×

Rückruf vereinbaren

Ihre Nachricht an uns

Startseite
/
Urteile
/
sonstiges Recht
/
Vollstreckungsschutz bei Sportwettenuntersagung - OVG Schleswig, Beschluss vom 2.01.07, Az.: 3 MB 38/06

Leitsätzliches

Einem Sportwettenvermittler wird weiterhin Vollstreckungsschutz gewährt. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruches gegen die Untersagungverfügung der Stadt wird wiederhergestellt. Der Vermittler kann sich auf verfassungs- und europarechtlich geschützte Rechtsgüter berufen.

OBERVERWALTUNGSGERICHT SCHLESWIG-HOLSTEIN

IM NAMEN DES VOLKES

BESCHLUSS

 

Aktenzeichen: 3 MB 38/06

Entscheidung vom 2. Januar 2007

 

 

In der Verwaltungsrechtssache

...

Streitgegenstand: Gewerbeordnung (Untersagung von Sportwetten)

 

hat der 3. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Schleswig am 2. Januar 2007 beschlossen:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts – 12. Kammer – vom 23. August 2006 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe:

Mit Bescheid vom 10. Juli 2006 untersagte die Antragsgegnerin dem Antragssteller, weiterhin die Möglichkeit anzubieten, in seinem Geschäftslokal Sportwetten oder andere Glücksspiele mit anderen Veranstaltern als NordwestLotto Schleswig-Holstein abzuschließen. Außerdem ordnete die Antragsgegnerin in dem genannten Bescheid die Sicherstellung der für die beschriebene Tätigkeit verwendeten Geräte an. In beiden Hinsichten wurde die sofortige Vollziehung des Bescheides angeordnet.

Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 23. August 2006 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen diesen Bescheid wiederhergestellt. Bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenem, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage könne auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 28. März 2006 – 1 BvR 1054/01 (DVBI. 2006, 625ff) weder eine offensichtliche Rechtsmäßigkeit noch eine offensichtliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides festgestellt werden. Allerdings begegne der Bescheid mit Blick auf das (nationale) Verfassungsrecht und das europäische Gemeinschaftsrecht sowie dessen grundsätzlichen Anwendungsvorrang erheblich rechtlichen Bedenken. Der Ausgang eines eventuellen Hauptsacheverfahrens erscheine offen. Die danach erforderliche und vorzunehmende Interessenabwägung falle aus folgenden Gründen zu Gunsten des Antragstellers aus:

„Ein überwiegendes und besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Untersagung der Vermittlung von Sportwetten an andere Anbieter als NWL liegt nicht vor. Eine wesentliche Gefährdung höherrangiger Allgemeinwohlinteressen durch die zunächst noch weitere Möglichkeit der Betätigung privater Sportwettenvermittler ist nicht anzunehmen. Insbesondere gilt es nicht, strafrechtlich relevanten Verhalten entgegenzutreten und dieses zu unterbinden. Die – überwiegend von den Strafgerichten unter verschiedenen rechtlichen Aspekten verneinte – Strafbarkeit der Vermittlung von Sportwetten an private Sportwettenanbieter nach § 284 StGB ist insbesondere auf der Grundlage der Ausführungen des EuGH in der Entscheidung vom 6. November 2003 – Gambelli -, aber auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 rechtlich in Zweifel zu ziehen.

Soweit zur Begründung des besonderen öffentlichen Interesses darauf verwiesen wird, dass das Unterlassen von Verbotsverfügungen Signalwirkung entfaltet und mit einer erheblichen Zunahme der Tätigkeit privater Wettvermittler zu rechnen ist, vermag die Kammer auch hierin das Überwiegen solcher öffentlichen Interessen nicht zu erkennen. Es geht auch nicht, wie angenommen, um die jahrelange Hinnahme illegaler gewerbliche Betätigung, denn in zeitlicher Hinsicht ist der derzeitige Zustand bis zur gesetzlichen Neuregelung bis zum 31.12.2007 begrenzt.

