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Archiv-Privileg gilt nicht für Online-Archive - LG Hamburg, Urteil vom 07.11.2006, Az.: 324 O 521/06

Leitsätzliches

Eine den Täter nennende Berichterstattung als aktuelle Berichterstattung über ein Ereignis von öffentlichem Interesse ist grundsätzlich zulässig. Wegen Zurücktretens des berechtigten öffentlichen Interesses kann eine spätere Darstellung oder Erörterung unzulässig werden. In diesem Fall steht dem Betroffenen ein Unterlassungsanspruch auch gegen das Online-Archiv einer Zeitung zu. Das Archiv-Privileg gilt dann nicht.

LANDGERICHT HAMBURG

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

 

Entscheidung vom 4. November 2006

Aktenzeichen: 324 O 521/06

 

In der Sache

...

gegen

...

erkennt das Landgericht Hamburg, Zivilkammer 24 auf die mündliche Verhandlung vom 3.11.2006 durch ... für Recht:

 

Die einstweilige Verfügung vom 16. August 2006 wird bestätigt.

Die Antragsgegnerin hat auch die weiteren Kosten des Verfahrens zu tragen.

Sachverhalt:

Die Parteien streiten um den Bestand der einstweiligen Verfügung der Kammer vom 16. August 2006, durch die der Antragsgegnerin verboten worden ist, über den Antragsteller im Zusammenhang mit dem Mord an ... bei voller Namensnennung zu berichten.

Der Antragsteller war in den 90er Jahren wegen Mordes an dem Geschäftsmann ... festgenommen und ist 1998 wegen Mordes zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Über den Fall, der für erhebliches Aufsehen in Deutschlang sorgte, berichteten die Medien bundesweit ausführlich. Die Antragsgegnerin ist die Verlegerin der Tageszeitung ..., deren Beiträge über die Domain ... auch im Internet verbreitet werden.

In den 90er Jahren wurde in der Druckausgabe der ... unter Nennung des Namens des Antragstellers über die Entführung und Ermordung von ..., über die Festnahme des Antragstellers und dessen Sohn und der anschließenden Verurteilung des Antragstellers zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung berichtet. Wegen der Einzelheiten der Berichterstattung wird auf Anlage AS 1 verwiesen.

Diese Artikel stellte die Antragsgegnerin auch in das Internet unter der Rubrik "Archiv" ein. Die dortigen Inhalte sind durch eine gezielte Schlagwortsuche kostenlos und ohne vorherige Registrierung auf den Internetseiten der Antragsgegnerin abrufbar. Eine Suchabfrage über die Internetsuchmaschine "Google" führt über eine Trefferliste zu den entsprechenden Links, über die die Artikel zu erreichen sind. Die abgerufenen Artikel erscheinen jeweils unter Angabe des ursprünglichen Erscheinungsdatums und sind mit "Textarchiv" überschrieben.

Anfang Juli 2006 erhielt der Antragsteller, der selbst nicht über einen Internetanschluss verfügt, durch seinen Prozessbevollmächtigten davon Kenntnis, dass sich die angegriffene Berichterstattung im Internet abrufen ließ (anwaltliche Versicherung des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers in Anlage AS 3). Nach Abmahnung vom 11. Juli 2006 entfernte die Antragsgegnerin den Namen des Antragstellers von der Website, eine Unterlassungserklärung gab sie nicht ab. Der Antragsteller hat daraufhin auf seinen Antrag vom 3. August 2006 die einstweilige Verfügung der Kammer vom 16. August 2006 erwirkt, gegen die sich der Widerspruch der Antragsgegnerin richtet.

Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, dem Antrag fehle es an der Eilbedürftigkeit. Durch die Berichterstattung sei der Antragsteller zudem nicht in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt. Er greife hier eine ursprünglich zulässige Berichterstattung an, die nicht durch bloßen Zeitablauf unzulässig werden könne.

Die Resozialisierung des Antragstellers sei zudem durch die Berichterstattung nicht gefährdet, da der Antragsteller zur Verbüßung einer lebenslangen Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden ist und mit seiner baldigen Entlassung aus der Haft oder auch nur der Gewährung von Hafterleichterungen nicht zu rechnen sei.

