Leitsätzliches
Transporthandlungen zum Zwecke des Transitverkehrs von Waren stellen nicht zwingend einen markenrechtlichen Verstoß dar, wenn die Zustimmung des Marken- oder Lizenzberechtigten fehlen. Andernfalls gibt es keinen gerichtlichen Entscheidungsspielraum mehr, was vom Gesetzgeber ersichtlich nicht gewollt ist.OBERLANDESGERICHT KOBLENZ
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Aktenzeichen: 6 U 58/03
Entscheidung vom 13. Mai 2004
In dem Rechtsstreit
...
gegen
...
Der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Landgericht ... auf die mündliche Verhandlung vom 25. März 2004
für Recht erkannt:
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Vorsitzenden der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Koblenz vom 11. Dezember 2002 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerinnen können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Gründe:
Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird Bezug genommen.
Durch das mit der Berufung angefochtene Urteil hat das Landgericht der Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln untersagt, Kosmetika, die nicht mit Zustimmung der Markeninhaberinnen oder eines sonstigen Berechtigten in Deutschland oder einem anderen Mitgliedsland der Europäischen Union unter den im Urteilstenor näher angegebenen Markenbezeichnungen in den Verkehr gelangt seien, durch die Bundesrepublik Deutschland durchzuführen oder durchführen zu lassen. Des Weiteren hat das Landgericht die Verpflichtung der Beklagten ausgesprochen, den Klägerinnen Auskunft über den Umfang der von ihr zu vertretenden Verletzungshandlungen zu erteilen und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet sei, den Klägerinnen sämtlichen ihnen entstandenen oder noch entstehenden Schaden zu ersetzen.
Schließlich ist der Beklagte nach dem Urteil des Landgerichts verpflichtet, die vom Hauptzollamt T.... -Zollamt H...-Flughafen- beschlagnahmten Kosmetika unter Aufsicht eines von den Klägerinnen zu bestimmenden Gerichtsvollziehers zu vernichten. Mit der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung verfolgt die Beklagte ihr erstinstanzliches Begehren auf Klageabweisung weiter.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze der Parteien nebst Urkunden verwiesen.
II.
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
Den Klägerinnen steht ein Anspruch gegen die Beklagte auf Unterlassung der Durchfuhr markenrechtlich geschützter Waren durch das Gebiet der BRD , soweit diese nicht mit der jeweiligen Zustimmung der Markeninhaberin oder eines von ihr autorisierten Rechtsträgers im europäischen Wirtschaftsraum in den Verkehr gelangt sind, nicht zu.
Entgegen der auf eine breite Literaturmeinung ( vgl. Sack, RIW 1995, S.177 (181 ff); Fezer, Markengesetz, 3.Aufl., § 14 Rn.483; Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 2.Aufl., § 14 Rn.199 ff) gestützten Rechtsansicht des Landgerichts geht der Senat -insoweit in Übereinstimmung mit den Feststellungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in seiner Entscheidung vom 23. Oktober 2003 - Az.: C-115/02- ( GRUR Int. 2004, S. 39f )- nicht davon aus, dass jeder ohne Erlaubnis des Rechtsträgers erfolgte Transit gekennzeichneter Ware durch das Bundesgebiet eine Verletzungshandlung im Sinne des § 14 Abs.2 Nr.1 MarkenG darstellt, die zu einem Unterlassungsanspruch nach Abs.5 dieser Bestimmung führt. Eine ausdrückliche Regelung, wonach die reinen Transporthandlungen zum Zwecke des Transits unter den markenrechtlichen Schutz fallen, kennt das Markengesetz nicht. Die Durchfuhr geschützter Ware ist neben der in § 14 Abs.3 MarkenG geregelten Ein- und Ausfuhr nicht ausdrücklich aufgeführt.
Soweit § 14 Abs.3 MarkenG gesetzestechnisch vor der enumerativen Aufzählung der einzelnen Verletzungshandlungen einleitend die Formulierung enthält: "... so ist es insbesondere untersagt, ...", kann hieraus allenfalls der Schluss gezogen werden, dass eine abschließende Benennung der Rechtsverstöße durch den Gesetzgeber nicht erfolgt ist. Einen Anhalt für die Annahme, die Vorschrift schließe auch den Fall des ungebrochenen Transits markierter Originalware als gleichwertige Benutzungshandlung ein, vermag der Senat hierin nicht zu erkennen.
Zu prüfen war daher, ob sich die gesetzgeberische Intention aus anderen Rechtsquellen, insbesondere aus der amtlichen Begründung der Bundesregierung zum deutschen Markengesetz (Bundestagsdrucksache 12/6581) erschließt.