Soweit als besonderes öffentliches Vollzugsinteresse der Schutz der Allgemeinheit vor den Gefahren von Spielsucht und die Sicherstellung der mit dem staatlichen Glücksspielmonopol zulässiger Weise verfolgbaren Ziele in Rede steht, bestehen, nach den obigen Darlegungen bereits Zweifel daran, dass diesen Gefahren durch Ausschluss privater Wettanbieter bedürfe daher einer belegbaren Begründung und des Nachweises ausschließlich in ihrem Verhalten liegender zusätzlicher Gefährdung von anzuerkennen Allgemeinwohlbelangen. Dies vermag die Kammer indes insbesondere angesichts der jahrelang geübten Praxis staatlicher Lotterieunternehmen und der Betätigung privater Wettanbieter auf dem Markt nicht zu erkennen.

Demgegenüber stehen auf Seiten des Antragstellers verfassungs- und europarechtlich geschützte Rechtsgüter entgegen, deren Beschränkung hohen Anforderungen unterliegt.

Erweist sich danach die Sofortvollzugsanordnung materiell-rechtlich als rechtswidrig, so gilt gleiches für die verfügte Sicherstellung der für die Vermittlungstätigkeit verwendeten Geräte.

Zur Begründung ihrer hiergegen gerichteten Beschwerde macht die Antragsgegnerin geltend, der angefochtene Bescheid entspreche den Vorgaben des (nationalen) Verfassungsrechts sowie des europäischen Gemeinschaftsrechts, so dass das öffentlichen Interesse and er sofortigen Vollziehung des Bescheides gegenüber dem Aufschubinteresse des Antragstellers überwiege.

Die Beschwerde bleibt erfolglos.

Da das auf die Vorschrift des § 80 Abs. 5 VwGO gestützte Begehren des Antragstellers auf die Gewährung lediglich vorläufigen Rechtsschutzes abzielt, durfte das Verwaltungsgericht sich auf eine summarische Überprüfung beschränken. Unter Anlegung dieses Prüfungsmaßstabes ist das Verwaltungsgericht zu Recht und mit zutreffender Begründung – hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen – zu dem Ergebnis gelangt, der Ausgang eines eventuellen Hauptsacheverfahrens erscheine offen. Jedenfalls stehen im erstinstanzlichen Beschluss mit Blick auf das (nationale) Verfassungsrecht und das europäische Gemeinschaftsrecht dargestellten Bedenken der Annahme einer „offensichtlichen“ Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides entgegen. Das gilt nicht zuletzt deshalb, weil das Bundesverfassungsgericht in dem genannten Urteil der Rüge eines möglichen Verstoßes des staatlichen Monopols für Sportwetten gegen europäisches Gemeinschaftsrecht gerade nicht nachgegangen ist (anlässlich der Ministerpräsidentenkonferenz vom 13. Dezember 2006 sind – soweit ersichtlich – seitens des Landes Schleswig-Holstein insbesondere mit Blick auf das europäische Gemeinschaftsrecht Bedenken gegen ein staatliches Glücksspielmonopol geltend gemacht worden, vgl. Süddeutsche Zeitung v. 14.12.2006, S17 – „Wettmonopol bestätigt“ -; Die Welt v. 14.12.2006, S11, - „Länder halten am Glückspielmonopol fest“ -; Handelsblatt v. 14.12.2006, S6 – „Länder behalten Monopol für Glücksspiele“ -; Kieler Nachrichten v. 14.12.2006, S.2 – „Nur Kiel stimmte gegen das Glücksspielmonopol“ -; der erkennende Senat hat sich in seinem Beschluss vom 18. Januar 2005 -3 MB 80/04 – nur mit der Frage befasst, ob das private Vermitteln von Sportwetten gegen die Verbotsnormen der §§ 284 ff. StGB verstoßen könnte).

