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OLGHamm, Urteil vom 05. November 2002, AZ.: 19 U 41/02 - Zwangstrennung von 0190er-Verbindungen

Leitsätzliches

Das OLG Hamm ist - mit dem LG Heidelberg - der Ansicht, der Telefonanschluss-Anbieter sei zum Schutze des Kunden zur Zwangstrennung von Dauerverbindungen über 0190-Nummern verpflichtet. Diese vertragliche Nebenpflicht führt dazu, dass ein grundsätzlicher Anspruch auf Zahlung der Gebühren auch für eine über 9 Stunden andauernde Verbindung auf die Gebühren für 1 Stunde reduziert wurde. Allerdings hatte der Beklagte vorgetragen, dass er versucht hatte, die Verbindung bereits nach kurzer Zeit getrennt zu haben. Werden ersichtlich keine Leistungen mehr abgerufen, soll der Gebührenanspruch sich entsprechend reduzieren.

OBERLANDESGERICHT HAMM

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

Aktenzeichen: 19 U 41/02

 

 

Vorinstanz: LG Detmold - 1 O 291/01

 

Verkündet am 5. November 2002

..., Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

 

In dem Rechtsstreit

 

...

gegen

...

 

hat der 19. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 1. Oktober 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... sowie den Richter am Landgericht ...

 

für R e c h t erkannt:

 

Auf die Berufung des Beklagten und die Anschlußberufung der Klägerin wird das am 28. Dezember 2001 verkündete Urteil der Zivilkammer 1. des Landgerichts Detmold abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

 

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 126,43 € (= 247,28 DM) nebst 5,5 % Zinsen seit dem 18. April 2001 zu zahlen.

 

Im übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weitergehenden Rechtsmittel werden zurückgewiesen.

 

Die Kosten des Rechtsstreits tragen zu 98 % die Klägerin und zu 2 % der Beklagte.

 

Die Revision wird zu Gunsten der Klägerin zugelassen.

 

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

 

Tatbestand:

 

 

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Bezahlung ihrer Telefonrechnung vom 2. Februar 2000 für den Monat Januar 2000, die sich über insgesamt 14.913,40DM beläuft, in Anspruch. Neben in der Berufungsinstanz unstreitig gestellten monatlichen Nettogrundgebühren von 21,38 DM und ebenfalls mittlerweile unstreitig gestellten City-, Regional- und Deutschlandverbindungen von 4,23 DM weist diese Rechnung einen Nettobetrag von 12.830,77 DM für eine am 20. Januar 2000 hergestellte, insgesamt 68 Stunden, 22 Minuten und 43 Sekunden andauernde Verbindung zu einer 01 90-Servicenummer auf.

 

An dem Anschluß des Beklagten, der sich in einem in seinem Wohnhaus eingerichteten Büroraum befindet, ist ein von der Klägerin früher vertriebenes kombiniertes Telefon-Telefaxgerät vom Typ „AF 310 T“ angeschlossen, das über einen eingebauten Raumlautsprecher verfügt, der durch Betätigen einer dafür vorgesehenen Taste eingeschaltet werden kann. Der Beklagte verfügt darüber hinaus in seinem Haus über einen zweiten Telefonanschluß zum Netz der Klägerin mit einer anderen Rufnummer. Von diesem Anschluß aus wurden in den Monaten Mai bis November 1999 Gespräche zu 0190-Nummern mit monatlichen Gebühren von durchschnittlich 38,00 DM geführt. Den hier streitigen Anschluß nutzt der Beklagte nach seinem Vorbringen ohne Ausnahme als Faxanschluß.

 

Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung des Rechnungsbetrages von 14.913,40 DM nebst 4 % Zinsen verurteilt und die Klage lediglich wegen der Zinsmehrforderung abgewiesen: Der Klägerin Stehe gegen den Beklagten aus dem Telefondienstvertrag ein Anspruch auf Zahlung der Telefonrechnung vom 2. Februar 2000 zu. Der Beklagte habe weder hinreichend darlegen noch beweisen können, daß die streitige Verbindung zu der 0190-Nummer aufgrund von Ursachen zustandegekommen sei, die nicht in seiner Sphäre gelegen hätten. Der Anscheinsbeweis spreche für die Richtigkeit der Abrechnung der Klägerin.

