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BGH / LG Mannheim: Auschwitzlüge

Leitsätzliches

Stellt ein Ausländer Äußerungen, die den Tatbestand der Volksverhetzung im Sinne des § 130 Abs. 1 oder des § 130 Abs. 3 StGB erfüllen (sog. "Auschwitzlüge"), auf einem ausländischen Server in das Internet, der Internetnutzern in Deutschland zugänglich ist, so tritt ein zum Tatbestand gehörender Erfolg (§ 9 Abs. 1 3. Alternative StGB) im Inland ein, wenn diese Äußerungen konkret zur Friedensstörung im Inland geeignet sind.

BUNDESGERICHTSHOF

 

IM NAMEN DES VOLKES

 

URTEIL

 

Aktenzeichen: 1 StR 184/00

Entscheidung vom 12. Dezember 2000

 

 

 

Das Urteil des LG Mannheim vom 10. November 1999, 5 KLs 503 Js 9551/99 wird aufgehoben.

 

 

 

Gründe:

 

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beleidigung in Tateinheit mit Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener in drei Fällen, in einem Fall (II.2) zudem in weiterer Tateinheit mit Volksverhetzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt.

 

Die Staatsanwaltschaft greift mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision den Schuldspruch in den Internet-Fällen II.1 und II.3 mit der Begründung an, der Angeklagte hätte auch in diesen Fällen wegen Volksverhetzung verurteilt werden müssen. Zudem beanstandet sie die Strafzumessung. Der Angeklagte erhebt eine Verfahrensrüge und die allgemeine Sachrüge. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat insoweit Erfolg, als die Verurteilung auch wegen Volksverhetzung erstrebt wird; die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

 

A.

 

I. Der 1944 in Deutschland geborene Angeklagte ist australischer Staatsbürger. Er emigrierte 1954 mit seinen Eltern nach Australien. Nachdem er dort Philosophie, Deutsch und Englisch studiert hatte, kam er 1970/1971 nach Deutschland, wo er als Lehrer an einer Werkschule tätig war. Anschließend studierte er in Deutschland. 1977 begab er sich nach Afrika, 1980 kehrte er nach Australien zurück und war dort als Lehrer tätig.

 

1996 schloß sich der Angeklagte mit Gleichgesinnten in Australien zum "Adelaide Institute" zusammen, dessen Direktor er ist. Seit 1992 befaßte er sich mit dem Holocaust. Er verfaßte Rundbriefe und Artikel, die er über das Internet zugänglich machte, in denen er "revisionistische" Thesen vertrat. Darin wurde unter dem Vorwand wissenschaftlicher Forschung die unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Ermordung der Juden bestritten und als Erfindung "jüdischer Kreise" dargestellt, die damit finanzielle Forderungen durchsetzen und Deutsche politisch diffamieren wollten.

 

II. Drei Publikationen des Angeklagten sind Gegenstand der Verurteilung:

 

1. Internet-Fall II.1: Zwischen April 1997 und März 1999 - der genaue Zeitpunkt ist nicht festgestellt - speicherte der Angeklagte Webseiten auf einem australischen Server, die von der homepage des Adelaide Institutes über dessen Internetadresse abgerufen werden konnten. Diese Seiten enthielten drei englischsprachige Artikel des Angeklagten mit den Überschriften "Über das Adelaide Institut", "Eindrücke von Auschwitz" und "Mehr Eindrücke von Auschwitz". Darin heißt es unter anderem: "In der Zwischenzeit haben wir festgestellt, daß die ursprüngliche Zahl von vier Millionen Toten von Auschwitz ... auf höchstens 800.000 gesenkt wurde. Dies allein ist schon eine gute Nachricht, bedeutet es doch, daß ca. 3,2 Millionen Menschen nicht in Auschwitz gestorben sind - ein Grund zum Feiern." "Wir erklären stolz, daß es bis heute keinen Beweis dafür gibt, daß Millionen von Menschen in Menschengaskammern umgebracht wurden." "Keine dieser Behauptungen ist je durch irgendwelche Tatsachen oder schriftliche Unterlagen belegt worden, mit Ausnahme der fragwürdigen Zeugenaussagen, welche häufig fiebrigen Gehirnen entsprungen sind, die es auf eine Rente vom deutschen Staat abgesehen haben."

 

2. Fall II.2: Im August 1998 verurteilte eine Amtsrichterin Günter Deckert, weil dieser Max Mannheimer, einen Überlebenden von Auschwitz, beleidigt hatte. Darauf schrieb der Angeklagte aus Australien einen "offenen Brief" an die Richterin und versandte diesen zugleich an zahlreiche weitere Adressaten, auch in Deutschland, unter anderem an die Berliner Zeitschrift "Sleipnir". Den englischsprachigen Text des Briefes stellte er in die homepage des Adelaide Institutes ein. In dem Brief warf er Mannheimer vor, Lügen über Auschwitz zu erzählen, und er schrieb unter anderem: "Ich habe Auschwitz im April 1997 besucht und bin aufgrund meiner eigenen Nachforschungen jetzt zu der Schlußfolgerung gelangt, daß das Lager in den Kriegsjahren niemals Menschengaskammern in Betrieb hatte."

 

3. Internet-Fall II.3: Ende Dezember 1998/Anfang Januar 1999 stellte der Angeklagte eine weitere Webseite in die homepage des Adelaide Institutes ein. Diese Seite enthielt einen englischsprachigen Artikel des Angeklagten mit der Überschrift "Fredrick Töbens Neujahrsgedanken 1999". Darin heißt es unter anderem: "In diesem ersten Monat des vorletzten Jahres der Jahrtausendwende können wir auf eine fünfjährige Arbeit zurückblicken und mit Sicherheit feststellen: die Deutschen haben niemals europäische Juden in todbringenden Gaskammern im Konzentrationslager Auschwitz oder an anderen Orten vernichtet. Daher können alle Deutschen und Deutschstämmigen ohne den aufgezwungenen Schuldkomplex leben, mit dem sie eine bösartige Denkweise ein halbes Jahrhundert lang versklavt hat." "Auch wenn die Deutschen jetzt aufatmen können, müssen sie sich doch darauf gefaßt machen, daß sie weiterhin diffamiert werden, da Leute wie Jeremy Jones von den organisierten Juden Australiens sich nicht über Nacht grundlegend ändern. Ihre Auschwitz-Keule war ein gutes Instrument für sie, das sie gegen alle diejenigen geschwungen haben, die mit ihrer politischen Überzeugung nicht einverstanden sind, um sie ‚funktionsfähig zu machen', wie Jones sich äußerte."

