Leitsätzliches
Zur Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte eines BetriebsratsmitgliedsBUNDESARBEITSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Entscheidung vom 10. November 1993
In dem Rechtsstreit
Das Bundesarbeitsgericht hat ... für Recht erkannt:
Auf die Revision wird das Urteil des ... vom ... aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Tatbestand:
Der Kläger verlangt die Entfernung einer Abmahnung aus seiner Personalakte.
Die Beklagte vertreibt in der Bundesrepublik Deutschland von ihrer japanischen Muttergesellschaft hergestellte Kraftfahrzeuge. Sie beschäftigt ca. 450 Mitarbeiter. Der Kläger ist bei ihr als Kfz-Mechaniker angestellt. Er ist nicht freigestelltes Mitglied des neunköpfigen Betriebsrates.
Nach einem entsprechenden Beschluß des Betriebsrates vom 3. September 1991 nahm der Kläger an einem vom Sozialinstitut des Erzbistums P für die Zeit von Dienstag, dem 29. Oktober 1991 bis Donnerstag, dem 31. Oktober 1991 angebotenen Seminar "Gruppenarbeit in der Automobilindustrie" teil.
.....
Die Beklagte hatte zuvor mit Schreiben vom 21. August 1991 und 8. Oktober 1991 der Teilnahme des Klägers an diesem Seminar mit dem Hinweis widersprochen, bei ihr werde Gruppenarbeit nicht praktiziert, es sei damit nicht erforderlich, an dem Seminar teilzunehmen. In seinem Schreiben an die Beklagte vom 22. Oktober 1991 verteidigte und begründete der Betriebsrat seine Entscheidung.
Der Kläger erhielt am 15. November 1991 die im Streit befindliche schriftliche "Abmahnung" vom 11. November 1991.
.....
Sie wurde zu seiner Personalakte genommen.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Abmahnung sei unzulässig. Die Beklagte rüge kein individualrechtliches Fehlverhalten, sondern lediglich eine Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Amtspflichten. Dies sei nicht zulässig. Die Abmahnung sei auch nicht begründet. Die Schulungsveranstaltung habe Kenntnisse vermittelt, die gerade unter Berücksichtigung der bei der Beklagten bestehenden Verhältnisse notwendig seien, um dem Betriebsrat die Möglichkeit zu geben, seine gegenwärtigen und auch in Zukunft anstehenden Aufgaben sach- und fachgerecht zu erfüllen. Im Vordergrund des Seminars hätten allgemeine Grundsätze der Gruppenarbeit, hingegen nicht die Gruppenarbeit in der Produktion gestanden. Gruppenarbeit finde auch bei der Beklagten statt.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 11. November 1991 aus seiner Personalakte zu entfernen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat erwidert, bei ihr finde keine Gruppenarbeit statt. Die Teilnahme des Klägers an dem Seminar sei auch deshalb nicht erforderlich gewesen, weil sie kein Unternehmen der Automobilindustrie, sondern eines des Kraftfahrzeughandels sei. Im übrigen hätte der Betriebsrat - notfalls im Rahmen einer einstweiligen Verfügung - die Erforderlichkeit der Schulung gerichtlich überprüfen lassen und damit einen Interessenkonflikt des Klägers hinsichtlich der Befolgung des Entsendungsbeschlusses vermeiden können.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist begründet. Die Klage war abzuweisen. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht stattgegeben. Die streitbefangene Abmahnung ist zu Recht zur Personalakte des Klägers genommen worden. Ihm steht kein Anspruch auf Entfernung dieser Abmahnung aus seiner Personalakte zu.
1. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, daß ein Arbeitnehmer die Entfernung einer mißbilligenden Äußerung des Arbeitgebers aus seiner Personalakte verlangen kann, wenn diese Äußerung unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, die den Arbeitnehmer in seiner Rechtsstellung und in seinem beruflichen Fortkommen beeinträchtigen können.
2. Bei der Abmahnung handelt es sich um die Ausübung eines arbeitsvertraglichen Gläubigerrechtes durch den Arbeitgeber. Als Gläubiger der Arbeitsleistung weist der Arbeitgeber den Arbeitnehmer als seinen Schuldner auf dessen vertragliche Pflichten hin und macht ihn auf eine Verletzung dieser Pflichten aufmerksam; zugleich fordert er ihn für die Zukunft zu einem vertragstreuen Verhalten auf und kündigt, wenn ihm dies angebracht erscheint, individualrechtliche Konsequenzen für den Fall einer erneuten Pflichtverletzung an, insbesondere in Form der Androhung einer Kündigung (BAG Urteil vom 15. Juli 1992 - 7 AZR 466/91 - a.a.O., m. w. N.).
