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LAG Köln zur Kündigung wegen einer Anzeige des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber (LAG Köln, Urt. v. 05.07.2012, Az. 6 Sa 71/12)

Leitsätzliches

Die vorschnelle Anzeige angeblichen Fehlverhaltens des Arbeitgebers beim Jugendamt durch eine Arbeitnehmerin, die mit der Betreuung von Kleinkindern beschäftigt ist, stellt einen wichtigen Kündigungsgrund dar.

Landesarbeitsgericht Köln

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

 

 Aktenzeichen:  6 Sa 71/12

 

Entscheidung vom 05.07.2012

 

 

In dem Rechtsstreit (...)

 

hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom (...) durch (...)

für Recht erkannt:


1. Die Berufung der Klägerin gegen das am 13.12.2011 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Aachen – 5 Ca 2681/11 d – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.


Ta t b e s t a n d:

Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung vom 18.07.2011 und restliche Vergütung für die Zeit bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist am 31.07.2011. Die Klägerin war bei den beklagten Eheleuten seit dem 11.05.2011 als Hauswirtschafterin gegen eine Vergütung von 1.800,00 € brutto angestellt und dabei mit der Betreuung der beiden Kinder (2 Jahre und 10 Monate alt) beschäftigt. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts wird gemäß § 69 ArbGG abgesehen.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung der Arbeitsvergütung für die Zeit vom 01. bis zum 18.07.2011 einschließlich Urlaubsabgeltung in Höhe von 1.380,29 € (richtig: 1.280,29 €) verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen, weil die fristlose Kündigung durch die Beklagten wegen einer rücksichtslosen Anzeige der Klägerin beim Jugendamt der Stadt D   berechtigt gewesen sei. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf Blatt 55 ff. der Akten Bezug genommen.

Mit ihrer Berufung macht die Klägerin weiterhin geltend, dass die außerordentliche Kündigung mangels wichtigen Grundes unwirksam sei. Sie habe – nach Erhalt der ordentlichen Kündigung – das Recht zur Information des Jugendsamtes gehabt. Das Jugendamt sei nicht die Staatsanwaltschaft, sondern solle klären, ob Missstände vorlägen. Es sei sicherlich sinnvoll, bei überlasteten Eltern das Jugendamt einzuschalten. Komme es zu dem Ergebnis, dass eine Misshandlung des Kindes vorliege, so habe es gegebenenfalls die Staatsanwaltschaft einzuschalten. Die bloße Information des Jugendamtes stelle noch keine unzulässige Handlung zu Lasten des Arbeitgebers dar.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Aachen vom 13.12.2011 – 5 Ca 2681/11 d –

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung vom 18.07.2011, sondern erst zum 31.07.2011 aufgelöst ist;

2. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie weitere 929,10 € zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten das Vorbringen der Klägerin zur angeblichen Verwahrlosung ihrer Tochter J   , geboren am    .2010, für widersprüchlich und durch das Attest des Kinderarztes vom 19.07.2011 (Kop. Bl. 27 d.A.) für widerlegt. Jedenfalls hätte die Klägerin ihre Vorwürfe vor einer Anzeige beim Jugendamt zunächst mit ihnen besprechen müssen, um eine „innerbetriebliche Klärung“ herbeizuführen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

I. Die Berufung der Klägerin ist zwar zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat die gegen die fristlose Kündigung gerichtete Klage ebenso wie die weitergehende Zahlungsklage zu Recht abgewiesen. Die dagegen gerichteten Angriffe der Berufung rechtfertigen kein anderes Ergebnis. Im Einzelnen gilt Folgendes:

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist beendet werden, wenn Gründe vorliegen die es dem Kündigenden unter Berücksichtigung der Interessen beider Vertragsteile als nicht zumutbar erscheinen lassen, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist aufrecht zu erhalten. Vorliegend stellt die Anzeige der Klägerin gegenüber dem Jugendamt als kommunale Aufsichtsbehörde auch unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einen wichtigen Grund im Sinne dieser Vorschrift dar, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann eine vom Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber erstattete Anzeige bei einer staatlichen Behörde einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellen (vgl. BAG vom 05.02.1959 – 2 AZR 60/56 – juris; BAG vom 04.07.1991 – 2 AZR 80/91 – juris; BAG vom 03.07.2001 – 2 AZR 2353/02 – juris). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gilt es in diesem Zusammenhang zu beachten, dass der Arbeitnehmer mit der Erstattung einer Strafanzeige ein grundrechtliches Freiheitsrecht (Artikel 2 Absatz 2 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip) ausübt, das ihm die Rechtsordnung ausdrücklich gewährt; es entspricht allgemeinem Interesse des Rechtsstaats an der Erhaltung des Rechtsfriedens und an der Aufklärung von Straftaten, dass auch der Arbeitnehmer zur Aufklärung von Straftaten beitragen darf und dies in besonderen Fällen sogar muss, selbst wenn diese vom Arbeitgeber begangen wurden; haltlose Vorwürfe aus verwerflichen Motiven können demgegenüber einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 BGB darstellen (vgl. BVerfG vom 20.07.2001 – 1 BVR 249/00 -, juris). Es kommt maßgeblich darauf an, ob die (Straf-)Anzeige des Arbeitnehmers nicht auf wissentlich unwahrem Vortrag beruht oder leichtfertig erfolgt, weil im Rahmen des Interessenausgleichs zwischen den Grundrechten der Vertragsparteien die Berufsfreiheit des Arbeitgebers sein Interesse schützt, nur mit solchen Arbeitnehmern zusammenzuarbeiten, die die Ziele des Unternehmens fördern und es vor Schäden bewahren (vgl. BAG vom 03.07.2003 – 2 AZR 235/02 -, juris). Die (Straf-)Anzeige darf zudem nicht als unverhältnismäßige Reaktion des Arbeitnehmers zu qualifizieren sein (vgl. BAG vom 07.12.2006 – 2 AZR 400/05 -, juris).