 

Das Landgericht konnte bei den Internet-Fällen weder feststellen, daß der Angeklagte von sich aus Online-Anschlußinhaber in Deutschland oder anderswo angewählt hätte, um ihnen die genannten Webseiten zu übermitteln (zu "pushen"), noch daß - außer dem ermittelnden Polizeibeamten - Internetnutzer in Deutschland die homepage des Adelaide Institutes angewählt hatten.

 

III. Die Publikationen des Angeklagten hat das Landgericht wie folgt rechtlich gewürdigt:

 

1. In allen drei Fällen hat das Landgericht den Angeklagten wegen Beleidigung (der überlebenden Juden) in Tateinheit mit Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener verurteilt.

 

2. In allen drei Fällen habe der Angeklagte das Verfolgungsschicksal der ermordeten und überlebenden Insassen des Konzentrationslagers Auschwitz geleugnet. In den Fällen II.1 und II.3 habe er den Holocaust als erfundenes Druckmittel zur Erlangung politischer Vorteile und im Fall II.3 zusätzlich auch zur Erlangung finanzieller Vorteile bezeichnet.

 

Durch das von vornherein beabsichtigte öffentliche Zugänglichmachen dieser die Menschenwürde verletzenden Beleidigungen und Verunglimpfungen habe der Angeklagte zugleich auch die Gefahr begründet, daß dadurch der öffentliche Friede gestört würde. Seine ins Internet gestellten Artikel seien geeignet gewesen, das Sicherheitsempfinden und das Vertrauen in die Rechtssicherheit insbesondere der jüdischen Mitbürger empfindlich zu stören.

 

Das erfülle zwar den Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Aber lediglich im Fall II.2 (offener Brief) könne eine Verurteilung auch wegen Volksverhetzung erfolgen. Nur hier läge eine Inlandstat vor, für die deutsches Strafrecht gelte. Für die Internet-Fälle (II.1 und II.3) gelte das deutsche Strafrecht indessen nicht, soweit es die Volksverhetzung betrifft (§ 3 StGB). Insoweit sei kein inländischer Ort der Tat (§ 9 StGB) gegeben, denn gehandelt (§ 9 Abs. 1 1. Alt. StGB) habe der Angeklagte nur in Australien, und einen zum Tatbestand gehörenden Erfolg (§ 9 Abs. 1 3. Alt. StGB) könne es bei einem abstrakten Gefährdungsdelikt wie der Volksverhetzung nicht geben. Auch sonst (§§ 5 bis 7 StGB) gelte das deutsche Strafrecht nicht.

 

B.

 

Presserechtliche Verjährung ist auch bei dem Fall II.1 schon deshalb nicht eingetreten, weil kein Presseinhaltsdelikt vorliegt, denn es geht nicht um die körperliche Verbreitung eines an ein Druckwerk gegenständlich gebundenen strafbaren Inhalts (vgl. BGH NStZ 1996, 492).

 

C. Revision des Angeklagten

 

Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

 

I. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

 

1. Rechtsanwalt B. , der Wahlverteidiger des Angeklagten vor dem Landgericht, war am 25. März 1999 wegen Volksverhetzung verurteilt worden, weil er in einem anderen Strafverfahren gegen den dortigen Angeklagten Deckert einen Beweisantrag gestellt hatte, mit dem er den Völkermord an der jüdischen Bevölkerung unter der Herrschaft des Nationalsozialismus verharmlost hatte. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten hat der Bundesgerichtshof in der Revisionshauptverhandlung vom 6. April 2000 verworfen (BGHSt 46, 36).

 

2. Unter Hinweis auf das gegen ihn anhängige Revisionsverfahren hatte der Verteidiger deshalb am 3. November 1999 - noch vor Beginn der zweitägigen Hauptverhandlung am 8. November 1999 - sein Wahlmandat niedergelegt und darum gebeten, ihn auch nicht als Verteidiger zu bestellen, weil er sich nicht in der Lage sehe, eine effiziente Verteidigung zu führen. Gleichwohl bestellte der Vorsitzende der Strafkammer am 4. November 1999 Rechtsanwalt B. als Verteidiger nach § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO mit der Begründung, dieser sei nicht gehindert, an der ordnungsgemäßen Durchführung des Strafverfahrens durch sachdienliche Verteidigung des Angeklagten mitzuwirken.

 

Am ersten Hauptverhandlungstag gab Rechtsanwalt B. nach Feststellung der Personalien des Angeklagten eine Erklärung ab, in der er konkret darlegte, daß er zu einer substantiierten Verteidigung nicht in der Lage sei. In der jetzigen Lage gäbe es für ihn - aus Angst vor weiterer Strafverfolgung - nur die Möglichkeit, die Hauptverhandlung zu verlassen oder schweigend zu verbleiben. Er werde jedoch die Hauptverhandlung, solange er beigeordnet sei, nicht verlassen. Die Verantwortung, ob der Angeklagte sachdienlich verteidigt sei, liege daher beim Vorsitzenden. Am zweiten Hauptverhandlungstag stellte der Angeklagte den Antrag auf Zurücknahme der Bestellung von Rechtsanwalt B. und auf Beiordnung eines namentlich benannten anderen Verteidigers. Der vorgeschlagene Verteidiger lehnte jedoch die Verteidigung wegen Arbeitsüberlastung ab. Die Bestellung von Rechtsanwalt B. nahm der Vorsitzende nicht zurück. Rechtsanwalt B. sei nicht gehindert, den Angeklagten im Rahmen der Gesetze zu verteidigen. Das Vertrauensverhältnis sei ersichtlich nicht gestört. Im übrigen sei dem Angeklagten die persönliche Situation seines Verteidigers bekannt gewesen; gleichwohl habe er keinen anderen Verteidiger beauftragt. Im Hinblick auf das Beschleunigungsgebot komme eine Zurücknahme der Bestellung nicht in Betracht.

 

Rechtsanwalt B. stellte in der Hauptverhandlung keine Beweisanträge; nach dem Schluß der Beweisaufnahme machte er keine Ausführungen und stellte auch keinen Antrag.

