Leitsätzliches
1. Die Kündigung eines Arbeitnehmers innerhalb der Probezeit nach einem schweren Betriebsunfall ist weder sitten- noch treuwidrig, wenn aufgrund der Verletzung der Arbeitgeber auf lange Zeit nicht mit der Vertragserfüllung durch den Arbeitgeber rechnen kann.2. Sittenwidrig wäre sie nur dann, wenn sie auf einem verwerflichen Motiv der Beklagten beruhte, etwa auf Rachsucht oder wenn sie sonst dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden Menschen widerspräche
ARBEITSGERICHT Solingen
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Aktenzeichen: 2 Ca 198/12
Entscheidung vom 10.05.2012
In dem Rechtsstreit (...)
hat die 2. Kammer des Arbeitsgerichts Solingen auf die mündliche Verhandlung vom (...) durch (...)
für Recht erkannt:
1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3.Streitwert: 6.000,00 EUR.
Ta t b e s t a n d:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung, die innerhalb der Wartezeit erklärt worden ist.
Der Kläger war vom 19. September 2011 an bei der Beklagten als Industriemechaniker tätig. Seine Bruttomonatsvergütung lag bei etwa € 2.000,--. Der Kläger ist 42 Jahre alt, ein Betriebsrat ist bei der Beklagten nicht eingerichtet.
Der Kläger, der zunächst einige Tage im Rahmen eines Leiharbeitsverhältnisses für die Beklagte tätig gewesen war, hatte schließlich einen befristeten Arbeitsvertrag vom 19. September 2011 bis einschließlich 18. September 2012 bei der Beklagten in der sogenannten Scherenendmontage erhalten.
Nach Ablauf von circa zwei Monaten erlitt der Kläger am 16. November 2011 einen äußerst schweren und tragischen Arbeitsunfall, bei dem ihm von der rechten Hand vier Finger abgetrennt wurden. Drei der vier Finger konnten an die Hand angefügt werden, dem Kläger fehlt allerdings dauerhaft der Zeigefinger. Wie es im Einzelnen zu diesem folgenschweren Arbeitsunfall kam, ist zwischen den Parteien streitig, wobei der Kläger in diesem Zusammenhang aufgrund des Schockereignisses teilweise unter Erinnerungslücken leidet. Der Unfall wurde seitens der Beklagten unverzüglich der Berufsgenossenschaft gemeldet, die seit der Unfallmeldung Ermittlungen über den Unfallhergang durchführt, die bislang zu keinem Abschluss gelangt sind. Der Kläger seinerseits hat Strafanzeige "gegen unbekannt" erstattet.
Zwischen den Parteien war im Arbeitsvertrag unter § 2 vereinbart worden, dass die ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses als Probezeit gelten. Während der vereinbarten Probezeit könne das Arbeitsverhältnis von beiden Seiten mit einer Frist von zwei Wochen gemäß § 622 Abs. 3 BGB gekündigt werden (Blatt 15 der Akte).
Am 25. Januar 2012, das heißt noch innerhalb der Wartezeit und gut zwei Monate nach dem Unfallereignis, stellte die Beklagte dem Kläger die Kündigung zum 09. Februar 2012 zu.
Hiergegen richtet sich der Kläger mit seiner am 10. Februar 2012 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage.
Der Kläger hält die ausgesprochene Kündigung für unwirksam. Er ist der Ansicht, die Beklagte verhalte sich treuwidrig. Insbesondere, da (noch) nicht geklärt sei, wen letztlich das Verschulden an dem Arbeitsunfall treffe, sei die Beklagte nicht befugt gewesen, noch innerhalb der Wartezeit die Kündigung auszusprechen. Der Kläger behauptet, er habe kurz vor dem Aktivieren der Schneidemaschine noch den Auftrag erhalten, die Transportrollen zu überprüfen. Aus diesem Grund habe er in die Maschine gegriffen, wobei er sich den konkreten Ablauf des Unfallereignisses im Nachhinein nicht mehr genau erklären könne.
Der Kläger hat weiter vorgetragen, zu den Arbeitskollegen ein positives Verhältnis gehabt zu haben und etwaige Bedenken gegen die Güte seiner Arbeitsleistung oder aber seine "Teamfähigkeit" seien ihm nicht zur Kenntnis gelangt.
Der Kläger, dem unter allen Umständen an dem Erhalt des Arbeitsplatzes gelegen ist, hat zuletzt beantragt,
1.festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 25.01.2012 nicht beendet wird;
2.im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 2.) die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Industriemechaniker weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält die ausgesprochene Kündigung für wirksam. Die Beklagte verweist auf die vereinbarte Probezeit sowie auf die unstreitige Tatsache, dass das Kündigungsschutzgesetz im Zugangszeitpunkt der Kündigung (noch) keine Anwendung fand. Die Beklagte, die den folgenschweren Unfall des Klägers ganz erheblich bedauert, verweist insoweit auf die geltende Rechtslage innerhalb der sogenannten Wartezeit, wonach Arbeitgeber innerhalb der ersten sechs Monate des bestehenden Arbeitsverhältnisses keinerlei Kündigungsgründe benötigen. Darüber hinaus behauptet die Beklagte aber, der Kläger habe sich bereits innerhalb der ersten zwei Monate des Arbeitsverhältnisses als nicht sonderlich "teamfähig" gezeigt. Man habe ihn zudem in dieser Zeit als Mitarbeiter kennengelernt, der sich nicht verlässlich an Sicherheitsvorkehrungen und Anweisung gehalten habe.
