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Kaufpreisrückzahlung bei Widerruf und fehlerhafte Belehrung über den Widerrufsfristbeginn - LG Gießen, Urteil vom 24.2.2010, Az.: 1 S 202/09

Leitsätzliches

Eine Belehrung über das Widerrufsrecht eines Verbrauchers ist unwirksam, wenn nicht deutlich über den Fristbeginn belehrt wird.
Die Formulierung: "Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung” ist nicht ausreichend.
Der Verbraucher kann der Klausel wegen des verwendeten Wortes “frühestens” zwar entnehmen, dass der Beginn des Fristlaufs noch von weiteren Voraussetzungen abhänge; er werde jedoch darüber im Unklaren gelassen, um welche Vorausset­zungen es sich dabei handele.

 

LANDGERICHT GIEßEN

URTEIL

 

Entscheidungsdatum: 24. Februar 2010

Az.: 1 S 202/09

Az. Vorinstanz: AG Gießen: 43 C 1798/07

 

 

 

In dem Rechtsstreit

hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Gießen durch den Vizepräsidenten am Landgericht … den Richter am Landgericht …, den Richter am Landgericht …

für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Gießen vom 28.04.2009 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Gießen vom 03.02.2009 wird aufrechterhalten soweit die Beklagte verurteilt worden ist, an den Kläger 1.866,45 _ nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.10.2007 zu zahlen. Im Übrigen wird das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.

 

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen. Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

Hinsichtlich des tatsächlichen Sachverhaltes wird zunächst auf das angefochtene Urteil (Blatt 151a - 155 d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger verlangt von der Beklagten die Rückzahlung des Kaufpreises für einen Computer.

Der Kläger bestellte am 26.01.2007 bei der Beklagten über deren Website einen Computer. Nachdem der Kläger Vorkasse geleistet hatte, lieferte die Beklagte die Ware am 14.02.2007 an den Kläger aus. In der der Warensendung beigefügten Rechnung heißt es auf S. 2 u. a.: „Verbraucher können ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen ohne Angaben von Gründen in Textform (z. B. Brief, Fax, E- Mail) oder durch Rücksendung der Sache widerrufen. Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung."

Nachdem der Kläger Mängelrügen erhoben und den Computer an die Beklagte zurückgesandt hatte, trat er mit E-Mail vorn 18.07.2007 vom Vertrag zurück und verlangte die Rückzahlung des Kaufpreises. Da die Beklagte die Mängelrügen nicht anerkannte, erklärte der Kläger mit vorgerichtlichem Anwaltsschreiben vom 30.07.2007 hilfsweise den Widerruf des Vertrags gern. §§ 312b, 355 BGB.

Das Amtsgericht hat die Beklagte zunächst durch Versäumnisurteil vom 03.02.2009 zur Rückzahlung des Kaufpreises verurteilt. Auf den Einspruch der Beklagten hat das Amtsgericht das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, der Kläger habe den Kaufvertrag nicht innerhalb der Widerrufsfrist widerrufen. Der Kläger sei durch die Übersendung der Rechnung ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt worden, sodass die Widerrufsfrist zwei Wochen ab Zusendung der Ware betragen habe. Diese Frist sei bei Erklärung des Widerrufs bereits abgelaufen gewesen. Gegen dieses dem Kläger am 10.06.2009 zugestellte Urteil hat dieser mit einem am 07.07.2009 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 07.08.2009 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Gießen vorn 03.02.2009 aufrechtzuerhalten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Berufung ist zulässig, sie ist insbesondere statthaft und in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden.

Die Berufung hat auch in der Sache überwiegend Erfolg.

Der Kläger besitzt einen Anspruch gegen den Beklagten auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 1.866,45 _ gem. §§ 357 Abs. 1 S. 1, 346 Abs. 1 BGB. Der Kläger ist gem. § 355 Abs. 1 BGB an seine auf Abschluss des Kaufvertrags gerichtete Erklärung nicht mehr gebunden, da er diese wirksam widerrufen hat. Dem Kläger steht diesbezüglich ein Widerrufsrecht gern. § 312d Abs. 1 S. 1 BGB zu, weil es sich um einen Fernabsatzvertrag i. S. dieser Vorschrift handelt.