 

3. Rechtsanwalt B. legte für den Angeklagten Revision ein. Nachdem der Bundesgerichtshof in dem Verfahren gegen Rechtsanwalt B. den Termin für die Revisionshauptverhandlung bestimmt hatte, wies Rechtsanwalt B. das Landgericht darauf hin, daß mit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist zu rechnen sei, und beantragte erneut die Bestellung eines anderen Verteidigers. Der Vorsitzende der Strafkammer lehnte den Antrag ab. In der von ihm verfaßten Revisionsbegründungsschrift erhob Rechtsanwalt B. lediglich die allgemeine Sachrüge. Er machte unter Hinweis auf die oben geschilderten Vorgänge geltend, er sei gehindert, die Sachrüge näher auszuführen, und beantragte die Bestellung eines anderen Verteidigers zur weiteren Revisionsbegründung, insbesondere zu der Frage, ob der Angeklagte vor dem Landgericht ordnungsgemäß verteidigt war. Diesen Antrag ließ der Vorsitzende der Strafkammer unbeschieden. Der Vorsitzende des erkennenden Senats hat mit Verfügung vom 25. Juli 2000 die Bestellung von Rechtsanwalt B. zurückgenommen und dem Angeklagten einen anderen Verteidiger bestellt, der die Verfahrensrüge erhoben und insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erhalten hat.

 

II. Mit dieser Verfahrensrüge wird der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO geltend gemacht. Rechtsanwalt B. sei aus Furcht vor eigener Bestrafung daran gehindert gewesen, den Angeklagten sachgerecht und effektiv zu verteidigen. Er sei zwar körperlich anwesend gewesen, in der Hauptverhandlung jedoch untätig geblieben, insbesondere habe er keinen Schlußvortrag gehalten (§ 145 Abs. 1 StPO).

 

III. Der Senat kann offen lassen, ob der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gegeben ist (vgl. BGHSt 39, 310, 313; BGH NStZ 1992, 503), denn sowohl in den Entscheidungen des Vorsitzenden der Strafkammer über die Auswahl und Bestellung als auch über die Nichtzurücknahme der Bestellung liegt ein Verfahrensverstoß, auf dem das Urteil beruhen kann.

 

1. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, daß die Verfügung des Vorsitzenden, durch die ein Verteidiger bestellt wird, als Vorentscheidung gemäß § 336 StPO unmittelbar der Überprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt, weil das Urteil auf ihr beruhen kann. Die Statthaftigkeit einer solchen Rüge hängt nicht davon ab, daß der Angeklagte zuvor eine Entscheidung des Gerichts herbeigeführt hat. Dies gilt in gleicher Weise für eine Entscheidung des Vorsitzenden, mit der die Zurücknahme der Bestellung abgelehnt worden ist (BGHSt 39, 310, 311; BGH NStZ 1992, 292; NStZ 1995, 296 jew. m.w.N.; vgl. auch BGH StV 1995, 641; NStZ 1997, 401; StV 1997, 565).

 

2. Die Entscheidungen des Vorsitzenden verletzten § 140 und § 141 StPO und damit das Recht des Angeklagten auf wirksame Verteidigung (vgl. auch Art. 6 Abs. 3 Buchstabe c MRK). Sie verstießen zudem gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (vgl. BGHSt 39, 310, 312). Es lag ein wichtiger Grund vor, Rechtsanwalt B. nicht zu bestellen und dessen Bestellung zurückzunehmen.

 

Als wichtiger Grund für die Bestellung oder die Zurücknahme der Bestellung kommt jeder Umstand in Frage, der den Zweck der Verteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet. Die Fürsorgepflicht gegenüber dem Angeklagten wird es dem Vorsitzenden regelmäßig verbieten, einen Verteidiger zu bestellen, der die Verteidigung wegen eines Interessenkonflikts möglicherweise nicht mit vollem Einsatz führen kann (BVerfG - Kammer - NJW 1998, 444).

 

Bei Rechtsanwalt B. lag ein solcher Interessenkonflikt offensichtlich vor. Er konnte den Angeklagten im Hinblick auf sein eigenes Strafverfahren nicht unbefangen verteidigen. Da die Maßstäbe für die Grenzen eines zulässigen Verteidigerverhaltens in Fällen der vorliegenden Art (§ 130 Abs. 5 StGB) höchstrichterlich noch nicht geklärt waren, konnte er keine effektive Verteidigung führen, denn er mußte besorgen, sich selbst strafbar zu machen.

 

IV. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, daß im Fall II.2 zu prüfen sein wird, ob neben dem Leugnungstatbestand (§ 130 Abs. 3 StGB) auch eine qualifizierte Auschwitzlüge (§ 130 Abs. 1 StGB) vorliegt.

 

D. Revision der Staatsanwaltschaft

 

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge überwiegend Erfolg; auch für die in den Internet-Fällen II.1 und II.3 tateinheitlich begangene Volksverhetzung gilt das deutsche Strafrecht.

 

I. Die Äußerungen in den Internet-Fällen II.1 und II.3 haben einen volksverhetzenden Inhalt, und zwar sowohl nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB als auch nach § 130 Abs. 3 StGB.

 

1. In beiden Internet-Fällen liegt die sog. qualifizierte Auschwitzlüge (BGH NStZ 1994, 140; BGHSt 40, 97) vor, die den Tatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB (Beschimpfungs-Alternative) und des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Aufstachelungs-Alternative) erfüllt.

 

a) Mit offenkundig unwahren Tatsachenbehauptungen (BVerfGE 90, 241; BGH NStZ 1994, 140; 1995, 340) wird nicht nur das Schicksal der Juden unter der Herrschaft des Nationalsozialismus als Lügengeschichte dargestellt, sondern diese Behauptung wird auch mit dem Motiv der angeblichen Knebelung und Ausbeutung Deutschlands zugunsten der Juden verbunden. Im Fall II.1 wird die Qualifizierung insbesondere deutlich durch die Formulierung: "... häufig fiebrigen Gehirnen entsprungen sind, die es auf eine Rente vom deutschen Staat abgesehen haben.". Im Fall II.3 insbesondere durch die Formulierungen "Schuldkomplex", "versklavt" und "Auschwitz-Keule".

