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Außerordentliche Kündigung nach Griff in die Kasse im Einzelfall auch ohne Abmahnung rechtmäßig (LArbG Mainz: Urteil vom 16.02.2012 - Az. 11 Sa 611/11)

Leitsätzliches

Das Landesarbeitsgericht hatte in zweiter Instanz über eine Kündigungsschutzklage einer Arbeitnehmerin zu entscheiden, die ca. 7200,- € aus der Kasse ihres Arbeitgebers entwendet hatte. Das Gericht hielt wegen der Höhe der Beträge eine vorherige Abmahnung nicht für erforderlich.

 

LANDESARBEITSGERICHT MAINZ

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

Aktenzeichen: 11 Sa 611/11

Entscheidung vom 16. Februar 2012

 

In dem Rechtsstreit

...

gegen

...

 

hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Mainz auf die mündliche Verhandlung vom 16.02.2012


für Recht erkannt:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 31.08.2011, Az.: 10 Ca 2152/10, teilweise abgeändert und die Klägerin und Widerbeklagte als Gesamtschuldnerin verurteilt, an die Beklagte und Widerklägerin 7.141,02 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB hieraus seit dem 07.12.2010 zu zahlen.

Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung wegen Entnahmen aus einer Bargeldkasse sowie widerklagend über einen Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers.

Die 1954 geborene, verheiratete Klägerin ist seit dem 01.01.1994 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten als kaufmännische Angestellte zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt 2.871,80 EUR beschäftigt. Mit Wirkung zum 01.03.2004 übernahm die Beklagte im Wege eines Betriebsübergangs den Betrieb und das dort beschäftigte Personal.

Die Beklagte ist ein Unternehmen, dessen Gegenstand das Erbringen von Speditions-, Transport-, Lager- und Logistikdienstleistungen sowie der Verkauf von Mineralölen ist. Im Anstellungsbetrieb der Klägerin sind mehr als 10 vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer tätig. Der Ehemann der Klägerin ist Mitgeschäftsführer der Beklagten gewesen. Er wurde am 01.10.2010 von der Gesellschafterversammlung aus seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung abberufen und erhielt zum 15.10.2010 eine fristlose Kündigung.

Im Arbeitsvertrag vom 29.02.2004 ist vereinbart, dass die Klägerin ab 01.03.2004 als kaufmännische Angestellte in der Abteilung Buchhaltung und hier mit der Kontendisposition, dem Mahnwesen und dem Rechnungswesen betraut ist. Das Anstellungsverhältnis unterliegt den jeweiligen Tarifverträgen für das Verkehrsgewerbe Rheinland-Pfalz.

Die Beklagte betreibt am Standort C-Stadt eine Betriebstankstelle, deren Zweck vor allem darin besteht, den Fuhrpark der Beklagten zu betanken. Einer begrenzten Anzahl an Privatpersonen, die mit der Beklagten in keinen rechtlichen Beziehungen stehen, ist es erlaubt, an der Betriebstankstelle gegen Barzahlung verbilligt Diesel zu tanken. Hierbei handelt es sich um Freunde oder Bekannte der Klägerin und ihres Ehemannes, welche die Erlaubnis vom Ehemann der Klägerin in seiner Funktion als Geschäftsführer erhalten haben. Zu diesem Zweck fährt die berechtigte Person zur Betriebstankstelle, holt aus den Büroräumen der Beklagten die Tankkarte Nr. 135 und steckt diese in den Tankautomat. Nach Erledigung des Tankvorgangs druckt der Tankautomat einen Beleg. Mit diesem Beleg geht die Person wieder ins Bürogebäude, gibt den Beleg ab und zahlt den auf dem Beleg ausgewiesenen Betrag. Die Barzahlung erfolgt in der Regel bei den im Dispositionsbüro sitzenden Mitarbeitern. Das Geld und der Beleg werden in eine kleine weiße Geldkassette eingelegt, die sich im Schrank des Büros neben einer braunen Geldkassette befindet.

Der weitere Verbleib der Einnahmen wie auch der Belege ist zwischen den Parteien streitig.

Im Rahmen einer Anhörung am 14.10.2010 erklärte die Klägerin, sie könne keine Angaben zum Verbleib der Gelder und der Tankbelege machen. Die Tankbelege für den Zeitraum Mai 2009 bis Oktober 2010 übergab sie in unsortierter Form.

Mit Schreiben vom 15.10.2010, zugegangen am selben Tag, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum nächst zulässigen Termin.

Hiergegen hat die Klägerin am 28.10.2010 Kündigungsschutzklage erhoben.

Widerklagend hat die Beklagte Schadensersatz für die entgangenen Bareinnahmen aus der weißen Kasse begehrt. Zu diesem Zweck hat die Beklagte die von der Klägerin überreichten Tankbelege aus dem Zeitraum Mai 2009 bis Oktober 2010 zugrunde gelegt und die bezogene Dieselmenge als Schätzgrundlage für den zurückliegenden Zeitraum von Juli 2004 bis Oktober 2010 herangezogen. Hinsichtlich des Ues für den Diesel ist ein MindestU von 0,84 EUR netto zugrunde gelegt worden. Im Laufe des Prozesses wurde die Gesamtforderung von zunächst 17.534,13 EUR durch Herausrechnung der Umsatzsteuer und von Belegen, die nicht eindeutig durch Kennzeichnung mit Namen zuordenbar waren, auf 7.297,60 EUR reduziert.

Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen:
Entgegen dem Inhalt des Arbeitsvertrags habe sie seit ungefähr dem Jahr 2000 keine buchhalterischen Arbeiten ausgeführt. Sie sei allein für das Forderungsmanagement und den Zahlungsverkehr zuständig gewesen.

Sämtliche Buchungen und Buchhaltungsarbeiten seien von einem externen Steuerbüro durchgeführt worden. Die Mitarbeiterin des Steuerbüros, Z, habe sowohl die beiden Barkassen als auch das Kassenbuch geführt.

Es sei lediglich richtig, dass regelmäßig Tankbelege auf ihren Schreibtisch gelegt worden seien, die sie in einer Klarsichthülle aufbewahrt habe. Diese Klarsichthüllen dürften dann nach ihrer Einschätzung von Z an sich genommen worden sein.

Die weiße Kasse sei unverschlossen gewesen, so dass theoretisch jeder Mitarbeiter die Bareinnahmen hätte entnehmen können.

Die Bareinnahmen der weißen Kasse seien unmittelbar zum Begleichen von anderen betrieblichen Barausgaben verwendet worden. Ein Fehlbestand der weißen Kasse werde daher mit Nichtwissen bestritten.

Die Tankkarte Nr. 135 sei auch zur Durchführung von Eichtests, für Kontrollarbeiten des TÜV und für das Betanken von Gabelstaplern der Fa. Y verwendet worden sowie von Mitarbeitern, die ihre eigene Tankkarte vergessen hatten.

Es werde bestritten, dass die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB seitens der Beklagten gewahrt worden sei. Denn es spräche eine Vermutung dafür, dass die Abberufung des Ehemannes der Klägerin als Geschäftsführer am 01.10.2011 im Zusammenhang stehe mit dem hier erhobenen Vorwurf eines gemeinschaftlichen Betrugs der Eheleute.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 15.10.2010, der Klägerin zugegangen am selben Tag, nicht aufgelöst ist.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 15.10.2010, der Klägerin zugegangen am selben Tag, nicht aufgelöst ist.

Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie hat widerklagend den Antrag gestellt,
die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte € 7.297,60 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Klägerin hat beantragt,
die Widerklage abzuweisen.

 

Die Beklagte hat folgendes vorgetragen:

Es sei Aufgabe der Klägerin als Buchhalterin gewesen, zweimal monatlich das Bargeld und die Belege aus der weißen Kasse zu entnehmen und es im Kassenbuch und der EDV einzubuchen. Nach der entsprechenden Buchung hätte sie das Geld auf das Geschäftskonto der Beklagten einzahlen und den Tankbeleg unter Zuordnung zu der vorgenommenen Buchung archivieren müssen. Sie hätte dem Steuerberater die Buchhaltungsergebnisse für den Jahresabschluss zur Verfügung stellen müssen.

Die Mitarbeiter im Büro hätten auch periodisch wahrgenommen, dass die Klägerin die weiße Kasse entleert habe.

Die Klägerin habe die Tatsache, dass private Dritte gegen Barzahlung an der Betriebstankstelle tanken, weder dem Steuerberater noch seiner Mitarbeiterin mitgeteilt. Vielmehr habe sie auf Nachfrage dieser Personen die Anweisung erteilt, nur die Gesamtdieselkosten zu buchen und für auftretende Differenzen „DieselUsenkungen“ anzugeben.

Als im Oktober 2010 die Rentabilität der Betriebstankstelle durch den Mitarbeiter X überprüft werden sollte, sei diesem aufgefallen, dass weder im Kassenbuch noch im Buchhaltungsprogramm irgendwelche Buchungen oder Nachweise zu den Dieselbarverkäufen an der Tankstelle vorhanden waren. Seine Nachfrage beim Steuerbüro habe ergeben, dass dort der gesamte Sachverhalt der Barverkäufe nicht bekannt gewesen sei. Es hätten sich auch keine Bareinzahlungen oder Gutschriften auf den Geschäftskonten der Beklagten gefunden. Dies habe Herr X dem Geschäftsführer W am 12.10.2010 mitgeteilt.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen X, V, U, T, S, R, A., Z, Q und P. Wegen des Inhalts der erstinstanzlichen Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die Feststellungen in den Sitzungsniederschriften des Arbeitsgerichts vom 18.05.2011 (Bl. 339 - 350 d.A.) und vom 31.08.2011 (Bl. 425 – 435 d.A.).

Das Arbeitsgericht Mainz hat mit Urteil vom 31.08.2011 die Klage abgewiesen und die Klägerin auf die Widerklage zur Zahlung von Schadensersatz in vollem, zuletzt eingeklagtem Umfang verurteilt. Zur Begründung hat das Gericht folgendes ausgeführt:
Nach der Beweisaufnahme stehe fest, dass die Klägerin die weiße Geldkassette regelmäßig geleert und diese Gelder der Beklagten vorenthalten habe. Eine mildere Reaktionsmaßnahme als die außerordentliche Kündigung sei der Arbeitgeberin in diesem Fall nicht zumutbar.

Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt worden. Der Zeuge X habe glaubhaft bekundet, dass er den Geschäftsführer W drei Tage vor dem 15.10.2010 telefonisch von seinen Ermittlungen in Kenntnis gesetzt habe. Es liege kein Widerspruch zur Aussage von Z vor.

Auf die Widerklage hin habe die Klägerin Schadensersatz in Höhe von 7.297,60 EUR zu zahlen. Für den Zeitraum Mai 2009 bis Oktober 2010 lägen der Schadensberechnung konkrete Belege vor, die mit Namen bzw. Kennzeichen versehen seien. Für den Zeitraum von Juli 2004 bis April 2009 habe eine Schätzung über die Höhe des eingetretenen Schadens nach § 287 ZPO anhand der vorhandenen Belege erfolgen können. Für diese Schätzung habe ein MindestdieselU von 0,84 EUR netto zugrunde gelegt werden können.

Der Schaden sei auch nicht im Hinblick auf die Behauptung der Klägerin, wonach die weiße Kasse aufgrund der Tätigung von betrieblichen Ausgaben ausgeglichen sei, zu reduzieren. Nach der Beweisaufnahme sei dies als Schutzbehauptung der Klägerin zu bewerten.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz wurde der Klägerin am 29.09.2011 zugestellt. Sie hat hiergegen Berufung eingelegt am Montag, den 31.10.2011. Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 29.12.2011 ging der Berufungsbegründungsschriftsatz am 29.12.2011 beim Landesarbeitsgericht ein.

Die Klägerin ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe im Hinblick auf den außerordentlichen Kündigungsgrund nicht hinreichend berücksichtigt, dass jeder Mitarbeiter Zugriff auf die unverschlossene weiße Kasse hatte und damit die Möglichkeit gegeben sei, dass die anderen Mitarbeiter die Einnahmen und Belege entnommen hätten. Keiner der Zeugen habe aus eigener Wahrnehmung berichten können, dass er die Klägerin beim Entleeren der weißen Kasse gesehen hätte.

Im Rahmen der Beweiswürdigung zur Wahrung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB habe das Gericht weder die Zeugenaussage der Z noch den Umstand der fristlosen Abberufung des Ehemannes der Klägerin als Geschäftsführer am 01.10.2010 berücksichtigt.

Im Rahmen der Widerklage sei die Aussage der Zeugen unberücksichtigt geblieben, wonach sie Einnahmen aus den Dieselverkäufen für betriebliche Ausgaben verwendet hätten. Daher sei gar kein Schaden der Beklagten erkennbar.

Nachdem festgestellt sei, dass einer der Belege (Nr. 16) erst im Verlauf des Prozesses mit einem Namen gekennzeichnet worden sei, eigneten sich die vorgelegten Belege nicht mehr als Schätzungsgrundlage im Sinne des § 287 ZPO. Die festgestellte Veränderung erschüttere die Vermutung in die Richtigkeit der Belege elementar.

Die Beklagte habe keinerlei Anknüpfungspunkte dargelegt, die beweisen, dass die Klägerin bereits seit Juli 2004 Gelder privat vereinnahmt hätte. Der Beginn der Schädigungshandlung könne jedoch nicht vom Gericht geschätzt werden.

Die Klägerin beantragt zweitinstanzlich,

das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 31.08.2011, Az. 10 Ca 2152/10, abzuändern und

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 15.10.2011, der Kläger am selben Tag zugegangen, nicht aufgelöst wurde;
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 15.10.2010, der Klägerin am selben Tag zugegangen, nicht aufgelöst wurde;
die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Die Einwendungen der Klägerin reduzierten sich auf Angriffe gegen die erstinstanzliche Beweiswürdigung. Die Beweisaufnahme habe jedoch bestätigt, dass die Klägerin die weiße Kasse regelmäßig an sich genommen und im geleerten Zustand zurückgebracht habe. Betreffend die Kenntniserlangung der Beklagten über den Kündigungssachverhalt bestehe kein Widerspruch in der Aussage der beiden Zeugen X und Z.

Die Geltendmachung des Schadens rückwirkend ab Juli 2004 beziehe sich auf den Zeitraum nach Betriebsübergang und sei daher nicht willkürlich gewählt. Da nur ein Mindestschaden geltend gemacht werde, stehe dem auch nicht entgegen, dass in Ausnahmefällen Beträge in geringfügigem Umfang für betriebliche Barausgaben aus der weißen Kasse entnommen worden seien.

Der Beleg Nr. 16 sei zunächst ein Beleg ohne Namenszuordnung gewesen. Im Rahmen einer ersten Überprüfung sei der Beleg wegen der Uhrzeit des Tankvorgangs und des zeitlichen Abstandes zu weiteren Tankvorgängen Herrn O zugeordnet worden. Als die Widerklageforderung nochmals korrigiert wurde, sei der ursprüngliche Beleg, diesmal ohne Namensnennung, für die Berechnung der Schadenshöhe beibehalten worden.