 

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er sein erstinstanzliches Begehren der Klägeabweisung weiterverfolgt. Er behauptet, daß er selbst, seine Ehefrau und sein Sohn zum Zeitpunkt der Herstellung der streitigen Verbindung zu der 0190-Nummer abwesend gewesen seien und andere Personen keinen Zugang zu dem Anschluß hätten. Seinem Anschluß sei durch - unvermeidbare – Restfehler in dem Abrechnungssystem von Telekommunikationsanbietem ein falsches Gespräch zugeordnet worden. Die Abrechnungssysteme aller Netzbetreiber wiesen nämlich Probleme und Mängel auf. Auch seien Übertragungsfehler in der Datenübertragung zwischen den Gesprächserfassungssystemen (Vermittlungsstellen in der Nähe der Teilnehmer) und der Weiterverarbeitung (zentrale Recheneinheit) möglich. Aus diesem Grunde könne nicht mehr von einem für die Richtigkeit der Abrechnung der Klägerin sprechenden Anscheinsbeweis ausgegangen werden. Die Grundsätze des Anscheinsbeweises könnten hier auch deshalb keine Geltung haben, da die von der Klägerin veranlaßte technische Vollprüfung seines Anschlusses erst drei Monate nach der angeblichen Verbindung vorgenommen worden sei und demgemäß über den technischen Zustand der Abrechnungseinrichtungen bezogen auf den Zeitpunkt des. 20. Januar 2000 nicht aussagekräftig sei.

 

Der Beklagte vertritt die Auffassung, die Klägerin habe eine ihm gegenüber bestehende Sorgfaltspflicht verletzt. Angesichts der von ihm bereits am 7. Februar 2000 vorgenommenen Beanstandung der Rechnung vom 2. Februar 2000 bei der Kundenniederlassung Detmold und der erst Anfang April von der Klägerin in Auftrag gegebenen Eilprüfung hätte sich bei dieser aufdrängen müssen, daß eine Klärung innerhalb der Sechsmonatsfrist der Telekommunikationsdatenschutzverordnung nicht gewährleistet gewesen sei. Aufgrunddessen hätte die Klägerin veranlassen müssen, daß die Daten bei dem technischen Dienstleister für den Anbieter der 0190-Nummer überprüft und nicht gelöscht wurden. Aufgrund der Löschung der Verbindungsdaten sei nicht mehr nachvollziehbar, ob die Verbindung bestanden habe. Dies gehe aus dem Gesichtspunkt der fahrlässigen Beweisvereitelung zu Lasten der Klägerin.

 

Im übrigen habe die Klägerin Schutzvorkehrungen vor unbeabsichtigten Kosten — etwa durch Einrichtung einer automatischen Abschaltung der Verbindung — treffen müssen. In diesem Zusammenhang ist unstreitig, daß aufgrund einer Anweisung der Regulierungsbehörde Verbindungen zu 0190-Nummern zwangsweise nach einer Stunde unterbrochen werden, und zwar seit März 2000.

 

Der Beklagte beantragt,

 

unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen.

 

 

Die Klägerin stellt den Antrag,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie erhebt Anschlußberufung mit dem Antrag,

 

das angefochtene Urteil mit der Maßgabe aufrechtzuerhalten, daß auf die Hauptforderung 5,5 % Zinsen seit dem 18. April 2001 zu zahlen sind.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Anschlußberufung zurückzuweisen.

 