 

b) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht deshalb angenommen, daß der Äußerungstatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB, zumindest in der Form des Beschimpfens (vgl. von Bubnoff in LK 11. Aufl. § 130 Rdn. 22), gegeben ist. Es liegt eine besonders verletzende Form der Mißachtung vor. Im Fall II.1 insbesondere durch die Formulierung "ein Grund zum Feiern" und im Fall II.3 insbesondere durch die Formulierung "mit dem sie eine bösartige Denkungsweise ein halbes Jahrhundert lang versklavt hat". Da die Behauptungen darauf ausgingen, feindliche Gefühle gegen die Juden im allgemeinen und gegen die in Deutschland lebenden Juden zu erwecken und zu schüren, liegt auch ein Angriff gegen die Menschenwürde vor (BGH NStZ 1981, 258; vgl. auch BGHSt 40, 97, 100; von Bubnoff aaO § 130 Rdn. 12, 18; Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 130 Rdn. 7).

c) Nach den Feststellungen liegt aber auch - was dem Angeklagten bereits in der Anklage vorgeworfen wurde - eine Volksverhetzung im Sinne des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB vor (vgl. dazu BGHSt 31, 226, 231; 40, 97, 100; BGH NStZ 1981, 258; 1994, 140; von Bubnoff aaO § 130 Rdn. 18; Lenckner aaO § 130 Rdn. 5a; Lackner/Kühl, StGB 23. Aufl. § 130 Rdn. 4; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 130 Rdn. 5, 20b). Die Feststellungen belegen (vgl. UA S. 21), daß die Äußerungen dazu bestimmt waren, eine gesteigerte, über die bloße Ablehnung und Verachtung hinausgehende feindselige Haltung gegen die in Deutschland lebenden Juden zu erzeugen (vgl. BGHSt 40, 97, 102).

 

2. Zugleich wird - was gleichfalls angeklagt ist - eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 220a Abs. 1 StGB bezeichneten Art geleugnet und verharmlost (§ 130 Abs. 3 StGB). Die vom Angeklagten persönlich verfaßten Internetseiten waren für einen nach Zahl und Individualität unbestimmten Kreis von Personen unmittelbar wahrnehmbar und damit öffentlich (Lackner/Kühl aaO § 80a Rdn. 2). Der Leugnungstatbestand des § 130 Abs. 3 StGB steht in Tateinheit zum Äußerungstatbestand des § 130 Abs. 1 StGB (von Bubnoff aaO § 130 Rdn. 50).

 

3. Soweit daneben der Schriftenverbreitungstatbestand des § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b StGB erfüllt sein sollte, wird er von § 130 Abs. 1 StGB verdrängt, wenn sich - wie hier - die Äußerung gegen Teile der (inländischen) Bevölkerung richtet (Lenckner aaO § 130 Rdn. 27; für Tateinheit auch insoweit wohl von Bubnoff aaO § 130 Rdn. 50).

 

4. Die Voraussetzungen der Tatbestandsausschlußklausel des § 130 Abs. 5 StGB i.V.m. § 86 Abs. 3 StGB (vgl. dazu BGHSt 46, 36) liegen nicht vor. Die Äußerungen dienen nicht der Wissenschaft, Forschung oder Lehre (BVerfG - Kammer - Beschluß vom 30. November 1988 - 1 BvR 900/88 -; BVerwG NVwZ 1988, 933); sie sind auch nicht durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung geschützt (BVerfGE 90, 241; BVerfG - Kammer - Beschluß vom 6. September 2000 - 1 BvR 1056/95 -).

5. Die Eignung zur Friedensstörung ist gemeinsames Tatbestandsmerkmal von § 130 Abs. 1 und Abs. 3 StGB, die zusätzlich zu der Äußerung hinzutreten muß.

a) Mit der Eignungsformel wird die Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 und Abs. 3 StGB zu einem abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikt (vgl. Senat in BGHSt 39, 371 zum Freisetzen ionisierender Strahlen nach § 311 Abs. 1 StGB und in NJW 1999, 2129 zur Straftat nach § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG); teilweise wird diese Deliktsform auch als "potentielles Gefährdungsdelikt" bezeichnet (BGH NJW 1994, 2161; vgl. auch Sieber NJW 1999, 2065, 2067 m.w.N.). Dabei ist die Deliktsbezeichnung von untergeordneter Bedeutung; solche Gefährdungsdelikte sind jedenfalls eine Untergruppe der abstrakten Gefährdungsdelikte (Senat NJW 1999, 2129).

 

b) Für die Eignung zur Friedensstörung ist deshalb zwar der Eintritt einer konkreten Gefahr nicht erforderlich (so aber Rudolphi in SK-StGB 6. Aufl. § 130 Rdn. 10; Roxin Strafrecht AT Bd. 1 3. Aufl. § 11 Rdn. 28; Schmidhäuser, Strafrecht BT 2. Aufl. S. 147; Gallas in der Festschrift für Heinitz S. 181). Vom Tatrichter verlangt wird aber die Prüfung, ob die jeweilige Handlung bei genereller Betrachtung gefahrengeeignet ist (vgl. BGH NJW 1999, 2129 zu § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG).

 

Notwendig ist allerdings eine konkrete Eignung zur Friedensstörung; sie darf nicht nur abstrakt bestehen und muß - wenn auch aufgrund generalisierender Betrachtung - konkret festgestellt sein (HansOLG Hamburg MDR 1981, 71; OLG Koblenz MDR 1977, 334; OLG Köln NJW 1981, 1280; von Bubnoff aaO § 130 Rdn. 4; Tröndle/Fischer aaO § 130 Rdn. 2; Lenckner aaO § 130 Rdn. 11; Lackner/Kühl aaO § 130 Rdn. 19 i.V.m § 126 Rdn. 4; Streng in der Festschrift für Lackner S. 140 ).

Deshalb bleibt der Gegenbeweis der nicht gegebenen Eignung zur Friedensstörung im Einzelfall möglich.

 

c) Dieses Verständnis von der Eignung zur Friedensstörung entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu vergleichbaren Eignungsdelikten wie dem Freisetzen ionisierender Strahlen nach § 311 Abs. 1 StGB (BGHSt 39, 371; NJW 1994, 2161) oder der Straftat nach § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG (BGH NJW 1999, 2129). Ähnliches gilt für den unerlaubten Umgang mit gefährlichen Abfällen nach § 326 Abs. 1 Nr. 4 StGB (vgl. BGHSt 39, 381, 385; BGH NStZ 1994, 436; 1997, 189).

 

d) Für die Eignung zur Friedensstörung genügt es danach, daß berechtigte - mithin konkrete - Gründe für die Befürchtung vorliegen, der Angriff werde das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttern (BGHSt 29, 26; BGH NStZ 2000, 530, zur Veröffentlichung in BGHSt 46, 36 bestimmt, BGH NStZ 1981, 258).