Ergänzend wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die zu den Sitzungsniederschriften getroffenen Feststellungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6  ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und in ausreichender Weise begründet worden. Sie ist somit zulässig.

II. In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 15.10.2010 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien wirksam aufgelöst. Auf die Widerklage hin hat das Arbeitsgericht die Klägerin und Widerbeklagte zu recht zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt.

1. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, es habe ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB vorgelegen, ist nicht zu beanstanden.

a) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Die erforderliche Überprüfung, ob ein gegebener Lebenssachverhalt einen wichtigen Grund in diesem Sinne darstellt, vollzieht sich zweistufig: Im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (st. Rspr. vgl. etwa BAG 26.03.2009 - 2 AZR 953/07 - AP Nr. 220 zu § 626 BGB, m.w.N.).

b) Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht. Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen (BAG 10.06.2010 - 2 AZR 541/09 – zitiert nach juris, Rn. 25f). Erschwerend kommt hinzu, wenn die Straftat mit der vertraglich geschuldeten Tätigkeit des Arbeitnehmers zusammenhängt, der Arbeitnehmer namentlich eine sich aus dem Arbeitsvertrag ergebende Obhutspflicht verletzt und das Delikt nicht nur außerhalb seines konkreten Aufgabenbereichs bei Gelegenheit der Arbeitsleistung verübt (BAG 12.08.1999 - 2 AZR 923/98 – zitiert nach juris, Rn. 28).

c) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Arbeitsgericht zutreffend angenommen, dass der Klägerin nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ein an sich zur Kündigung geeigneter Fehlverhaltenstatbestand zur Last zu legen ist.
Die als Zeugen vernommenen Mitarbeiter aus dem Büro der Beklagten haben übereinstimmend ausgesagt, dass in der weißen Kasse das Geld vereinnahmt wurde, welches durch die Dieselverkäufe an der Betriebstankstelle erlöst worden ist. Sie bekundeten, dass die Klägerin diejenige Person war, die die weiße Bargeldkasse regelmäßig aus dem Schrank im Dispositionsbüro an sich genommen hat, mit der Kasse hinausging und diese in einem bis auf Wechselgeld geleerten Zustand wieder zurückbrachte. Der Zeuge V erklärte, dass die Klägerin die Kasse etwa einmal in der Woche an sich genommen hat, seltener sei dies durch ihren Ehemann erfolgt. Eine andere Person hat er nicht dabei beobachtet, dass sie die Kasse mitgenommen hätte, auch nicht Z. Der Zeuge U erklärte, die Klägerin habe die Kasse ca. einmal in der Woche an sich genommen. Nach diesem Vorgang sei die Kasse bis auf Kleingeld geleert gewesen, auch die Belege seien entnommen worden. Der Zeuge X bekundete, dass er regelmäßig gesehen habe, wie die Klägerin beide Kassen, die braune und die weiße, an sich nahm. In der Kasse sei danach nur Wechselgeld gewesen.

d) Die Klägerin hat keine ausreichenden und konkreten Anhaltspunkte aufgezeigt, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenerhebung oder -feststellung des Arbeitsgerichtes begründen könnten (§ 520 Abs. 3 Nr. 3 ZPO). Gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellung begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten.

aa) Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt der Tatsache keine entscheidende Bedeutung zu, dass niemand der Zeugen gesehen hat, wie die Klägerin die weiße Kasse geleert hat. Die Zeugen V, U, X und T haben übereinstimmend bekundet, dass sie die Klägerin dabei beobachtet haben, wie sie die weiße Kasse in ihre Obhut genommen hat und zu einem späteren Zeitpunkt wieder an ihren Aufenthaltsort im Schrank des Dispositionsbüros zurückstellte. Die Zeugen, die vorher wahrgenommen hatten, dass sich die Kasse durch das Einlegen der Tankbelege und des eingenommenen Bargeldes für diese Tankvorgänge füllte, stellten fest, dass die weiße Kasse bis auf vorhandenes Wechselgeld entleert war. Dies begründet den Tatvorwurf gegen die Klägerin ausreichend. Die Schlussfolgerung, dass die Klägerin das entnommene Bargeld und die Belege an sich genommen hat, ist zwingend und wird dadurch bestätigt, dass die Klägerin auf Nachfrage in der Lage war, der Beklagten die Tankbelege für den Zeitraum von Mai 2009 bis Oktober 2010 herauszugeben.

bb) Auch der Einwand der Klägerin, wonach viele Personen auf die unverschlossene weiße Kasse Zugriff hatten und daher theoretisch jeder Geld und Belege hätte entfernen können, verfängt hier nicht zugunsten der Klägerin. Die Mitarbeiter im Büro hatten tatsächlich Zugriff auf die weiße Kasse. Es kam zu Entnahmen aus der weißen Kasse, wenn sie betriebliche Ausgaben tätigen mussten und in der braunen Kasse, auf die primär zurückgegriffen werden sollte, kein Bargeld vorhanden war. Allerdings haben die Zeugen V, U und X bekundet, dass sie in diesen Fällen einen Beleg in die weiße Kasse legten, um ihre Entnahme nachzuweisen. Für die Klägerin als diejenige Person, die die Kasse regelmäßig an sich nahm und leerte, war daher im Wege eines Vergleichs zwischen Kassenbestand und eingelegten Belegen ohne Weiteres überprüfbar, ob die Kasse stimmte oder nicht. Aufgrund ihrer Zuständigkeit für die Kasse, die im Wege der Beweisaufnahme festgestellt worden ist, hätte ihr die Verpflichtung oblegen, einen fehlerhaften Kassenbestand sofort bei der Geschäftsleitung zu melden. Dies ist in der Vergangenheit nicht vorgekommen, so dass der Einwand der Klägerin als Schutzbehauptung zu bewerten ist.