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil: Der Beklagte habe den für sie sprechenden Anscheinsbeweis nicht erschüttert. Zum einen habe unstreitig eine Vollprüfung des Anschlusses des Beklagten stattgefunden. Im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfung sei am 04.02.2000 ein Ausdruck erstellt worden, wonach die Verbindung zu der 0190-Nummer schon 48 Stunden bestand. Allein aus diesem Umstand ergebe sich, daß es diese Verbindung tatsächlich von dem Anschluß des Beklagten zu der Zielrufnummer gegeben habe. Manipulationen am Anschluß des Beklagten von außen könnten wegen der Vollprüfung ausgeschlossen werden, dies gelte auch hinsichtlich technischer Fehler. Der für sie sprechende Beweis des ersten Anscheins für die Richtigkeit der aufgezeigten Daten und damit auch ihrer Rechnung werde nicht durch die Dauer der Verbindung erschüttert. Es könne nämlich durchaus möglich sein, daß zunächst nur eine kurze Verbindung zu einer 01 90-Nummer gewollt gewesen und diese dann nicht ordnungsgemäß beendet worden sei. Vorliegend seien von Beginn des Gesprächs an und sodann alle 1.795 Sekunden bis zum Ende der Verbindung insgesamt 104 Datensätze gebildet worden, die alle auf die gleiche Ursprungs- und die gleiche Zielnummer verwiesen und die alle zeitlich hintereinander gereiht seien. Da eine Auswertung der „mitlaufenden Meldungen“ erfolgt sei, die erfaßten Kommunikationsdatensätze in der Rechnungsauswertung die gleichen Daten ergaben und die Vollprüfung keinen Hinweis auf Fehler in der Vermittlungstechnik ergeben hätte, sei es ausgeschlossen, daß das Gespräch nicht von dem Anschluß des Beklagten geführt und nicht richtig berechnet worden sei. Zudem sei auch kein Fehlerhinweis auf eine nicht ordnungsgemäß arbeitende Software dokumentiert. Ihre eingesetzten Vermittlungssysteme wiesen keine Schwächen auf, die zu einer falschen Zuordnung und damit falschen Berechnung von Verbindungspreisen führten. Letztlich könne ihr auch weder die Verletzung einer Sorgfalts- noch einer Aufklärungspflicht vorgeworfen werden. Nach der Telekommunikationsdatenschutzverordnung müßten Verbindungsdaten nach sechs Monaten gelöscht werden, insoweit bestünde ihrerseits keine Sorgfaltspflicht gegenüber ihren Kunden. Sie sei auch nicht zur Aufklärung ihres Kunden bezüglich technischer Probleme bei der Nichtbeendigung einer teuren Fernverbindung oder gar zur Zwangstrennung der Verbindung verpflichtet gewesen. Insoweit wisse der Kunde, daß eine solche Verbindung teuer sei und daß eine Verbindung bestehen bleibe, falls der Hörer nicht richtig aufgelegt werde.

 

Im Wege der Anschlußberufung begehrt die Klägerin darüber hinaus die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 5,5 % Zinsen auf die geltend gemachte Hauptforderung.

 

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen ..., ... und ... .

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

A.

 

Die zulässige Berufung des Beklagten hat überwiegend Erfolg. Die Klägerin kann - neben dem zwischen den Parteien unstreitigen Gebührenaufkommen in Höhe von 15,19 € (= 29,71 DM) - von dem Beklagten aufgrund des zwischen den Parteien abgeschlossenen Telefondienstvertrages lediglich die Zahlung weiterer 111,24 € verlangen.

 

I.

Ohne Erfolg wendet sich der Beklagte allerdings gegen die Feststellung des Landgerichts, das in der Rechnung vom 2. Februar 2000 für die Verbindung zu der 0190-Servicenummer ausgewiesene Entgelt in Höhe von 12.830,77 DM netto sei ordnungsgemäß erfaßt worden. Die Klägerin hat die von dem Beklagten ihr gegenüber am 07.02.2000 telefonisch erhobenen Beanstandungen zum Anlaß genommen, in der Zeit vom 7. April 2000 bis zum 8. Mai 2000 eine Vollprüfung der Telefoneinrichtung und der Gebührenerfassung durchzuführen. Wie der technische Mitarbeiter der Klägerin, der Zeuge ..., gegenüber dem Senat bestätigt hat, beschränkte sich diese Untersuchung nicht nur auf die Telefoneinrichtungen im Hause des Beklagten, sondern erfaßte auch sämtliche von dem Anschluß des Beklagten aus erreichbaren technischen Einrichtungen in der Vermittlungsstelle sowie das Kabelnetz. Auch die Überprüfung des Hausverteilerkastens für den Telefonanschluß des Beklagten hat keinerlei Anhaltspunkte für eine sog. „Aufschaltung“ eines Dritt-Telefonanschlusses ergeben. Vielmehr ergab die Überprüfung, wie dies auch in den Prüfunterlagen (Anlagenkonvolut K 2 zur Klageschrift vom 22. Mai 2001) dokumentiert ist, die Ordnungsmäßigkeit der technischen Einrichtungen. Nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen spricht unter diesen Umständen der Beweis des ersten Anscheins dafür, daß die Telefoneinheiten von dem Anschluß des Beklagten verursacht und auch verbraucht worden sind (vgl. zum Problemkreis OLG München, Archiv PT 1997, 54 ff; OLG Düsseldorf, a.a.O. 1998, 53; OLG Köln NJWRR 1998, 1363). Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die Vollprüfung erst im April/Mai 2000 erfolgt ist. Insoweit hat der Zeuge vor dem Senat bestätigt, daß für den Zeitraum, in dem das Gespräch geführt worden ist, keinerlei Fehlermeldungen aufgezeichnet worden seien, was aber der Fall gewesen wäre, falls es technische Fehler gegeben hätte. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich geworden, daß die Vollprüfung auf Grund des zeitlichen Abstandes für die hier streitige Verbindung nicht oder nur eingeschränkt aussagekräftig sein könnte.

