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Anonymisierte Bildberichterstattung bei jugendlichen Straftätern - Hanseatisches OLG, Urteil vom 17.06.2008, Az.: 7 U 35/08

Leitsätzliches

Das Anonymitätsinteresse eines jugendlichen Straftäters, der besonders brutale Taten begangen hat, hat Vorrang vor dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Im Rahmen der Einzelfallabwägung ist die besondere Schutzbedürftigkeit jugendlicher Straftäter zu beachten. Ein genereller Vorrang des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Jugendlichen besteht nicht.

HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

Aktenzeichen: 7 U 35/08

Entscheidung vom 17. Juni 2008

In dem Rechtsstreit

...

gegen

...

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 7. Zivilsenat, durch den Senat

Dr. ..., Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht

..., Richter am Oberlandesgericht

Dr. .., Richter am Oberlandesgericht

nach der am 17.6.2008 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Geschäftszeichen 324 O 636/07, vom 20. November 2007 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gründe gemäß §§ 540 Abs. 1 und 2, 313a ZPO:

Zu Recht und mit zutreffenden Gründen, denen der Senat folgt und auf deren Inhalt demgemäß zwecks Vermeidung unnötiger Wiederholungen verwiesen wird, hat das Landgericht das mit der einstweiligen Verfügung vom 16. Juli 2007 ausgesprochene Verbot bestätigt. Soweit die Antragsgegnerin im Berufungsverfahren geltend macht, dass das Landgericht bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen zu Unrecht dem Anonymitätsinteresse des Antragstellers den Vorrang eingeräumt habe, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Zutreffend hat das Landgericht im Rahmen der Abwägung auf die besondere Schutzbedürftigkeit jugendlicher Straftäter hingewiesen, die auch in den Regelungen des JGG zum Ausdruck kommt, wonach die Verhandlung gegen zur Tatzeit jugendliche Straftäter grundsätzlich nicht öffentlich ist. Dieser besondere Schutz beruht u.a. darauf, dass jugendliche Straftäter nach Reifegesichtspunkten noch nicht die gleiche Einsichts- und Verantwortungsfähigkeit wie erwachsene Täter aufweisen und dass deshalb die Folgen der Tat für das künftige Leben des Jugendlichen zu begrenzen sind. Der Antragsteller hat, weil er als zur Tatzeit siebzehnjähriger Schüler seinen Platz im Leben in sozialer wie beruflicher Hinsicht noch nicht gefunden hat und sein weiterer Werdegang nach der Entlassung aus dem Jugendvollzug in vielfacher Hinsicht von der Einschätzung seiner Person durch Dritte abhängen wird, ein gesteigertes Interesse daran, dass seine Identität als Täter der Aufsehen erregenden Tat nicht in die Öffentlichkeit getragen wird. An diesem besonderen bei der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Schutzbedürfnis ändert sich nichts dadurch, dass der Antragsteller zwischenzeitlich volljährig geworden ist. Würde man im Rahmen der Interessenabwägung nicht auf den Zeitpunkt der Straftat, sondern auf denjenigen der identifizierenden Berichterstattung oder gar auf denjenigen des Schlusses der mündlichen Verhandlung im Unterlassungsprozess abstellen, würde man dem oben geschilderten besonderen Bedürfnis des jugendlichen Straftäters nach Anonymität nicht gerecht. Dementsprechend stellt auch § 48 JGG für die Frage der Öffentlichkeit der Verhandlung nicht auf das Alter des Täters zum Zeitpunkt der Verhandlung, sondern allein auf sein Alter zum Zeitpunkt der Tat ab.

Dem Anonymitätsinteresse des Antragstellers steht ein außerordentlich hohes öffentliches Informationsinteresse, das für die Antragsgegnerin streitet, gegenüber. Die vom Antragsteller begangenen Straftaten waren nicht nur besonders schwerwiegend und brutal, auch die Umstände der ohne nachvollziehbaren Anlass begangenen Taten waren extrem außergewöhnlich. Die Berichterstattung der Antragsgegnerin erfolgte zeitnah, das Informationsinteresse war aktuell. Der Informationswert, der dem konkreten verbotenen Foto zukommt, ist allerdings eher als gering einzustufen. Das Foto, das das mit einem unzureichenden Augenbalken versehene Gesicht des Antragstellers zeigt, gibt über ein Verhalten des Antragstellers bei oder nach der Tat keinen Aufschluss. Dennoch verbleibt das grundsätzlich anzuerkennende Interesse der Öffentlichkeit zu erfahren, wer ein schweres Gewaltverbrechen begangen hat und wie diese Person aussieht. Das große Informationsinteresse an dem Geschehnis zeigt sich auch daran, dass die Presse bundesweit ausführlich über die Straftat und ihre Hintergründe berichtete.

Bei der vorzunehmenden Abwägung überwiegt das Interesse des Antragstellers, im Rahmen der Berichterstattung nicht identifizierbar abgebildet zu werden. Dies bedeutet entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht, dass jedem minderjährigen Straftäter generell absoluter Schutz zu gewähren ist, bei dem keine Abwägung mehr stattfindet. Allerdings ist der Antragsgegnerin einzuräumen, dass die Abwägung im Hinblick auf die gebotene Rücksichtnahme auf die Zukunft des Jugendlichen in nahezu allen Fällen zu Lasten der Presse und der Informationsfreiheit ausfallen dürfte.

Auch das weitere Berufungsvorbringen gibt zu abweichender Entscheidung keine Veranlassung.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO.

(Unterschriften)

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