Der Widerruf ist durch das vorgerichtliche Schreiben vom 30.07.2007 erklärt worden Dieser Widerruf ist nicht gern. § 355 Abs. 1 S. 2 BGB verfristet. Zwar hat der Kläger den Vertrag nicht innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt der Ware widerrufen. Dies ist jedoch unerheblich, da die Widerrufsfrist mangels ordnungsgemäßer Belehrung der Beklagten gern. § 355 Abs. 2 S. 1 BGB nicht zu laufen begonnen hat (vgl. Kammer, Urt. v. 30.09.2009, Az. 1 S 65/09; Urt. v. 08.07.2009, Az. 1 S 254/08; Urt. v. 15.10.2008, Az. 1 S 41/08).

Die von der Beklagten verwendete Klausel enthält keinen ausreichenden Hinweis auf den Beginn der Widerrufsfrist und trägt damit nicht den gesetzlichen Anforderungen Rechnung, die an eine Belehrung gestellt werden (§ 312d Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, § 355 Abs. 2 BGB). Nach § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB beginnt die Widerrufsfrist mit dem Zeitpunkt, zudem dem Verbraucher eine deutlich gestaltete Belehrung über sein Widerrufsrecht, die unter anderem einen Hinweis auf den Fristbeginn zu enthalten hat, in Textform mitgeteilt worden ist. Ziel dieser Vorschrift ist es, den regelmäßig rechtsunkundigen Verbraucher über den Beginn der Widerrufsfrist eindeutig zu informieren, damit der Verbraucher über die sich daraus ergebende Berechnung ihres Ablaufs nicht im Unklaren ist. Der mit der Einräumung des befristeten Widerrufsrechts beabsichtigte Schutz des Verbrauchers erfordert eine möglichst umfassende, unmissverständliche und aus dem Verständnis der Verbraucher eindeutige Belehrung (vgl. BGH, Urteil vom 09.12.2009, Az. VIII ZR 219/08, Rn. 12 Wide. Diesen Anforderungen genügt die von der Beklagten verwendete Klausel nicht. Sie belehrt den Verbraucher über den nach § 355 Abs. 2 BGB maßgeblichen Beginn der Widerrufsfrist nicht richtig. Die Belehrung ist nicht unmissverständlich. Aus der Sicht eines unbefangenen durchschnittlichen Verbrauchers, auf den abzustellen ist, kann die Klausel den Eindruck erwecken, die Belehrung sei bereits dann erfolgt, wenn er sie lediglich zur Kenntnis nimmt, ohne dass sie ihm entsprechend den gesetzlichen Anforderungen in Textform mitgeteilt worden ist (vgl. BGH a.a.O. Rn. 14 buris]). Die Belehrung ist ferner nicht möglichst umfassend. Der Verbraucher kann der Klausel wegen des verwendeten Worts "frühestens" zwar entnehmen, dass der Beginn des Fristlaufs noch von weiteren Voraussetzungen (vgl. §§ 312c Abs. 2, 312e Abs. 1 Satz 1 BGB) abhängt. Er wird jedoch darüber im Unklaren gelassen, um welche Voraussetzungen es sich dabei handelt (vgl. BGH a.a.O. Rn. 15 [juris]).

Dass die Widerrufsbelehrung der Beklagten inhaltlich der damals geltenden, inzwischen mit Wirkung vom 01.04.2008 hinsichtlich des Beginns der Widerrufsfrist geänderten Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV entspricht, führt zu keiner anderen Beurteilung. Die Kammer teilt die Auffassung des Landgerichts Halle, Urteil vom 13.5.2005, 1 S 28/05 (juris) = BB 2006, 1817, sowie des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts, Urteil vom 25. 10.2007, 16 U 70/07, Rn 20 ff (juris) = MDR 2008, 254, dass sich die auf der Ermächtigung in Artikel 245 EGBGB beruhende Verordnung alter Fassung, da sie den gesetzlichen Anforderungen des § 355 BGB nicht entspricht, nicht mehr in den Grenzen der Verordnungsermächtigung hält und daher nichtig ist. Artikel 245 EGBGB gestattet keine den Verbraucher benachteiligenden Abweichungen von den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches. Artikel 245 Nr. 1 EGBGB ist dahin zu verstehen, dass der Verordnungsgeber nur ermächtigt wird, den Inhalt einer Belehrung festzulegen, die geeignet ist, dem Verbraucher im Sinne von § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB seine Rechte deutlich zu machen. Die Verordnung muss sich ihrem Inhalt nach in den Grenzen der gesetzlichen Vorgaben bewegen und insbesondere den Grundanforderungen des § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB genügen. Für eine konkretisierende Einschränkung der Belehrungspflichten durch die BGB-InfoV gibt schon der Wortlaut der Verordnungsermächtigung in Artikel 245 EGBGB nichts her. Danach dürfen Inhalt und Gestaltung der ,,gemäß § 355 Abs. 2 Satz 1 (...) des Bürgerlichen Gesetzbuchs mitzuteilenden Belehrung" festgelegt werden. Auch der Zweck der Ermächtigung, der darin liegt, dass ein eindeutiger, klarer Text („Inhalt) und eine zureichend deutliche Form desselben („Gestaltung“) vorgegeben („festgelegt") werden können, gibt keinen rechten Anknüpfungspunkt dafür, dass die Exekutive die gesetzlichen Anforderungen an den Umfang der Belehrung nach Zweckmäßigkeitserwägungen sollte herabsetzen dürfen.

