Leitsätzliches
Wiederholte, besonders vulgäre und ordinäre Beleidigungen einer jungen Polizistin während und nach einer Festnahme, die Ekel und Abscheu erregen, sind einer körperlichen Beleidigung durch Anspucken durchaus vergleichbar und rechtfertigen eine Geldentschädigung, auch wenn keine längerfristigen psychischen Folgen eintreten.AG BÖBLINGEN
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Aktenzeichen: 3 C 1899/06
Verkündet am 16 November 2006
In dem Rechtsstreit
C. Kl.
Prozessbevollmächtigte:
gegen
V. Bekl.
Prozessbevollmächtigte:
wegen Schmerzensgeld
hat das AG Böblingen durch Richter am AG ... auf die letzte mündliche Verhandlung am 13.03.2007
für Recht erkannt:
Der Bekl. wird verurteilt, an die Kl. 300 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.03.2006 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Bekl. verpflichtet ist, die Kl. von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 26,39 € freizustellen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des schriftlichen Sachverständigengutachtens trägt die Kl.. Von den übrigen Kosten des Rechtsstreits tragen die Kl. 3/5 und der Bekl. 2/5.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages, wenn nicht die jeweils andere Partei vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Streitwert: 1.000 €
T a t b e s t a n d :
Die klagende Polizeimeisterin verlangt vom Bekl. Geldentschädigung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung.
Am 19.07.2005 widersetzte sich der damals 20-jährige Bekl. in angetrunkenem Zustand einer polizeilichen Kontrolle wegen vorausgegangenen Randalierens. Im Verlauf der Festnahme und danach auf dem Polizeirevier Sindelfingen bedachte der Bekl. die insoweit tätige Kl., eine damals 25-jährige Polizeimeisterin, teilweise zusammen mit ihren Kollegen, mit den folgenden und weiteren, sinngleichen Äußerungen, die er durch entsprechende Hüftbewegungen unterstützte:
- „Hure, Nutte, Schlampe“
- „Ich fick euch alle, ich mach euch kalt, ihr Drecksbullen, ich fick eure Mutter, ihr dreckigen Bullen.“
- „Ich kenne dein Gesicht, du Schlampe, ich mach dich draußen kalt.“-
„Votze, Schlampe, Hure, ich fick dich schön tief in den Arsch.“
- „Bevor ich dich kalt mache, sollst du mir zuschauen, wie ich dich langsam und tief in den Arsch ficke.“
- „Ich fick dich dann tot.“
Die Kl. behauptet, sie sei durch diese massiven Beleidigungen und Bedrohungen als Polizistin, aber auch als Privatperson zutiefst in ihrer Ehre verletzt worden. Die Äußerungen hätten bei ihr Ekel und Übelkeit hervorgerufen. Sie sei deswegen bis heute verängstigt.
Die Kl. beantragt, den Bekl. zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.03.2006 sowie weitere 76,91 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 16.03.2006 zu bezahlen.
Der Bekl. beantragt, die Klage abzuweisen.Er behauptet, er habe alkoholbedingt so gut wie keine Erinnerung mehr an den Vorgang, weil er vor dem Vorfall zusammen mit anderen Jugendlichen bzw. Heranwachsenden eine Flasche Wodka konsumiert habe. Er verweist auf die schriftliche Entschuldigung, die während des Ermittlungsverfahrens gegen ihn abgegeben wurde, und ist der Meinung, es fehle an der nötigen Schwere der Persönlichkeitsrechtsverletzung; derartige Beleidigungen müssten Polizisten eben hinnehmen können. Er trägt weiter vor, er sei bei der Festnahme u.a. durch die Kl. geschlagen worden, was ihm in Verbindung mit einer bestehenden Schulterverletzung erhebliche Schmerzen bereitet und ihn daher zu solchen Reaktionen gebracht habe.Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen und auf die Protokolle der mündlichen Verhandlung vom 10.10.2006 (Bl. 23/24 d.A.) und 13.03.2007 (Bl. 82/83 d.A.) verwiesen. Der Bekl. ist wegen der streitgegenständlichen Vorfälle vom AG Böblingen - Jugendschöffengericht - unter Aktenzeichen 5 Ls 45 Js 80764/05 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung, Bedrohung und Sachbeschädigung HW inzwischen rechtskräftig zu einer 6-monatigen Jugendstrafe verurteilt worden, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Strafakten waren zu Informationszwecken beigezogen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
Die Kl. hat nach §§ 823 I, 2 BGB i.V. mit § 185 StGB und Art. 1 I und 2 I GG Anspruch auf Geldentschädigung wegen der vom Bekl. begangenen Persönlichkeitsrechtsverletzungen. Der vom Bekl. letztlich unstreitig gestellte äußere Sachverhalt nach Darstellung der Klägerseite rechtfertigt die Annahme einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Kl. unter Berücksichtigung des objektiven Angriffs und des subjektiven Verschuldens auf Seiten des Bekl..