In diesem Zusammenhang sei es bereits zweimal zu höchst unfallgefährlichen Situationen gekommen, die auf eine unsachgemäße Vorgehensweise durch den Kläger zurückzuführen gewesen seien. Man habe sich deshalb bereits im November 2011 zur Kündigung innerhalb der Probezeit entschlossen gehabt, die durch den Werksleiter, Herrn S., hätte ausgesprochen werden sollen. Da dieser jedoch ab dem 14. November 2011 - was unstreitig ist - erkrankt war, habe man zunächst von dem Ausspruch der Kündigung abgesehen, um die Genesung des Werksleiters abzuwarten. Dann sei es aber- was ebenfalls unstreitig ist - zu dem Arbeitsunfall am 16. November 2011 gekommen.
Hinsichtlich des Unfallhergangs behauptet die Beklagte, der Kläger habe ohne jede Veranlassung und auch ohne, dass dies seitens der Beklagten vermeidbar gewesen wäre, in die bereits aktivierte Maschine hineingegriffen. Der Kläger selbst habe die Maschine gerüstet und in Zusammenarbeit mit zwei Kollegen, darunter ein Elektriker, die Maschine aktiviert. Diesbezüglich habe er, nachdem alles gerichtet gewesen war, den Arbeitskollegen zugerufen: "Ich bin fertig, ihr könnt die Inbetriebnahme starten."
Die Kollegen L. und X. hätten sich daraufhin durch eine letzte Sichtkontrolle versichert, dass sich niemand in unmittelbarer Nähe der Maschine befand. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen habe sich der Kläger sodann vollkommen unerwartet der Maschine genähert und habe mit der Hand hineingegriffen, was zu der schweren Verletzung geführt hat.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Kündigung vom 25. Januar 2012 hat das Arbeitsverhältnis wirksam zum 09. Februar 2012 aufgelöst. Da die Wartezeit des § 23 KSchG im Zugangszeitpunkt der Kündigung noch nicht abgelaufen war, kann der Kläger sich nicht erfolgreich auf § 2. des Kündigungsschutzgesetzes berufen.
Zwischen den Parteien war darüber hinaus im Arbeitsvertrag eine wirksame Probezeitvereinbarung getroffen worden. Die Beklagte war daher auch berechtigt, mit der gesetzlichen Kündigungsfrist von vierzehn Tagen das Arbeitsverhältnis innerhalb der sechsmonatigen Probezeit zu beenden. Die Probezeit dient gerade dazu, es dem Arbeitgeber zu ermöglichen, den Arbeitnehmer möglicherweise mit einer kürzeren Kündigungsfrist entlassen zu können, falls dieser sich als nicht geeignet für die auszuübende Tätigkeit erweist. Der Arbeitnehmer wird in dieser Zeit bezüglich seiner Leistungsfähigkeit, seiner Teamfähigkeit und seiner Zuverlässigkeit durch den Arbeitgeber eingeschätzt.
Auch im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses ist die Vereinbarung einer Probezeit möglich (BAG, 04.07.2001, 2 AZR 88/00). Die von der Beklagten ausgesprochene Probezeitkündigung innerhalb der Wartezeit ist daher grundsätzlich zulässig.
Die Kündigung verstößt auch nicht gegen § 138 BGB. Die Kündigung ist nicht sittenwidrig. Sittenwidrig wäre sie nur dann, wenn sie auf einem verwerflichen Motiv der Beklagten beruhte, etwa auf Rachsucht oder wenn sie sonst dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden Menschen widerspräche (BAG, 14.2..2004, 9 AZR 23/04).
Das Kündigungsmotiv müsste somit gröblichst gegen die in der Rechtsgemeinschaft ganz überwiegend anerkannte Sozialmoral verstoßen haben. Hierfür liegen vorliegend keine Anhaltspunkte vor. Die Beklagte hat die Kündigung gut zwei Monate nach dem erlittenen Arbeitsunfall ausgesprochen. Die Beklagte hat sich zur Begründung darauf berufen, der Kläger habe sich bereits in den ersten zwei Monaten des Arbeitsverhältniseses als nicht teamfähig erwiesen. Die Beklagte sei insoweit bereits im November, also noch vor dem Arbeitsunfall, zur Probezeitkündigung entschlossen gewesen. Lediglich der schreckliche Arbeitsunfall habe dazu geführt, den Kläger zunächst mit der Kündigung "zu verschonen".