Die Antragsqeqnerin beantragt, die einstweilige Verfügung aufzuheben und den ihr zugrunde liegenden Antrag zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt, die einstweilige Verfügung zu bestätigen.

Der Antragsteller ist der Ansicht, dass eine ihn identifizierbar machende Berichterstattung unter vollständiger Namensnennung über die zehn Jahre zurückliegende Tat unzulässig sei und ihn in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletze. Für die Allgemeinheit bestehe kein berechtigtes Informationsbedürfnis mehr über allgemeine Informationen zu seiner Person.


Entscheidungsgründe:

Die einstweilige Verfügung war zu bestätigen, weil sie sich auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Antragsgegnerin in der Widerspruchsbegründung als zu Recht erlassen erweist. Verfügungsgrund und Verfügungsanspruch sind gegeben.

1.
Ein Verfügungsgrund im Sinne des § 935 ZPO liegt vor. Insbesondere ist die Dringlichkeit der Sache nicht deshalb entfallen, weil der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung einen Monat nach Kenntniserlangung von den Beiträgen bei Gericht einging. Ein solcher Zeitraum ist nicht ausreichend, um davon ausgehen zu können, dass der Antragsteller durch zu langes Zuwarten selbst zum Ausdruck bringen würde, dass ihm die Sache nicht dringlich sei.

Denn regelmäßig benötigt der Betroffene eine gewisse Zeitspanne ab Kenntnis von der Rechtsverletzung, um Rechtsrat einzuholen, sich die geeigneten rechtlichen Schritte zu überlegen und die erforderlichen Mittel zur Glaubhaftmachung heranzuschaffen. Eine gewisse Zeitspanne bis zur Antragstellung ist zudem schon deshalb erforderlich, weil der zukünftige Antragsteller in aller Regel - um auch im Interesse der Gegenseite ein gerichtliches Verfahren eventuell zu vermeiden - den Äußernden zunächst außerprozessual zur Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung aufzufordern hat, wie dies auch hier durch den Antragsteller geschehen ist.

2.
Auch ein Verfügungsanspruch ist gegeben. Dem Antragsteller steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu aus §§ 823 Abs. 1,1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, denn die angegriffene Berichterstattung verletzt bei fortbestehender Wiederholungsgefahr das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers.

1) Die angegriffenen Artikel verletzen das Persönlichkeitsrecht des Antragstellers. Die Berichterstattung bei voller Namensnennung berührt den Schutzbereich seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Menschenwürde sichern jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann. Hierzu gehört auch das Recht, in diesem Bereich "für sich zu sein", "sich selber zu gehören" (so schon Arndt, Bespr. v. BGH, NJW 1966, S. 2353, in NJW 1967, S. 1845 ff., 1846) und ein Eindringen oder einen Einblick durch andere auszuschließen (BVerfG, Urt. v. 5. 6. 1973, BVerfGE 35, S. 202 ff., 233 ff. - Lebach l, m.w.N.).

Es umfasst damit das Verfügungsrecht über Darstellungen der eigenen Person (BVerfG a.a.O. - Lebach l), das auch dann beeinträchtigt ist, wenn - und sei es wahrheitsgemäß - öffentlich darüber berichtet wird, dass der Betroffene in der Vergangenheit eine Straftat begangen hat. Eine Beeinträchtigung liegt insbesondere in Darstellungen, die die Resozialisierung, mithin die Wiedereingliederung von Straftätern in die Gesellschaft nach Verbüßung der Strafe wesentlich zu erschweren drohen (vgl. BVerfG aaO. - Lebach l; BVerfG, Beschl. v. 25. 11. 1999, NJW 2000, S. 1859 ff., 1860 f. - Lebach II). Gerade bei einer Berichterstattung unter voller Namensnennung, wie sie die Antragsgegnerin vorgenommen hat, liegt diese Gefahr nahe.

Für die Antragsgegnerin streiten zwar vorliegend die Pressefreiheit, die Freiheit der Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG. Diese Grundrechte sind schlechthin konstituierend für die freiheitlich-demokratische Grundordnung (BVerfG a.a.O. - Lebach l, m.w.N.).

Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände dieses Einzelfalles hat das Interesse der Öffentlichkeit, etwas über die Person des Antragstellers zu erfahren, indessen hinter seinem Individualinteresse, mit seiner Tat "in Ruhe gelassen" zu werden und so eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen (a.), im Rahmen der erforderlichen Abwägung (b.) zurückzutreten.

a. Die angegriffene Berichterstattung gefährdet die Resozialisierung des Antragstellers, weil sie ihn mit seiner Tat erneut an das Licht der Öffentlichkeit zerrt und sich so bereits in der Haftsituation schädliche Wirkungen ergeben können, die eine spätere Wiedereingliederung erschweren. Dem steht nicht entgegen, dass für die Zeit nach Ablauf der lebenslangen Freiheitsstrafe (aa.) eine Sicherungsverwahrung des Antragstellers angeordnet ist (bb.) und eine unklare relative zeitliche Nähe zur Haftentlassung besteht (cc.).

Gemäß § 2 des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) dient der Vollzug der Freiheitsstrafe ausschließlich der Resozialisierung und dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten (§ 2 Satz 1, 2 StVollzG). Schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs ist entgegenzuwirken (§ 3 Abs. 2 StVollzG).

aa. Das allgemeine Vollzugsziel der Resozialisierung gilt auch für die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Für den nach §§ 211 Abs. 1, 38 Abs. 1 StGB zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Antragsteller ergibt sich ein Resozialisierungsinteresse aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 GG, denn auch der verurteilte Mörder muss nach deutschem Recht grundsätzlich die Chance haben, nach Verbüßung einer gewissen Strafzeit - in der Regel nach Verbüßung des gesetzlich angeordneten Mindestmaßes von 15 Jahren, § 57a Abs. 1 StGB - wieder in die Freiheit zu gelangen; bei diesem Grundsatz handelt es sich mithin um ein Gebot mit Verfassungsrang (BVerfG, Beschl. v. 3. 6. 1992, NJW 1992, S. 2947 ff., 2948 -Lebenslange Freiheitsstrafe).

Schon nach systematischer Betrachtung des Strafvollzugsgesetzes - und des in § 2 normierten Vollzugszieles für die Freiheitsentziehung - bezieht dieses auch die lebenslange Freiheitsstrafe mit ein. Aber auch nach dem Sinn und Zweck der Vorschriften wirkt sich das im Strafvollzugsgesetz gesicherte Resozialisierungsziel für diese Täter aus. Es wird so sichergestellt, dass sie bei einer späteren Entlassung noch lebenstüchtig und wieder eingliederungsfähig sind (BVerfG a.a.O. - Lebenslange Freiheitsstrafe).

Die Vollzugsanstalten sind so auch bei den zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen verpflichtet, auf deren Resozialisierung hinzuwirken und schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzugs und damit auch und vor allem deformierenden Persönlichkeitsveränderungen entgegenzuwirken (BVerfG a.a.O. - Lebenslange Freiheitsstrafe, m.w.N.). Der verurteilte Straftäter muss die Chance erhalten, sich nach Verbüßung seiner Strafe wieder in die Gemeinschaft einzuordnen (BVerfG a.a.O. - Lebach l).

Folgerichtig steht auch dem zu lebenslanger Haft verurteilten Mörder ein Anspruch auf Resozialisierung zu, der stets aktuell ist, mag für den Verurteilten auch erst nach langer Strafverbüßung die Aussicht bestehen, sich auf das Leben in Freiheit einrichten zu dürfen (vgl. BVerfG a.a.O. - Lebenslange Freiheitsstrafe).

bb. Das allgemeine Vollzugsziel der Resozialisierung gilt auch für den Fall, dass gegen den Verurteilten nach § 66 StGB die anschließende Sicherungsverwahrung angeordnet wird, da es sich bei der Sicherungsverwahrung nicht lediglich um einen Verwahrvollzug des gefährlichen Täters im Sinne eines "Wegsperren für immer" handelt. Denn auch im Rahmen der Sicherungsverwahrung ist auf eine Resozialisierung des Untergebrachten hinzuwirken (BVerfG, Urt. v. 5. 2. 2004, NJW 2004, S. 739 ff., 740 - Sicherungsverwahrung).

