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Voraussetzungen der unangemessene unsachliche Einflussnahme im Wettbewerbsrecht - BGH, Urteil vom 22.9.2005, Az: I ZR 55/02

Leitsätzliches

a) Eine Werbeaussage kann nicht schon dann als unlauter angesehen werden, wenn das Kaufinteresse durch Ansprechen des sozialen Verantwortungsgefühls, der Hilfsbereitschaft, des Mitleids oder des Umweltbewusstseins geweckt werden soll, ohne dass ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem in der Werbung angesprochenen Engagement und der beworbenen Ware besteht. b) Eine Werbemaßnahme ist eine unangemessene unsachliche Einflussnahme auf Marktteilnehmer im Sinne des § 4 Nr. 1 UWG, wenn sie mit der Lauterkeit des Wettbewerbs unvereinbar ist. Die Beurteilung, ob dies der Fall ist, erfordert eine Abwägung der Umstände des Einzelfalls im Hinblick auf die Schutzzwecke des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, bei der die Grundrechte der Beteiligten zu berücksichtigen sind.

BUNDESGERICHTSHOF

Urteil

Aktenzeichen: I ZR 55/02

Entscheidung vom 22. September 2005


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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 22. September 2005 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Pokrant, Dr. Büscher und Dr. Bergmann

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 1. Dezember 1995 aufgehoben.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 23. Februar 1995 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Beklagte betreibt in Süddeutschland Augenoptikergeschäfte. Sie warb in der "S. Zeitung" vom 3. Juni 1994 mit der nachstehend (ver- kleinert) wiedergegebenen Anzeige unter der Überschrift "Echt tierisch" für Sonnengläser. Unter der Abbildung eines Papageis war in der Anzeige das Emblem der "Aktionsgemeinschaft Artenschutz e.V." mit dem umlaufenden Text "B. Optik unterstützt die Aktionsgemeinschaft Artenschutz e.V." abgedruckt:

Die Aktionsgemeinschaft Artenschutz e.V. setzt sich für den Schutz bedrohter Tierarten ein. Der Vorstand der Beklagten gehört seit Jahren dem Vorstand dieses Vereins an.

Der Kläger, ein rechtsfähiger Verband zur Förderung gewerblicher Interessen, beanstandet den Hinweis auf die Unterstützung der Aktionsgemeinschaft Artenschutz e.V. in der Anzeige der Beklagten als wettbewerbswidrig. Diese Imagewerbung stehe in keinem Sachzusammenhang mit dem Warenangebot und beeinflusse das Kundenverhalten in unsachlicher, nicht durch die beworbene Leistung bestimmter Weise.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, in im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken aufgegebenen Zeitungsanzeigen und/oder sonstigen Werbeträgern das nachstehend abgebildete Emblem der Aktionsgemeinschaft Artenschutz e.V. mit der dort ebenfalls abgedruckten Aufschrift "B. Optik unterstützt die Aktionsgemeinschaft Artenschutz e.V." anzubringen:

2. an den Kläger 253 DM nebst 4 % Zinsen seit 21. Juni 1994 zu zahlen.

Hilfsweise hat der Kläger den Unterlassungsantrag mit der Ergänzung gestellt "... unter zusätzlicher Abbildung eines Tieres außerhalb des AGASignums, wie in der 'S. Zeitung' vom 3. Juni 1994 Seite 21 erfolgt."

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.

Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (OLG Stuttgart WRP 1996, 628).

Der Senat hat die hiergegen gerichtete Revision durch Beschluss vom 19. September 1996 nicht angenommen. Auf die Verfassungsbeschwerde der Beklagten hat das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung durch Beschluss vom 6. Februar 2002 aufgehoben und die Sache an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen (BVerfG GRUR 2002, 455 = WRP 2002, 430).