Ausgehend von der nach alledem gerechtfertigten Annahme eines offenen Ausgangs des Hauptsacherverfahrens und somit im Hinblick darauf, dass eine hinreichend verlässliche Überprüfung der anstehenden (schwierigen) Rechtsfragen und eine im Zusammenhang hiermit möglicherweise erforderliche weitere Sachverhaltsaufklärung den Rahmen eines auf Gewährung lediglich vorläufigen Rechtsschutzes gerichteten Verfahrens sprengen würden, ist es nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht seine Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO (maßgeblich) auf eine vom Ausgang des Hauptsacheverfahrens unabhängige Interessenabwägung gestützt hat. Entgegen der Vorschrift des § 146 Abs. 4 Satz3 VwGO hat die Abtragsgegnerin sich mit den wesentlichen Gesichtspunkten dieser Interessenabwägung  deren Wortlaut ist vorangehend bereits wiedergegeben worden – nicht hinreichend auseinandergesetzt. Jedenfalls rechtfertigen die von der Antragsgegnerin in der Beschwerdeschrift dargelegten Gründe – nur diese Gründe sind vom erkennenden Senat zu prüfen (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) – kein für sie günstigeres Abwägungsergebnis. Abgesehen von – hier nicht maßgeblichen, allein das Hauptsacheverfahren betreffenden – (allgemeinen) rechtlichen Erwägung macht die Antragsgegnerin zur Begründung der Vorrangigkeit des öffentlichen Vollzugsinteresses lediglich geltend, auch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens sollten bereits die schädlichen Auswirkungen vermieden werden, die den Gesetzgeber zur Einführung des staatlichen Monopols im Lotteriewesen bewogen hätten. Dieser allgemeine Einwand ist bereits deshalb unzureichend, weil hiermit nicht belegt wird, dass es angesichts der „jahrelang geübten Praxis staatlicher Lotterieunternehmen und der Betätigung privater Wettanbieter auf dem Markt“ entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts zu einer nennenswerten „zusätzlichen Gefährdung von anzuerkennenden Allgemeinwohlbelangen“ und somit zu nennenswerten „zusätzlichen schädlichen Auswirkungen“ käme, wenn private Wettanbieter nicht sofort ausgeschlossen würden, sondern noch bis zum Jahresende tätig wären (das Verwaltungsgericht hat den „derzeitigen Zustand bis zur gesetzlichen Neuregelung bis zum 31 Dezember 2007 begrenzt“). Weitere fallbezogene Erwägungen, aus denen sich die Vorrangigkeit des öffentlichen Vollzugsinteresses ergeben könnte, sind dem allein maßgeblichen diesbezüglichen Beschwerdevorbringen der Antragsgegnerin nicht zu entnehmen. Doch auch wenn man im vorliegenden Fall eine Gleichrangigkeit zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse einerseits und dem Aufschubinteresse des Antragstellers andererseits annähme, ergäbe sich keine für den Antragsteller ungünstigere Betrachtungsweise. Denn in diesem Fall käme die sich aus § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergebene grundsätzliche Wertung des Gesetzgebers zum Tragen, wonach Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben (ob dem Ablauf der vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Neuregelungsfrist und somit der Beendigung des „derzeitigen Zustandes“ zum Jahresende durch einen Änderungsantrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO oder durch einen erneuten – erforderlichenfalls mit Sofortvollzug ausgestatteten . Untersagungsbescheid Rechnung zu tragen sein wird, wird die Antragsgegnerin sodann zu erwägen und zu entscheiden haben).

Unabhängig von der sich aus § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO ergebenden – hier vom erkennenden Senat zu beachtenden – Einschränkung der obergerichtlichen Prüfungsbefugnis sei vorsorglich darauf hingewiesen, dass bei einer vom Verwaltungsgericht nach § 80 Abs. 5 VwGO druchzuführenden Interessenabwägung anderer Grundsätze gelten dürften, wenn einer privater Vermittler von Sportwetten seine Tätigkeit erst nach Ergehen des vorliegenden Senatsbeschlusses aufnähme und die zuständige Behörde unter Anordnung des Sofortvollzuges untersagte. Denn in diesem Fall dürfte nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Betroffene seine Vermittlungstätigkeit unter Inkaufnahme der insoweit obergerichtlich bestätigten Rechtsunsicherheiten aufgenommen hätte, obwohl die erforderliche Rechtssicherheit voraussichtlich am Jahresende hergestellt sein dürfte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Unterschriften

Michael Terhaag | Christian Schwarz

Influencer-Marketing - Rechtshandbuch

2. Auflage – vollständig überarbeitet und aktualisiert

Praxisnaher Überblick zu rechtlichen Fragestellungen im Influencer-Marketing,  u.a. im Werbe-, Wettbewerbs-, Urheber-, Marken- und Persönlichkeitsrecht; inklusive Muster zur Vertragsgestaltung.