Die Sicherungsverwahrung ist normativ wie tatsächlich geradezu am Resozialisierungsgedanken ausgerichtet (BVerfG a.a.O., S. 740 - Sicherungsverwahrung): Speziell für den Verurteilten in Sicherungsverwahrung regelt § 129 S. 2 StVollzG, dass ihm zu helfen sei, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Anordnung der Unterbringung ohne zeitliche Obergrenze erfolgt. Damit das Resozialisierungsziel zum Tragen kommt, hat der Gesetzgeber für jedes Vollzugsstadium der Maßregel Überprüfungsregelungen getroffen, die zur Freilassung des Betroffenen führen können.

Nach dem Willen des Gesetzgebers ist die Erledigung der Sicherungsverwahrung nach dem Ablauf von zehn Jahren die Regel. Eine Fortdauer ist nur ausnahmsweise gestattet. Der Sicherungsverwahrte kann so bereits vor Vollstreckungsbeginn voraussehen, zu welchen Zeitpunkten sich seine Chance auf Entlassung realisieren kann. Das Gesetz stellt Überprüfungen in jedem Vollzugsstadium der Maßregel sicher, die zur Freilassung des Betroffenen führen können; gemäß § 67c Abs. 1 Satz 1 StGB hat das Gericht vor dem Ende des Strafvollzugs zu prüfen, ob von dem Verurteilten unter Berücksichtigung seiner Entwicklung im Strafvollzug nach Strafende noch eine Gefahr ausgeht, die den Vollzug der Sicherungsverwahrung gebietet (vgl. BVerfG a.a.O. - Lebenslange Freiheitsstrafe).

Nach Beginn der Unterbringung ist im Abstand von höchstens zwei Jahren (§ 67e Abs. 2 StGB) von Amts wegen zu untersuchen, ob der Maßregelvollzug gemäß § 67d Abs. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Sind zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht gemäß § 67d Abs. 3 StGB die Maßregel für erledigt, sofern nicht die qualifizierte Gefahr fortbesteht.

Sollte eine Entlassung des Verwahrten dennoch nicht möglich sein, ist anschließend jeweils spätestens vor dem Ablauf von zwei Jahren über die Notwendigkeit weiterer Vollstreckung zu entscheiden (§ 67e StGB; dazu BVerfG a.a.O. S. 740 - Sicherungsverwahrung). Auch in diesem Zusammenhang gilt, dass die Vollzugsanstalten im Blick auf die Grundrechte der eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßenden Gefangenen verpflichtet sind, schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzugs, vor allem deformierenden Persönlichkeitsveränderungen, die die Lebenstüchtigkeit ernsthaft in Frage stellen und es ausschließen, dass sich der Gefangene im Falle einer Entlassung aus der Haft im normalen Leben noch zurechtzufinden vermag, im Rahmen des Möglichen zu begegnen (BVerfG aaO. S. 740 - Sicherungsverwahrung).

cc. Auch ohne eine relative zeitliche Nähe zur Haftentlassung können die möglichen Folgen eines Berichts über die Straftat eines Verurteilten für sein Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gravierend sein, indem sie zu Stigmatisierung, sozialer Isolierung und einer darauf beruhenden grundlegenden Verunsicherung führen (dazu vgl. BVerfG a.a.O. - Lebach II).

Mit dem Anspruch des Betroffenen, mit seiner Tat "in Ruhe gelassen" zu werden, gewinnt es mit zeitlicher Distanz zur Straftat und zum Strafverfahren zunehmende Bedeutung, vor einer Reaktualisierung seiner Verfehlung verschont zu bleiben (vgl. jüngst BVerfG, Beschl v. 13. 6. 2006, NJW 2006, S. 2835 f. m.w.N.).