Mit ihrer nunmehr angenommenen Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat die angegriffene Werbung als wettbewerbswidrig im Sinne des § 1 UWG a.F. beurteilt und den Unterlassungsanspruch sowie den Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten zugesprochen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die Beklagte handle mit ihrer Anzeige im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken ihres eigenen Wettbewerbs. Sie hebe durch den Hinweis auf ihre Unterstützung der Aktionsgemeinschaft Artenschutz e.V. ihr Ansehen beim Verbraucher und mache ihn geneigt, ihr soziales Engagement bei seiner Kaufentscheidung zu berücksichtigen. Darin liege eine unzulässige gefühlsbetonte Werbung. Die Beklagte gebe durch ihre Anzeige nicht nur bekannt, dass die Aktionsgemeinschaft Artenschutz e.V. für den Artenschutz eintrete und darin von ihr unterstützt werde. Der Verbraucher sehe darin zugleich die Anregung, die Aktionsgemeinschaft Artenschutz e.V. mittelbar zu unterstützen, indem er bei der Beklagten einkaufe. Die Beklagte nutze so ohne sachliche Veranlassung das soziale Engagement oder das Gewissen von Verbrauchern für ihre unternehmerischen Interessen aus. Dies werde gerade von sachlich engagierten Verbrauchern und Unternehmen als missbräuchlich und anstößig empfunden. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass es nicht um eine unmittelbare Förderung des Warenabsatzes, sondern um eine Imagewerbung gehe.

Der Wettbewerbsverstoß sei auch geeignet, den Wettbewerb auf dem betroffenen Markt wesentlich zu beeinträchtigen.

II. Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und unter Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung zur Abweisung der Klage.

 1. Der Unterlassungsantrag ist unbegründet, weil die beanstandete Werbung nicht wettbewerbswidrig ist.

 a) Der in die Zukunft gerichtete Unterlassungsanspruch, der auf Wiederholungsgefahr gestützt ist, setzt voraus, dass auch auf der Grundlage der Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3. Juli 2004 (BGBl. I S. 1414) ein solcher Anspruch begründet ist (vgl. BGH, Urt. v. 28.10.2004 - I ZR 326/01, GRUR 2005, 166, 167 = WRP 2005, 88 - Puppenausstattungen).

b) Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1 UWG zu. Die Beklagte handelt nicht unlauter im Sinne des § 3 UWG, wenn sie in ihrer Werbung wie in der beanstandeten Anzeige auf den unstreitigen Umstand hinweist, dass sie die Aktionsgemeinschaft Artenschutz e.V. unterstützt. Die beanstandete Werbung steht zwar nicht in einem Sachzusammenhang mit den beworbenen Angeboten, sie ist aber nicht geeignet, die freie Entscheidung der Verbraucher durch unangemessenen unsachlichen Einfluss zu beeinträchtigen (§ 4 Nr. 1 UWG). Eine Gefährdung des unverfälschten Wettbewerbs geht von ihr nicht aus.

aa) Der Beispielstatbestand des § 4 Nr. 1 UWG erfasst im Bereich der Verbraucherwerbung nur Wettbewerbshandlungen, durch die ein unangemessener unsachlicher Einfluss auf Verbraucher ausgeübt wird. Es ist wettbewerbsrechtlich grundsätzlich unbedenklich, wenn sich die Werbung nicht auf Sachangaben, insbesondere über die Eigenschaften oder den Preis beworbener Erzeugnisse, beschränkt, sondern Gefühle anspricht. Die Schwelle zur wettbewerbsrechtlichen Unlauterkeit ist nach § 4 Nr. 1 UWG nur überschritten, wenn eine Wettbewerbshandlung geeignet ist, unangemessenen unsachlichen Einfluss auszuüben und dies in einem solchen Maß, dass sie auch geeignet ist, die freie Entscheidung der Verbraucher zu beeinträchtigen.