 

II.

Dem Beklagten ist es nicht gelungen, den damit gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis zu erschüttern: Selbst wenn man die Behauptung des Beklagten, seine Ehefrau und er hätten sich zu dem Zeitpunkt, als die streitige Verbindung hergestellt wurde, nicht im Hause aufgehalten, Angestellte, die über einen Schlüssel zu seinem Haus verfügten, hätte er nicht, an sonstige Verwandte sei auch kein Hausschlüssel ausgehändigt worden, als zutreffend unterstellt, verbleibt nach der persönlichen Anhörung des Beklagten und den Bekundungen der Zeugen ... und ... die Möglichkeit, daß der Zeuge ... am 20. Januar 2000 um 13:09:24 Uhr die streitige Verbindung zu der 0190-Servicenummer hergestellt und diese versehentlich nicht wieder getrennt hat. Der Zeuge hat nämlich bestätigt, daß nach Ende seines vormittäglichen Berufsschulbesuchs um 12.50 Uhr bis zum Beginn seiner Arbeit in seiner Firma um 13.30 Uhr aufgrund der räumlichen Entfernung zwischen der Berufsschule, seinem Elternhaus und den Geschäftsräumen seiner arbeitgebenden Firma die Möglichkeit bestanden hätte, vor Arbeitsantritt nach Hause zu fahren, dies habe er in der Vergangenheit auch gelegentlich gemacht, wenn er nach dem Sportunterricht die Kleidung habe wechseln wollen.

 

Soweit der Zeuge in Abrede gestellt hat, daß er an diesem Tage zuhause gewesen ist und um 13.09 Uhr die Verbindung zu einer 0190-Nummer hergestellt hat, reicht dies nicht aus, um den von der Klägerin geführten Anscheinsbeweis zu erschüttern. Unstreitig sind zum einen schon vor dem hier streitigen Gespräch in den Monaten von Mai bis November 1999 von dem im Hause des Beklagten vorhandenen zweiten Telefonanschluß zum Netz der Klägerin Gespräche zu 01 90-Serviceanbietern mit einem Gebührenaufkommen von durchschnittlich monatlich 38,00 DM geführt worden. Zu diesen früheren Gesprächen befragt, äußerten sich der Beklagte und die beiden Zeugen ... ausgesprochen zurückhaltend und machten zudem hierzu teilweise widersprüchliche Angaben. Während der Beklagte bekundet hat, er habe solche Gespräche selbst nie geführt, ihm seien die in der Vergangenheit berechneten Gespräche zu 0190-Nummern auch nicht in den Rechnungen aufgefallen und die Tatsache der Verbindung zu 0190-Nummern sei auch nicht innerhalb der Familie diskutiert worden, hat die Zeugin ... - wenn auch erst auf mehrmaliges Nachfragen durch den Senat hin - bestätigt, daß sie „vorher schon mal einen Anruf zu einer 0190-Nummer auf der Rechnung „gehabt hätten“, darüber sei auch innerhalb der Familie gesprochen worden, man habe allerdings nicht darüber geredet, wer telefoniert hätte. Nach den Angaben des Zeugen ... waren die Gespräche zu 01 90-Serviceanbietem Gegenstand der familiären Diskussion, wobei der Zeuge allerdings nicht mehr wissen wollte, ob diese Diskussionen vor oder nach Erhalt der Rechnung der Klägerin vom 2. Februar 2000 stattgefunden haben. Angesichts dieser — von der Aussagefreudigkeit her äußerst zurückhaltend und erst auf - teilweises - mehrfaches Nachfragen hin gemachten - Angaben hält es der Senat nach den Gesamtumständen für durchaus möglich, daß der Zeuge ... am 20. Januar 2000 die Verbindung zu der 0190-Servicenummer hergestellt, diese aber versehentlich nicht wieder getrennt hat, weil er möglicherweise den an dem Telefaxgerät befindlichen Hörer nicht wieder richtig auf das Gerät gelegt oder - nach Führung des Gesprächs über den Raumlautsprecher - die entsprechende Lautsprechertaste nicht oder nicht richtig betätigt hat, technische Möglichkeiten, wie sie die Klägerin aufgezeigt und infolge derer die Verbindung dann insgesamt 68 Stunden, 22 Minuten und 43 Sekunden bestanden hat. Unbemerkt bleiben konnte dies, weil dieser Anschluß im Büroraum in der fraglichen Zeit nicht anderweitig genutzt worden ist. Jedenfalls verbleiben Zweifel an der Aussage des Zeugen ..., er habe die Verbindung nicht hergestellt, und zwar auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die Verbindungsdaten beim technischen Dienstleiter für den Anbieter der 0190-Nummer nach 6 Monaten gelöscht worden sind. Selbst wenn man unterstellt, die Klägerin habe die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit gehabt, die Löschung der Daten zu verhindern, sind die Voraussetzungen einer vorwerfbaren Beweisvereitelung - zumal mit der Folge einer Beweislastumkehr - nicht erfüllt.

