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Keine Hausdurchsuchung bei Verdacht auf verbotenes Glücksspiel - LG Gießen, Beschluss vom 12.10.07, Az.: Qs 78/07

Leitsätzliches

Bei Verdacht auf Veranstaltung eines verbotenen Glücksspiels ist eine Anordnung der Durchsuchung der Geschäftsräume dennoch rechtswidrig.

LANDGERICHT GIESSEN

IM NAMEN DES VOLKES

BESCHLUSS

Aktenzeichen:  Qs 78/07

Entscheidung vom 12. Oktober 2007

 

In der Strafsache

gegen

...

wegen Verdachts der Veranstaltung eines verbotenen Glücksspiels

hat die 7. Strafkammer des Landgerichts Gießen auf die Beschwerde vom 23.02.2007 am 12.10.2007 beschlossen:

Der Beschluss des Amtsgerichts Gießen vom 29.01.2007 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Anordnung der Durchsuchung der Geschäftsräume des Beschuldigten durch diesen Beschluss rechtswidrig gewesen ist.

Die beschlagnahmten Gegenstände gemäß dem Sicherstellungsnachweis vom 08.03.2007 sind an den Beschuldigten herauszugeben.

Die Staatskasse hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschuldigten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

Der Beschuldigte wendet sich gegen den Beschluss des Amtsgerichts Gießen vom 29.01.2007, mit dem die Durchsuchung seiner Geschäftsräume und die Beschlagnahme der dort aufgeführten Gegenstände angeordnet wurden. Er begehrt zudem die Feststellung der Rechtswidrigkeit der durchgeführten Durchsuchung und die Anordnung der Herausgabe der beschlagnahmten Gegenstände.

1.
Da die Gegenstände aufgrund des angefochtenen Beschlusses, der die Beschlagnahme anordnete, weiterhin sichergestellt sind, ist die Beschwerde gegen diesen Beschluss zulässig.
Der Antrag ist auch begründet, da die Voraussetzungen der Beschlagnahmeanordnung (§ 94 StPO) - und daneben auch des § 102 StPO hinsichtlich der Durchsuchung - bei Beschlusserlass nicht vorlagen.
Denn die Gegenstände haben für die Untersuchung keine Bedeutung, da es an einer verfolgbaren Straftat fehlt.

Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, in Gießen seit dem 15.09.2006 entgegen § 284 StGB ohne behördliche Erlaubnis ein Glücksspiel veranstaltet und die Einrichtungen hierzu bereitgestellt zu haben.
Wie das Hanseatische Oberlandesgericht ist die Kammer der Auffassung, dass die Verhängung einer strafrechtlichen Sanktion wegen Verstoßes gegen § 284 StGB jedenfalls derzeit aus verfassungsrechtlichen Gründen ausscheidet, solange es an einer verfassungsgemäßen Rechtsgrundlage für das staatliche Wettmonopol fehlt (vgl. auch Hanseatisches OLG, Beschluss vom 05.07.2007, Az.: 1 Ws 61/07 S. 10- 12)

Auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.2006 (BVerfGE 115, 276) ist davon auszugehen, dass auch das auf § 1 I; V des Gesetzes über staatliche Sportwetten, Zahlenlotterien und Zusatzlotterien in Hessen vom 03.11.1998 (GVBI I S. 406, im weiteren: Sportwettengesetz) beruhende hessische Wettbewerbsmonopol für Sportwetten verfassungswidrig ist.

Zwar befasst sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.2006 ausdrücklich nur mit der Rechtslage in Bayern. Sie gilt aber entsprechend für die übrigen Bundesländer.

Auch in Hessen genügt das staatliche Wettmonopol in seiner gegenwärtigen gesetzlichen Ausgestaltung nicht den Anforderungen des Artikels 12 Abs. 1 Grundgesetz, wie auch die Staatsanwaltschaft selbst unter Hinweis auf die Entscheidung des Hessischen VGH vom 25.07.2006 annimmt (S. 11 der Anklage).

Darüber hinaus steht ein Verstoß auch gegen europäisches Recht (Art. 43 Abs. 1; 49 Abs. 1 und 55 des EG-Vertrages) ernsthaft im Raum.

Bezüglich § 284 StGB führt die europäische Kommission sogar ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland durch, da sie die Auffassung vertritt, dass die nationale Regelung des § 284 StGB gegen Art. 49 EGV verstößt.