Die Grenze zwischen dem Zeitraum, in dem eine den Täter nennende Berichterstattung als aktuelle Berichterstattung über ein Ereignis von öffentlichem Interesse grundsätzlich zulässig ist, und dem Zeitraum, zu dem wegen Zurücktretens des berechtigten öffentlichen Interesses eine spätere Darstellung oder Erörterung unzulässig geworden ist, lässt sich nicht allgemein, jedenfalls nicht mit einer nach Monaten und Jahren für alle Fälle fest umrissenen Frist fixieren (so schon BVerfG a.a.O. - Lebach l; nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls kann bereits nach einem Zeitraum von nur sechs Monaten nach Rechtskraft des Strafurteils die Namensnennung unzulässig geworden sein, s. etwa BGH, Urt. v. 9. 6. 1965, NJW 1965, S. 2148 ff. - Spielgefährtin l).

Der maßgebende Zeitpunkt für eine die Resozialisierung gefährdende, unzulässige Berichterstattung unter Namensnennung ist aber jedenfalls erheblich früher anzusetzen, als auf das Ende der Strafverbüßung. § 2 StVollzG gebietet es, vom Beginn der Strafzeit an auf das Vollzugsziel der Resozialisierung hinzuarbeiten. Dem Gefangenen sollen Fähigkeit und Willen zu verantwortlicher Lebensführung vermittelt werden.

Er soll es lernen, sich unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft ohne Rechtsbruch zu behaupten, ihre Chancen wahrzunehmen und ihre Risiken zu bestehen (BVerfG a.a.O. - Lebach l). Eine Gefährdung der Resozialisierung ist durch eine Berichterstattung auch dann zu befürchten, wenn die Tat bereits lange Zeit zurückliegt. Gerade ein Mord ist derart persönlichkeitsbestimmend, dass der Mörder mit der Tat praktisch lebenslang identifiziert wird (BVerfG a.a.O. - Lebach II).

Bezogen auf den Antragsteller bedeutet dies, dass in der besonderen Situation der Haft, die seine derzeitige Umwelt darstellt, sich bereits zum jetzigen Zeitpunkt schädliche Wirkungen für ihn ergeben können. So ist nicht auszuschließen, dass der Antragsteller durch eine mediale Reaktualisierung von seinen Mithäftlingen und den Vollzugsbeamten als ...-Mörder erkannt und er sich aus Furcht vor Missachtung und Ablehnung isolieren wird. In einer Situation, die ohnehin von Isolation geprägt ist, kann ein innerer und äußerer Rückzug des Betroffenen - z.B. durch Einrichtung von Einzelfreistunde, Aufgabe einer Teilnahme an Gruppenveranstaltungen - dazu führen, dass die Resozialisierung scheitert.

Eine solche Isolierung kann gerade labilen Naturen den Mut zu neuem Anfang nehmen und sie auf den gleichen Weg zurückwerfen, der sie schon einmal in die Kriminalität führte (s. hierzu BVerfG a.a.O. - Lebach l). Das aber widerspräche den oben dargelegten Vollzugszielen, wonach auch ein Straftäter wie der Antragsteller ein Recht darauf haben soll, schon während seiner Haftzeit die Erfahrung machen zu können, dass ihn seine Umwelt vorurteilslos wieder aufnimmt.

b. Es besteht auch kein vorrangiges, die Interessen des Antragstellers überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an einer Aufrechterhaltung einer solchen Berichterstattung über die nunmehr beinahe zehn Jahre zurückliegende Straftat, durch die der Antragsteller ohne Weiteres identifizierbar gemacht wird.

aa. Das Bereithalten der - zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung im Hinblick auf die Nennung des Namens des Antragstellers zulässigen - Artikel durch die Antragsgegnerin auf ihren Internetseiten begründet nunmehr nach Zeitablauf die Gefahr der ständigen Reaktualisierung der Persönlichkeitsrechtsverletzung des Antragstellers, die sich durch jeden Abruf der Berichterstattung erneut realisiert.

