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Schutzfähigkeit einer roten Schuhsohle, EuGH, Urt. v. 12.06.2018, Az.: C-163/16

Leitsätzliches

Eine Marke, die aus einer auf der Sohle eines Schuhs aufgebrachten Farbe besteht, fällt nicht unter das Verbot der Eintragung von Formen. Eine solche Marke besteht nämlich nicht "ausschließlich aus der Form" im Sinne der Markenrichtlinie.

 

URTEIL DES GERICHTSHOF

(Große Kammer)

Entscheidung vom 12. Juni 2018

Aktenzeichen: C-163/16

 

In der Rechtssache C-163/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Rechtbank Den Haag (Gericht erster Instanz Den Haag, Niederlande) mit Entscheidung vom 9. März 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 21. März 2016, in dem Verfahren

[...]

gegen

[...]

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer) unter Mitwirkung des Präsidenten K. [...], des Vizepräsidenten A. [...], der Kammerpräsidenten [...]

Generalanwalt: M.[...],

Kanzler: M. [...], Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. April 2017,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn [...], vertreten durch T. [...], avocat,
  • der [...] SAS, vertreten durch J. [...], advocaat,
  • der [...] BV, vertreten durch W. J. G. [..] und M. [...], advocaten,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch [...] und J. [...] als Bevollmächtigte,
  • der französischen Regierung, vertreten durch D. [...] als Bevollmächtigten,
  • der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. [...]und E. E. [...] als Bevollmächtigte,
  • der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. [...] und T.[...] als Bevollmächtigte,
  • der finnischen Regierung, vertreten durch J. [...] als Bevollmächtigten,
  •  der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch N. [...] und D. [...] als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch [...] und F. [...] als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 22. Juni 2017,

aufgrund des Beschlusses vom 12. Oktober 2017 zur Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. November 2017,

nach Anhörung der ergänzenden Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. Februar 2018

folgendes

 

Urteil

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 2008, L 299, S. 25).

Es ergeht im Rahmen eines Verletzungsverfahrens zwischen Herrn Christian Louboutin und der Christian Louboutin SAS (im Folgenden gemeinsam: Christian Louboutin) einerseits und der Van Haren Schoenen BV (im Folgenden: Van Haren) andererseits betreffend deren Vermarktung von Schuhen, die die Marke verletzen sollen, deren Inhaber Herr Louboutin ist.

 

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Art. 2 („Markenformen“) der Richtlinie 2008/95 sieht vor:

„Marken können alle Zeichen sein, die sich grafisch darstellen lassen, insbesondere Wörter einschließlich Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen und die Form oder Aufmachung der Ware, soweit solche Zeichen geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden.“

Art. 3 („Eintragungshindernisse – Ungültigkeitsgründe“) der Richtlinie bestimmt:

„(1) Folgende Zeichen oder Marken sind von der Eintragung ausgeschlossen oder unterliegen im Falle der Eintragung der Ungültigerklärung:

[...]

e)      Zeichen, die ausschließlich bestehen:

i)      aus der Form der Ware, die durch die Art der Ware selbst bedingt ist;

ii)      aus der Form der Ware, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist;

iii)      aus der Form, die der Ware einen wesentlichen Wert verleiht;

[...]“

 

Benelux-Übereinkunft auf dem Gebiet des geistigen Eigentums (Marken und Muster oder Modelle)

Die Benelux-Übereinkunft auf dem Gebiet des geistigen Eigentums (Marken und Muster oder Modelle) vom 25. Februar 2005, unterzeichnet in Den Haag vom Königreich Belgien, dem Großherzogtum Luxemburg und dem Königreich der Niederlande, bestimmt in Art. 2.1 („Zeichen, die eine Benelux-Marke sein können“):

„(1) Als Individualmarken gelten Bezeichnungen, Abbildungen, Abdrücke, Stempel, Buchstaben, Zahlen und die Form oder Aufmachung der Ware und alle sonstigen Zeichen, die sich grafisch darstellen lassen und zur Unterscheidung der Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens dienen.

(2) Zeichen, die ausschließlich bestehen aus der Form der Ware, die durch die Art der Ware selbst bedingt ist, die der Ware einen wesentlichen Wert verleiht oder die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist, können jedoch nicht als Marken angesehen werden.

