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Diffamierende Aussagen, die einen Dritten in den Bereich rechten Gedankenguts rücken sind rechtswidrig - LG Frankfürt, Urteil vom 12.1.2006, Az.: 2-03 O 485/05

Leitsätzliches

Diese Meinungsäußerung überschreitet die Grenze zur Schmähkritik, da sie einen tatsächlichen Bezugspunkt im Zusammenhang mit dem Bericht über die Veranstaltung in der Leipziger Universität, zumindest bezogen auf den Kläger, vermissen lässt und diesen ohne sachlichen Grund herabwürdigt. Dadurch wird der Kläger sowohl in seiner Ehre im Sinne des § 185 StGB als auch in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB verletzt.

LANDGERICHT FRANKFURT AM MAIN

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

Aktenzeichen: 2-03 O 485/05

Entscheidung vom 12. Januar 2006


In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

des Herrn A. M.,

- Verfügungskläger -

(Prozessbevollmächtigte: Rechtsänwälte)

gegen

Herrn H. B.

- Verfügungsbeklagter -

(Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte)

hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main durch Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. K., Richterin am Landgericht B. und Richterin am Landgericht Z.-M aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12.1.2006 für Recht erkannt:

Die einstweilige Verfügung vom 5.9.2005 wird in Nr. 1 a) und b) bestätigt. Im übrigen wird sie aufgehoben und der Antrag auf ihren Erlass zurückgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens hat der Kläger 1/3 und der Beklagte 2/3 zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Verfügungskläger darf die Vollstreckung des Verfügungsbeklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Verfügungskläger (im folgenden „Kläger“ genannt) macht gegen den Verfügungsbeklagten (im folgenden „Beklagter“ bezeichnet) im Wege der einstweiligen Verfügung einen strafbewehrten Unterlassungsanspruch wegen Persönlichkeits- und Ehrverletzung geltend.

Sowohl der Kläger als auch der Beklagte sind jüdischer Abstammung. Sie verbindet eine langjährige Bekanntschaft und Auseinandersetzung. Der Kläger ist Verleger. Der Beklagte ist Publizist und Mitherausgeber der Internetseite www.a.g.de. Dort veröffentlichte er am 13.7.2005 in der Rubrik „Online-Tagebuch“ einen Bericht mit der Überschrift „Holo mit H. – Wie zwei Juden für die Leipziger den Hitler machen“. Über den Kläger heißt es in dem Artikel: „Mein alter Freund A. M. hat da eine Lücke [im Antisemitismus] entdeckt, die er fleißig mit braunem Dreck füllt“. Der Kläger sowie der Autor Dr. H. M. werden als „Kapazitäten für angewandte Judeophobie“ bezeichnet. Wegen weiterer Einzelheiten des Artikels wird auf die Anlage 1 zur Antragsschrift vom 11.8.2005 Bezug genommen (Bl. 13-15 d.A.).

Anlass für die Äußerungen war eine Vortragsveranstaltung im Rahmen der Ringvorlesungen „Deutschland – Israel – Palästina“ am 11.7.2005 an der Leipziger Universität, bei der der Kläger zusammen mit dem Autor Dr. H. M. aufgetreten war. In diesem Vortrag mit dem Titel „Das Ende des Judentums“, der vom Kläger eingeleitet wurde, kritisierte der Autor des im Verlag des Klägers erschienenen gleichnamigen Buches, Herr Dr. M., die gegenwärtige israelische Politik. Im Mittelpunkt seines Vortrags stand die Unterscheidung zwischen einem „guten“ und einem grausamen, ethnozentrischen, blut- und bodenanbetendem Judentum, das angeblich die gegenwärtige israelische Politik präge. Der Kläger schloss sich in seiner Einleitung des Vortrages der Kritik an Israel an, indem er die heutige Situation in Israel mit der kurz nach der Machtergreifung 1933 in Deutschland verglich. Die streitgegenständlichen Äußerungen des Beklagten befinden sich in einem Vorspann zu einem Bericht von Herrn II. W. über den vorgenannten Vortrag. Der Beklagte hat die Veranstaltung nicht selbst besucht; sein einleitender Kommentar bezieht sich auf den nachfolgenden Bericht von Herrn W.