 

6. Die Taten waren geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören.

 

a) Eine solche Eignung wird durch die bisherigen Feststellungen belegt. Im Hinblick auf die Informationsmöglichkeiten des Internets, also aufgrund konkreter Umstände, mußte damit gerechnet werden - und darauf kam es dem Angeklagten nach den bisherigen Feststellungen auch an -, daß die Publikationen einer breiteren Öffentlichkeit in Deutschland bekannt werden.

 

b) Der Angeklagte verfolgte das Ziel, revisionistische Thesen zu verbreiten (UA S. 3, 4) und er wollte auch, daß jedermann weltweit und damit auch in Deutschland die Artikel lesen konnte (UA S. 18; die mißverständlichen Ausführungen auf UA S. 43 widersprechen dem nicht). Er wollte damit auch aktiv in die Meinungsbildung bei der Verbreitung der Thesen in Kreisen deutscher "Revisionisten" eingreifen, wie der "offene Brief" mit seinem Verteilerkreis im Fall II.2 zeigt.

 

c) Es ist offenkundig, daß jedem Internet-Nutzer in Deutschland die Publikationen des Angeklagten ohne weiteres zugänglich waren. Die Publikationen konnten zudem von deutschen Nutzern im Inland weiter verbreitet werden. Daß gerade deutsche Internet-Nutzer - unbeschadet der Abfassung in englischer Sprache - zum Adressatenkreis der Publikationen gehörten und gehören sollten, ergibt sich insbesondere auch aus ihrem Inhalt, der einen nahezu ausschließlichen Bezug zu Deutschland hat (etwa: "untersuchen wir die Behauptung, daß die Deutschen systematisch sechs Millionen Juden umgebracht haben"; "Die Jagdsaison auf die Deutschen ist eröffnet"; "Daher können alle Deutschen und Deutschstämmigen ohne den aufgezwungenen Schuldkomplex leben"; "Die Deutschen können wieder stolz sein").

 

d) Das Landgericht hat daher zu Recht angenommen, daß der Angeklagte eine Gefahrenquelle schuf, die geeignet war, das gedeihliche Miteinander zwischen Juden und anderen Bevölkerungsgruppen empfindlich zu stören und die Juden in ihrem Sicherheitsgefühl und in ihrem Vertrauen auf Rechtssicherheit zu beeinträchtigen (UA S. 21).

 

II. Das deutsche Strafrecht gilt für das abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikt der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 und Abs. 3 StGB auch in den Internet-Fällen. Seine Anwendbarkeit ergibt sich aus § 3 StGB in Verbindung mit § 9 StGB. Denn hier liegt eine Inlandstat (§ 3 StGB) vor, weil der zum Tatbestand gehörende Erfolg in der Bundesrepublik eingetreten ist (§ 9 Abs. 1 3. Alt. StGB).

 

1. Die Auslegung des Merkmals "zum Tatbestand gehörender Erfolg" muß sich an der ratio legis des § 9 StGB ausrichten. Nach dem Grundgedanken der Vorschrift soll deutsches Strafrecht - auch bei Vornahme der Tathandlung im Ausland - Anwendung finden, sofern es im Inland zu der Schädigung von Rechtsgütern oder zu Gefährdungen kommt, deren Vermeidung Zweck der jeweiligen Strafvorschrift ist (BGHSt 42, 235, 242; Gribbohm in LK 11. Aufl. § 9 Rdn. 24). Daraus folgt, daß das Merkmal "zum Tatbestand gehörender Erfolg" im Sinne des § 9 StGB nicht ausgehend von der Begriffsbildung der allgemeinen Tatbestandslehre ermittelt werden kann.

 

2. Die Vorverlagerung der Strafbarkeit kann der Gesetzgeber durch verschiedene Ausgestaltungen eines Gefährdungsdelikts vornehmen. Er kann konkrete Gefährdungsdelikte schaffen (wie § 315c StGB), oder aber abstrakt-konkrete (wie § 130 Abs. 1 und Abs. 3, § 311 Abs. 1 StGB, § 34 AWG) und rein abstrakte Gefährdungstatbestände (wie § 316 StGB). Wie der Gesetzgeber den Deliktscharakter bestimmt, hängt häufig vom Rang des Rechtsguts und der spezifischen Gefährdungslage ab.

 

Daß konkrete Gefährdungsdelikte - als Untergruppe der Erfolgsdelikte - dort, wo es zur konkreten Gefahr gekommen ist, einen Erfolgsort haben, ist weitgehend unbestritten (vgl. nur Gribbohm aaO § 9 Rdn. 20 und Hilgendorf NJW 1997, 1873, 1875 m.w.N.). Abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte stehen zwischen konkreten und rein abstrakten Gefährdungsdelikten. Sie sind unter dem hier relevanten rechtlichen Gesichtspunkt des Erfolgsorts mit konkreten Gefährdungsdelikten vergleichbar, weil der Gesetzgeber auch hier eine zu vermeidende Gefährdung - den Erfolg - im Tatbestand der Norm ausdrücklich bezeichnet. Ob bei rein abstrakten Gefährdungsdelikten ein Erfolgsort jedenfalls dann anzunehmen wäre, wenn die Gefahr sich realisiert hat, braucht der Senat nicht zu entscheiden.

3. Bei abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikten ist ein Erfolg im Sinne des § 9 StGB dort eingetreten, wo die konkrete Tat ihre Gefährlichkeit im Hinblick auf das im Tatbestand umschriebene Rechtsgut entfalten kann. Bei der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 und Abs. 3 StGB ist das die konkrete Eignung zur Friedensstörung in der Bundesrepublik Deutschland (Collardin CR 1995, 618: speziell zur Auschwitzlüge, wenn der Täter in Deutschland wirken will; Kuner CR 1996, 453, 455: zu Äußerungen im Internet; Beisel/Heinrich JR 1996, 95; Heinrich mit beachtlichen Argumenten in GA 1999, 72; ähnlich Martin ZRP 1992, 19: zu grenzüberschreitenden Umweltdelikten).

 

a) Dies entspricht auch der Intention des Gesetzgebers bei Schaffung des Volksverhetzungstatbestandes im Jahre 1960 (vgl. dazu Streng aaO). Schon im Vorfeld von unmittelbaren Menschenwürdeverletzungen wollte er dem Ingangsetzen einer historisch als gefährlich nachgewiesenen Eigendynamik entgegenwirken und schon den Anfängen wehren (Streng aaO S. 508: "Klimaschutz").

