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Arbeitszeitbetrug rechtfertigt nicht grundsätzlich eine ordentliche Kündigung (LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.06.2012, Az.: 15 Sa 407/12)

Leitsätzliches

Nicht jede Falschangabe in der elektronischen Zeiterfassung (hier vier Vorfälle im Umfang von ca. 1 Stunde) rechtfertigt eine ordentliche Kündigung im Sinne des § 1 KSchG. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer arbeitsvertraglich zur Ableistung von 10 Überstunden im Monat ohne (weitere) Vergütungszahlung verpflichtet ist und dieses Kontingent nicht ausgeschöpft wird.

 

 

LANDESARBEITSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG

BESCHLUSS

Aktenzeichen: 15 Sa 407/12


Entscheidung vom 13. Juni 2012

 

 

In dem Rechtsstreit

  ...

- Klägerin-

gegen

...

- Beklagte -

 

 

hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg - 15. Kammer - durch ...

 

beschlossen:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin – 1 Ca 17434/11 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 1. November 2011 das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger beendet hat und ob der Kläger weiterzubeschäftigen ist.

Hinsichtlich des unstreitigen Sachverhaltes und des Vorbringens der Parteien in der I. Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Der Kläger hat zuletzt unter Rücknahme eines allgemeinen Feststellungsantrages beantragt,

    1.        festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die am 03.11.2011 zugegangenen Kündigungen vom 01.11.2011 nicht aufgelöst worden ist;

    2.        die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits zu den bisherigen Bedingungen als Fertigungsleiter weiterzubeschäftigen.


    Die Beklagte hat beantragt,


    die Klage abzuweisen.


Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 26. Januar 2012 der Klage stattgegeben. Das Arbeitsgericht hat dies damit begründet, dass es schon an einem wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB fehle. Hinsichtlich des Vorwurfes des Arbeitszeitbetruges sei der Vortrag der Beklagten unsubstanziiert. Insofern mangele es an Angaben, an welchen Tagen der Kläger sich wie lange während seiner Arbeitszeit vom Betriebsgelände entfernt bzw. gefrühstückt haben soll. Ebenso unsubstanziiert sei der Vorwurf, der Kläger habe einen Kollegen beleidigt. Soweit die Beklagte behaupte, der Kläger habe sich in einem Personalgespräch rüde und aggressiv geäußert, sei der Vortrag vollständig unsubstanziiert. Der Vorhalt der Beklagten, der Kläger habe die Beklagte verlassen wollen, stelle keine Pflichtverletzung dar. Soweit die Beklagte dem Kläger vorwirft, im Laufe des Gespräches am 31. Oktober 2011 sich geweigert zu haben, eine rechtzeitige Einteilung der Mitarbeiter an den Maschinen vorzunehmen, reiche auch dies nicht für eine fristlose Kündigung aus. Insofern hätte es regelmäßig zuvor einer Abmahnung bedurft. Soweit die Beklagte diese für entbehrlich hält, weil mit dem Kläger bereits mehrfach zuvor Gespräche zu diesem Thema geführt worden seien, sei dieser Vortrag wiederum vollständig unsubstanziiert. Auch könnten mehrere Ermahnungen nicht eine Abmahnung ersetzen. Aus den gleichen Gründen sei auch die ordentliche Kündigung unwirksam. Auch insofern fehle es an einer Substantiiertheit der Vorwürfe sowie an einer notwendigen Abmahnung.


Dieses Urteil ist der Beklagten am 6. Februar 2012 zugestellt worden. Die Berufung ging am 29. Februar 2012 beim Landesarbeitsgericht ein. Die Berufungsbegründung erfolgte am 5. April 2012.


Die Beklagte behauptet nunmehr, der Kläger habe am 24., 29., 30. und 31. August 2011 das Betriebsgelände verlassen, ohne sich vorher auszuloggen. Darüber hinaus habe der Kläger sich mit diesem Verhalten auch noch gegenüber Mitarbeitern gebrüstet. Es liege eine schwerwiegende arbeitsvertragliche Pflichtverletzung (Arbeitszeitbetrug) vor, so dass eine Abmahnung entbehrlich sei. Auch eine Interessenabwägung könne zu keinem anderen Ergebnis führen, da der junge Kläger als Fertigungsleiter Vorbildfunktion gehabt habe. Die Hartnäckigkeit, mit der der Kläger den Weisungen des Geschäftsführers am 31. Oktober 2011 nicht nachgekommen sei, sei so eindeutig, dass es auch insofern keiner Abmahnung bedurft hätte. Soweit erstinstanzlich die Beleidigung durch den Kläger und dessen Verhalten im Rahmen von Verhandlungen bzw. im Rahmen des Personalgesprächs erwähnt worden seien, solle damit lediglich die Eignung des Klägers als Fertigungsleiter infrage gestellt werden. Das Verhalten des Klägers rechtfertige auf jeden Fall eine ordnungsgemäße Kündigung. Der Beschäftigungsantrag sei nicht begründet, da es bei der Beklagten keine Position als Fertigungsleiter gebe. Soweit der Kläger behauptet, als Fertigungsleiter tätig gewesen zu sein, gehe dieser Beschäftigungsanspruch ins Leere, da auch im vergangenen Jahr die Leitung lediglich 30 % der Arbeitszeit des Kläger ausgemacht haben dürfte.


Die Beklagte beantragt,


    abändernd die Klage abzuweisen.


Der Kläger beantragt,


    die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.


Er hält das Vorbringen der Beklagten für unsubstanziiert und für verspätet.



Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung ist zulässig, hat jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Berlin der Klage im Umfang der zuletzt gestellten Anträge stattgegeben. Auf die zutreffenden Ausführungen wird Bezug genommen.


Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung. Es fehlt schon ein Grund, der eine ordentliche Kündigung nach § 1 KSchG rechtfertigen könnte. Die Beklagte hat allerdings nunmehr in der II. Instanz erstmals vorgetragen, an welchen vier Tagen im August 2011 der Kläger das Betriebsgelände verlassen haben soll, ohne sich auszuloggen. Zu Gunsten der Beklagten soll dies als zutreffend unterstellt werden. Weiterhin soll angenommen werden, dass der Kläger für den Hinweg 5 Minuten, für das Einkaufen ebenfalls ca. 5 Minuten und für den Rückweg erneut 5 Minuten brauchte. Damit hätte der Kläger insgesamt ca. 60 Minuten gefehlt, ohne eine Arbeitsleistung erbracht zu haben. Der maximale Schaden beträgt also einen Stundenlohn, somit 9,81 € brutto.

Es kann offen bleiben, ob angesichts dieser Schadenshöhe in geringem Umfang überhaupt eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung möglich wäre. Jedenfalls rechtfertigt nicht jede Falschangabe in der elektronischen Zeiterfassung eine ordentliche Kündigung im Sinne des § 1 KSchG. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer - wie hier - arbeitsvertraglich zur Ableistung von 10 Überstunden im Monat ohne (weitere) Vergütungszahlung verpflichtet ist und dieses Kontingent nicht ausgeschöpft wird.

Aus dem nunmehr von der Beklagten eingereichten Zeiterfassungsbogen für August 2011 ergibt sich, dass der Kläger unter Berücksichtigung der Tage, an denen er überhaupt Arbeit geleistet hat, insgesamt 6 Stunden und 17 Minuten über dem arbeitstäglichen Soll von 8 Stunden tätig war. Damit konnte es zu keinem Schaden kommen, da der Kläger jedenfalls bis zu 10 Überstunden ohne weitere Vergütung hätte leisten müssen. Gerade weil die Beklagte keinen materiellen Schaden erlitten hat, stellt sich das Vergehen des Klägers hinsichtlich der Schwere als deutlich geringer heraus. Unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wäre daher eine vorherige Abmahnung erforderlich gewesen. Eine solche Abmahnung ist aber ausnahmsweise dann entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann oder es sich um eine schwere Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist und wenn die Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG 12.01.2006 - 2 AZR 179/05 - NZA 2006, 980, Rn. 56). Bei Anwendung dieser Kriterien war eine Abmahnung nicht entbehrlich. Gerade weil es sich um eine nicht sehr schwerwiegende Pflichtverletzung handelte, kann im Bezug auf den Kläger auch erwartet werden, dass er sein Verhalten nach Ausspruch einer Abmahnung ändert. Aus den gleichen Gründen war die Hinnahme dieses Verhaltens durch den Arbeitgeber jedenfalls nicht offensichtlich ausgeschlossen. Soweit die Beklagte dem Kläger auch vorwirft, er habe sich mit seinem Verhalten „gebrüstet“, ist dies ebenfalls weiterhin unsubstanziiert und kann allein schon deswegen keine andere Beurteilung rechtfertigen.


Soweit der Kläger nach der Darstellung der Beklagten am 31. Oktober 2011 es abgelehnt haben soll, die Arbeitnehmer für den nächsten Tag einzuteilen, so mag dies zutreffend sein. Zu Recht hat das Arbeitsgericht jedoch darauf verwiesen, dass eine vorherige Abmahnung erforderlich gewesen wäre.


Die Beklagte sieht in der behaupteten Beleidigung durch den Kläger und in seinem Verhalten im Rahmen eines Personalgesprächs nunmehr keinen Kündigungsgrund. Sie meint jedoch, dass dadurch die Eignung des Klägers als Fertigungsleiter infrage gestellt werde. Dem ist nicht zu folgen. Erstinstanzlich ist dieses Vorbringen zutreffend gewürdigt worden. Daher kann es auch nicht im Rahmen einer Gesamtbewertung dazu führen, dass nunmehr ohne vorherige Abmahnung eine Kündigung gerechtfertigt sein könnte.


Da es schon an einem Grund für eine ordentliche Kündigung nach § 1 KSchG fehlt, kann eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB nicht gerechtfertigt sein.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht Berlin auch dem vorläufigen Weiterbeschäftigungsantrag stattgegeben. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte die Ansicht vertritt, eine Position als Fertigungsleiter existiere nicht. Die Beklagte hat im Rahmen des Berufungsvorbringens mehrmals darauf hingewiesen, dass der Kläger „als Fertigungsleiter“ seiner Vorbildfunktion nicht gerecht geworden sei. Im Übrigen hat sie darauf verwiesen, dass der Kläger lediglich zu ca. 30 % seiner Arbeitszeit Leitungsfunktion ausgeübt haben soll. Selbst wenn dies zutreffend gewesen wäre, entfällt hierdurch nicht die Position eines Fertigungsleiters. Die Ausübung einer Leitungsfunktion setzt nicht voraus, dass während der Arbeitszeit nichts anderes als Leitungsaufgaben wahrgenommen werden. Eine Kita-Leiterin bleibt eine Leiterin, auch wenn sie zwischendurch eine Kindergruppe betreut.

Die Beklagte hat die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO). Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 72 ArbGG) liegen nicht vor. Insofern ist gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel nicht gegeben.

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