Der Kläger forderte den Beklagten wegen der verfahrensgegenständlichen Äußerungen in dem Bericht vom 13.7.2005 mit anwaltlichem Schreiben vom 20.7.2005 (Bl. 6 d.A.) auf, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Nachdem der Beklagte darauf nicht reagierte, hat auf Antrag des Klägers die Kammer durch Beschluss - einstweilige Verfügung - vom 5.9.2005, es dem Beklagten - strafbewehrt - untersagt,

wörtlich oder sinngemäß die Äußerung aufzustellen und/oder zu verbreiten, dass der Kläger

a) Lücken im Antisemitismus mit braunem Dreck fülle  

b) eine Kapazität für angewandte Judeophobie sei  

c) mit Hitler zu vergleichen sei.

Der Beklagte hat gegen diesen Beschluss Widerspruch eingelegt.

Der Kläger ist der Ansicht, durch die Äußerungen des Beklagten in dem einleitenden Kommentar in seinem Persönlichkeitsrecht sowie seiner Ehre verletzt zu sein. Bei den vorliegenden Äußerungen handele es sich um unzulässige Schmähkritik, die jeglichen Sachbezug entbehre und den Kläger pauschal herabsetze. Durch die Aussage, der Kläger fülle Lücken im Antisemitismus „mit braunem Dreck“ und er sei eine „Kapazität für angewandte Judeophobie“ werde diesem eine antisemitische und nationalsozialistische Gesinnung unterstellt. Durch die Überschrift „wie zwei Juden für die Leipziger den Hitler machen“ werde der Kläger mit Hitler verglichen und seine angeblich antisemitische und nationalsozialistische Haltung nochmals unterstrichen. Tatsächlich lehne der Kläger jedoch antisemitisches und nationalsozialistisches Gedankengut ab und habe während der Einleitung des Vortrages an der Leipziger Universität auch keinerlei Äußerungen getätigt, die auf eine solche Gesinnung schließen ließen. Die Äußerungen des Beklagten bezögen sich auf die Äußerungen des Herrn Dr. M. , nicht des Klägers selbst und seien schon deshalb ungerechtfertigt. Zudem seien die während seines Vortrages gemachten Äußerungen des Klägers und von Herrn Dr. M. in dem Bericht von Herrn W. verkürzt und verzerrt dargestellt.

Der Kläger beantragt,

 

die einstweilige Verfügung vom 5.9.2005 aufrechtzuerhalten.

Der Beklagte beantragt,

 

die einstweilige Verfügung aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlaß zurückzuweisen.

Der Beklagte meint, bei seinen Äußerungen über den Kläger handele es sich um zulässige Meinungsäußerungen, die die Grenze zur Schmähkritik nicht überschritten, da sie im Kontext des Vortrages an der Leipziger Universität getätigt wurden. Sie würden sich auf den dort von Herrn Dr. M. geäußerten Vergleich der israelischen mit der nationalsozialistischen Politik beziehen, den sich der Kläger zu eigen gemacht habe. Mit der Äußerung, der Kläger fülle Lücken im Antisemitismus mit braunem Dreck, werde dem Kläger nicht pauschal eine Gesinnung nach Art des nationalsozialistischen Antisemitismus zugeschrieben, sondern ein Verhalten, das dem Antisemitismus Vorschub leiste – eine sog. „koschere Form von Antisemitismus“. Durch die Bezeichnung des Klägers „als Kapazität für angewandte Judeophobie“ attestiere er dem Kläger eine judenfeindliche Einstellung, die jedoch durch die vom Kläger an Israel geäußerte Kritik gerechtfertigt sei. Der Ausdruck „wie zwei Juden für die Leipziger den Hitler machen“ sei kein direkter Hitlervergleich, sondern bedeute: der Kläger spiele mit antisemitischen Klischees, die denen eines Hitlers oder Nationalsozialisten affin seien.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die einstweilige Verfügung war auf den Widerspruch des Beklagten auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen; dies führt dazu, die einstweilige Verfügung hinsichtlich der Beschlussverfügung zu 1. a) und b) zu bestätigen, im übrigen jedoch aufzuheben und insoweit den Antrag auf ihren Erlass als unbegründet zurückzuweisen.