[...]“

 

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

Christian Louboutin kreiert und produziert Schuhe.

Am 28. Dezember 2009 meldete Herr Louboutin beim Benelux-Amt für geistiges Eigentum eine Benelux-Marke an, die am 6. Januar 2010 unter der Nr. 0874489 für Waren der Klasse 25 „Schuhe (ausgenommen orthopädische Schuhe)“ des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung eingetragen wurde (im Folgenden: streitige Marke).

Diese Marke wird wie folgt dargestellt:

[Abbildung]

In der Anmeldung wird die streitige Marke wie folgt beschrieben: „Die Marke besteht aus der Farbe Rot (Pantone 18-1663TP), die auf der Sohle eines Schuhs wie abgebildet (die Kontur des Schuhs ist nicht von der Marke umfasst, sondern dient nur dem Zweck, die Position der Marke zu zeigen) aufgebracht ist“.

Am 10. April 2013 wurde die Eintragung der streitigen Marke dahin geändert, dass der Schutzbereich dieser Marke auf „hochhackige Schuhe (ausgenommen orthopädische Schuhe)“ beschränkt wurde.

Van Haren, die in den Niederlanden Einzelhandelsgeschäfte für Schuhe betreibt, verkaufte im Lauf des Jahres 2012 hochhackige Schuhe mit roten Sohlen.

Am 27. Mai 2013 reichte Christian Louboutin bei der Rechtbank Den Haag (Gericht erster Instanz Den Haag, Niederlande) eine Klage gegen Van Haren wegen Verletzung der streitigen Marke ein. Am 17. Juli 2013 erließ dieses Gericht ein Versäumnisurteil, in dem es den Anträgen von Christian Louboutin teilweise stattgab.

Van Haren legte gegen dieses Urteil beim vorlegenden Gericht, der Rechtbank Den Haag (Gericht erster Instanz Den Haag), Einspruch ein und machte unter Berufung auf Art. 2.1 Abs. 2 der Benelux-Übereinkunft geltend, dass die streitige Marke ungültig sei. Ihrer Ansicht nach ist diese Marke eine zweidimensionale Bildmarke, nämlich eine rote Oberfläche.

Das vorlegende Gericht führt zunächst aus, dass die rote Farbe angesichts der grafischen Darstellung und der Beschreibung der streitigen Marke untrennbar mit einer Schuhsohle verbunden sei, so dass diese Marke nicht als einfache zweidimensionale Bildmarke eingestuft werden könne. Die Klarstellung in der Markenbeschreibung, dass „die Kontur des Schuhs … nicht von der Marke umfasst“ sei, spreche nicht gegen diese Beurteilung, sondern bestätige sie vielmehr, zumal nach dieser Beschreibung die in der grafischen Darstellung der streitigen Marke wiedergegebene Kontur des Schuhs den Zweck habe, die Position dieser Marke zu zeigen, und nicht, sie auf eine zweidimensionale Marke zu reduzieren.

Es stellt sodann fest, dass im Herbst 2012 „ein erheblicher Teil der Verbraucher von hochhackigen Damenschuhen in den Benelux-Staaten in der Lage war, die Schuhe von [Christian Louboutin] als von diesem stammend zu identifizieren und sie daher von hochhackigen Damenschuhen zu unterscheiden, die von anderen Unternehmen stammen“, so dass die streitige Marke zu diesem Zeitpunkt für diese Waren als Marke wahrgenommen worden sei.

Das vorlegende Gericht weist ferner darauf hin, dass die rote Sohle den von Christian Louboutin vermarkteten Schuhen einen wesentlichen Wert verleihe, da diese Färbung Teil des Erscheinungsbilds dieser Schuhe sei, das eine wichtige Rolle bei der Kaufentscheidung spiele. Christian Louboutin habe die rote Färbung der Sohlen zunächst aus ästhetischen Gründen benutzt, bevor sie als Herkunftshinweis konzipiert und als Marke benutzt worden sei.