e) Die Berufungskammer teilt auch die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass eine vorherige Abmahnung entbehrlich war.

aa) Zwar ist auch bei Störungen im Vertrauensbereich das Abmahnungserfordernis stets zu prüfen und eine Abmahnung jedenfalls dann vor Ausspruch der Kündigung erforderlich, wenn ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers in Rede steht und erwartet werden kann, dass das Vertrauen wieder hergestellt wird (BAG 04.06.1997 - 2 AZR 526/96 - BAGE 86, 95, 102). Eine Abmahnung hat allerdings nicht stets schon dann Vorrang vor einer Kündigung, wenn eine Wiederholung des pflichtwidrigen Verhaltens aufgrund der Abmahnung nicht zu erwarten steht. Bei besonders schwerwiegenden Verstößen ist eine Abmahnung grundsätzlich entbehrlich, weil in diesen Fällen regelmäßig davon auszugehen ist, dass das pflichtwidrige Verhalten, das für ein Arbeitsverhältnis notwendige Vertrauen auf Dauer zerstört hat (BAG 10.02.1999 - 2 ABR 31/98 - BAGE 91, 30).

bb) Gemessen hieran war eine Abmahnung entbehrlich. Der durch die Beweisaufnahme bestätigte Vorwurf der Beklagten auf fortgesetzte Unterschlagung von vereinnahmten Bargeldern stellt eine schwerwiegende Pflichtverletzung dar, von der die Klägerin unter keinem Gesichtspunkt annehmen konnte, die Beklagte sehe eine solche nicht als vertragswidrig oder zumindest nicht als so schwerwiegend an, dass hierdurch der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet werde. Durch diese schwerwiegende, über Jahre fortgesetzte Pflichtverletzung ist das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen ohne Aussicht auf dessen Wiederherstellung zerstört worden.

f) Die abschließende Interessenabwägung fällt zu Gunsten der Beklagten aus. Ihr konnte bei Kündigungsausspruch unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der tariflichen ordentlichen Kündigungsfrist von 6 Monaten zum Quartalsende nicht zugemutet werden. Zu Gunsten der Klägerin sprechen zwar der langjährige Bestand des Arbeitsverhältnisses seit 1994, ihre Unterhaltspflicht gegenüber dem Ehemann sowie ihr Lebensalter von über 55 Jahren. Andererseits war das Arbeitsverhältnis durch die aufgezeigte Pflichtwidrigkeit der Klägerin unerträglich belastet. Die für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauensgrundlage war irreparabel zerstört. Zu Lasten der Klägerin wirkt sich aus, dass sie mit ihrem Verhalten nachhaltig über Jahre hinweg entgegen der Interessen des Arbeitgebers gehandelt und ihn hierdurch fortwährend geschädigt hat.

2. Die Beklagte hat auch die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt.  Danach kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die genannte Frist beginnt grundsätzlich erst, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis vom Kündigungssachverhalt hat, die ihm eine Entscheidung ermöglicht, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht.

a) Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme steht fest, dass der kündigungsberechtigte Geschäftsführer der Beklagten, Herr W, erstmals am 12.10.2010 vom Kündigungssachverhalt positive Kenntnis erlangt hat. Der Zeuge X, der von der Beklagten den Auftrag erhalten hatte, einen Budgetplan für die Betriebstankstelle zu erstellen, ermittelte in diesem Zusammenhang die wesentlichen Grundlagen für den Ausspruch der späteren Kündigung. Er stellte fest, dass Eintragungen der Bartanker weder in der Buchhaltung noch in den Ordnern mit den archivierten Belegen vorhanden waren. Gemeinsam mit dem Steuerberater P schaute er sich die EDV-Programme rückwirkend bis zum Jahr 2004 an. Weder bei den Barkassenbuchungen noch bei den Einzahlungen auf die Bankkonten der Beklagten fand sich ein Hinweis auf den Eingang der Gelder, die für die privaten Tankvorgänge an der Betriebstankstelle eingenommen worden waren. Diese Kenntnis vermittelte der Zeuge X dem Geschäftsführer am Dienstag derjenigen Woche, die mit Freitag, dem 15. Oktober 2010 endete, also am 12.10.2010.

b) Der Zeuge X erweist sich nicht schon deshalb als unglaubwürdig, weil er nicht das genaue Datum des Telefonats mit dem Geschäftsführer benannte, sondern dieses Datum vom Ende der damaligen Arbeitswoche, dem 15.10.2010, herleitete. Der 15.10.2010 kann sich in seiner Erinnerung ohne Weiteres stärker eingeprägt haben, weil es der Tag war, an dem sowohl die langjährig beschäftigte Klägerin als auch ihr Ehemann als Geschäftsführer eine fristlose Kündigung erhielten. Dies setzte den Schlusspunkt unter die vorigen Ermittlungen.