Dem Kläger steht im ausgeurteilten Umfang ein Unterlassungsanspruch gegen den Beklagten gemäß §§ 823 Abs. 1 und Abs. 2, 1004 BGB, 185 StGB zu. Bei sämtlichen verfahrensgegenständlichen Äußerungen des Beklagten handelt es sich um Meinungsäußerungen. Meinungsäußerungen sind Aussagen, die nicht mit dem Anspruch auf Wahrheit ausgestattet sind und durch Elemente des Dafürhaltens oder Meinens geprägt werden. Um eine Meinungsäußerung handelt es sich insbesondere bei Bewertungen, Einschätzungen, Ansichten und Überzeugungen. Abzugrenzen hiervon sind Tatsachenbehauptungen, die auf ihre Richtigkeit hin objektiv, mit Mitteln der Beweiserhebung, überprüfbar sind (Soehring, Presserecht, 3. Aufl, Rn. 14.8, 14.3. m.w.N.).

Bei den verfahrensgegenständlichen Äußerungen des Beklagten, der Kläger fülle Lücken im Antisemitismus mit braunem Dreck, er sei eine Kapazität für angewandte Judeophobie und mache für die Leipziger den Hitler, handelt es sich durchwegs um die subjektive Bewertung des Verhaltens des Klägers. Solche Meinungsäußerungen genießen den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG. Da dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit eine im demokratischen Rechtsstaat schlechthin konstitutive Rolle zukommt, streitet für ihre Zulässigkeit jedenfalls bei Äußerungen über Fragen, die die Öffentlichkeit maßgeblich berühren, eine Vermutung (Soehring, a.a.O., Rn. 20.2 und 3 m.w.N.). Erst dort, wo die Grenze zur Schmähkritik überschritten wird, ist eine Meinungsäußerung dem Verbot zugänglich. Der Begriff der Schmähkritik ist dabei eng auszulegen. Eine Schmähkritik liegt nur vor, wenn es bei einer Äußerung nicht mehr um die Auseinandersetzung in der Sache geht, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine Äußerung jeden sachlichen Bezug vermissen lässt oder der Sachbezug durch den diffamierenden Charakter völlig in den Hintergrund gedrängt wird und die Äußerung damit kein adäquates Mittel des Meinungskampfes mehr darstellt (vgl. BVerfG NJW 1995, 3303 "Soldaten sind Mörder"; BGH NJW 2000, 3421, 3422; Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 5. Aufl., Kap. 42, Rn. 32 m.w.N.). Das Fehlen tatsächlicher Anhaltspunkte, auf die sich eine Meinung stützen kann, stellt ein maßgebliches Kriterium für die Beantwortung der Frage dar, ob die Grenze zur Schmähkritik überschritten ist. (Soehring, Rdnr. 20.9, vgl. auch OLG Hamburg NJWRR 2000, 1292, 1293 – zur Zulässigkeit der Äußerung Multifunktionär mit einschlägiger brauner Sektenerfahrung“).

Diese Grenze zur Schmähkritik ist hinsichtlich der Äußerung gemäß zu Ziff. 1a) der einstweiligen Verfügung, der Kläger fülle "Lücken im Antisemitismus mit braunem Dreck", überschritten.