In den dortigen Erläuterungen zu § 14 MarkenG (Verbotstatbestände, Unterlassungsanspruch) wird insoweit ausgeführt, die "Durchfuhr" sei nicht ausdrücklich aufgenommen worden. Dies beruhe nicht etwa darauf, dass in der Durchfuhr keine Markenverletzung gesehen werden könne. Eine solche Schlussfolgerung verbiete sich bereits wegen der nur beispielhaften Bezeichnung der Verletzungstatbestände in § 14 Abs.3 MarkenG. Bei Durchfuhrtatbeständen könne vielfach auch der Einfuhr- und Ausfuhrtatbestand erfüllt sein.
Im Übrigen solle es der Rechtsprechung überlassen bleiben, ob in bestimmten Durchfuhrfällen (wenn z.B. dem Inhaber der mit einer Marke versehenen durchgeführten Ware sowohl im Ausfuhrland wie im Bestimmungsland Markenschutz zustehe) von dem Vorliegen eines Verletzungstatbestands nicht gesprochen werden könne.
Auch aus der Gesetzesbegründung ergibt sich insoweit keine eindeutige Aussage mit Blick auf die hier streitige Frage einer Markenrechtsverletzung im Transitland (so auch Starck, GRUR 1996, S.693). Wenn der Gesetzgeber jedoch in der vorzitierten Begründung zum Markengesetz davon spricht, dass es der Rechtsprechung überlassen bleiben solle, im Einzelfall zu entscheiden, inwieweit die Durchfuhr keine Markenverletzung darstelle, so wird diese Formulierung nur verständlich, wenn nicht generell jede Form des Transits den Tatbestand des § 14 Abs.3 MarkenG unterliegt und es Fälle mit geringerem Unwertgehalt gibt, die die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Markengesetz nicht erfüllen.
Nur unter diesem Gesichtspunkt bleibt Raum für den der Rechtsprechung eingeräumten Ermessensspielraum, unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles eine sach- und interessengerechte Entscheidung zu treffen.
Würde indes jede Durchfuhr ohne Zustimmung des Markeninhabers oder des Lizensberechtigten zu einem markenrechtlichen Verstoß führen und wäre damit der Entscheidungsspielraum der Rechtsprechung auf Null reduziert, so käme dies einer gesetzlichen Normierung gleich, die von dem Gesetzgeber ersichtlich nicht gewollt war.
Nur in diesem Sinne können auch die weiteren Erwägungen in der amtlichen Begründung verstanden werden, in den Transitfällen sei vielfach auch der Einfuhr- und Ausfuhrtatbestand erfüllt.
Das Herausstellen dieser ausdrücklich in den Anwendungsbereich der § 14 Abs.3 MarkenG aufgenommenen Verletzungshandlungen, die jeweils auch den Tatbestand des Besitzens zum Zweck des Warenumsatzes einschließen, ebenso wie die Inbezugnahme des Umstandes, dass die gekennzeichnete Ware unter Umständen sowohl im Ausfuhr- als auch im Bestimmungsland Markenschutz genieße und daher nicht zwingend von dem Regelungsgehalt des § 14 Abs.2 MarkenG umfasst sein müsse, machen deutlich, dass eine graduelle Abstufung zwischen unterlassungsbewehrten Transporthandlungen und solchen, die keines markenrechtlichen Schutzes bedürfen, gerechtfertigt ist, so dass Raum für eine fallspezifische Beurteilung bleibt.
Auch wenn der Gesetzgeber in Abkehr von der Rechtslage nach dem Warenzeichengesetz und der hierzu ergangenen Rechtsprechung für die Tatbestände der Ein- und Ausfuhr die konkrete Gefahr des inländischen Inverkehrbringens nicht mehr verlangt, sondern genügen lässt, dass die zugrunde liegenden Handlungen zum Zwecke des Inverkehrbringens erfolgen, würde die Gleichsetzung des reinen Transports mit diesen Handlungsformen ohne sonstige die Widerrechtlichkeit begründenden Umstände den Unwertgehalt im Vergleich zu den im Gesetz ausdrücklich genannten Fällen deutlich herabsetzen und den Regelungsbereich des § 14 MarkenG in einem Umfang ausweiten, der sich weder aus dem Markengesetz selbst noch aus den Motiven zu diesem Gesetz herleiten lässt.
Die vorstehenden Überlegungen stehen auch in Einklang mit der jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte.
In seiner Entscheidung vom 23. Oktober 2003 (a.a.O.) hat der Gerichtshofs in Bezug auf einen mit der hier zu beurteilenden Fallgestaltung in den wesentlichen Punkten vergleichbaren Sachverhalt unter den Ziffern 25, 26 und 27 wörtlich ausgeführt: "Was das Gebiet der Marken angeht, so besteht nach ständiger Rechtsprechung der spezifische Gegenstand des Markenrechts insbesondere darin, dem Inhaber das ausschließliche Recht zu sichern, die Marke beim erstmaligen Inverkehrbringen einer Ware zu benutzen und ihn so vor Konkurrenten zu schützen, die unter Mißbrauch der Stellung und des guten Rufes der Marke widerrechtlich mit dieser Marke versehene Ware veräußern ... ."
