×

Rückruf vereinbaren

Ihre Nachricht an uns

Startseite
/
Urteile
/
Markenrecht
/
Urteile 2010
/
Widerspruchsrecht des Markeninhabers bei Inverkehrbringen von Ware in den EWR - EuGH, Beschluss vom 28.10.2010, Az.: C-449/09 Canon Kabushiki Kaisha/IPN Bulgaria OOD

Leitsätzliches

Art. 5 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. 12. 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken ist dahin auszulegen, dass der Inhaber einer Marke dem ohne seine Zustimmung erfolgenden ersten Inverkehrbringen von Originalwaren dieser Marke im Europäischen Wirtschaftsraum widersprechen kann. Die Richtlinie nicht dahin verstanden werden kann, dass sie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit belässt, in ihrem innerstaatlichen Recht die Erschöpfung der Rechte aus der Marke für in dritten Ländern in den Verkehr gebrachte Waren vorzusehen.

BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

28. Oktober 2010

„Art. 104 § 3 Abs. 1 der Verfahrensordnung – Marken – Richtlinie 89/104/EWG – Recht des Inhabers einer Marke, dem ersten ohne seine Zustimmung erfolgenden Inverkehrbringen von Waren dieser Marke im EWR zu widersprechen“

In der Rechtssache C-449/09

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Sofiyski gradski sad (Bulgarien) mit Entscheidung vom 30. Oktober 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 18. November 2009, in dem Verfahren

Canon Kabushiki Kaisha

gegen

IPN Bulgaria OOD

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-J. ... in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter M. ... (Berichterstatter) und E. ...,

Generalanwalt: Y. ...,

Kanzler: A. ...,

gemäß Art. 104 § 3 der Verfahrensordnung, wonach der Gerichtshof durch mit Gründen versehenen Beschluss entscheiden kann,

nach Anhörung des Generalanwalts

folgenden

Beschluss

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1).

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der nach japanischem Recht gegründeten Gesellschaft Canon Kabushiki Kaisha (im Folgenden: Canon) und der IPN Bulgaria OOD (im Folgenden: IPN Bulgaria), einer Gesellschaft nach bulgarischem Recht, zu von Canon hergestellten und ohne deren Zustimmung von einem Drittstaat aus nach Bulgarien an die Empfängerin IPN Bulgaria versandten Waren.

Die Richtlinie 89/104

Art. 5 („Rechte aus der Marke“) der Richtlinie 89/104 sah in Abs. 1 Buchst. a vor:

„Die eingetragene Marke gewährt ihrem Inhaber ein ausschließliches Recht. Dieses Recht gestattet es dem Inhaber, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr

a) ein mit der Marke identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die sie eingetragen ist“.

Nach Art. 5 Abs. 3 kann insbesondere verboten werden:

„a) das Zeichen auf Waren oder deren Aufmachung anzubringen;

b) unter dem Zeichen Waren anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen oder unter dem Zeichen Dienstleistungen anzubieten oder zu erbringen;

c) Waren unter dem Zeichen einzuführen oder auszuführen;

…“

Art. 7 („Erschöpfung des Rechts aus der Marke“) der Richtlinie 89/104 in seiner ursprünglichen Fassung bestimmte in Abs. 1:

„Die Marke gewährt ihrem Inhaber nicht das Recht, einem Dritten zu verbieten, die Marke für Waren zu benutzen, die unter dieser Marke von ihm oder mit seiner Zustimmung in der Gemeinschaft in den Verkehr gebracht worden sind.“

Nach Art. 65 Abs. 2 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3) in Verbindung mit Anhang XVII Nr. 4 dieses Abkommens wurde Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 89/104 in seiner ursprünglichen Fassung für die Zwecke dieses Abkommens angepasst, indem der Ausdruck „in der Gemeinschaft“ durch die Worte „in einem Vertragsstaat“ ersetzt wurde.

Die Richtlinie 89/104 wurde durch die Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (kodifizierte Fassung) (ABl. L 299, S. 25), die am 28. November 2008 in Kraft trat, aufgehoben. Im Ausgangsrechtsstreit findet jedoch in Anbetracht des für den Sachverhalt maßgeblichen Zeitpunkts weiterhin die Richtlinie 89/104 Anwendung.

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

Canon stellt Fotoapparate, Kopiergeräte, Drucker und andere Apparate her. Ihre Produkte werden unter dem Wortzeichen „CANON“ vertrieben. In der Europäischen Union ist dieses Zeichen als Gemeinschaftsmarke und in zahlreichen Mitgliedstaaten, darunter auch der Republik Bulgarien, als nationale Marke eingetragen.