Schließlich stelle sich die Frage, ob die in Art. 3 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Richtlinie 2008/95 vorgesehene Ausnahme für die streitige Marke gelte, da diese aus einer auf der Sohle eines Schuhs aufgebrachten Farbe bestehe, die daher mit einem Bestandteil der Ware zusammenfalle. Insoweit sei fraglich, ob der Begriff „Form“ im Sinne dieser Bestimmung auf dreidimensionale Merkmale einer Ware wie deren Kontur, Abmessungen oder Umfang beschränkt sei oder ob er auch andere, nicht dreidimensionale Eigenschaften einer Ware erfasse.

In Anbetracht dessen hat die Rechtbank Den Haag (Gericht erster Instanz Den Haag) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Beschränkt sich der Begriff „vorm“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Richtlinie 2008/95 („Form“, „shape“ bzw. „forme“ in der deutschen, der englischen bzw. der französischen Fassung dieser Richtlinie) auf die dreidimensionalen Eigenschaften der Ware wie deren Konturen, Abmessungen oder Umfang (auszudrücken in drei Dimensionen), oder erfasst diese Bestimmung auch andere (nicht dreidimensionale) Eigenschaften der Ware wie Farbe?

 

 Zur Vorlagefrage

Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 3 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Richtlinie 2008/95 dahin auszulegen ist, dass ein Zeichen wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende, das aus einer auf der Sohle eines hochhackigen Schuhs aufgebrachten Farbe besteht, ausschließlich aus der „Form“ im Sinne dieser Bestimmung besteht.

Da der Begriff „Form“ in der Richtlinie 2008/95 nicht definiert ist, sind seine Bedeutung und Tragweite nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs entsprechend seinem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zu bestimmen, wobei zu berücksichtigen ist, in welchem Zusammenhang er verwendet wird und welche Ziele mit der Regelung verfolgt werden, zu der er gehört (vgl. entsprechend Urteil vom 3. September 2014, Deckmyn und Vrijheidsfonds, C?201/13, EU:C:2014:2132, Rn. 19).

Im Kontext des Markenrechts wird, wie die Europäische Kommission hervorgehoben hat, unter dem Begriff „Form“ allgemein die Gesamtheit der Linien oder Konturen verstanden, die die betreffende Ware räumlich begrenzen.

Weder aus der Richtlinie 2008/95 noch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs oder dem üblichen Wortsinn ergibt sich, dass eine Farbe als solche ohne räumliche Begrenzung eine Form darstellen kann.

Es stellt sich allerdings die Frage, ob der Umstand, dass eine bestimmte Farbe an einer spezifischen Stelle der betreffenden Ware aufgebracht wird, bedeutet, dass das fragliche Zeichen aus einer Form im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Richtlinie 2008/95 besteht.

Insoweit ist festzustellen, dass die Form der Ware oder eines Teils der Ware bei der räumlichen Begrenzung der Farbe zwar eine Rolle spielt, dass jedoch nicht angenommen werden kann, dass ein Zeichen aus dieser Form besteht, wenn die Eintragung der Marke nicht diese Form, sondern nur die Aufbringung einer Farbe an einer bestimmten Stelle dieser Ware schützen soll.

Wie die deutsche und die französische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission vorgetragen haben, bezieht sich die streitige Marke nicht auf eine bestimmte Form der Sohle von hochhackigen Schuhen, da es in der Markenbeschreibung ausdrücklich heißt, dass die Kontur des Schuhs nicht von der Marke umfasst ist, sondern nur dazu dient, die Position der von der Eintragung erfassten roten Farbe zu zeigen.

Jedenfalls kann ein Zeichen wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht als „ausschließlich“ aus der Form bestehend angesehen werden, wenn sein Hauptgegenstand wie im vorliegenden Fall eine Farbe ist, die nach einem international anerkannten Kennzeichnungscode festgelegt worden ist.

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Richtlinie 2008/95 dahin auszulegen ist, dass ein Zeichen wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende, das aus einer auf der Sohle eines hochhackigen Schuhs aufgebrachten Farbe besteht, nicht ausschließlich aus der „Form“ im Sinne dieser Bestimmung besteht.

 

 Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

Art. 3 Abs. 1 Buchst. e Ziff. iii der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken ist dahin auszulegen, dass ein Zeichen wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende, das aus einer auf der Sohle eines hochhackigen Schuhs aufgebrachten Farbe besteht, nicht ausschließlich aus der „Form“ im Sinne dieser Bestimmung besteht.