Mit der Einfügung des Leugnungstatbestandes des § 130 Abs. 3 StGB im Jahre 1994 betonte der Gesetzgeber nochmals die Intention, "eine Vergiftung des politischen Klimas durch die Verharmlosung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft zu verhindern" (Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, BTDrucks. 12/8588 S. 8; vgl. auch Bundesministerin der Justiz bei der 1. Beratung des Gesetzentwurfs zur Strafbarkeit der Leugnung des nationalsozialistischen Völkermordes - BTDrucks. 12/7421 - am 18. Mai 1994, Plenarprotokoll der 227. Sitzung des Deutschen Bundestages, S. 19671). Der Gesetzgeber wollte somit den strafrechtlichen Schutz vorverlagern; schon die "Vergiftung des politischen Klimas" sollte unterbunden werden. Die Vorverlagerung der Strafbarkeit war - wie das Abstellen auf das "politische Klima" zeigt - auch davon bestimmt, daß eine konkrete Gefährdung oder gar eine individuelle Rechtsgutverletzung nur sehr selten unmittelbar auf eine einzelne Äußerung zurückgeführt werden könne (vgl. Streng aaO S. 512, der zusätzlich darauf hinweist, daß die Menschenwürde anderer nur angegriffen, nicht aber verletzt werden muß).

 

b) Auch sonst wird der Begriff des Erfolgsorts nicht im Sinne der allgemeinen Tatbestandslehre verstanden.

 

So hat der Bundesgerichtshof bei abstrakten Gefährdungsdelikten einen "zum Tatbestand gehörenden Erfolg" im Sinne des § 78a Satz 2 StGB (Verjährungsbeginn) durchaus für möglich gehalten: "Bei diesen Delikten [§ 326 Abs. 1 StGB, abstraktes Gefährdungsdelikt] tritt mit der Begehung zugleich der Erfolg der Tat ein, der in der eingetretenen Gefährdung, nicht in einer aus der Gefährdung möglicherweise später erwachsenden Verletzung besteht" (BGHSt 36, 255, 257; siehe auch Jähnke in LK 11. Aufl. § 78a Rdn. 11).

 

Auch kann ein abstraktes Gefährdungsdelikt durch Unterlassen begangen werden. Dabei setzt § 13 StGB gleichfalls einen Erfolg voraus, "der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört" (vgl. BGH NStZ 1997, 545: Tatbestandsverwirklichung des § 326 Abs. 1 StGB durch Unterlassung, die lediglich nicht fahrlässig war; BGHSt 38, 325, 338: die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 326 Abs. 1 Nr. 3 StGB waren durch Unterlassen erfüllt, dieser Tatbestand wurde allerdings von § 324 StGB verdrängt). Das entspricht auch der überwiegenden Auffassung in der Literatur (Tröndle/Fischer aaO § 13 Rdn. 2; Lackner/Kühl aaO § 13 Rdn. 6; Stree in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 13 Rdn. 3; aA Jescheck in LK 11. Aufl. § 13 Rdn. 2, 15).

 

c) Soweit von einer verbreiteten Meinung die Auffassung vertreten wird, abstrakte Gefährdungsdelikte könnten keinen Erfolgsort im Sinne des § 9 StGB haben (OLG München StV 1991, 504: zur Hehlerei als schlichtem Tätigkeitsdelikt; KG NJW 1999, 3500; Gribbohm aaO § 9 Rdn. 20; Tröndle/Fischer aaO § 9 Rdn. 3; Eser in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 9 Rdn. 6; Lackner/Kühl aaO § 9 Rdn. 2; Jakobs Strafrecht AT 2. Aufl. S. 117; Horn/Hoyer JZ 1987, 965, 966; Tiedemann/Kindhäuser NStZ 1988, 337, 346; Cornils JZ 1999, 394: speziell zur Volksverhetzung im Internet), wird nicht immer hinreichend zwischen rein abstrakten und abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikten differenziert. Aber auch dort, wo die Auffassung vertreten wird, daß abstrakt-konkrete bzw. potentielle Gefährdungsdelikte - als Unterfall der abstrakten Gefährdungsdelikte - keinen Erfolgsort hätten (Hilgendorf NJW 1997, 1873; Satzger NStZ 1998, 112), vermag das nicht zu überzeugen.

 

Die Verneinung eines Erfolgsorts bei abstrakten Gefährdungsdelikten wird zumeist nicht näher begründet, stützt sich aber ersichtlich auf den geänderten Wortlaut des § 9 StGB. Durch das 2. StrRG vom 4. Juli 1969 (BGBl I S. 717), in Kraft getreten am 1. Januar 1975 (BGBl I 1973 S. 909), wurde der Erfolgsort nicht mehr nur mit dem "Erfolg", sondern mit dem "zum Tatbestand gehörenden Erfolg" umschrieben. Da eine konkrete Gefahr oder gar eine Gefahrverwirklichung gerade nicht zum Tatbestand eines abstrakten Gefährdungsdelikts gehöre, könne auch der Ort der Gefährdung nicht Tatort sein.

 

Allerdings war das Ziel der Gesetzesänderung nicht, eine Begrenzung des § 9 Abs. 1 3. Alt. StGB auf Erfolgsdelikte vorzunehmen, wie Sieber (NJW 1999, 2065, 2069) überzeugend dargelegt hat. Das Merkmal "zum Tatbestand gehörender Erfolg" sollte lediglich klarstellen, daß der Eintritt des Erfolges in enger Beziehung zum Straftatbestand zu sehen ist (Kielwein in: Niederschriften über die Sitzung der Großen Strafrechtskommission IV, AT, 38. bis 52. Sitzung, 1958, S. 20).

Mit der Aufnahme der (konkreten) Eignung zur Friedensstörung in den Tatbestand des § 130 Abs. 1 und Abs. 3 StGB hat der Gesetzgeber indes die enge Beziehung des Eintritts des Erfolges zum Straftatbestand umschrieben und damit den zum Tatbestand gehörenden Erfolg selbst bestimmt.

 

d) Auch die vermittelnden Meinungen von Oehler (Internationales Strafrecht 2. Aufl. Rdn. 257), Jescheck (Lehrbuch des Strafrechts AT 4. Aufl. S. 160; nicht eindeutig Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT 5. Aufl. S. 178) und Sieber (NJW 1999, 2065), die bei der hier vorliegenden Fallgestaltung zu einer Verneinung des Erfolgsorts führen würden, vermögen an dem gefundenen Ergebnis nichts zu ändern.