Mit Schreiben vom 29. April 2008 teilte die Regionale Zolldirektion Burgas (Bulgarien) einem Vertreter von Canon mit, dass sie am 22. April 2008 eine Ladung Tonerkassetten der Marke CANON sichergestellt habe. Diese Ladung kam aus Hongkong (China) und war nach Bulgarien über den Hafen von Burgas eingeführt worden. Empfängerin der Ladung war IPN Bulgaria.

Mit Beschluss vom 16. Mai 2008 erließ das Sofiyski gradski sad (Sofioter Stadtgericht) auf Antrag von Canon die einstweilige Verfügung, die betreffenden Waren zu beschlagnahmen. Dieser Beschluss wurde mit Beschluss des Sofiyski apelativen sad (Sofioter Berufungsgericht) vom 26. Juni 2008 bestätigt. Aufgrund ihrer Beschlagnahme wurden diese Waren zur vorübergehenden Verwahrung bei der Regionalen Zolldirektion Burgas untergebracht.

Außerdem klagte Canon gegen IPN Bulgaria vor dem Sofiyski gradski sad und warf ihr vor, durch die Einfuhr der betreffenden Waren die ausschließlichen Rechte aus der Marke CANON verletzt zu haben.

Im Rahmen dieses Rechtsstreits wurde festgestellt, dass die betreffenden Tonerkassetten authentische Waren der Marke CANON sind und daher als „Original“-Waren anzusehen sind. Außerdem geht aus dem Vorlagebeschluss hervor, dass der Versand dieser Waren nach Bulgarien ohne die Zustimmung von Canon erfolgte. IPN Bulgaria bestreitet hingegen, dass eine „Einfuhr“ vorgelegen habe. Hierzu bringt sie vor, diese Waren seien bei ihr von einem in Serbien niedergelassenen Kunden bestellt worden, so dass deren Transport zu diesem über das bulgarische Staatsgebiet einen externen Versand darstelle.

Hinsichtlich der rechtlichen Frage, ob es dem Inhaber einer Marke gestattet ist, einem Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung Originalwaren dieser Marke in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) einzuführen, sind sich die Parteien nicht einig.

Im Laufe dieses Verfahrens erließ der Varhoven kasatsionen sad (Oberster Kassationsgerichtshof) hierzu ein Auslegungsurteil, in dem er entschied, dass die Einfuhr von Originalwaren aus einem Drittstaat ohne Zustimmung des Inhabers der auf diesen Waren angebrachten Marke für sich allein keine Verletzung der ausschließlichen Rechte aus der Marke darstelle.

Das Sofiyski gradski sad stellt sich die Frage, ob dieses Auslegungsurteil mit dem Unionsrecht vereinbar sei, und hat daher entschieden, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 5 der Richtlinie 89/104, soweit er dem Markeninhaber das ausschließliche Recht gewährt, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr ein mit der Marke identisches Zeichen zu benutzen, etwa Waren unter dem Zeichen einzuführen oder auszuführen, dahin auszulegen, dass die Rechte des Markeninhabers das Recht einschließen, eine Benutzung der Marke ohne seine Zustimmung durch Einfuhr von Originalwaren zu verbieten, sofern die Rechte des Markeninhabers nicht im Sinne von Art. 7 der Richtlinie erschöpft sind?

 Zur Vorlagefrage

Nach Art. 104 § 3 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof, wenn die Antwort auf eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann, nach Anhörung des Generalanwalts durch Beschluss entscheiden, der mit Gründen zu versehen ist und auf die betreffende Rechtsprechung verweist.

Dies ist bei der hier vorgelegten Frage der Fall.

Was zum einen den Begriff der „Einfuhr“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 89/104 betrifft, ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof im Urteil vom 18. Oktober 2005, Class International (C-405/03, Slg. 2005, I?8735, Randnrn. 42 bis 44), für Recht erkannt hat, dass keine „Einfuhr“ im Sinne dieser Bestimmung vorliegt, falls aus einem Drittstaat in einen Mitgliedstaat versendete Originalwaren noch nicht in den zollrechtlich freien Verkehr, sondern in das Zolllagerverfahren überführt worden sind.

