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„Man weiß nie, wo die Schere ansetzt“

„Man weiß nie, wo die Schere ansetzt“

Boykottaufruf im Wahlkampf

von Rechtsanwalt Michael Terhaag, LL.M. - Fachanwalt für gewerblichen Rechtschutz

Der Tweet eines Grünen-Politikers während des sächsischen Landtagswahlkampfs im August 2014 sorgte für einigen Unmut. Auf seinem privaten Twitter-Account rief er zum Boykott eines Friseurs auf, weil dieser Mitglied der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) ist. Folgender Satz erschien im Netz:

"Ab sofort empfehle ich, nicht mehr zum Friseur ...in #... zugehen. Inhaber ist ein #AFD ler. Man weiß nie, wo die Schere ansetzt."

Der Eintrag wurde zwar kurz darauf wieder gelöscht, tauchte jedoch weiterhin in Blogs und auf Internetseiten auf. Daraufhin zog der AfD-Politiker vor Gericht und bekam zunächst Recht. Das Landgericht Leipzig verbot die Verbreitung des Boykottaufrufs.

Doch nun hat das Oberlandesgericht Dresden mit seinem Urteil vom 5. Mai 2015 (Az. 4 U 1676/14) die Entscheidung abgeändert. Nach Ansicht des vierten Zivilsenats begründe die Empfehlung, die Dienstleistung des Klägers nicht mehr in Anspruch zu nehmen, keinen rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Auch eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung sei darin nicht zu sehen.

Vielmehr fuße die Empfehlung, nicht mehr zu dem betroffenen Friseursalon zu gehen, in erster Linie auf die Zugehörigkeit zur konkurrierenden AfD-Partei, so die Richter:

„Ziel der Mitteilung war daher, die von dem Kläger betriebenen Friseursalons bei Sympathisanten und Anhängern des eigenen politischen Lagers in Misskredit zu bringen, was auch durch die Veröffentlichung auf dem privaten Twitteraccount belegt wird, bei dem ohnehin nur mit einem beschränkten Kreis von Adressaten und erst recht Empfängern zu rechnen ist.“

Der letzte Satz des Tweets („Man weiß nie, wo die Schere ansetzt“) muss nach Ansicht der Richter als Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 GG verstanden werden, mit der seine Distanz und kritische Haltung gegenüber der AfD zum Ausdruck bringen wollte:

„Als maßgeblicher Adressatenkreis ist hier auf einen politisch interessierten Leser abzustellen, der den Blog des Beklagten als Informationsquelle im Rahmen des Landtagswahlkampfes nutzt und gerade nicht auf einen Internet-Nutzer, der sich über die Qualität der in Leipzig ansässigen Friseure informieren will.Für durchschnittlichen Empfänger des Tweets ist der dritte Äußerungsteil schon dem Wortlaut nach mehrdeutig. Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass der metaphorische Bezug zur ‚Schere im Kopf‘ sich einem Durchschnittsleser nicht aufdrängen musste. Andererseits ergibt sich aus dem Kontext der gesamten Twitter-Nachricht, dass mit der Ungewissheit, wo die Schere ansetzt, nicht die Qualität der Friseurdienstleistung gemeint gewesen sein kann. Ansonsten hätte auch der zentrale Hinweis auf die Parteizugehörigkeit keinen Sinn ergeben.“

Es handele sich vielmehr um eine erkennbar sarkastisch gemeinte Meinungsäußerung über die AfD unter Anspielung auf den Beruf des politischen Gegners. Es ging darum, kurz vor der Landtagswahl die AfD und ihre Kandidaten mit Mitteln des Sarkasmus und der Häme herabzusetzen und lächerlich zu machen, entschieden die OLG-Richter:

„Eine solche überspitzte Äußerung in der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner gehört zu den Grundformen eines Wahlkampfes, die prinzipiell in den Bereich des Meinungsmäßigen und damit in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gehören.“

Gemessen an diesen Maßstäben sei eine solche Äußerung hinzunehmen. Gegen das Urteil des Oberlandesgerichts ist kein ordentliches Rechtsmittel vorgesehen.

Das Urteil können Sie an dieser Stelle im Volltext lesen.

In dem Zusammenhang sei allerdings noch einmal der Hinweis erlaubt: Das Urteil ist eine klare Einzelfallentscheidung. Mit Boykottaufrufen sollte man grundsätzlich ausgesprochen zurückhaltend umgehen, da sie in den allermeisten Fällen, übrigens grade unter Wettbewerbern, unzulässig sind.

Michael Terhaag | Christian Schwarz

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