Dem Landesarbeitsgericht ist - hiervon ausgehend - darin zu folgen, daß es sich bei der hier streitbefangenen Abmahnung um eine solche im Rechtssinne handelt. Dies kommt nicht nur in der eindeutigen Bezeichnung des Schreibens selbst zum Ausdruck, sondern vor allem auch dadurch, daß ein bestimmtes Verhalten des Klägers gerügt und für den Wiederholungsfall eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses angedroht wird.
3. Ebenso zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, der Kläger habe seinen Arbeitsvertrag verletzt, weil er in der Zeit vom 29. bis 31. Oktober 1991 unter Versäumung der von ihm geschuldeten Arbeitszeit an dem umstrittenen Seminar teilgenommen hat, ohne daß die Teilnahme des Klägers an diesem Seminar erforderlich gewesen ist.
a) Nach § 37 Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 2 BetrVG ist ein Mitglied des Betriebsrats von seiner beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zur Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen zu befreien, soweit diese Kenntnisse vermitteln, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat der Betriebsrat die Aufgabe, über die Freistellung eines Betriebsratsmitgliedes zu beschließen, dessen Schulung er zur Erfüllung seiner Aufgaben im Betriebsrat für erforderlich hält. Bei dem Begriff der Erforderlichkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Ausfüllung sowohl dem Betriebsrat als auch dem Landesarbeitsgericht ein gewisser Beurteilungsspielraum zusteht. Dabei hat der Betriebsrat die Frage der Erforderlichkeit nicht nach seinem subjektiven Ermessen zu beantworten; vielmehr muß er sich auf den Standpunkt eines vernünftigen Dritten stellen, der die Interessen des Betriebes einerseits und die des Betriebsrates und der Arbeitnehmerschaft andererseits gegeneinander abzuwägen hat. Entscheidend ist dabei der Zeitpunkt der Beschlußfassung des Betriebsrats; unerheblich ist, ob aus späterer Sicht rückblickend betrachtet die Freistellung im streng objektiven Sinne erforderlich war. Die gerichtliche Kontrolle muß sich daher auf die Prüfung beschränken, ob ein vernünftiger Dritter unter den im Zeitpunkt der Beschlußfassung gegebenen Umständen eine derartige Entscheidung getroffen hätte.
b) Erforderlich im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG ist die Vermittlung von Kenntnissen nur dann für die Betriebsratsarbeit, wenn diese Kenntnisse unter Berücksichtigung der konkreten Situation im Betrieb und im Betriebsrat benötigt werden, damit die Betriebsratsmitglieder ihre derzeitigen oder demnächst anfallenden gesetzlichen Aufgaben wahrnehmen können. Für die Frage, ob die konkreten Aufgaben des einzelnen Betriebsratsmitgliedes seine Schulung erforderlich machen, ist darauf abzustellen, ob nach den Verhältnissen des einzelnen Betriebes Fragen anstehen oder absehbar in naher Zukunft anstehen werden, die der Beteiligung des Betriebsrats unterliegen und für die im Hinblick auf den Wissensstand des Betriebsrats eine Schulung des betreffenden Betriebsratsmitgliedes, ggf. unter Berücksichtigung der Aufgabenverteilung im Betriebsrat, erforderlich ist, damit der Betriebsrat seine Beteiligungsrechte sach- und fachgerecht ausüben kann. Soweit es sich dabei - wie hier - nicht um die Vermittlung sogenannter Grundkenntnisse handelt, muß ein aktueller, betriebsbezogener Anlaß für die Annahme bestehen, daß die auf der Schulungsveranstaltung zu erwerbenden Kenntnisse derzeit oder in naher Zukunft von dem zu schulenden Betriebsratsmitglied benötigt werden, damit der Betriebsrat seine Beteiligungsrechte derart sach- und fachgerecht ausüben kann.