Weiter heißt es in dieser Entscheidung :
"Die Durchführung eines solchen Schutzes ist also mit einer Vermarktung der Waren verbunden.
Eine Durchfuhr wie die im Ausgangsfall, die darin besteht, in einem Mitgliedsstaat rechtsmäßig hergestellte Waren durch das Hoheitsgebiet eines oder mehrerer Mitgliedsstaaten in einen Drittstaat zu befördern, impliziert keine Vermarktung der betreffenden Waren und kann folglich den spezifischen Gegenstand des Markenrechts nicht verletzen."
Wenn der EuGH mithin zu der Feststellung gelangt, dass die bloße Beförderung in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellter Ware den spezifischen Gegenstand des Markenrechts nicht verletze, da die Durchfuhr ihrem Wesen nach kein Inverkehrbringen darstelle, so kommt hierin klar zum Ausdruck, dass über die bloße Transporthandlung hinaus ein "weiteres" rechtsverletzendes Moment vorhanden sein muss, das den Unwert dieser Handlung begründet.
Bei dem hier im Streit befindlichen Sachverhalt fehlt es hingegen an solchen über die bloße Durchfuhr hinausgehenden Unrechtsmerkmalen. Es handelt sich bei dem Beschlagnahmegut ausschließlich um Orginalware, für die nach dem unstreitigen Vorbringen der Beklagten (Schriftsatz vom 23. November 2001, Seite 6) sowohl in dem Ausfuhrland Russland als auch in dem Bestimmungsland, den USA, den Rechtsinhabern Markenschutz zusteht. Konkrete Anhaltspunkte für die Absicht der Beklagten, die Kosmetika in dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in den Verkehr zu bringen, bestehen nicht.
Die in erster Instanz durchgeführte Beweisaufnahme hat eine solche Vermutung der Klägerinnen nicht bestätigt. Allein der Umstand, dass die Möglichkeit des Missbrauchs in Form des Scheintransits durch Umleiten der Ware auf dem Versandweg nicht auszuschließen ist, rechtfertigt den Erlass einer Unterlassungsanordnung in Ansehung der vorstehenden Überlegungen nicht. Die Beurteilung des Senats steht auch nicht in Widerspruch zu der früheren Rechtsprechung des EuGH.
Zwar hat der Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 6. April 2000 -Az.: C-383/98- ( GRUR Int. 2000, S. 748ff ) unter Ziffer 29 ausführt, Art.1 der Verordnung sei dahin auszulegen, dass diese Bestimmung auch auf solche Sachverhalte Anwendung finde, bei denen aus einem Drittstaat eingeführte Waren bei ihrer Durchfuhr in einen anderen Drittstaat von den Zollbehörden eines Mitgliedstaates vorläufig angehalten werde.
Insoweit ist jedoch anzumerken, dass in dem dortigen Streitfall zu entscheiden war, ob die Durchfuhr nachgeahmter Waren und unerlaubt hergestellter Vervielfältigungsstücke oder Nachbildungen von dem Schutzbereich des Art.1 der Verordnung (EG) Nr.3295/94 umfasst ist.
In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall war Gegenstand also unstreitig eine Markenschutzverletzung, die über die reine Transporthandlung hinausging.
Der Senat verkennt insoweit nicht, dass das Markengesetz, entgegen der Rechtslage bei der Geltung des Warenzeichengesetzes, auch die Benutzung gekennzeichneter Originalware schützt, also auch bei bestehender Identität von Marke und Ware eingreift. Da jedoch entsprechend der vorstehenden Erläuterungen der bloße Transit einer ansonsten markenrechtlich nicht bedenklichen Ware unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH vom 23. Oktober 2003 (a.a.O.) keine markenrechtliche Verletzung darstellt, erfährt diese Feststellung auch unter Einbeziehung der sich aus der Entscheidung des EuGH vom 6. April 2000 ergebenden Grundsätze keine Einschränkung.
Nach alledem haben die Klägerinnen keinen Anspruch auf Unterlassung der Durchfuhr der von ihnen im einzelnen näher bezeichneten Kosmetika durch das Gebiet der BRD. Die Klage ist daher auch hinsichtlich des weiteren, auf die Verletzung markenschutzrechtlicher Bestimmungen gestützen Auskunfts- und Leistungsbegehrens nicht begründet.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.
IV.
Die Revision war gemäß § 543 Abs.2 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
(Unterschriften)