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Dringender Tatverdacht kann nicht allein auf verschlüsselte emails gestützt werden - BGH, Beschluss vom 18.10.2007, Az.: StB 34/07

Leitsätzliches

Die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls liegen bei dringendem Tatverdacht des Beschuldigten vor. Dieser kann nicht allein darauf gestützt werden, dass im Rahmen der Ermittlungen gegen den Beschuldigten wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Kontaktaufnahme zwischen diesem und anderen über einen E-Mail-Account statt fand. In dessen Entwurfsordner speicherte (jedenfalls auch) der Beschuldigte verschlüsselte Nachrichten ohne dass sie als E-Mail verschickt werden mussten. Ohne eine Entschlüsselung der in den Nachrichten verwendeten Tarnbegriffe, wird hierdurch eine mitgliedschaftliche Einbindung des Beschuldigten nicht hinreichend belegt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

Aktenzeichen: StB 34/07

Entscheidung vom 18. Oktober 2007




in dem Ermittlungsverfahren

gegen

...

wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschuldigten am 18. Oktober 2007 gemäß § 304 Abs. 5 StPO beschlossen:

Die Beschwerde des Generalbundesanwalts gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 22. August 2007 (1 BGs 417/2007) wird verworfen. Der Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 1. August 2007 (1 BGs 366/2007) wird aufgehoben.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Beschuldigten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

Der Generalbundesanwalt führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Auf seinen Antrag hat der Ermittlungsrichter des Bundesgericht-hofs am 1. August 2007 Haftbefehl gegen den Beschuldigten erlassen, worauf dieser in Untersuchungshaft genommen worden ist. Mit Beschluss vom 22. August 2007 hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs den Haftbefehl unter Auflagen außer Vollzug gesetzt; der Beschuldigte ist daraufhin aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Gegen den Beschluss vom 22. August 2007 wendet sich die Beschwerde des Generalbundesanwalts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg; vielmehr führt es zur Aufhebung des Haftbefehls.



Auf die Beschwerde hat der Senat nicht nur den Beschluss vom 22. August 2007, sondern auch den Haftbefehl vom 1. August 2007 zu prüfen; denn die vom Generalbundesanwalt erstrebte Wiederinvollzugsetzung des Haftbefehls ist nur zulässig, wenn die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft gegeben sind (OLG Stuttgart NJW 1982, 1296, 1297). Dies ist indessen nicht der Fall.

Der Haftbefehl ist auf den Vorwurf gestützt, der Beschuldigte sei Mitglied der "militanten gruppe (mg)". Bei dieser handele es sich um eine gewaltbereite linksextremistische Vereinigung, deren Zwecke und Tätigkeit auf die Begehung von Delikten nach § 305 a StGB (Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel), § 306 StGB (Brandstiftung) und § 306 a StGB (schwere Brandstiftung) gerichtet seien und die seit dem Jahr 2001 eine Vielzahl von Brandanschlägen begangen habe; der Beschuldigte habe sich daher gemäß § 129 a Abs. 2 Nr. 2 StGB strafbar gemacht.

Die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls liegen nicht vor; denn weder die bis zur Anordnung der Untersuchungshaft am 1. August 2007 noch die danach angefallenen Ermittlungsergebnisse begründen gegen den Beschuldigten einen dringenden Tatverdacht im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO. Ein solcher ist nur gegeben, wenn den ermittelten Tatsachen entnommen werden kann, dass sich der Beschuldigte mit große Wahrscheinlichkeit der ihm angelasteten Tat schuldig gemacht hat; bloße Vermutungen genügen dagegen nicht (vgl. Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 112 Rdn. 5 - 7 m. w. N.). Nach diesem Maßstab kann ein dringender Tatverdacht gegen den Beschuldigten nicht bejaht werden.

Nach Auffassung des Ermittlungsrichters und des Generalbundesanwalts folgt der dringende Verdacht einer mitgliedschaftlichen Beteiligung an der "militanten gruppe" maßgeblich aus mehreren Treffen des Beschuldigten mit dem Mitbeschuldigten L. , die nach den Ermittlungen in konspirativer Weise vereinbart und durchgeführt worden seien. L. sei dringend verdächtig, als Angehöriger der "militanten gruppe" am 31. Juli 2007 an einem versuchten Brandanschlag auf drei Bundeswehrfahrzeuge beteiligt gewesen zu sein.