 

4. Für die Anwendung des deutschen Strafrechts bei der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 und Abs. 3 StGB in Fällen der vorliegenden Art liegt auch ein völkerrechtlich legitimierender Anknüpfungspunkt vor. Denn die Tat betrifft ein gewichtiges inländisches Rechtsgut, das zudem objektiv einen besonderen Bezug auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aufweist (vgl. Jescheck/Weigend aaO S. 179; Hilgendorf NJW 1997, 1873, 1876; Derksen NJW 1997, 1878, 1880; Martin ZRP 1992, 19, 22). Auch soll die Verletzung dieses Rechtsguts gerade von dieser Strafvorschrift unterbunden werden.

 

Das Äußerungsdelikt nach § 130 Abs. 1 StGB schützt Teile der inländischen Bevölkerung schon im Vorfeld von unmittelbaren Menschenwürdeverletzungen und will - wegen der besonderen Geschichte Deutschlands - dem Ingangsetzen einer historisch als gefährlich nachgewiesenen Eigendynamik entgegenwirken. Der Leugnungstatbestand des § 130 Abs. 3 StGB hat aufgrund der Einzigartigkeit der unter der Herrschaft des Nationalsozialismus an den Juden begangenen Verbrechen einen besonderen Bezug zur Bundesrepublik Deutschland (vgl. von Bubnoff aaO § 130 Rdn. 45; Lackner/Kühl aaO § 130 Rdn. 8a; Gemeinsame Maßnahme des Rates der Europäischen Union betreffend die Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit vom 15. Juli 1996, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 24. Juli 1996, Nr. L 185/5).

 

5. Es kann offen bleiben, ob der Angeklagte auch im Inland gehandelt haben könnte (§ 9 Abs. 1 1. Alt. StGB), wenn ein inländischer Internet-Nutzer die Seiten auf dem australischen Server aufgerufen und damit die Dateien nach Deutschland "heruntergeladen" hätte. Der Senat hätte allerdings Bedenken, eine auch bis ins Inland wirkende Handlung darin zu sehen, daß der Angeklagte sich eines ihm zuzurechnenden Werkzeugs (der Rechner einschließlich der Proxy-Server, Datenleitungen und der Übertragungssoftware des Internets) zur - physikalischen - "Beförderung" der Dateien ins Inland bedient hätte. Eine Übertragung des im Zusammenhang mit der Versendung eines Briefes (vgl. dazu Gribbohm aaO § 9 Rdn. 39) entwickelten Handlungsbegriffes (zu Rundfunk- und Fernsehübertragungen siehe auch KG NJW 1999, 3500) auf die Datenübertragung des Internets liegt eher fern.

 

III. Das deutsche Strafrecht gilt auch für die Erfolgsdelikte der Beleidigung (vgl. Tröndle/Fischer aaO § 185 Rdn. 15; Roxin aaO § 10 Rdn. 102; Hilgendorf NJW 1997, 1783, 1876) und der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (vgl. Tröndle/Fischer aaO § 189 Rdn. 2) in den Internet-Fällen. Die Ehrverletzung (zu den Grenzen der Meinungsfreiheit vgl. BVerfG - Kammer - Beschluß vom 6. September 2000 - 1 BvR 1056/95 -) trat jedenfalls mit der Kenntniserlangung des ermittelnden Polizeibeamten ein (vgl. BGHSt 9, 17; Tröndle/Fischer aaO § 185 Rdn. 15; Lenckner aaO § 185 Rdn. 5, 16). Hierbei handelte es sich nicht etwa um vertrauliche Äußerungen, von denen sich der Staat Kenntnis verschafft hat (vgl. BVerfGE 90, 255).

 

IV. Die somit entsprechend § 354 Abs. 1 StPO vorzunehmende Änderung des Schuldspruchs in den Fällen II.1 und II.3 führt zur Aufhebung der in diesen Fällen verhängten Einzelstrafen und der Gesamtstrafe. Da der Schuldspruch im Fall II.2 von der Revision der Staatsanwaltschaft nicht angegriffen wird, war die in diesem Fall verhängte Einsatzstrafe nicht aufzuheben, denn insoweit enthält die Strafzumessung keinen den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler.

LANDGERICHT MANNHEIM

 

5. Große Strafkammer

 

IM NAMEN DES VOLKES

 

URTEIL

 

Aktenzeichen: 5 KLs 503 Js 9551/99

Entscheidung vom 10. November 1999

 

 

 

In der Strafsache [...]

 

Der Angeklagte ist der Volksverhetzung in Tateinheit mit Beleidigung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und der Beleidigung in Tateinheit mit Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener in zwei Fällen schuldig.

 

Er wird deshalb zu einer Gesamtstrafe von 10 Monaten verurteilt.

 

 

 

Aus den Gründen:

 

Der Angeklagte befaßte sich seit 1992 mit dem Holocaust. Ab 1994 begann er Rundbriefe zu diesem Thema zu verfassen und sie ins Internet zu stellen. Spätestens 1996 schloß er sich mit Gleichgesinnten in Australien zum "Adelaide Institute" zusammen, dessen Direktor er wurde und heute noch ist. Unter dem Vorwand, unvoreingenommen die Erforschung des Holocaust betreiben und weltweit den Meinungsaustausch hierzu fördern zu wollen, verfaßte er in der Folge Rundbriefe und Artikel, die er von Australien aus ins Internet stellte. Tatsächlich ging es dem Angeklagten jedoch nicht um eine neutrale, objektive Erforschung des Holocaust sondern vielmehr um die Verbreitung "revisionistischer" Thesen, deren vorgefaßter, zentraler Inhalt es war, - die historische Wahrheit der systematischen Verfolgung und Ermordung bzw. Vernichtung der Juden während des sogenannten "Dritten Reiches" in Frage zu stellen und zu leugnen; - die massenhafte Ermordung der Juden in den Konzentrationslagern des Naziregimes als "Erfindung" jüdischer Kreise darzustellen, die insbesondere der Aufrechterhaltung und Durchsetzung finanzieller Forderungen der angeblich Überlebenden der Konzentrationslager und der Hinterbliebenen der Holocaustopfer dienen sollte, aber auch der politischen Diffamierung von Deutschen.

 

[...]