 

Erwiesen ist jedoch nach den Zeugenaussagen und den hier vorliegenden Begleitumständen, daß die streitige Verbindung nur kurze Zeit - jedenfalls weniger als eine Stunde - gewollt war und nur versehentlich aufrechterhalten geblieben ist.

 

III.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die streitige Verbindung für ein Telefonsex-Gespräch genutzt worden ist, denn dies würde nicht zur Unwirksamkeit des Telefondienstvertrages nach § 138 BGB führen (BGH NJW 2002, 361).

 

Gleichwohl kann die Klägerin von dem Beklagten lediglich ein Entgelt in der ausgeurteilten Höhe verlangen. Für die am.20. Januar 2000 hergestellte und bis zum 23. Januar 2000 um 9:32:07 Uhr bestehende Langzeitverbindung zu der 0190-Service-nummer steht der Klägerin nur ein Anspruch auf Zahlung für ein eine Stunde dauerndes Gespräch in Höhe von 111,24 € brutto zu.

 

Zwar ist, wenn wie hier davon auszugehen ist, daß die Verbindung die gesamte Zeit über bestanden hat, grundsätzlich der Kunde verpflichtet, die für diesen Zeitraum anfallenden Telefongebühren zu bezahlen. Dies ergibt sich aus § 5 TKV, wonach die Entgeltpflicht des Kunden sich nach dem gesamten Zeitraum des Bestehens der Telefonverbindung richtet.

 