Der Markeninhaber kann jedoch für diese physisch in den EWR eingeführten, aber noch nicht in den zollrechtlich freien Verkehr überführten Waren unter Anwendung von Art. 5 Abs. 1 und 3 Buchst. b der Richtlinie 89/104 mit Erfolg eine Verletzung seiner ausschließlichen Rechte geltend machen, wenn erwiesen ist, dass diese Waren in einer Art und Weise verkauft oder zum Verkauf angeboten wurden, die notwendig das Inverkehrbringen in den EWR impliziert (Urteil Class International, Randnr. 58).

Unter Anwendung dieser Grundsätze obliegt es dem vorlegenden Gericht, zu prüfen, ob IPN Bulgaria sich anschickt, die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Waren im EWR in den Verkehr zu bringen, oder sie einem anderen Wirtschaftsteilnehmer anbietet oder verkauft, der sie mit Sicherheit im EWR in den Verkehr bringen wird (vgl. entsprechend Urteil Class International, Randnr. 60).

Was zum anderen die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage betrifft, ob Art. 5 der Richtlinie 89/104 dahin auszulegen ist, dass der Inhaber einer Marke dem ohne seine Zustimmung erfolgenden ersten Inverkehrbringen von Originalwaren dieser Marke im EWR widersprechen kann, ist festzustellen, dass sich eine Bejahung dieser Frage aus mehreren Urteilen des Gerichtshofs ableitet.

Der Gerichtshof hat in Randnr. 26 des Urteils vom 16. Juli 1998, Silhouette International Schmied (C-355/96, Slg. 1998, I?4799), entschieden, dass die Richtlinie nicht dahin verstanden werden kann, dass sie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit belässt, in ihrem innerstaatlichen Recht die Erschöpfung der Rechte aus der Marke für in dritten Ländern in den Verkehr gebrachte Waren vorzusehen.

In späteren Urteilen hat der Gerichtshof im Hinblick auf das Urteil Silhouette International Schmied näher ausgeführt, dass die Wirkung der Richtlinie 89/104 darin besteht, die Erschöpfung des dem Markeninhaber gewährten Rechts auf die Fälle zu beschränken, in denen die Waren im EWR in den Verkehr gebracht worden sind, und diesem Inhaber demnach zu gestatten, das erste Inverkehrbringen der mit seiner Marke versehenen Waren im EWR zu kontrollieren (Urteile vom 20. November 2001, Zino Davidoff und Levi Strauss, C-414/99 bis C-416/99, Slg. 2001, I-8691, Randnr. 33, vom 8. April 2003, Van Doren + Q, C-244/00, Slg. 2003, I-3051, Randnr. 26, und vom 30. November 2004, Peak Holding, C-16/03, Slg. 2004, I-11313, Randnr. 36).

Wenn somit Waren einer Marke nicht früher vom Inhaber dieser Marke oder mit seiner Zustimmung im EWR in den Verkehr gebracht wurden, gewährt Art. 5 der Richtlinie diesem Inhaber ein ausschließliches Recht, das es ihm u. a. gestattet, Dritten zu verbieten, diese Waren einzuführen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen (vgl. Urteil Peak Holding, Randnr. 34).

Insgesamt folgt aus dieser Rechtsprechung: Falls das vorlegende Gericht am Ende der in Randnr. 20 des vorliegenden Beschlusses erwähnten Sachverhaltsprüfung zu dem Schluss käme, dass IPN Bulgaria sich anschicke, die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Waren im EWR in den Verkehr zu bringen, oder einem anderen Wirtschaftsteilnehmer anbiete oder verkaufe, der sie mit Sicherheit im EWR in den Verkehr bringen werde – woraus sich in Anbetracht der unstreitigen Teile des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits ergäbe, dass es sich um ein erstes Inverkehrbringen von Originalwaren im EWR ohne Zustimmung des Markeninhabers handelt –, wäre die erwähnte Rechtsprechung, wonach der betreffende Inhaber diesem Inverkehrbringen widersprechen könne, zu übernehmen.

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 5 der Richtlinie 89/104 dahin auszulegen ist, dass der Inhaber einer Marke dem ohne seine Zustimmung erfolgenden ersten Inverkehrbringen von Originalwaren dieser Marke im EWR widersprechen kann.

 Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 5 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken ist dahin auszulegen, dass der Inhaber einer Marke dem ohne seine Zustimmung erfolgenden ersten Inverkehrbringen von Originalwaren dieser Marke im Europäischen Wirtschaftsraum widersprechen kann.

(Unterschriften)