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LG Potsdam: "Tolerantes Brandenburg"

Leitsätzliches

Die Initiatoren eines Wettbewerbs, die ein Forum zur Darstellung der Meinungsvielfalt und Auseinandersetzung mit dem Thema Rechtsradikalismus bieten wollten, sind nicht zur Prüfung oder Zensierung der in ihrem "Markt der Meinungen" veröffentlichten Beiträge verpflichtet. Dem Gebot, sich von fremden Meinungen abzugrenzen, genügte sie durch entsprechende Hinweise auch auf die Autoren an mehreren Stellen. Die Prüfung auf strafrechtlich relevante Inhalte vor Veröffentlichung weicht nach Ansicht der Richter diese Haftungsbeschränkung nicht auf.

LANDGERICHT POTSDAM

 

IM NAMEN DES VOLKES

 

URTEIL

 

Aktenzeichen: 3 0 317/99

Entscheidung vom 8. Juli 1999

 

 

 

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

des Mitgliedes des Deutschen Bundestages Frau Kathanna Reiche

 

- Verfügungsklägerin -

 

gegen

 

 

das Land Brandenburg

vertr. durch den Ministerpräsidenten,

vertr, durch das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport,

vertreten durch die Ministerin Frau Angelika Peter,

 

- Verfügungsbeklagte -

 

hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam für Recht erkannt.

 

Der Antrag der Verfügungsklägerin vom 18 06.1999 auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

 

Die Kosten des Verfahrens trägt die Verfügungsklägerin.

 

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Der Streitwert wird auf 11,000,00 DM festgesetzt.

 

 

 

Tatbestand:

Die Verfügungsklägerin ist Mitglied des Landesvorstandes der brandenburgischen CDU und Mitglied der CDU/CSU Fraktion des deutschen Bundestages. Verfügungsbeklagte ist das durch die Landesregierung vertretene Land Brandenburg.

 

Die Landesregierung ist Initiatorin eines von ihr so bezeichneten "Handlungskonzeptes gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit" mit dem Titel "Tolerantes Brandenburg", welches die Förderung von Meinungsvielfalt und Toleranz gegenüber Ansichten anderer Menschen zum Ziel hat.

 

Im Rahmen dieses Handlungskonzeptes wurde auf Veranlassung und mit finanzieller Förderung der Landesregierung in der Zeit vom 18. Dezember 1998 bis 11, Juni 1999 ein Internet-Wettbewerb veranstaltet, bei dem Jugendliche und junge Erwachsene bis 25 Jahre eingeladen waren, zu den Themen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit Stellung zu nehmen. Die Preisverleihung für die durch eine unabhängige Jury prämierten Beiträge sollte am 03.07.1998 erfolgen. Die Wettbewerbsbeiträge werden auch über diesen Tag hinaus bis auf weiteres im Internet verbleiben, Projektträger des Internet-Wettbewerbes war die Landesarbeitsgemeinschaft Multimedia Brandenburg e. V, in Kooperation mit NETPOL, einem gemeinsamen Projekt der Brandenburgischen Zentrale für Politische Bildung und dem Medienpädagogischen Zentrum. Die Landesregierung stellte für den Wettbewerb eine Internet-Seite unter der Adresse "www.brandenburg.de/nctpol/toleranz/denkmal/auswahl.html" zur Verfügung, die über die Homepage der Verfügungsbeklagten "www.brandenburg.de" zu erreichen war.

 

Die Verfügungsbeklagte machte dabei im verschiedenen Stellen ihrer Homepage darauf aufmerksam, daß sie keine Verantwortung für die in dem Wettbewerb befindlichen Beiträge übernehme. So heißt es nach Aufruf der Internetseite der Veranstalter und Mausklick des Link "Galerie" - rechtes Symbol der Kopfzeile zunächst:

 

"Wir weisen nochmals daraufhin, dass die Wettbewerbsbeiträge die Meinung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer widerspiegeln und nicht die der denkm @ 12-Veranstalter." Dass Teilnehmerinnen und Teilnehmern jedoch eigene - auch kontroverse - Standpunkte zum Thema Toleranz formulieren, ist erklärtes Ziel des Wettbewerbs. Wir prüfen, ob Beiträge Aussagen enthalten, die strafrechts- bzw. jugendschutzrelevant sein könnten. Liegt kein Befund vor, sollte es der Jury vorbehalten bleiben, über die Qualität der Beiträge zu entscheiden".

 

Im Rahmen des Wettbewerbes wurde ein Beitrag zweier Jugendlicher mit der Überschrift "Ausländerfeindlichkeit und Rassismus: CDU besetzt faschistische Themen Nation & Europa. 2/99", im Internet veröffentlicht. Die Namen der beiden Autoren werden im Impressum genannt. Dort sind auch Photos von ihnen zu sehen.