In seiner Entscheidung vom 21.07.2011 (28274/08, juris) hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) klargestellt, dass Strafanzeigen von Arbeitnehmern gegen ihren Arbeitgeber mit dem Ziel, Missstände in ihrem Unternehmen offenzulegen, dem Geltungsbereich des Artikel 10 EMRK unterliegen und mittels der Strafanzeige vom Recht auf freie Meinungsäußerung im Sinne des Artikel 10 Abs. 1 Satz 1 EMRK Gebrauch gemacht wird. Im zugrundeliegenden Fall der Strafanzeige einer Altenpflegerin wegen Missständen hinsichtlich der Dokumentation der Pflegeleistungen hätten die deutschen Gerichte keinen angemessenen Ausgleich zwischen der Notwendigkeit, den Ruf des Arbeitgebers zu schützen einerseits, und derjenigen, das Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung zu schützen andererseits, herbeigeführt. Im Rahmen dieser Abwägung sind nach Ansicht des EGMR folgende Aspekte von Bedeutung: In erste Linie gebietet die Loyalitätspflicht des Arbeitnehmers, zunächst eine interne Klärung zu versuchen, um dann als ultima ratio die Öffentlichkeit zu informieren. Darüber hinaus habe jede Person, die Informationen offenlegen wolle, sorgfältig zu prüfen, ob die Information zutreffend und zuverlässig sei. Auf der anderen Seite sei auch der Schaden von Bedeutung, der dem Arbeitgeber durch die in Rede stehende Veröffentlichung entstanden sei. Wesentlich sei außerdem, ob die Person die Offenlegung in gutem Glauben und in der Überzeugung vorgenommen habe, dass die Information wahr sei, dass sie im öffentlichen Interesse liege, und dass keine anderen, diskreteren Mittel existierten, um gegen den angeprangerten Missstand vorzugehen (vgl. EGMR vom 21.07.2010 – 28274/08, juris). Mit diesen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte betonten Aspekten sind die bereits von den deutschen Gerichten aufgestellten Grundsätze weiter präzisiert worden. Letztlich entscheidend ist eine durch die Grundrechte der Beteiligten geprägte umfassende Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung von Interessen der Allgemeinheit (vgl. bereits LAG Köln vom 02.02.2012 – 6 Sa 304/11 -, juris, m. w. N.).

2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze stellt das Verhalten der Klägerin einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB dar. Bei der Anzeige der Klägerin gegenüber dem Jugendamt handelte es sich nach der unstreitigen Chronologie der Ereignisse um eine unverhältnismäßige Reaktion auf die zuvor ausgesprochene ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Jedenfalls hätte die Klägerin – ihr Vorbringen zur Wahrnehmung der angeblichen Missstände Ende Juni 2011 als richtig unterstellt – schon viel früher unter Beachtung ihrer Loyalitätspflicht eine interne Klärung mit ihren Arbeitgebern versuchen müssen. Ein klärendes Gespräch wäre der Klägerin auch durchaus zumutbar gewesen, wie das Arbeitsgericht im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat. Erst nach dem Scheitern eines solchen Versuchs wäre dann die Einschaltung der Behörde in Betracht gekommen. Durch die vorschnelle Anzeige beim Jugendamt hat die Klägerin die Beklagten leichtfertig beschuldigt und das Vertrauensverhältnis in einer Weise belastet, dass den Beklagten eine Weiterbeschäftigung auch nur während der noch laufenden Kündigungsfrist nicht mehr zumutbar war.

Die – teilweise widersprüchlichen – Behauptungen der Klägerin zum Zustand des Kleinkindes bedurften daher, auch das hat das Arbeitsgericht richtig erkannt, keiner Aufklärung durch eine Beweisaufnahme. Dahinstehen kann auch die Frage, ob die Behauptungen bereits durch das kinderärztliche Attest vom 19.07.2011 (Kop. Bl. 27 d. A.) widerlegt sind. Unabhängig davon war eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Beklagten wegen des unvertretbaren Verhaltens der Klägerin nicht länger zumutbar.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Revision war nicht gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen. Insbesondere hatte die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil die Entscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalls beruhe.


RECHTSMITTELBELEHRUNG

Unterschriften