Diese Meinungsäußerung überschreitet die Grenze zur Schmähkritik, da sie einen tatsächlichen Bezugspunkt im Zusammenhang mit dem Bericht über die Veranstaltung in der Leipziger Universität, zumindest bezogen auf den Kläger, vermissen lässt und diesen ohne sachlichen Grund herabwürdigt. Dadurch wird der Kläger sowohl in seiner Ehre im Sinne des § 185 StGB als auch in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB verletzt. Mit der Äußerung, der Kläger fülle Lücken im Antisemitismus mit braunem Dreck, wird dem Kläger, nicht wie vom Beklagten behauptet, „lediglich“ eine „koschere Form des Antisemitismus“, zugeschrieben bzw. ein Verhalten, das dem Antisemitismus Vorschub leistet. Vielmehr ist die Äußerung als der Vorwurf zu verstehen, der Kläger äußere antisemitische Meinungen, die mit denen der Nationalsozialisten zu vergleichen seien. Durch die Wahl des Ausdrucks „brauner Dreck“ wird auf nationalsozialistisches Gedankengut Bezug genommen. Dass die Farbe „braun“ die Farbe der Nationalsozialisten war, ist jedem bekannt. Dass mit „braunem Dreck“ nur eine Bezugnahme auf nationalsozialistisches Gedankengut gemeint sein kann, ergibt sich aus dem Kontext, in dem es um einen Antisemitismusvorwurf geht, sowie aus der Überschrift: „Wie zwei Juden für die Leipziger den Hitler machen“. Wer einer Person eine nationalsozialistische Gesinnung in Form von Antisemitismus zuschreibt, impliziert damit, dass diese Person die im Namen des Nationalsozialismus an den Juden begangenen Verbrechen gutheißt. Eine solche Äußerung kann aufgrund des historischen Bedeutungsgehaltes in Deutschland nur negativ und diskreditierend verstanden werden. Wer wie hier bewusst eine solche Aussage macht, will seinen Diskussionsgegner in seiner Ehre verletzen und diffamieren. Dies wird auch durch die Formulierung deutlich, dass der Kläger da „eine Lücke entdeckt“ habe, die er „fleißig“ (mit braunem Dreck) fülle. Dies kann, insbesondere unter Bezugnahme auf das vorherige Zitat des „Kalauers“ von Alexander Roda-Roda: „Aus dem Antisemitismus könnt schon etwas werden, wenn sich die Juden seiner annehmen würden“ nur so verstanden werden, dass dem Kläger persönlich („Ja, wenn es die Juden selber sagen“) vorgeworfen wird, aktiv gegen Juden vorzugehen, wenn nicht sogar diese vernichten zu wollen. Jüdischer Antisemitismus sei „garantiert koscher“ und damit von besonderer Qualität. Hier wird der Kläger persönlich als Jude angeprangert, der „jüdischen Selbsthaß“ demonstriere.

Der Vorwurf, der Kläger selbst hege eine nationalsozialistische, antisemitische Gesinnung, entbehrt eines ausreichenden sachlichen Bezugspunkts. Zwar stellen die Äußerungen des Klägers während des Vortrages an der Leipziger Universität einen ausreichenden Bezugspunkt für einen Antizionismusvorwurf dar. Die Äußerungen des Klägers während des Vortrages bieten jedoch keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nationalsozialistisches Gedankengut hegt. Vielmehr ergibt sich aus der vom Kläger an Israel geäußerten Kritik, in der er die Situation im heutigen Israel mit Deutschland in den Anfängen des Nationalsozialismus vergleicht, dass der Kläger den Nationalsozialismus gerade ablehnt. Der Beklagte trägt auch keine anderweitige tatsächliche Grundlage vor, auf die sich sein Vorwurf stützen ließe, dass der Kläger bei der Veranstaltung in der Leipziger Universität, insbesondere bei der Einleitung des Vortrags des Autors Dr. H. M. entsprechendes geäußert habe. Der Antragsteller hat in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 22.8.2005 (Bl. 9 d.A.) erklärt, bei der Veranstaltung in Leipzig keine antisemitischen Äußerungen getätigt zu haben.

