefochtene Beschluss mit der Kostenfolge des § 91 Abs. 1 ZPO abzuändern und der Antrag des Klägers auf nachträgliche Klagezulassung zurückzuweisen.

Für die Festsetzung des Beschwerdewertes war auf den Wert der Hauptsache abzustellen, der gemäß §§ 12 Abs. 7 ArbGG, 3 ZPO dem Vierteljahreseinkommen des Klägers bei der Beklagten entspricht.

Gegen diese Entscheidung findet ein Rechtsmittel nicht statt (BAG v. 20.08.2002 - 2 AZB 16/02 - ).

 

(Unterschrift)