1. Dass es sich im vorliegenden Fall nicht um eine „einfache“, aus dem Affekt heraus begangene und letztlich oberflächliche Polizistenbeleidigung handelt wie z.B. die Betitelung als „Scheissbulle“, die nicht notwendigerweise zu einem Geldentschädigungsanspruch wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung führen muss, zeigt sich an der Intensität der ausgesprochenen Beleidigungen und Drohungen, die außergewöhnlich vulgär und ordinär sind. Es zeigt sich weiter an der Wiederholung und Dauer der Äußerungen, die der Bekl. nicht nur bei der Festnahme in der Öffentlichkeit, sondern auch nach der Zäsur durch die Verbringung aufs Polizeirevier und die dadurch zwangsläufig eintretende „Denkpause“ begangen hat. Daraus wird deutlich, dass es dem Bekl. darum ging, der gegen ihn angewendete Polizeigewalt das entgegenzusetzen, was ihm alleine blieb, nämlich die diensttuenden Polizeibeamten wenn schon nicht körperlich, dann wenigstens in der Ehre zu treffen. Dabei hatte sich der Bekl. unter den Anwesenden die junge Polizeimeisterin, eine Frau, als am leichtesten zu treffendes Opfer herausgesucht. Die Äußerungen lassen eindeutig erkennen, dass der Bekl. die Kl. nicht allein in ihrer Eigenschaft als Polizeibeamtin treffen wollte, sondern in ihrer Ehre als Frau, indem er sie gleichsam verbal auszog, um sie vor den Augen der Zuschauer und Zuhörer am Ort der Festnahme und auf dem Polizeirevier durch fiktive sexuelle Handlungen so weit wie möglich zu erniedrigen, zum bloßen Objekt seiner Befriedigung zu machen und sie sogar fiktiv zu vernichten, wie er mehrmals deutlich machte.
In solchen Äußerungen liegt nach den in jüngster Zeit bestätigten Maßstäben des BVerfG (NJW 2004, S. 2371, 2372) eine besonders schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung, denn in ihnen manifestiert sich der Ausdruck abgrundtiefer Verachtung. Die anzunehmende alkoholbedingte Enthemmung, die vorgelegen haben dürfte, schließt die Annahme einer erheblichen Persönlichkeitsrechtsverletzung keinesfalls aus. Maßgeblich ist, ob der Bekl. erkennen konnte, was er mit seinen Taten anrichtete, und davon geht das Gericht aus, da es dem Bekl. ja gerade um die Erniedrigung der Kl. ging.
Zu einer solchen Vorgehensweise gehört auch eine besondere Rohheit und Gefühllosigkeit, die die Annahme schweren Verschuldens rechtfertigt. Ein Fall des Ausschlusses oder der Minderung der Verantwortlichkeit nach § 827 BGB liegt nicht vor, weil zivilrechtlich insofern nur Zustände eine Rolle spielen würden, die einer die freie Willensbildung ausschließenden krankhaften Störung vergleichbar sind. Der gemeinsame Konsum einer Falsch Wodka mit mehreren anderen Jugendlichen rechtfertigt eine solche Annahme jedenfalls nicht, und ein Schuldausschluss ist auch bei der Verurteilung des Bekl. durch das Jugendschöffengericht nicht angenommen worden. Eine zunächst vorliegende Alkoholisierung mag die Vorgänge im direkten Zusammenhang mit der Festnahme als weniger gravierend und irgendwie erklärlich erscheinen lassen. Dass der Bekl. aber auch danach, bereits auf der Polizeiwache und sogar noch in der Zelle die Kl. immer wieder verbal attackiert hat, hat nach Überzeugung des Gerichts nichts mit einer rauschhaften Fehlreaktion zu tun, sondern mit gezielten, von niedrigen Beweggründen wie Ärger und Rache geleiteten „Tiefschlägen“ zum Nachteil der Kl..