c) Soweit die Klägerin einwendet, das erstinstanzliche Gericht habe die Aussage von Z ebenso wenig berücksichtigt wie den Umstand der fristlosen Abberufung des Ehemannes der Klägerin als Geschäftsführer am 01.10.2010, hat die Beweisaufnahme keinerlei Anhaltspunkte für eine frühere Kenntniserlangung des kündigungsberechtigten Geschäftsführers ergeben.

aa) Z hat bei ihrer Vernehmung ausgesagt, dass sie erstmals von den Bartankungen durch einen Anruf von Herrn X bei Herrn P im September/Oktober 2010 erfahren habe. Sie ging zunächst aufgrund mehrerer Anhaltspunkte davon aus, dass es sich eher um Ende September 2010 gehandelt hatte. Hierzu verwies sie auf die damaligen Urlaube der Klägerin und ihres Ehemannes sowie ihrer Chefin und darauf, dass der Anruf zeitlich vor der Entlassung des Ehemannes der Klägerin als Geschäftsführer stattgefunden habe. Auf Nachfrage erklärte sie, dass das Telefonat auch am 12.10.2010 stattgefunden haben kann.

bb) Das Arbeitsgericht hat in seiner Beweiswürdigung zu recht darauf hingewiesen, dass hier zwei verschiedene Daten zu unterscheiden sind. Zum einen gab es einen ersten Anruf des Herrn X bei Herrn P, bei dem er sich erstmals nach den Vorgängen zu den Bartankern erkundigte. An diesen Vorgang erinnerte sich die Zeugin Z. Zum anderen sprach Herr X dann von einem Termin, den er bei Herrn P wahrnahm und den er dazu nutzte, gemeinsam mit dem Steuerberater die EDV-Programme bis zum Jahr 2004 zurück zu durchsuchen. Erst bei diesem Termin verschaffte sich der Zeuge X die Kenntnis darüber, dass keinerlei Buchungen oder Geldeingänge über die Vorgänge der Bartankungen an der Betriebstankstelle bei der Beklagten vorhanden waren. Die Zeugin Z hat keine Aussage dazu getroffen, wann dieser gemeinsame Termin von Herrn P und Herrn X stattgefunden hat. Insofern steht ihre Aussage derjenigen von Herrn X nicht entgegen.

cc) Soweit die Klägerin die Vermutung aufgestellt hat, dass die Beklagte schon am 30.09.2010 die Informationen hatte, auf die sie ihre Kündigung stützt, wird dies widerlegt durch die Aussage des Zeugen X. Zudem hat die Beklagte auch ausführlich dargestellt, dass es zu diesem Zeitpunkt für sie andere Sachverhalte gab, aufgrund derer sie zunächst die Entscheidung traf, den Ehemann der Klägerin im Rahmen einer Gesellschafterversammlung von seiner Position als Geschäftsführer abzuberufen. Erhebliche Forderungen von Gläubigern gegenüber der Beklagten waren in der Buchhaltung nicht berücksichtigt worden. Dadurch stellte die monatliche BWA die wirtschaftliche Situation der Beklagten günstiger dar, als sie es tatsächlich war. Wegen der kurzen Restlaufzeit des Vertrags verzichtete die Beklagte zu diesem Zeitpunkt auf eine fristlose Kündigung.

3. Das Arbeitsgericht hat die Klägerin und Widerbeklagte zu recht auf Zahlung von Schadensersatz verurteilt. In der Höhe war die Schadensersatzforderung geringfügig zu reduzieren.

a) Auf der Grundlage der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass die Klägerin die in der weißen Tankstellenkasse befindlichen Gelder aus der Kasse entnommen und nicht als Einnahmen der Beklagten zugeführt hat. Die Gelder sind weder verbucht worden, noch sind sie auf das Bankkonto der Beklagten eingezahlt worden. Soweit die Klägerin darauf verweist, sie habe die weiße Kasse Z zum Buchen hingestellt, hat diese das im Rahmen ihrer erstinstanzlichen Vernehmung als Zeugin glaubhaft bestritten. Sie hatte zu der weißen Kasse vor langer Zeit die Mitteilung erhalten, dass es sich dabei um die Kaffeekasse handelt. Diese Kasse hat sie nach eigener Aussage nie an sich genommen, nie geöffnet und gezählt. Bei den Buchungsbelegen, die ihr von der Klägerin abgeheftet oder gestapelt vorgelegt wurden, waren Tankbelege von Bartankern nicht enthalten. Daraus folgt, dass die Klägerin der Beklagten diese Geldbeträge in rechtswidriger Weise vorenthalten hat. Sie haftet daher dem Grunde nach gemäß §§ 280, 823 BGB gegenüber der Beklagten für den hierdurch verursachten Schaden.