c) Von diesen Grundsätzen ausgehend hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei angenommen, das Seminar "Gruppenarbeit in der Automobilindustrie" habe nicht der Vermittlung sogenannter Grundkenntnisse gedient. Vielmehr habe es insoweit eines aktuellen, betriebsbezogenen Anlasses bedurft, um die Annahme zu begründen, daß die zu vermittelnden Kenntnisse derzeit oder in naher Zukunft von dem Kläger benötigt würden, um seine Betriebsratsaufgaben sach- und fachgerecht wahrnehmen zu können. Ein solcher Anlaß bestehe nicht, weil es bei der Beklagten keine Gruppenarbeit im Sinne der Seminardarstellung gebe. Diese Tatsachenfeststellung ist für den Senat bindend (vgl. § 561 ZPO). Die rechtliche Würdigung des Landesarbeitsgerichts weist keinen Rechtsfehler auf.
4. Trotz der objektiv gegebenen Verletzung des Arbeitsvertrages durch den Kläger hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die schriftliche Abmahnung müsse aus der Personalakte des Klägers entfernt werden, weil der Kläger den Irrtum über die Erforderlichkeit der Schulungsmaßnahme nicht grob fahrlässig verschuldet habe. Soweit eine für Betriebsratstätigkeit in Anspruch genommene Arbeitsbefreiung nicht im Sinne des § 37 Abs. 2 oder Abs. 6 BetrVG erforderlich gewesen sei, komme die Abmahnung eines Betriebsratsmitgliedes einem Arbeitsversäumnis infolge der Betriebsratstätigkeit nur dann in Betracht, wenn dem Betriebsratsmitglied entsprechend § 23 Abs. 1 BetrVG eine grobe Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten vorzuwerfen sei und dem Betriebsratsmitglied insoweit ein Verschulden im Sinne von Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit anzulasten sei. Diese Voraussetzung sei hier nicht gegeben. Der Kläger habe seinen Irrtum über die Erforderlichkeit seiner Schulungsteilnahme nicht grob fahrlässig verschuldet.
5. Diese Ausführungen halten der Revision nicht stand.
a) Das Bundesarbeitsgericht hat zwar erkannt, daß eine Kündigung unzulässig sei, wenn einem Betriebsratsmitglied lediglich die Verletzung seiner Amtspflicht zum Vorwurf gemacht werden könne. Dann sei nur ein Ausschlußverfahren nach § 23 BetrVG möglich. Andererseits komme eine außerordentliche Kündigung in Betracht, wenn zugleich eine schwere Verletzung der Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis vorliege. An die Berechtigung einer solchen fristlosen Entlassung sei ein "strengerer Maßstab" anzulegen als bei einem Arbeitnehmer, der dem Betriebsrat nicht angehöre. Dementsprechend kommt eine Pflichtverletzung durch ein Betriebsratsmitglied als Gegenstand einer Abmahnung in Betracht, wenn das Betriebsratsmitglied zumindest auch seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt hat. Umgekehrt ist, wenn das Verhalten eines Arbeitnehmers zugleich auch eine Verletzung seiner Pflicht als Betriebsratsmitglied darstellt, eine Abmahnung wegen der Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten nicht ausgeschlossen. Ein Betriebsratsmitglied ist, abgesehen von der Arbeitsbefreiung wegen Betriebsratstätigkeit, ebenso zur Arbeitsleistung verpflichtet wie jeder andere Arbeitnehmer. Damit besteht auch hinsichtlich der Zulässigkeit einer Abmahnung unter diesem Gesichtspunkt kein Unterschied zu Arbeitnehmern, die kein Betriebsratsamt innehaben.
b) Für die Frage, ob eine Abmahnung zu Recht erfolgt ist oder nicht, kommt es allein darauf an, ob der erhobene Vorwurf objektiv gerechtfertigt ist. Unbeachtlich ist, ob das beanstandete Verhalten dem Arbeitnehmer auch subjektiv im Sinne eines Verschuldens vorgeworfen werden kann (BAG Urteil vom 7. September 1988 - 5 AZR 625/87 - AP Nr. 2 zu § 611 BGB Abmahnung, zu II der Gründe, mit Anmerkung Conze).