 

In einem offenen Brief wandte sich die Verfügungsklägerin an die Brandenburger Ministerin für Bildung, Jugend und Sport mit der Aufforderung, diesen Beitrag zu löschen und in Zukunft alle Beitrage rechtlich überprüfen zu lassen. Diese ließ den Beitrag auf Strafrechts- und Jugendschutzrelevanz durch Mitarbeiter des Ministeriums; prüfen. Nach Abschluß dieser Prüfung erschien dieser Beitrag wieder auf der o. g. Internetseite. In dem Antwortschreiben an die Verfügungsklägerin vorn 17.06.1999 stellte die Ministerin heraus, daß es sich bei diesem Wettbewerb nicht um einen "Regierungswettbewerb" handele und sich die Landesregierung nicht mit der politischen Zielsetzung dieses Artikels identifiziere.

 

Die Verfügungsklägerin ist der Ansicht, daß die Überschrift des Artikels "CDU besetzt faschistische Themen" eine unwahre Tatsachenbehauptung darstelle, welche die Verfügungsklägerin als prominentes Mitglied der CDU in ihren Rechten verletze. Diese Überschrift werde vom maßgeblichen Durchschnittsbetrachter so verstanden, als identifiziere sich die CDU mit faschistischen Themen und mache sich diese zu eigen. Es handele sich um eine pauschale Verunglimpfung, die als Schmähkritik nicht von der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsfreiheit gedeckt sei.

 

Sie ist ferner der Ansicht, daß die Verfügungsbeklagte für die Verbreitung des Artikels und der in diesem enthaltenen Äußerungen hafte. So komme ihr als Initiatorin des Wettbewerbs und als Verbreiterin des streitgegenständlichen Berichts eine gesteigerte Sorgfalts- und Prüfungspflicht zu, die sie verletzt habe. Sie werde nicht dadurch von ihrer Haftung frei, indem sie die Wettbewerbsbeiträge als die Meinung der Verfasser gekennzeichnet habe. Denn schließlich - so behauptet die Verfügungsklägerin - seien die Beiträge nach Veröffentlichung durch die Autoren nicht mehr zu ändern.

 

Die Verfügungsklägerin beantragt im Wege einer einstweiligen Verfügung,

 

1. Die Antragsgegnerin hat es zu unterlassen, auf der von ihr herausgegebenen Internet-Webseite: www.brandenburg.de/netpol/toleranz/denkmal/anti-rechtsextremismus/index.html den Bericht der Verfasser M. W. und G. H. mit der Überschrift "Ausländerfeindlichkeit und Rassismus; CDU besetzt faschistische Themen Nation und Europa 2/99" abzubilden und zu veröffentlichen, wobei lediglich die Abbildung der vorgenannten Überschrift zur Unterlassung begehrt wird.

 

2. Der Antragsgegnerin wird angedroht, daß für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die in Ziff. I ausgesprochene Verpflichtung ein Ordnungsgeld bis zu 500,000 DM und für den Fall, daß dieses nicht beigetrieben werden kann. Ordnungshaft bis zu 6 Monaten festgesetzt werden kann, zu vollstrecken an der Ministerin für Bildung, Jugend und Sport, Frau Angelika Peter.

 

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

 

den Antrag auf Erlaß der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen. Sie ist der Ansicht, daß die Verfügungsklägerin nicht berechtigt sei. Rechte der CDU im eigenen Namen geltend zu machen. Weiterhin sei sie für die Inhalte der Wettbewerbsbeiträge nicht haftbar zu machen, weil sie nicht Veranstalterin des Wettbewerbs gewesen sei. Ein Anspruch ergebe sich aber auch dann nicht, wenn die Verfügungsbeklagte als "intellektueller" Verbreiter der Überschrift anzusehen sei, da sie deutlich gemacht habe, daß die Beiträge nicht ihre Meinung wiedergeben und somit keine Identifikation mit diesem Beitrag vorliege. Inhaltlich sieht der Verfügungsbeklagte die Überschrift von der Meinungsäußerungsfreiheit gem. Art 5 Abs. l S. l GG gedeckt, da der Schwerpunkt der Überschrift in einer Meinungsäußerung zu sehen sei und außerdem die Überschrift im Zusammenhang mit dem Text geweitet werden müsse. Eine Schmähkritik liege nicht vor, da hier die Auseinandersetzung in der Sache, nicht aber die Diffamierung einer Person oder Partei im Vordergrund gestanden habe.

 

 

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung ist zurückzuweisen. Der Verfügungsklägerin steht gegen die Verfügungsbeklagte kein Anspruch auf Unterlassung gem. §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB iVm. §§ 185 f. StGB zu.

 

Ein Anspruch der Verfügungsklägerin scheitert zumindest an der fehlenden Verantwortlichkeit der Verfügungsbeklagten für den Inhalt der beanstandeten Überschrift. Maßgeblich ist, ob die Verfügungsbeklagte einen Tatbeitrag geleistet hat, der einen Unterlassungsanspruch gegen sie rechtfertigen könnte. Dies ist nach Auffassung der Kammer zu verneinen.