Allein aufgrund der Tatsache, dass der Kläger den Vortrag eingeleitet hat, ergibt sich nicht, dass er sich den gesamten Inhalt des Vortrages im Detail zu eigen machen wollte. Daher ist es auch nicht entscheidungserheblich, ob – was vom Kläger zum Teil bestritten wird – der Bericht von I. W. die Äußerungen des Herrn Dr. M. in allen Details korrekt wiedergibt.

Es ist für das vorliegende Verfahren ohne Bedeutung, ob dem Autor Dr. M. eine vermeintliche nationalsozialistische, antisemitische Gesinnung nachgesagt werden kann, da der Beklagte in seiner angegriffenen Veröffentlichung den Vorwurf: "Lücken im Antisemitismus mit braunem Dreck zu füllen", nur an den hiesigen Kläger richtet, nicht aber an den Autor Dr. M. . Auch wenn der Kläger Verleger des Buches des Autors Dr. M. : "Das Ende des Judentums" ist, muss sich der Kläger dessen angebliche Äußerungen bei dessen Vortrag in der Leipziger Universität nicht zurechnen lassen, denn eine Haftung des Klägers auf Unterlassung, Auskunft oder Schadensersatz als „Mitstörer“ steht hier nicht in Rede. Soweit der Beklagte vorträgt, dass sich der Kläger die Worte des Herrn Dr. M. zu eigen gemacht habe, fehlt es am substantiierten Vortrag des Beklagten und der entsprechenden Glaubhaftmachung. Die eidesstattliche Versicherung des Herrn I. W. vom 28.9.2005 (Bl. 39 d.A.) enthält nur eine pauschale Angabe, Äußerungen des Klägers bzw. von Herrn Dr. M. zutreffend wiedergegeben zu haben.

Auch ist die Grenze zur Schmähkritik hinsichtlich der Äußerung gemäß Ziff. 1 b) der einstweiligen Verfügung, der Kläger sei eine „Kapazität für angewandte Judeophobie“, überschritten.

Mit dem Ausdruck, der Kläger sei eine „Kapazität für angewandte Judeophobie“ wird diesem vorgeworfen, er habe eine besonders intensive judenfeindliche Einstellung. Das Wort „Judeophobie“ bedeutet zwar wörtlich „krankhafte Angst“ vor den Juden (vgl. Der Große Duden, Fremdwörterbuch), es wird jedoch auch synonym mit „Antisemitismus“ gebraucht. Seit dem Erscheinen des Buches von Pierre-André Taguieff mit dem Titel „La Nouvelle Judéophobie“ (Ed. Mille et Une Nuits, Paris, 2002) wird es insbesondere auch als Bezeichnung für eine neue Form der antijüdischen Einstellung benutzt, bei der sich Antisemitismus mit Antizionismus verbindet (vgl. „Die Zeit“, Ausgabe 15/2002, erhältlich unter www.zeit.de archiv/2002/15/200215_frankreich.xml).

Vorliegend ergibt sich aus dem Kontext des Artikels, dass „Judeophobie“ soviel wie „Antisemitismus“ heißen soll. In diesem Sinne hat sich der Beklagte auch persönlich in der mündlichen Verhandlung geäußert. Ob allein die Bezeichnung eines Juden durch einen anderen Juden als Antisemiten im Rahmen einer Gesamtabwägung die Voraussetzungen einer Schmähkritik erfüllt, kann jedoch vorliegend dahingestellt bleiben. Bei der hier zu beurteilenden Bezeichnung als "Kapazität für angewandte Judeophobie" steht durch die Betonung des Wortes "Kapazität" und des Attributes  „angewandte“ Judeophobie zur Überzeugung der Kammer die herabsetzende Äußerung und die Diffamierung der Person des Klägers - jenseits polemischer und überspitzter Kritik - im Vordergrund, zumal der Beklagte in seinem Artikel ausführt, dass er vorgehabt habe, sich diese beiden Kapazitäten für angewandte Judeophobie aus der Nähe anzusehen, aber leider wegen eines Malheurs kurzfristig habe umdisponieren müssen. Mit dieser - sarkastischen - Bezeichnung als "Kapazität" soll offenbar der Kläger als vermeintlich besonders großer Antisemit gekennzeichnet und erheblich diskreditiert werden. Es wird deutlich, dass der Beklagte den Kläger dadurch in seiner Ehre verletzen will. Auch das Vorhandensein eines Sachbezugs im weitesten Sinne vermag vorliegend den Vorwurf der Schmähkritik nicht auszuräumen. Das Verhalten des Beklagten stellt sich als eine bewußt diffamierende, das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Ehre des Klägers verletzende Meinungsäußerung, eine Schmähkritik, dar, für die sich der Beklagte nicht auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung nach Art 5 Abs. 1 GG berufen kann; insoweit geht der Ehrenschutz vor (vgl. OLG Frankfurt a.M., NJW-RR 1996, 1050, 1052 bezüglich der Äußerung: "Nazi").