Die Klägerin hat jedoch eine sich aus dem mit dem Beklagten abgeschlossenen Telefondienstvertrag ergebende Nebenpflicht verletzt. Sie wäre verpflichtet gewesen, zum Schutz ihres Kunden, des Beklagten, eine automatische Abschaltung der Verbindung vorzunehmen, nachdem diese für die Dauer einer Stunde bestand, auch wenn zum damaligen Zeitpunkt eine solche automatische Abschaltung nicht vorgesehen war. Der Senat schließt sich insoweit der Auffassung des Landgerichts Heidelberg in seinem Urteil vom 17. Mai 2002 (NJW 2002, 2960) an. Jede Partei hat sich so zu verhalten, daß Personen, Eigentum, sonstige Rechtsgüter und auch das Vermögen des anderen Vertragsteils nicht verletzt werden, und hat dabei ihre Rechte schonend auszuüben (vgl. zum Problemkreis BGH NJW 1983, 2813). Der Kunde geht, wenn er selbst eine Telefonverbindung hergestellt hat, davon aus, daß die Verbindung beendet wird, sobald er den Hörer aufgelegt hat, und daß damit auch die entgeltpflichtige Leistung des Netzbetreibers beendet ist, also keine weiteren Gesprächsentgelte mehr berechnet werden. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 01.08.2001 verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, die zu einem versehentlichen Fortbestand der Verbindung führen können, wenn der Kunde meint, die Verbindung unterbrochen zu haben. U.a. soll bei Geräten mit Lautsprecherfunktion besondere Sorgfalt zur Beendigung der Verbindung zu beachten sein, da das einmalige Auflegen des Hörers nicht ausreiche. Entweder müsse der Hörer zweimal aufgelegt oder eine Funktionstaste gedrückt werden. Denkbar sind auch technische Defekte am Gerät des Kunden. Ferner besteht die Gefahr eines schadensträchtigen Handelns Dritter. Wird jedoch eine Telefonverbindung nicht endgültig beendet, ohne daß dem Kunden dies auffällt, kann sich dieser — wie der vorliegende Fall zeigt - sehr hohen Forderungen ausgesetzt sehen, ohne daß er hierfür eine ihm nützliche Leistung erhält. Gerade bei den 01 90-Sondernummern ist diese der Klägerin bekannte Gefahr besonders groß. Da die Tarife für solche Telefondienstleistungen deutlich höher liegen als die sonstigen für Telefongespräche zu entrichtenden Entgelte, entspricht es einem redlichen Geschäftsverkehr und auch dem Vertragszweck, wenn der das Telefonnetz unterhaltende Vertragspartner Schutzvorkehrungen ergreift, um unbeabsichtigte Kosten für den Kunden soweit wie möglich zu vermeiden. Dies gilt umso mehr, da die Klägerin von Beginn des Gesprächs an und sodann alle weiteren 1.795 Sekunden, also jede halbe Stunde, Datensätze gebildet hat und somit schon nach einer Stunde bei ihr Informationen über eine Dauerverbindung vorlagen. Der Kunde kann in so einem Fall, in dem ersichtlich von dem Diensteanbieter keine Leistungen mehr entgegengenommen werden: redlicherweise erwarten, daß diese Dauerverbindung von dem Telefonnetzbetreiber unterbrochen wird, was ohne weiteres technisch möglich ist. Unstreitig ist im März 2000 eine entsprechende Anweisung der Regulierungsbehörde veröffentlicht worden und seitdem durch Zwangsunterbrechung nach einer Stunde sichergestellt, daß kein Endverbraucher durch eigene Unachtsamkeit oder das Verhalten Dritter in dem hier vorliegenden Umfang geschädigt wird. Dabei spielt es für die Frage, ob eine derartige nebenvertragliche Schutzpflicht zu bejahen ist, keine Rolle, ob auf seiten des Kunden, von dem die Telefonverbindung hergestellt worden ist, ein Bedienungsfehler seines Telefonapparates — wie er von der Klägerin als möglich dargestellt worden ist — oder ein sonstiger technischer Defekt für die Nichtbeendigung der Verbindung ursächlich gewesen ist. Entscheidend ist vielmehr auf die generell denkbaren Ursachen, die zu einer hohen Telefonrechnung und damit zu einem hohen Schaden führen können, abzustellen.

 

Soweit die Klägerin darauf verweist, daß auch etwa Wasser-, Gas- und Stromversorgungsunternehmen solche Schutzpflichten nicht obliegen, hält der Senat die Sachverhalte in Bezug auf die Art der Leistung, die Gefahr der unbeabsichtigten Verursachung hoher Kosten und die technische Möglichkeit des Kundenschutzes nicht für vergleichbar.

 

Kunden, die die Dienste eines 0190-Serviceanbieters über mehr als eine Stunde in Anspruch nehmen wollen, ist es zuzumuten, sich in diesen Service erneut einzuwählen.