 

Zwar kann nach der Rechtsprechung des BGH auch eine Haftung des Medienbetreibers für fremde Inhalte in Frage kommen, die durch dessen Medium transportiert werden (vgl. BGH NJW 1996, 1131 (1132), Jedoch hat der BGH in seiner gefestigten Rechtsprechung zwei Ausnahmen entwickelt:

 

Zum einen lehnt der BGH eine Haftung des Medienbetreibers dann ab, wenn ein Medium gewissermaßen nur als ,,Markt" der verschiedenen Ansichten und Richtungen in Erscheinung tritt. Dann widerspräche es dem Wesen des Mediums und seiner Funktion, es neben oder gar anstelle des eigentlichen Urhebers der Äußerung in Anspruch zu nehmen" (BGH NJW 1976, 1198 (1199) zur Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch unrichtige Darstellung im Fernsehen). Diese Rechtsprechung hat der BGH später fortentwickelt, indem er ausführte, daß eine Haftung des Verbreiters jedenfalls dann in Betracht komme, wenn "das Verbreiten nicht schlicht Teil einer Dokumentation des Meinungsstandes ist, welcher gleichsam wie auf einem "Markt der Meinungen" Äußerungen und Stellungnahmen verschiedener Seiten zusammen" und gegenübergestellt werden" (BGH NJW 1996, 1131 (l 132) unter Verweis auf BGH NJW 1970, 187).

 

Als zusätzliches Kriterium für einen Haftungsausschluß verlangt der BGH die deutliche Distanzierung des Medienbetreibers von den Inhalten der durch ihn verbreiteten Erklärungen. So hat er entschieden, daß eine Haftung in Betracht kommt, wenn es an einer eigenen und ernsthaften Distanzierung desjenigen, der die Äußerung wiedergibt, fehlt (BGH NJW 1996, 1131 (1132), Diese für andere Medien vom BGH entwickelte Rechtsprechung ist nach Ansicht der Kammer auch auf, das Medium Internet übertragbar. Gründe, die eine Differenzierung rechtfertigen würden, sieht die Kammer nicht (vgl. auch LG Berlin NJW-RR 1998, 1634). Die vorstehenden Maßstäbe zur Verbreiterhaftung bestimmten auch das Denken des Gesetzgebers bei der Schaffung des § 5 TeledienstG. Diesem war die Gefahr einer zu weitreichenden Haftung der Internetbetreiber bekannt (vgl. Spindler, NJW 1997, 3193 [3196]). Die Einschränkung der Verbreiterhaftung findet in § 5 Abs. 3 TeledienstG ihren Ausdruck. Dort ist bestimmt, daß Anbieter von Telediensten, wozu auch das Angebot zur Nutzung des Internets zählt (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 TeledienstG), nicht für fremde Inhalte verantwortlich sind, zu denen sie - wie hier die Verfügungsbeklagte - lediglich den Zugang zur Nutzung vermitteln.

 

Eine Haftung der Verfügungsbeklagten scheidet danach aus. Den Initiatoren des Wettbewerbs ging es - wie sie auch im Internat ausreichend deutlich gemacht haben darum, der Meinungsvielfalt die Möglichkeit zur Darstellung zu geben und ein Forum zur Verfügung zu stellen, dem eine Auseinandersetzung mit dem Thema Rechtsradikalismus vorgenommen werden konnte. Dabei sollten erkennbar auch kontroverse Meinungen, veröffentlicht werden können. Eine bestimmte politische Ausrichtung war mit dem Wettbewerb gerade nicht vorgegeben. Die dem Wettbewerbsveranstalter von der Verfügungsbeklagten zur Verfügung gestellte Internetseite stellte sich ausschließlich als "Markt der Meinungen" dar.

 

Auch hat die Verfügungsbeklagte dem Differenzierungsgebot dadurch genügt, daß sie an mehreren Stellen deutlich darauf hingewiesen hat, daß die Beiträge nicht die Meinung der Landesregierung, sondern der Autoren darstellten. In dieser Weise hatte sich auch die zuständige Ministerin gegenüber der Verfügungsklägerin geäußert.

 

Gegen diese Grundsätze kann die von der Verfügungsklägerin angeführte gesteigerte Sorgfaltspflicht der Landesregierung nicht durchschlagen. Allein die Tatsache, daß die Verfügungsbeklagte den streitigen Wettbewerbsbeitrag auf strafrechts- oder jugendschutzrelevante Inhalte geprüft hat, kann nach Auffassung der Kammer nicht zu einer Aufweichung der oben dargestellten Haftungsbeschränkungen führen.

 

Da es somit bereits an einem haftungsbegründenden Tatbestand fehlt, braucht die Frage, ob es sich bei der Überschrift um eine noch von der Meinungsfreiheit geschützte Äußerung handelt, nicht mehr entschieden zu werden.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 6 ZPO.