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Verordnung im Jahr 2004 teilweise durch Gesetz neu gefasst wurde. Denn auch im Falle der parlamentarischen Änderung oder Ergänzung bestehender Rechtsverordnungen ist das dadurch entstandene Normgebilde weiter insgesamt als Rechtsverordnung und nicht als Gesetz zu qualifizieren und unterliegt damit auch weiter den Beschränkungen der Ermächtigungsgrundlage (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1.9.2005, 2 BvF 2/03, Rn. 205 [Juris] NVwZ 2006, 191). Dies hat das Oberlandesgericht München in seiner von der Beklagten vorgelegten Entscheidung vom 03.04.2008, Az. 6 U 4862/07, offensichtlich übersehen.

Auf die zwischen den Parteien streitige Frage, ob der Kläger bereits vor Übersendung der Rechnung über das Widerrufsrecht belehrt worden ist, kommt es nicht an. Der Wortlaut sowohl der auf der Website der Beklagten enthaltenen Widerrufsbelehrung als auch der der Auftragsbestätigung beigefügten Belehrung ist hinsichtlich der maßgeblichen Formulierung mit der auf der Rechnung abgedruckten Belehrung identisch.

Die vom Kläger geltend gemachte Zinsforderung ist seit dem 09.10.2007 gern. §§ 291, 288 BGB gerechtfertigt. Ein darüber hinausgehender Anspruch besteht nicht, da die Beklagte vor Zustellung der Klage nicht in Verzug geraten ist. Zwar hat der Kläger die Rückzahlung des Kaufpreises bereits am 30.07.2007 angemahnt. Diese Mahnung hat die Beklagte jedoch nicht in Verzug setzen können, da der Kaufpreisrückzahlungsanspruch erst durch die ebenfalls in diesem Schreiben enthaltene Widerrufserklärung entstanden ist. Soweit der Kläger meint, er habe bereits aufgrund seines am 18.07.2007 erklärten Vertragsrücktritts die Rückzahlung des Kaufpreises verlangen können, trifft diese Auffassung nicht zu. Wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, konnte der Kläger nicht wirksam vom Vertrag zurücktreten, da der Computer nicht mit einem Sachmangel behaftet war. Der Computer war vielmehr nach den Feststellungen des vom Amtsgericht bestellten Sachverständigen mangelfrei. Der geltend gemachte Zinsanspruch folgt auch nicht aus §§ 357 Abs. 1 S. 2, 286 Abs. 3, 288 BGB. Zwischen den Parteien ist zwar unstreitig, dass die Beklagte das vorgerichtliche Schreiben vom 30.07.2007 erhalten hat. Offen ist jedoch, wann das Schreiben bei der Beklagten eingegangen ist.

Ein Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltsgebühren gem. §§ 280 Abs. 1 u. 2, 286 BGB steht dem Kläger nicht zu, da diese Kosten nicht auf dem Verzug der Beklagten beruhen. Zum Zeitpunkt der Entstehung der Kosten hat sich die Beklagte—wie ausgeführt — noch nicht im Verzugbefunden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO.

Die Revision ist gem. § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Die Frage der Wirksamkeit der BGB-InfoV hat grundsätzliche Bedeutung.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

Unterschriften