Aus dieser Regelung des § 4 Nr. 1 UWG folgt zugleich, dass eine Werbeaussage nicht schon dann als unlauter angesehen werden kann, wenn das Kaufinteresse durch Ansprechen des sozialen Verantwortungsgefühls, der Hilfsbereitschaft, des Mitleids oder des Umweltbewusstseins geweckt werden soll, ohne dass ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem in der Werbung angesprochenen Engagement und der beworbenen Ware besteht, und nur zielbewusst und planmäßig an Gefühle appelliert wird, um diese im eigenen wirtschaftlichen Interesse als entscheidende Kaufmotivation auszunutzen. An der gegenteiligen Beurteilung in früheren Senatsentscheidungen (unter dem Gesichtspunkt der sog. gefühlsbetonten Werbung) ist nicht mehr festzuhalten.

bb) Eine Werbemaßnahme ist eine unangemessene unsachliche Einflussnahme auf Marktteilnehmer im Sinne des § 4 Nr. 1 UWG, wenn sie mit der Lauterkeit des Wettbewerbs unvereinbar ist (vgl. Plaß in HK-WettbR, § 4 UWG Rdn. 43). Die Beurteilung, ob dies der Fall ist, erfordert eine Abwägung der Umstände des Einzelfalls im Hinblick auf die Schutzzwecke des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, bei der die Grundrechte der Beteiligten zu berücksichtigen sind (vgl. Plaß aaO § 4 UWG Rdn. 43 f.; vgl. dazu auch Gloy/Loschelder/ Hasselblatt, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 3. Aufl., § 63 Rdn. 35).

cc) Die angegriffene Werbung ist danach nicht als unangemessene unsachliche Einflussnahme zu beurteilen (vgl. dazu bereits BVerfG GRUR 2002, 455, 457). Die Beklagte hat auf den Umstand, dass sie die Aktionsgemeinschaft Artenschutz e.V. unterstützt, in ihrer Zeitungsanzeige nur im Sinne einer Imagewerbung hingewiesen. Verbraucher können darin zwar eine Anregung sehen, die Aktionsgemeinschaft Artenschutz e.V. dadurch mittelbar zu unterstützen, dass sie bei der Beklagten einkaufen. Es ist ihnen aber überlassen, ob sie sich in ihrer Entscheidung dadurch beeinflussen lassen wollen, dass sich die Beklagte für den Umweltschutz einsetzt.

Es mag sein, dass es gerade besonders für den Umweltschutz engagierte Verbraucher und Unternehmen als anstößig ansehen, wenn eigene Aktivitäten im Umweltschutz in der Werbung zu Wettbewerbszwecken benutzt werden, wie das Berufungsgericht gemeint hat. Ein solch strenger Maßstab kann jedoch im Hinblick auf die Schutzzwecke des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb bei der Beurteilung der Frage, ob eine unangemessene unsachliche Einflussnahme vorliegt, nicht maßgebend sein (vgl. dazu BVerfG GRUR 2002, 455, 457).

Der Kläger behauptet nicht, dass die Angabe der Beklagten, sie unterstütze die Aktionsgemeinschaft Artenschutz e.V., in irgendeiner Weise irreführend sei. 

2. Aus den dargelegten Gründen ist auch der hilfsweise gestellte Unterlassungsantrag,der näher auf die konkrete Verletzungsform bezogen ist, unbegründet.

3. Die Frage, ob dem Kläger ein Anspruch auf Ersatz der Abmahnkosten zusteht, richtet sich nach dem zur Zeit der Abmahnung geltenden Recht. Aus dem Vorstehenden ergibt sich aber, dass die angegriffene Werbung auch nach § 1 UWG a.F. nicht als unlauter zu beurteilen ist.

III. Auf die Revision der Beklagten war danach das Berufungsurteil aufzuheben und auf ihre Berufung die Klage in Abänderung des landgerichtlichen Urteils abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Ullmann v. Ungern-Sternberg Pokrant

Büscher Bergmann

Vorinstanzen:

LG Stuttgart, Entscheidung vom 23.02.1995 - 17 O 563/94 -

OLG Stuttgart, Entscheidung vom 01.12.1995 - 2 U 72/95 -