Die Unzulässigkeit einer solchen Berichterstattung beschränkt die Antragsgegnerin in ihren Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 GG nur geringfügig. Denn die Tat selbst wird dadurch nicht dem Bereich der Gegenstände, über die öffentlich berichtet werden darf, entzogen. Eingeschränkt wird das Recht, über die spektakuläre Tat des Antragstellers zu berichten, nur dadurch, dass er den Lesern nicht durch Nennung seines Namens ohne Weiteres erkennbar gemacht werden darf. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit dadurch die Berichterstattungsfreiheit mehr als nur marginal begrenzt würde.

bb. Auch der für Fälle der vorliegenden Art aufgebrachte Grundgedanke eines "Archivprivilegs" vermag zu keiner abweichenden Beurteilung zu führen, jedenfalls soweit es um so genannte "Online-Archive" im Internet geht.

(a) Es erscheint schon als zweifelhaft, ob es sich bei dem Bereich des Internetauftritts der Antragsgegnerin, an dem sich die beanstandete Berichterstattung befand, um ein "Archiv" handelt. Denn für den Internetnutzer handelt es sich bei diesem Bereich letztlich um nichts anderes als einen der Bereiche, unter denen Meldungen aufzufinden sind; der Unterschied zu den Meldungen anderer Bereiche ist lediglich der, dass es sich unter den hier vorgehaltenen Meldungen um solche älteren Datums handelt. Weshalb aber das schlichte Alter einer Meldung als solches ein taugliches Kriterium sein soll, um das Verbreiten der einen Meldung gegenüber dem einer anderen zu privilegieren, ist nicht einzusehen. Aber auch aus grundsätzlichen Erwägungen heraus, erscheint der Archivgedanke nicht als tragfähig:

(b) Auf ein Archivprivileg, das analog dem des § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG gestaltet wäre, kann sich die Antragsgegnerin nicht mit Erfolg berufen. Insoweit kann es für die Abwägung der Interessen zwischen der von der Berichterstattung betroffenen Person und dem Verbreiter der Berichterstattung nicht darauf ankommen, ob letzterer der Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechtes im Sinne des Urhebergesetzes an den betreffenden Artikeln ist.

Gegen eine analoge Anwendung der urheberrechtlichen Archivregelung spricht zudem, dass für eine solche Privilegierung hier bereits deshalb kein Raum besteht, weil ein Zugriff auf das Archiv der Antragsgegnerin jedermann möglich ist. Die Regelung in § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG, die den "Archivar" von Ansprüchen des Urhebers freistellt, wenn zur Aufnahme in sein Archiv fremde Werkstücke vervielfältigt werden, findet nicht für jedes Archiv Anwendung. Nach § 53 Abs. 5 UrhG ist das Archivprivileg insbesondere auf solche Datenbanken beschränkt, die nicht mit elektronischen Mitteln zugänglich sind.

Diese Ausnahmevorschrift kommt bereits dann nicht zum Tragen, wenn das Archiv auch nur von einer Mehrzahl von Unternehmensangehörigen genutzt werden kann (BGH, Urt. v. 10.12.1998, GRUR 1999, S. 325 ff., 327 m.w.N.). Erst recht findet sie keine Anwendung, wenn außen stehenden Dritten Zugriff auf das Archiv gewährt wird (BGH, Urt. v. 16.1. 1997, GRUR 1997, S. 459 ff., 463 - CB-Infodatenbank l).

Das hat seinen Grund darin, dass eine Multiplikatorfunktion mit der bezweckten Beschränkung auf bloße Bestandssicherung nicht zu vereinbaren ist, weshalb auch eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches des § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG nicht angängig ist (vgl. BGH, Urt. v. 10. 12. 1998, GRUR 1999, S. 325 ff., 327 m.w.N. - elektronische Pressearchive).

Diese für das Urheberrecht entwickelten Grundsätze sind es, die gerade dafür sprechen, dass es ein "Archivprivileg" für in das Internet eingestellte ehemals aktuelle Meldungen nicht geben kann, sondern dass ein Medienunternehmen, das sein Archiv - insbesondere durch Gewährung des Zugangs über das Internet - auch für dritte Nutzer zugänglich macht, dafür Sorge zu tragen hat, dass Beiträge, deren Verbreitung nicht oder nicht mehr zulässig ist, gelöscht oder so archiviert werden, dass ihre weitere Verbreitung ausgeschlossen ist.