Durch die Ermittlungen wird belegt: Die Kontaktaufnahme zwischen den beiden geschah über den E-Mail-Account "o @yahoo.de". In dessen Entwurfsordner speicherten (jedenfalls auch) der Beschuldigte und L. beim Besuch von Internetcafés verschlüsselte Nachrichten, die vom jeweils anderen beim Aufruf des Accounts gelesen werden konnten, ohne dass sie als E-Mail verschickt werden mussten.

Ein solches Vorgehen deutet zwar darauf hin, dass der Beschuldigte seine Kontakte zu L. und die mit diesem zu besprechenden Themen geheim halten wollte. Ohne eine Entschlüsselung der in den Nachrichten verwendeten Tarnbegriffe und ohne Kenntnis dessen, was bei den - teilweise observierten und auch abgehörten - Treffen zwischen dem Beschuldigten und L. besprochen wurde, wird hierdurch eine mitgliedschaftliche Einbindung des Beschuldigten in die "militante gruppe" jedoch nicht hinreichend belegt. Dies gilt umso mehr, als der Beschuldigte ersichtlich um seine Überwachung durch die Ermittlungsbehörden wusste und daher ganz allgemein Anlass sehen konnte, seine Aktivitäten innerhalb der linksextremistischen Szene, etwa eine Mitarbeit an der Zeitschrift "radikal", vor diesen zu verheimlichen.

Soweit die Ermittlungsbehörden nunmehr - nach Erlass des Haftbefehls - gewisse zeitliche Regelmäßigkeiten zwischen den Zugriffen auf den E-Mail-Account und Aktivitäten der "militanten gruppe" (Anschläge; Selbstbezichtigungsschreiben) ermittelt haben, ist dies nicht geeignet, den Tatverdacht in erheblicher Weise zu verstärken; diese zeitlichen Zusammenhänge sind nämlich gerade nicht durchgehend feststellbar, sodass die Zugriffe auf den Account, die in zeitlicher Nähe zu den Maßnahmen der Ermittlungsbehörden vom 9. Mai 2007 vorgenommen worden sind, wieder auf andere Weise interpretiert werden müssen.
Auch die gelöschten Dateien auf der Festplatte des beim Beschuldigten sichergestellten Laptops, die durch die Ermittlungsbehörden zwischenzeitlich wieder lesbar gemacht worden sind, begründen einen dringenden Verdacht gegen den Beschuldigten nur dahingehend, dass er an den Veröffentlichungen der letzten Ausgaben der Zeitschrift "radikal" mitwirkte und dabei auch mit Texten arbeitete, die einen direkten Bezug zur "militanten gruppe" und deren gewaltbereiter Ideologie hatten. Eine eigene Zugehörigkeit des Beschuldigten zu dieser Organisation wird dadurch jedoch nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit belegt; dies gilt insbesondere für die Annahme der Ermittlungsbehörden, der Beschuldigte sei als verantwortliches Mitglied der "militanten gruppe" in die Redaktion der Zeitschrift "radikal" entsandt worden.

Das weitere Beweismaterial, das beim Beschuldigten und bei Mitbeschuldigten sichergestellt werden konnte (insbesondere etwa die bei dem Beschuldigten gefundene Ausgabe von "radikal", in der eine Seite mit der Anleitung zum Bau von Brandsätzen aufgeschlagen war), ist ebenfalls weder für sich noch in Verbindung mit den sonst bisher vorhandenen Beweisen geeignet, einen dringenden Tatverdacht gegen den Beschuldigten dahingehend zu begründen, er sei Mitglied der "militanten gruppe". Es bestätigt zwar in hinreichender Weise seine linksextremistische Einstellung, seine Einbindung in die entsprechende Szene im Raum Berlin und auch seine Mitarbeit an den letzten Ausgaben der aus dem Untergrund publizierten Szenezeitschrift "radikal"; es mag auch ein Indiz für seine Gewaltbereitschaft liefern. Mehr als einen Anfangsverdacht, dass der Beschuldigte selbst Mitglied der "militanten gruppe" sein könnte, ergeben die bisher aufgedeckten Beweistatsachen indessen auch in ihrer Gesamtheit nicht.

Der Haftbefehl gegen den Beschuldigten kann daher keinen Bestand haben.

(Unterschriften)