 

Nach den vorstehenden Feststellungen hat der Angeklagte

 

1. jeweils auf Grund neu gefaßten Willensentschlusses in allen drei Taten auf Grund einheitlichen Willensentschlusses das Verfolgungsschicksal der ermordeten und überlebenden Insassen des Konzentrationslagers Auschwitz geleugnet und dabei den Holocaust im Falle [1] und [3] als erfundenes Druckmittel zur Verfolgung politischer Vorteile, im Falle [3] zusätzlich auch finanzieller Vorteile, bezeichnet. Im Falle [2] hat er neben dem Leugnen der massenweisen Vergasung von Juden in Auschwitz M. und mit ihm alle den Holocaust überlebenden und ihn bekundenden Zeitzeugen als Lügner diffamiert.

 

Der Angeklagte hat damit in allen drei Fällen jeweils die genannten Personenkreise in ihre Menschenwürde angreifender Weise

 

a) an ihrer Ehre verletzt, soweit es die Überlebenden angeht, bzw.

 

b) ihr Andenken verunglimpft, soweit es die Verstorbenen betrifft.

 

Der Angeklagte hat sich deshalb in allen drei Fällen der Beleidigung in Tateinheit mit Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener schuldig gemacht, Vergehen, strafbar nach §§ 185,189,52-54 StGB.

 

Da er diese Beleidigungen und Verunglimpfungen in allen Fällen durch das Einstellen in einen Datenspeicher des Internet allen Online-Anschlußinhabern in Bild und Schrift zugänglich - und damit öffentlich - gemacht hat, § 194 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 2 i.V.m. § 11 Absatz 3 StGB, bedurfte es zur Strafverfolgung keines Strafantrages.

 

2. Durch das jeweils in allen Fällen von vornherein beabsichtigte öffentliche Zugänglichmachen dieser die Menschenwürde verletzenden Beleidigungen und Verunglimpfungen hat der Angeklagte in allen drei Fällen zugleich auch die Gefahr begründet, daß dadurch der öffentliche Frieden gestört würde, weil seine ins Internet gestellten Artikel geeignet waren, das Sicherheitsempfinden und das Vertrauen in die Rechtssicherheit insbesondere der jüdischen Mitbürger empfindlich zu stören, so daß er in allen drei Fällen auch tateinheitlich den Tatbestand des § 130 Absatz 1 Nr.2 StGB verwirklicht hat.

 

Bei dieser Vorschrift handelt es sich indes um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das, weil es keinen zum Tatbestand gehörenden Erfolg aufweist, nur an dem Ort begangen wird, an dem die Gefahr begründet wird. Der Ort, an dem als Folge der Tat eine konkrete Gefährdung oder gar eine Verletzung eintritt, ist aber nicht weiterer Tatort im Sinne von § 9 StGB (vgl. LK, § 130, Rdnr. 19 und 20, Schönke-Schröder, 25.Auflage, § 9 Rdnr. 6).

 

In den Fällen [1] und [3] hat der Angeklagte indes nur in Australien gehandelt; dort hat er seine Artikel ins Internet gestellt und damit die Gefahr begründet. Da es in Australien einen dem § 130 StGB vergleichbaren Tatbestand nicht gibt und der Angeklagte Australier ist, kann auch § 7 StGB die Zuständigkeit der Kammer nicht begründen. Schließlich ist auch keiner der in den §§ 5 und 6 StGB geregelten Fälle gegeben, so daß eine Bestrafung des Angeklagten in den Fällen [1] und [3] auch nach § 130 StGB mangels Zuständigkeit nicht in Betracht kommt.

 

Im FaIle [2] hingegen hat der Angeklagte seinen offenen Brief nicht nur ins Internet gestellt, sondern auch nach Deutschland und da u.a. an die Zeitschrift "S." versandt, darum wissend und dies zumindest billigend in Kauf nehmend, daß der offene Brief veröffentlicht werden könnte. Er hat damit, weil die Handlung "Versenden" erst mit dem Eingang beim Adressaten beendet war, in diesem Fall auch in Deutschland seinen offenen Brief in einer Weise zugänglich gemacht, der geeignet war den öffentlichen Frieden zu stören. Der Angeklagte hat sich mithin in diesem Falle tateinheitlich (§ 52 StGB) zu den Vergehen nach §§ 185, 189 StGB auch eines Vergehens der Volksverhetzung nach § 130 Absatz 1 Nr.2 StGB schuldig gemacht.

 

Bei der Strafzumessung waren für die Kammer die nachfolgenden Erwägungen bestimmend:

 

Die Verhängung von Geldstrafen kam jedoch in keinem der drei Fälle in Betracht. Der Angeklagte hat sich in diesen über einen längeren Zeitraum hinweg erstreckenden Taten als hartnäckiger und diffamierender Leugner historisch erwiesener Tatsachen erwiesen. In der Hauptverhandlung hat er keine Reue gezeigt. Um ihn künftig von der weiteren Begehung gleichartiger Delikte abzuhalten, aber auch zur Verteidigung der Rechtsordnung, um das Vertrauen der jüdischen Mitbürger in die Rechtssicherheit zu stärken, hielt die Kammer die Verhängung von Freiheitsstrafe in jedem Fall für unerläßlich.

 

Bei der Bemessung der konkreten Strafen hat die Kammer in allen Fällen strafmildernd bedacht, daß der Angeklagte bisher nicht vorbestraft war. Zu sehen war auch, daß der Angeklagte seine Texte in englischer Sprache abgefaßt hat, obwohl er der deutschen Sprache in Wort und Schrift mächtig war. Es hat daher nicht davon ausgegangen werden können, daß er zielgerichtet und in besonderer Weise das Zugänglichmachen seiner Thesen gerade unter Internetnutzern in Deutschland erstrebt hat; sein Zielgebiet scheint vielmehr der angloamerikanische Raum gewesen zu sein. Nur der Geltungsbereich der deutschen Strafgesetze ist aber für das anhängige Verfahren von Belang. Auch vermochte die Kammer keine Feststellungen darüber zu treffen, ob und wie oft es überhaupt vorgekommen ist, daß deutsche Internetbenutzer die "homepage" des A. abgerufen und wieviele davon die englischsprachigen und vielfach recht weitschweifig gefaßten Texte gelesen und verstanden haben.

 

Zu Gunsten des Angeklagten sprach schließlich auch, daß der Angeklagte als australischer Staatsangehöriger aus einem Rechtskreis kommt, in dem er nach Kenntnis der Kammer seinen revisionistischen Aktivitäten über Jahre hinweg unbehelligt von der Strafjustiz hat nachgehen können, wobei ihm aber auch bewußt war, daß in Deutschland die Rechtslage anders war.

 

[...]

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