Als Ergebnis der Beweisaufnahme ist gemäß § 286 ZPO festzustellen, dass Juli 2004 als der Beginn der schädigenden Handlung anzunehmen ist. Hierfür bestehen die folgenden Anknüpfungspunkte:
Der Steuerberater der Beklagten hat bei seiner Überprüfung der EDV-Programme festgestellt, dass es im ganzen Unternehmen seit dem Jahr 2004 nicht eine einzige Buchung zur Bareinnahme für Dieselkraftstoff gibt. Der Zeuge X war dabei, als diese Überprüfung stattfand und hat dieses Ergebnis bestätigt.
Die Mitarbeiterin des Steuerberaters, Z, wiederum hat seit März 2004 die Buchungsvorgänge bei der Beklagten wahrgenommen.

c) Die Beklagte hat hier wirksam einen Mindestschaden auf der Grundlage des § 287 ZPO geltend gemacht.

aa) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht nach § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach seiner freien Überzeugung. Dabei gibt § 287 ZPO die Art der Schätzungsgrundlage nicht vor. Die Schadenshöhe darf lediglich nicht auf der Grundlage falscher oder offenbar unsachlicher Erwägungen festgesetzt werden, und ferner dürfen wesentliche die Entscheidung bedingende Tatsachen nicht außer Acht bleiben (BGH 22.02.2011 – VI ZR 353/09 – zitiert nach juris Rn. 7). Die Schätzung ist unzulässig, wenn sie mangels greifbarer, vom Kläger vorzutragender Anhaltspunkte „völlig in der Luft hängen würde“ (Zöller-Greger, 24. Aufl., § 287 ZPO, Rn.4).

bb) Für den Zeitraum vom 01.06.2009 bis August 2010 legt die Beklagte der Berechnung ihres Schadens 43 Belege zugrunde, die bis auf den Beleg Nr. 16, Bl. 387 d.A., mit einem Namen oder Kennzeichen versehen sind und dadurch einem Bartanker unzweifelhaft zugeordnet werden konnten, vgl. Anlage zum Schriftsatz vom 18.08.2011, Bl. 371ff d.A.. Die Beklagte hat die Widerklageforderung im Verlauf der ersten Instanz erheblich reduziert und alle Belege herausgenommen, die mangels Kennzeichnung nicht eindeutig den Bartankern zugeordnet werden konnten.
Die gekennzeichneten Belege und das hierin nachgewiesene Tankvolumen der Bartanker konnte nach § 287 ZPO zur Schätzung des Schadens für den zurückliegenden Zeitraum von Juli 2004 bis Mai 2009 herangezogen werden. Mangels vorhandener Belege war die Beklagte nicht in der Lage, den vollen Beweis für den ihr erwachsenen Schaden zu erbringen. Gemäß
§ 287 ZPO darf der Schaden hier geschätzt werden, da durch die vorhandenen Belege das Tankverhalten der Privattanker hinreichend nachgewiesen ist und damit gerechnet werden kann, dass sie in der Vergangenheit in gleichem Umfang an der Betriebstankstelle der Beklagten getankt haben.
Als Mindestdieselpreis durfte die Beklagte hier einen Betrag von 0,84 EUR netto zugrunde legen. Zwar lässt sich den umfangreich vorgelegten Belegen der Beklagten über sonstige Tankvorgänge an der Tankstelle entnehmen, dass der Diesel in dem Zeitraum von Juli 2004 bis Mai 2009 vereinzelt zu einem geringfügig günstigeren Preis als 0,84 EUR netto abgegeben worden ist. Über lange Zeiträume hinweg erfolgte die Abgabe aber zu weitaus höheren Preisen, so dass der Schaden pro getanktem Liter Diesel keineswegs unter 0,84 EUR angenommen werden kann. Hiermit wird lediglich ein Mindestschaden geltend gemacht.

d) Dass der Beleg Nr. 16, Bl. 387 d.A., im Verlauf des Verfahrens verändert worden ist, führt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zu einer Erschütterung der gesamten Schätzungsgrundlage.

Die vorgenommene Änderung auf dem einen Beleg stellt sich nicht als ein Indiz für Manipulationen von Belegen zum Nachteil der Klägerin dar, sondern um den Versuch einer Aufarbeitung der Vorgänge durch die Beklagte. Das im Prozessverlauf geänderte Erscheinungsbild von Beleg Nr. 16 ist von der Beklagten inhaltlich erklärt worden. Der Beleg trug zunächst keinen Namen. Aufgrund des sonstigen Tankverhaltens wurde der Name „O“ mit Fragezeichen eingefügt. Der Zeuge X war im Zuge der Korrektur der Widerklageforderung aufgefordert worden, alle Belege ohne eindeutige Zuordnung herauszunehmen. Hierbei wurde der Beleg nochmals berücksichtigt in der ursprünglichen Form ohne Namensnennung.