aa) An diesem Grundsatz ist auch für Fälle der vorliegenden Art, nämlich der Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung unter Berufung auf § 37 Abs. 6 in Verbindung mit § 37 Abs. 2 BetrVG, festzuhalten. Allerdings sind Fälle dieser Art dadurch gekennzeichnet, daß die Versäumung der Arbeitszeit auf einer wertenden Entscheidung des Betriebsrates als Gremium (Entsendungsbeschluß) wie auch auf einer weiteren wertenden Entscheidung des Betriebsratsmitgliedes selbst beruht, die dahin gegangen sind, an der Schulungsmaßnahme teilzunehmen. Allein aus der Beschlußfassung des Betriebsrates über die Teilnahme des Betriebsratsmitgliedes an der Schulungsmaßnahme ergibt sich für das betroffene Betriebsratsmitglied noch nicht, daß es von der Erforderlichkeit der Schulungsteilnahme ausgehen darf. Eine solche Entscheidung des Betriebsrates für sich allein bewirkt auch nicht etwa die erforderliche Arbeitsbefreiung. Vielmehr kommt es darauf an, daß das Betriebsratsmitglied selbst bei eigener gewissenhafter Überlegung und bei ruhiger und vernünftiger Würdigung aller Umstände seine Teilnahme an der Schulungsmaßnahme im Hinblick auf die ihm obliegenden Betriebsratsaufgaben für erforderlich halten durfte und es deswegen davon ausgehen konnte, insoweit von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung gem. § 37 Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 2 BetrVG befreit zu sein. Dabei steht dem Betriebsratsmitglied im selben Umfang wie dem Betriebsrat selbst ein Beurteilungsspielraum zu, ebenso auch den Tatsachengerichten. Die Anwendung des Rechtsbegriffs der Erforderlichkeit ist deswegen in der Revisionsinstanz grundsätzlich auch nur daraufhin überprüfbar, ob sie frei von Rechtsirrtum ist und ob die Abwägung der Besonderheiten des Einzelfalles vollständig, ohne inneren Widerspruch und frei von Verstößen gegen Denkgesetze oder allgemeiner Erfahrungssätze vorgenommen worden ist.
bb) Auch wenn die Beurteilung der Erforderlichkeit der Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung und damit die darauf fußende Befreiung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung im Ergebnis davon abhängt, wie der Betriebsrat seinerseits, aber das Betriebsratsmitglied daneben nochmals selbständig, die Frage der Erforderlichkeit der Schulungsteilnahme nicht nur beurteilt haben, sondern haben beurteilen dürfen, ist die Nichtleistung von Arbeit aufgrund der Teilnahme an einer Schulungsmaßnahme im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG schon dann rechtswidrig, wenn der Beurteilungsspielraum objektiv überschritten worden ist. Wegen einer solchen Überschreitung des Beurteilungsspielraums und der daraus resultierenden Nichtleistung von Arbeit darf aber nur dann eine Abmahnung ausgesprochen und in die Personalakte aufgenommen werden, wenn die hinreichende Gefahr der Wiederholung einer willensgesteuerten objektiven Überschreitung des Beurteilungsspielraums besteht. Denn eine Abmahnung dient primär dazu, dem Arbeitnehmer sein arbeitsvertragliches Fehlverhalten vor Augen zu führen, ihn nachdrücklich aufzufordern, derartiges künftig nicht zu wiederholen und ihm für den Fall, daß es doch wiederholt wird, als Warnung arbeitsrechtliche Konsequenzen, hier in Form einer Kündigung, anzudrohen. Ob unter diesem Gesichtspunkt jede trotz allen Bemühens vorliegende geringfügige Fehlbeurteilung der Erforderlichkeit der Schulungsteilnahme bereits eine Abmahnung nach sich ziehen darf, mag dahinstehen. Ihrer Warnfunktion kann eine Abmahnung wegen unberechtigter Teilnahme an einer Schulungsmaßnahme jedenfalls dann nachkommen, wenn bei sorgfältiger, objektiver Beurteilung für jeden Dritten ohne weiteres erkennbar war, daß die Teilnahme an dieser Schulungsmaßnahme für dieses Betriebsratsmitglied nicht erforderlich war und sich das Betriebsratsmitglied gleichwohl zur Teilnahme an der Schulungsmaßnahme entschlossen hat. In solchen Fällen führt die Aufnahme der Abmahnung in die Personalakte weder zu unzumutbaren beruflichen Nachteilen für den Arbeitnehmer noch ist die Abmahnung als zwecklos und bedeutungslos anzusehen.