Der Kläger hat diesen Sachvortrag zwar zulässigerweise mit Nichtwissen bestritten. Es obliegt aber seiner Darlegungs- und Beweislast, Tatsachen darzulegen, wonach das Motiv der Beklagten als sittenwidrig erscheint. Hierfür hat der Kläger keinerlei Tatsachen dargelegt, mit Ausnahme der unstreitigen Tatsache, dass zwischen dem tragischen Arbeitsunfall und der erklärten Kündigung ein zeitlicher Zusammenhang bestand.
Die Kündigung ist auch nicht treuwidrig gemäß § 242 BGB. Bei einer Kündigung, auf die wegen Nichterfüllung der Wartezeit das Kündigungsschutzgesetz (noch) keine Anwendung findet, knüpfen der zweite und der sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts an Artikel 2. Abs. 2. GG an, in dessen Lichte § 242 BGB auszulegen und anzuwenden ist. Danach hat der Arbeitnehmer auch außerhalb des Geltungsbereiches des Kündigungsschutzgesetzes Anspruch auf Schutz vor einer treuwidrigen Kündigung.
Der dadurch vermittelte Schutz darf allerdings nicht dazu führen, dass außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes dem Arbeitgeber praktisch die dem Kündigungsschutzgesetz vorgegebenen Maßstäbe der Sozialwidrigkeit auferlegt würden (LAG Baden-Württemberg, 05.07.2011, 22 SA 11/11).
Als möglicher Fall einer treuwidrigen und damit nach § 242 BGB unwirksamen Kündigung ist der Tatbestand des widersprüchlichen Verhaltens des kündigenden Arbeitgebers anzusehen. Das kann dann gegeben sein, wenn der Arbeitgeber zunächst ein Verhalten an den Tag legt, welches auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ausgerichtet war, und dann plötzlich kündigt.
Hingegen ist eine Kündigung nicht schon deshalb treuwidrig, weil sie im Zusammenhang mit einer Arbeitsunfähigkeit oder einem Arbeitsunfall ausgesprochen wurde (LAG Schleswig-Holstein, 27.05.2009, 3 Sa 74/09). Nach diesen Grundsätzen ist die vorliegende Kündigung nicht treuwidrig. Der Sachverhalt lässt den Schluss nicht zu, die Beklagte habe sich von sachfremden oder willkürlichen Motiven leiten lassen. Der Kündigungsentschluss der Beklagten war nach dem - allerdings streitigen - Vorbringen der Beklagten bereits vor dem Arbeitsunfall des Klägers getroffen worden.
Aber selbst ein durch den tragischen Arbeitsunfall motivierter Kündigungsentschluss der Arbeitgeberin wäre nicht treuwidrig. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass durch die extreme Verletzung der rechten Hand des Klägers die Arbeitsfähigkeit desselben über Wochen und Monate nicht wieder hergestellt werden kann, die Beklagte insoweit also auf lange Sicht nicht mit der Vertragserfüllung durch den Kläger rechnen kann. In dieser Situation ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses - eben weil das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet - durchaus legitim. Der Arbeitnehmer hat sich bei Eingehung der vertraglichen Verpflichtung nämlich vorgestellt, einen im Prinzip arbeitsfähigen Arbeitnehmer - wenn auch befristet - vertraglich verpflichtet zu haben.
Durch die lang anhaltende Arbeitsunfähigkeit kann der Arbeitgeber die vertraglich bezeichnete Position jedoch mit diesem Arbeitnehmer nicht mehr besetzen. Eine Kündigung ist in diesem Falle rechtmäßig. Insbesondere bei der Art und Schwere der Verletzung des Klägers bestehen ohnehin Zweifel daran, ob und wann der Kläger sowohl physisch als auch psychisch in der Lage sein wird, die geschuldete Tätigkeit auszuüben.
Auch diese ungeklärte Situation lässt eine Kündigung durch die Beklagte berechtigt erscheinen. Zwar hat die Beklagte dargelegt, dass der Kündigungsentschluss bereits vorher gereift gewesen sei, aber selbst wenn als Kündigungsgrund den Arbeitsunfall als solcher herangezogen würde, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Etwas anderes könnte allenfalls für den Fall gelten, dass der Arbeitgeber einen Arbeitsunfall und damit die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers vorsätzlich verschuldet hat. Hierfür hat der Kläger allerdings keinerlei substantiierte Tatsachen dargelegt.
Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG in Verbindung mit § 91 ZPO.
Der Streitwert war gemäß § 61 S. 2. ArbGG im Urteil in Höhe der Quartalsvergütung festzusetzen.
RECHTSMITTELBELEHRUNG
Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei Berufung eingelegt werden. Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich beim
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Ludwig-Erhard-Allee 21
40227 Düsseldorf
Fax: 0211-7770 2199
eingegangen sein.
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.
Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
1.Rechtsanwälte,
2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
3.juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Eine Partei, die als Bevollmächtigte zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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