Diese Darlegungen der Beklagten sind nachvollziehbar. Dennoch ist der Beleg Nr. 16 aus der Berechnung des Schadensersatzes herausgenommen worden, um den Bedenken der Klägerin an diesem Beleg Rechnung zu tragen. Weitere konkrete Einwendungen zu einzelnen Belegen hat die Klägerin nicht vorgetragen. Die verbleibenden 42 Belege tragen alle eine Kennzeichnung und sind hierdurch einem Privattankvorgang zuordenbar.

e) Die Schätzungsgrundlage wird auch nicht durch die Aussage des Zeugen V erschüttert, der im Rahmen seiner Vernehmung ausführte, dass die Belege von Bartankern nur teilweise mit Namen versehen in die weiße Kasse eingelegt worden seien. Gerade auch aus diesem Grund hat die Beklagte nach der Beweisaufnahme eine nochmalige Überprüfung der Tankbelege vorgenommen und alle Belege aus der Schadensberechnung herausgenommen, die sich nicht durch eine vorgenommene Kennzeichnung einem Bartanker zuordnen ließen.

f) Nach Herausnahme des Belegs Nr. 16 ergibt sich folgende Berechnung des Schadens:
Auf der Grundlage der verbleibenden 42 Belege sind im Zeitraum vom 01.06.2009 bis August 2010 insgesamt 1.675,14 l Diesel getankt worden. Hierfür haben die Barzahler insgesamt 1.606,16 EUR netto gezahlt.
Teilt man das Gesamttankvolumen der 42 Belege durch die zugrunde liegenden 15 Monate, ergibt dies ein durchschnittliches monatliches Tankvolumen von 111,68 l. Daraus folgt für die zurückliegenden 59 Monate (Juli 2004 bis Mai 2009) folgende Berechnung: 59 Monate x 111,68 l x 0,84 EUR netto = 5.534,86 EUR netto. Zuzüglich der in den 42 Belegen ausgewiesenen Summe von 1.606,16 EUR ergibt dies eine Gesamtforderung in Höhe von 7.141,02 EUR netto.

g) Der Einwand der Klägerin, die Beklagte hätte keinen Schaden erlitten, weil die Mitarbeiter betriebliche Ausgaben aus der weißen Kasse getätigt hätten, führt hier nicht zu einem Entfall des Schadens bzw. zu einer Schadensminderung.

aa) Die weiße Kasse war nicht leer, wenn sie regelmäßig von der Klägerin aus dem Schrank im Dispositionsbüro mitgenommen worden ist. Die Zeugen haben eine Entleerung der weißen Geldkassette durch die Klägerin festgestellt. Daraus folgt, dass Gelder in der Kasse vorhanden waren und durch die Leerung auch ein Schaden entstanden ist.

bb) Aus der Beweisaufnahme folgt, dass nur in vereinzelten Fällen aus der weißen Kasse Geld für betriebliche Zwecke entnommen worden ist. Der Vortrag der Beklagten, wonach die weiße Kasse lediglich als Ersatzkasse für Barausgaben genutzt wurde, ist hierdurch bestätigt worden.
Die Zeugen V, U und X haben übereinstimmend bekundet, dass betrieblich veranlasste Entnahmen aus der weißen Kasse einen Sonderfall darstellten. Grundsätzlich sind betriebliche Barausgaben mit den Geldern aus der braunen Geldkassette vorgenommen worden. Nur im Ausnahmefall, wenn die braune Kasse leer war, wurde auf die weiße Kasse zurückgegriffen. In diesem Fall waren die Mitarbeiter verpflichtet, einen Beleg über ihre Entnahme in der Kasse zu hinterlegen.

cc) Zulasten der Klägerin wirkt sich aus, dass die Zeugen aus dem Dispositionsbüro übereinstimmend sie als diejenige Person benennen, die die weiße Kasse regelmäßig geleert hat. In ihrer Hand befanden sich danach die Belege für Einnahmen und Ausgaben sowie das eingenommene Geld aus den Tankvorgängen. Wenn sie geltend machen will, dass der Beklagten kein Schaden entstanden ist, weil die eingenommenen Gelder aus den Bartankvorgängen vollständig für betriebliche Ausgaben verwendet worden sind, so ist sie verpflichtet, konkret vorzutragen, wann welche betrieblichen Ausgaben aus der weißen Kasse getätigt worden sind. Dies wäre anhand der von den Mitarbeitern eingelegten Belege ohne Weiteres möglich. Sie hat die Belege in der Hand gehabt und müsste daher im Einzelnen nachweisen können, welche eingenommenen Tankgelder letztlich wieder für betriebliche Zwecke und nicht von ihr privat verwendet worden sind. Aufgrund ihrer Nähe zur weißen Kasse muss sie hier konkreter vortragen. Es kann sich hier nicht zugunsten der Klägerin auswirken, dass die Belege über die gelegentlichen Entnahmen aus der weißen Kasse nicht mehr vorhanden sind.

h) Der Tenor des erstinstanzlichen Urteils war im Hinblick darauf, dass die Beklagte den Schadensersatzanspruch nicht nur gegen die Klägerin, sondern auch vor dem Landgericht Mainz gegenüber ihrem Ehemann geltend macht, abzuändern. Der Schaden der Beklagten ist nur einmal entstanden, so dass ihr keine zwei Titel auf den damit doppelten Betrag der Schadenshöhe zustehen und sie auf diese Weise zweimal vollstrecken könnte. Der Tenor zur Widerklage war daher auf eine gesamtschuldnerische Haftung gemäß § 421 BGB einzuschränken.

III. Nach alledem ist die Berufung der Klägerin mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

 

Unterschriften

Michael Terhaag | Christian Schwarz

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