Auch wenn die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine Fortgeltungsanordnung der entsprechenden Vorschriften unter bestimmten Vorgaben bis längstens Ende des Jahres unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten enthält, folgt hieraus nicht automatisch für die Übergangszeit auch, dass eine Strafbarkeit nach § 284 StGB anzunehmen ist. Vielmehr hat das BVerfG diese Entscheidung ausdrücklich in die Kompetenz der Strafgerichte gestellt.
Das Hanseatische OLG hat in seinem Beschluss vom 05.07.2007 -1 Ws 61/07 hierzu unter anderem folgendes ausgeführt:

„Die von dem Bundesverfassungsgericht angeordnete Fortgeltung des Staatslotteriegesetzes gilt jedoch ausdrücklich nur für das Ordnungsrecht. Im Hinblick auf den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ist für. eine Übergangzeit eine an sich verfassungswidrige Rechtslage hinzunehmen. Dies führt aber nicht dazu, dass diese während der Übergangzeit als verfassungsgemäß anzusehen wäre, sie bleibt vielmehr in ihrer gegenwärtigen gesetzlichen Form verfassungswidrig. Ein Verstoß gegen eine verfassungswidrige, aber übergangsweise hinzunehmende Freiheitsbeschränkung kann nicht als kriminelles Unrecht geahndet werden, Eine solche Fortgeltensanordnung stellt für das Strafrecht keine tragfähige Grundlage dar.
Die Rechtfertigung für die Fortgeltensanordnung liegt darin, den Übergang von der verfassungswidrigen zur verfassungsgemäßen Gesetzeslage zu sichern. Vor diesem Hintergrund ist es sachgerecht, während der Übergangszeit die Veranstaltung und Vermittlung von privaten Sportwetten ordnungsrechtlich und wettbewerbsrechtlich zu untersagen. Dieses legitime gesellschaftspolitische Ziel kann eine strafrechtliche Sanktion hingegen nicht rechtfertigen. Für den grundrechtsintensiven Bereich des Strafrechts bleibt im Vordergrund, dass die derzeitige (verwaltungsrechtliche) Gesetzeslage vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist (Widmaier, a.a.O., S.11). Das Staatslotteriegesetz, der Lotteriestaatsvertrag, das staatliche Sportwettmonopol und der Ausschluss privater Wettunternehmen an der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten verstoßen weiterhin gegen das Grundgesetz. Daraus folgt, dass die Verhängung einer strafrechtlichen Sanktion verfassungsrechtlich solange ausgeschlossen bleibt, bis der Gesetzgeber ein verfassungsgemäßes Gesetz erlassen hat, nach dem entweder das staatliche Sportwettmonopol verfassungsrechtlich, gerechtfertigt oder die Veranstaltung von Sportwetten generell — also auch für den Staat — verboten ist.

In strafrechtlicher Hinsicht ist es daher unerheblich, ob die Bundesländer mit der Umsetzung der vorn Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Maßnahmen bereits begonnen oder sie sogar bereits vollständig erfüllt haben (vgl. dazu OVG Hamburg, Beschluss v. 01.06.2007 —,1 Bs 107/07). Eine Bestrafung nach § 284 StGB ist erst dann möglich, wenn der Gesetzgeber — wie vom Bundesverfassungsgericht verlangt — das staatliche Sportwettmonopol auf eine verfassungsgemäße gesetzliche Grundlage gestellt hat (so auch Widmaier, a.a.O., Seite 13).

Ohne eine solche verfassungsgemäße gesetzliche Grundlage, die erforderlich ist, um den Eingriff in das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG zu rechtfertigen, kommt eine Bestrafung nach § 284 StGB nicht in Betracht. Das Strafrecht kann nicht zur Durchsetzung eines staatlichen Wettmonopols herangezogen werden, das gegen Verfassungsrecht verstößt. Der Staat verhält sich willkürlich, wenn er die Erteilung einer Erlaubnis unter Berufung auf ein mit der Verfassung unvereinbares Gesetz (Staatslotteriegesetz bzw. Lotteriestaatsvertrag) versagt und gleichzeitig denjenigen bestraft, der ohne diese behördliche Erlaubnis einen grundrechtlich geschützten Beruf ausübt.“

Dem schließt sich die Kammer an.

2.
Da die Beschlagnahme nicht hätte angeordnet werden dürfen, sind die sichergestellten Gegenstände herauszugeben.

3.
Soweit der Beschuldigte beantragt, festzustellen, dass die durchgeführte Durchsuchung rechtswidrig war, ist der Antrag nach der Beschwerdebegründung dahingehend auszulegen, dass der Beschuldigte die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung der Durchsuchung begehrt, sich aber nicht gegen die Art und Weise der Durchführung der Durchsuchung wendet.

Dieser Antrag hat Erfolg.
Da die Durchsuchungsanordnung durch Vollzug der Maßnahme erledigt ist, ist die Beschwerde als Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung auszulegen (Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., Vor § 296 Rdnr. 18f).
Er ist entgegen der Ansicht des Amtsgerichts auch bei der Durchsuchungsanordnung hinsichtlich von Geschäftsräumen zulässig. Die vom Amtsgericht zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 1999, 273), schließt Geschäftsräume ausdrücklich ein.
Aus den unter Ziffer 1 genannten Erwägungen ist der Antrag auch begründet.

4.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 StPO.

Unterschriften