cc) Diese Voraussetzungen für eine Abmahnung liegen hier vor. Bereits die Bezeichnung des Seminars mit "Gruppenarbeit in der Automobilindustrie" hätte dem Kläger wie auch dem Betriebsrat erheblich zu denken geben müssen. Bei der Beklagten handelt es sich funktional nicht um ein Unternehmen der Automobilindustrie, sondern um die deutsche Importgesellschaft eines ausländischen Automobilherstellers. Bei der Beklagten selbst werden keine Automobile hergestellt, sondern importiert und vertrieben. Darüber hinaus zeigen auch die Seminarinhalte, wie sie vom Landesarbeitsgericht festgestellt worden sind, daß das Seminar vorrangig auf die Bedürfnisse der Automobilindustrie ausgerichtet war, nicht aber auf Bedürfnisse des Automobilimports oder -handels. Zudem hat der Kläger auch keinerlei Tatsachen vorgetragen, aus denen auch nur andeutungsweise zu schließen sein könnte, inwieweit er die auf dem Seminar vermittelten Kenntnisse für seine aktuelle Betriebsratsarbeit benötigt. Schließlich war die Beklagte der Seminarteilnahme des Klägers zuvor sachlich entgegengetreten.
6. Die gebotene Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei arbeitsrechtlichen Abmahnungen hat im vorliegenden Fall ebenfalls nicht zur Folge, daß die Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen wäre. Die Abmahnung ist nicht unverhältnismäßig im Vergleich zu dem beanstandeten Verhalten des Klägers. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der als Übermaßverbot zur Vermeidung schwerwiegender Rechtsfolgen bei nur geringfügigen Verstößen zu verstehen ist, hat der Arbeitgeber im Rahmen der ihm zustehenden Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) zunächst selbst zu entscheiden, ob er ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers mißbilligen will und ob er deswegen eine mündliche oder schriftliche Abmahnung erteilen will (BAG Urteil vom 13. November 1991, a.a.O.). Unter diesem Gesichtspunkt ist die schriftliche Abmahnung der Beklagten nicht unverhältnismäßig im Vergleich zum beanstandeten Verhalten. Die Aufnahme der Abmahnung in die Personalakte des Klägers ist sachgerecht. Es muß der Beklagten überlassen bleiben, ob sie die Aufnahme dieser schriftlichen Abmahnung aus Gründen der Beweisführung für erforderlich hält oder nicht. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit setzt zudem voraus, daß der Gläubiger, hier also die Beklagte, zwischen verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten wählen kann. Es ginge aber zu weit, der Beklagten die Abmahnung und die Aufnahme eines Vermerks hierüber in die Personalakte zu untersagen, weil man über den erhobenen Vorwurf auch hinwegsehen könnte. Denn damit würde die Beklagte zwangsläufig zu erkennen geben, daß sie an der Verletzung der Arbeitsleistungspflicht durch den Kläger keinen Anstoß nimmt. Dies war der Beklagten hier jedoch nicht zuzumuten. Der Kläger hat über drei Tage hinweg an einem für die Betriebsratstätigkeit erkennbar nicht erforderlichen Seminar teilgenommen, obwohl die Beklagte ihn zuvor darauf hingewiesen hatte, daß sie die Teilnahme des Klägers an diesem Seminar nicht für erforderlich hält.
7. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht überdies angenommen, die Abmahnung sei auch deswegen unberechtigt und aus der Akte zu entfernen, weil dem Kläger "Arbeitsverweigerung" vorgehalten werde und damit zu Unrecht der Vorwurf erhoben werde, der Kläger habe vorsätzlich gegen seine vertragliche Arbeitsleistungspflicht verstoßen. Er habe die Arbeit nicht bewußt pflichtwidrig, sondern nur fahrlässig unentschuldigt versäumt.
Auch diese Ansicht des Landesarbeitsgerichts hält der Revision nicht stand. Objektiv hat der Kläger seine Arbeit verweigert. Die Beklagte hatte ihn auf ihre Bedenken gegen die Teilnahme am Seminar hingewiesen. Daraufhin hat sich der Kläger entschlossen, das Seminar zu besuchen. Unter Arbeitsverweigerung ist - objektiv - die bewußte, willentlich gesteuerte Nichtleistung von Arbeit zu verstehen. Die Qualifizierung der Handlung des Klägers als Arbeitsverweigerung ist daher im Gegensatz zur Ansicht des Landesarbeitsgerichts nicht objektiv unrichtig.