Andere Abwehrmöglichkeiten, die eine Geldentschädigung überflüssig machen würden, bestehen nach den vorliegenden Umständen nicht.
2. Die Taten bewirkten bei der Kl. eine innere Getroffenheit, Ekel und Abscheu. Das Gericht glaubt der Kl. auf Grund ihrer ruhigen und sachlichen Schilderung in der mündlichen Verhandlung, dass sie als Person tief getroffen und verletzt war. Aus ihren Angaben ist auch glaubhaft, dass sie bis heute immer wieder unfreiwillig an die Vorgänge mit dem Bekl. zurückdenken muss. Die Glaubwürdigkeit ihrer Angaben hat auch die psychologische Sachverständige bestätigt.Mehr ist aber auch nicht passiert. Nach dem Ergebnis des überaus sorgfältig erstellten Gutachtens der Sachverständigen Reichwald ist der 19.07.2005 für die Kl. ohne eine bleibende psychische Folgestörung geblieben. Vielmehr hat die eingehende Untersuchung ergeben, dass die Kl. durch ihre stabile seelische und emotionale Verfassung - die sie für ihren Beruf sehr geeignet macht - in der Lage war, die Vorgänge angemessen zu verarbeiten, so dass auch in Zukunft keine langfristigen Störungen zu erwarten sind.
3. Bei der Bemessung der Höhe der Geldentschädigung berücksichtigt das Gericht zu Gunsten der Kl. die Art und Weise der Tatbegehung und den Umstand, dass die Kl. seit der Tat mehr als ein Jahr auf ihr Geld warten und sich im vorliegenden Zivilverfahren einer erneuten Parteianhörung unterziehen musste. Zu Gunsten des Bekl. sprechen der Umstand, dass der Bekl. sich, wenngleich lapidar und schriftlich, im Ermittlungsverfahren bei der Kl. entschuldigt hat und für die Taten strafrechtlich empfindlich belangt wurde, außerdem sein Alter, sein Entwicklungsstand, der das Strafgericht zur Anwendung von Jugendstrafrecht bewogen hat und seine das Verschulden in gewissen Grenzen mildernde Alkoholisierung, schließlich auch, dass die Herabsetzungen im Wesentlichen von Kollegen der Kl. wahrgenommen werden konnten, deren Achtung vor der Kl. nicht schon durch Obszönitäten eines betrunkenen Randalierers in Frage gestellt werden konnte. Insofern erscheint eine Geldentschädigung von 300 EUR angemessen, etwas oberhalb der Beträge, wie sie in den Fällen zugesprochen wurden, in denen zu bloß verbalen Polizistenbeleidigungen Tätlichkeiten wie etwa Anspucken hinzutraten (vgl. z.B. LG Münster NJW-RR 2002, S. 1677). Denn das Gericht ist der Auffassung, dass die vorliegende Art der verbalen Angriffe anderen, „greifbaren“ Bezeugungen von Ekel wie Anspucken durchaus vergleichbar sind und keine mildere Behandlung rechtfertigen. Andererseits muss die Geldentschädigung deutlich unterhalb der Größenordnungen liegen, in denen Persönlichkeitsrechtsverletzungen weitreichende persönliche und berufliche Folgen über längere Zeit in einer großen Öffentlichkeit nach sich gezogen haben, so dass vierstellige Beträge und mehr zuzusprechen wären.
4. Wegen der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten kann nur Freistellung verlangt werden, weil die Bezahlung dieser Kosten an den Klägervertreter nicht vorgetragen sind, was als (kostenmäßig nicht ins Gewicht fallendes ) Minus gegenüber dem Zahlungsantrag anzusehen und insoweit zuzusprechen war.
5. Die Kostenentscheidung ergeht gem. § 92 ZPO unter besonderer Berücksichtigung von II Nr. 2 (Ermessenspielraum). Das Gericht hat von der Möglichkeit der Kostentrennung nach § 96 ZPO Gebrauch gemacht, weil das allein wegen der behaupteten langfristigen Folgen der Angriffe eingeholte, teure Gutachten die Behauptungen der Kl. nicht bestätigt hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr.11, 711 Satz 1 ZPO.
(Unterschrift)