Vor diesem Hintergrund sieht die Kammer auch keine Veranlassung, grundsätzlich zu klären, ob der Kläger tatsächlich ein Antisemit ist oder ob seine Äußerungen lediglich als Israel-kritisch zu sehen sind.

Soweit der Kläger die Unterlassung der Äußerung in der Überschrift „Wie zwei Juden für die Leipziger den Hitler machen“ begehrt, war die einstweilige Verfügung Bezüglich Ziff. 1 c) aufzuheben und der Antrag auf ihren Erlaß zurückzuweisen. Bezüglich dieser Äußerung besteht kein Unterlassungsanspruch des Klägers, weil insoweit der Beklagte die Grenze zur Schmähkritik nicht überschritten hat. Bei der Auslegung der Überschrift des Artikels ist maßgeblich auf das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums und nicht auf die subjektive Absicht des sich Äußernden und auch nicht auf das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen (vgl. BGH NJW 2000, 3421, 3422 f "Holocaust/Babycaust"; BVerfG NJW 1995, 3305) abzustellen. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen, der jedoch ihren Sinn nicht abschließend festlegt. Es wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für den Leser erkennbar waren (vgl. BGH, a.a.O.).

 Unter Beachtung dieser Grundsätze ist der Überschrift in der Veröffentlichung des Beklagten ein Vergleich des Klägers mit Adolf Hitler nicht zu entnehmen. Mit der plakativen, drastisch überzogenen Formulierung in der Überschrift seines Artikels versucht der Beklagte in erster Linie in provokanter Weise Aufmerksamkeit für seine Kritik an dem Kläger und dem Autor Dr. M. und deren Auftritt auf einem Podium in der Leipziger Universität zu erzielen. Ein tatsächlicher Vergleich des Klägers mit dem Handeln und Wirken des Massenmörders im Dritten Reich, wie „der Kläger ist ein Antisemit wie Hitler“ oder „ein Volksverhetzer wie Hitler“, ergibt sich zur Überzeugung der Kammer - auch bei sinngemäßer Auslegung- nicht aus der metaphorischen Formulierung "für die Leipziger den Hitler machen".

Aus dem Kontext des Artikels ergibt sich, dass der Ausdruck „für die Leipziger den Hitler machen“ auch bedeuten kann, der Kläger spiele für die Leipziger „den Hitler“, indem er dessen Antisemitismus, der in der Judenvernichtung mit Gaskammern gipfelte, öffentlich verniedliche. Sachlicher Anknüpfungspunkt ist insoweit der vom Kläger stammende bzw. mitgetragene Vergleich der Situation im heutigen Israel mit derjenigen kurz nach der „Machtergreifung“ Hitlers. Bei mehreren möglichen Deutungen einer Äußerung ist nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG grundsätzlich diejenige zugrunde zu legen, die für den Äußernden günstiger ist (vgl. BVerfG NJW 1998, 3048).

Die Gefahr der Wiederholung der untersagten Äußerungen ist durch die erstmalige Verletzung indiziert und von dem Beklagten nicht durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die

vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.

Dr. K. B. Z.-M.