 

Gegen eine Schutzpflicht des Telefonnetzbetreibers zur Zwangsunterbrechung sprechen auch keine vertraglichen oder gesetzlichen Bindungen des Telefonnetzbetreibers gegenüber dem Telefondienstanbieter, wie etwa der sich aus § 9 Abs. 1 TKV ergebende Kontrahierungszwang. Während früher die Frage, welche Vertragsbeziehungen bei Inanspruchnahme von 01 90-Rufnummern zwischen dem Kunden, dem Telefonnetzbetreiber und dem Diensteanbieter bestehen, in Rechtsprechung und Literatur kontrovers diskutiert und beantwortet worden ist (vgl. hierzu Graf von Westphalen/Grothe/Pohle, Der Telefondienstvertrag, 2001, S. 36ff.), sind nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 22. November 2001 (vgl. BGH NJW 2002, 361) jedenfalls mindestens zwei unterschiedliche Vertrags- und Rechtsverhältnisse zu unterscheiden: Die die technische Seite des Vorgangs betreffende und im Rahmen des Telefondienstvertrages zu erbringende Dienstleistung des Telekommunikationsunternehmens (vgl. § 3 Nr. 16, 19 TKG) und die die inhaltliche Seite des Vorgangs betreffende „weitere Dienstleistung“ des Telefondienstanbieters. Jedes dieser Vertragsverhältnisse ist rechtlich selbständig, wobei sowohl das auf den Telefondienstvertrag in Verbindung mit der geltenden Preisliste gestützte Abrechnungsverhältnis des Telefonnetzbetreibers zu seinem Kunden als auch das auf der Zusammenschaltungsvereinbarung zu der Telekom beruhende Abrechnungsverhältnis zu dem Dienstanbieter von der konkret in Anspruch genommenen Dienstleistung - anders als bei herkömmlichen lnkassogeschäften - gelöst ist. Bei einer solchen Ausgestaltung der vertraglichen Beziehungen ist der Telefonnetzbetreiber dem Anbieter von Telefondiensten nur insoweit verpflichtet, als er selbst nicht gegen Verpflichtungen aus seinem Vertragsverhältnis zu seinem Kunden verstößt. Die von einem Telefonnetzbetreiber wegen seiner nebenvertraglichen Schutzpflicht gegenüber seinem Kunden zu verlangende automatische Abschaltung zu einer 0190-Servicenummer stellt sich demgemäß nicht als Verletzung vertraglicher Verpflichtungen gegenüber dem Telefondienstanbieter dar.

 

Da die Klägerin die sich aus dem Vertragsverhältnis zu dem Beklagten ergebende nebenvertragliche Verpflichtung dadurch verletzt hat, daß sie die Verbindung zu der 0190-Nummer nicht nach einer Stunde abgeschaltet hat, kann der Beklagte dies im

Rahmen des Schadensersatzes wegen positiver Vertragsverletzung dem von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Zahlung des Telefonentgeltes entgegenhalten. Die Klägerin hat den Beklagten so zu stellen, als wäre das Gespräch nach einer Stunde beendet worden, so daß der Klägerin gegenüber dem Beklagten neben den unstreitigen Telefongebühren in Höhe von 15,19 € nur ein weiteres Entgelt für 1.800 Tarifeinheiten in Höhe von 111,24 € (1.800,00 x 0,1042 DM netto = 187,56 DM zuzüglich 16 % Mehrwertsteuer in Höhe von 30,01 DM 217,56DM = 111,24 €)zusteht.

 

Zusammen nut dem unstreitigen Rechnungsbetrag in Höhe von 15,19 € errechnet sich daher ein Zahlungsanspruch der Klägerin in Höhe von 126,43 €.

 

B

 

Die Anschlußberufung der Klägerin hat Erfolg. Sie kann auf den ausgeurteilten Betrag in Höhe von 126,43 € gemäß §§ 286, 288 BGB Zinsen in Höhe von 5,5 % seit dem 18. April 2001 verlangen. Sie hat durch die Vorlage der Bescheinigung der Deutschen Postbank vom 20. Januar 2000 nachgewiesen, daß sie für die Inanspruchnahme von Kredit seit dem 1. Februar 1996 Zinsen in dieser Höhe zahlen muß.

 

C

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die

 

vorläufige Vollstreckbarkeit rechtfertigt sich aus §§ 708 Ziffer 10, 711 ZPO. Der Senat hielt es für angebracht, die Revision zu Gunsten der Klägerin wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen. Angesichts der Vielzahl von Telefondienstverträgen hat die Frage, ob und in welchem Umfang der Klägerin Kundenschutzpflichten obliegen, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung.

 

 

(Unterschriften)