Denn der technische Fortschritt, der die Speicherung und Zugänglichmachung von Daten in immer weiterem Umfang zulässt, darf nicht dazu führen, dass Persönlichkeitsrechtsverletzungen eher hinzunehmen sind (BGH, Urt. v. 16. 9. 1966, NJW 1966, S. 2353 ff., 2354; BVerfG, Beschl. v. 9. 10. 2002, NJW 2002, S. 3619 ff., 3621; s. auch BVerfG, Urt. v. 15. 12. 1983, BVerfGE 65, S. 1 ff. = NJW 1984, S. 419 ff., 421 f. - Volkszählung).

(c) Im Übrigen wird auch aus den gesetzlichen Regelungen über die Verwaltung von Archivgut deutlich, dass nach gesetzgeberischer Wertung zeitliche Schutzfristen für archivierte Beiträge zu beachten sind, die den Schutz der Persönlichkeitsrechte der von dem Archivgut betroffenen Personen dienen, und dass solche Schutzfristen geradezu zum Wesen des Archivrechts gehören.

So darf etwa nach § 5 Abs. 2 BArchG Archivgut, das sich auf natürliche Personen bezieht, erst 30 Jahre nach dem Tode der betroffenen Person durch Dritte benutzt werden; ist das Todesjahr nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand festzustellen, endet die Schutzfrist erst 110 Jahre nach der Geburt des Betroffenen. Entsprechende Regelungen enthalten auch die Archivgesetze der Länder (s. z.B. § 5 des Hamburgischen Archivgesetzes v. 21. 1. 1991).

Mit derartigen Schutzfristen wird ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessen der von den Inhalten des zu archivierenden Schrift- oder Bildguts betroffenen Personen und der Notwendigkeit, kulturell bedeutsames Mediengut dauerhaft zu erhalten und der Öffentlichkeit zur Nutzung zur Verfügung zu stellen, geschaffen.

Schon zuvor darf Archivgut genutzt werden, ggf. sind aber die von ihm betroffenen Personen unkenntlich zu machen (s. z.B. auch § 12 Abs. 4 und 5 Stasi-Unterlagen-Gesetz, § 30 BDSG), Auch dies zeigt, dass der Gesetzgeber es als durchaus zumutbar ansieht, wenn ggf. eine nur unter Anonymisierung (§ 3 Abs. 6 BDSG) der betreffenden Person erfolgende Verbreitung von Informationen zugelassen wird.

Einen allgemeinen Rechtsgedanken, wonach die Verbreitung archivierter Materialien gegenüber der von aktuellen Meldungen in weiterem Umfange generell zulässig wäre, solange die von den Inhalten des Materials betroffenen Personen noch am Leben sind, gibt es damit nicht.

d. Damit schuldet die Antragsgegnerin als Störerin Unterlassung. Das Eingreifen von Rechtsfertigungsgründen - etwa wegen eines überwiegenden Interesses der Öffentlichkeit an der Führung gerade des streitgegenständlichen Archivs - ist weder dargelegt noch ersichtlich.

Wie ausgeführt, erfüllt die hier praktizierte schlichte öffentliche Bereithaltung älterer, von der Antragsgegnerin selbst erstellter Veröffentlichungen bereits nicht die spezifischen Funktionen eines Archivs, das an dem grundsätzlich berechtigten Interesse ausgerichtet ist, publizistische Erzeugnisse "dem wissenschaftlich und kulturell Interessierten möglichst geschlossen zugänglich zu machen und künftigen Generationen einen umfassenden Eindruck vom geistigen Schaffen früherer Epochen zu vermitteln" (BVerfG, B. v. 14. 7. 1981, N JW 1982, S. 633 ff., 634 - zu Pflichtexemplaren).

Demnach kann es im vorliegenden Fall auch dahinstehen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang den Betreiber eines derartigen "Archivs" Prüfungspflichten bezüglich ursprünglich rechtmäßiger Veröffentlichungen treffen.

3. Die nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB den Unterlassungsanspruch auslösende Wiederholungsgefahr ist aufgrund der eingetretenen Rechtsverletzung indiziert.


3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

(Unterschrift)