Allgemeines Persönlichkeitsrecht vs. Rundfunkberichterstattung vs. "Das Internet als Pranger"
Ein groteskes Sendeformat von RTL II geistert seit ein paar Tagen dank prominenter Unterstützung durch die öffentliche Debatte. „Tatort Internet – Schützt endlich unsere Kinder“ heißt die Sendung, die zur Prime Time ausgestrahlt wird.
Die ersten Diskussionen befassten sich mit dem fragwürdigen Sendungskonzept. Mutmaßliche „Kinderschänder“ werden unter Vortäuschen einer falschen Identität von Reportern in Chats zu fingierten Gesprächen mit Kindern animiert. Die Reporter legen gefakete Accounts an und geben sich als Minderjährige zu erkennen.
Springt ein Delinquent auf die Chats an, werden die Gespräche schnell in Richtung „Eindeutigkeit“ gelenkt. Wenn einer anbeißt, wird ein Treffen organisiert und der mutmaßliche Kinderschänder von den Reportern und natürlich der Kamera gestellt.
Es ist sicher müßig, eine Diskussion über Sinn und Unsinn einer solchen Sendung und die vielleicht missglückte Unterstützung der Sendung durch den Verein „Innocence in Danger“ und dessen Präsidentin, Stephanie zu Guttenberg zu führen.
Aus enttarnbar...
Allerdings bietet das Format neben seiner gesellschaftspolitischen Brisanz mehrere ganz handfeste rechtliche Probleme: ein mutmaßlicher Täter ist erkennbar dargestellt worden. In der Sendung wurde eine einzige Information zu viel über den Mann preisgegeben.
wird enttarnt
Sein Name wurde ohne Aufwand recherchierbar. Eine Google-Suche brachte gleich beim ersten Versuch einen Treffer. Name, Adresse, Arbeitgeber und Telefonnummern sowie Bilder des Mannes wurden in der Nacht zum 12. Oktober im Internet veröffentlicht – zusammen mit dem Vermerk, "dass ginge schon in Ordnung, er sei schließlich ein Kinderschänder."
So wird das Internet auf einen Schlag zum virtuellen Pranger. Diese Debatte ist auch nicht neu. Neu ist allerdings die Qualität des Vorgehens der Sendungsverantwortlichen, erschreckend ist die crossmediale Zusammenarbeit von professioneller Fernseh- und privater Netzforenjournaille. Diese unheilige Allianz und gerade in dieser Reihenfolge birgt ein ungeahntes Gefahrenpotential für die Rechte des Einzelnen.
Was steckt rechtlich dahinter?
In rechtlicher Hinsicht sind an dem Fall zwei Fragen interessant:
Es steht nicht fest, was der Mann in der Sendung vorhatte. Es gilt auch hier selbstverständlich die Unschuldsvermutung bis zur Rechtskräftigen Verurteilung. Gut, damit nimmt es die Boulevardpresse traditionell nicht zu genau, doch hier entstammt die Stigmatisierung eben der „Stimme des Volkes“, angestachelt durch Sensationslüsterne „Berichterstattung“.
Eine strafrechtliche Verantwortung des mutmaßlichen Schänders ist keineswegs geklärt. Allerdings wird er nun wahrscheinlich einige Konsequenzen der gemeinschaftlichen Enttarnung zu tragen haben. Er wird ersteinmal davon ausgehen müssen, dass nun ein Strafverfahren bei der zuständigen Staatsanwaltschaft gegen ihn eröffnet wird und eine strafrechtliche Verantwortung zumindest geprüft wird. Bei den in Frage kommenden Delikten gilt das Offizialprinzip. Die Staatsanwaltschaft hat die Pflicht, selbstständig und ohne eine entsprechende Strafanzeige Ermittlungen aufzunehmen. Zwar ist noch lange nicht geklärt, ob das Verhalten – besonders wegen des vorgeschalteten „Agent Provocateur“ in Gestalt der Reporterin – überhaupt strafrechtlich relevant ist, eine Vorverurteilung allerdings ist schon passiert!
Unabhängig von der strafrechtlichen Verantwortung ist hier wohl damit zu rechnen, dass der Betroffene persönlichkeitsrechtliche Unterlassungsansprüche gegen den verantwortlichen Sender und natürlich auch gegen die Autoren der Forenbeiträge und ggfs. gegen die Forenbetreiber hat.
Bilder, dürfen nur mit Einwilligung der abgebildeten Person veröffentlicht werden. Wird ein Bild dennoch veröffentlicht, so stehen dem Abgebildeten umfassende Unterlassungs- Auskunfts- und teilweise sogar Schadensersatzansprüche zu. Diesen Ansprüchen kann man dadurch ausweichen, indem eine Person hinreichend unkenntlich gemacht wird. Unter diesem Aspekt ist schon fraglich, ob die digitale Verwischung des Antlitzes des Delinquenten tatsächlich schon für eine Unkenntlichmachung ausreichte. Das Gegenteil scheint eher der Fall zu sein. In etlichen Urteilen hat der BGH deutlich gemacht, dass an die Erkennbarkeit keine großen Anforderungen zu stellen sind. Eine Person ist schon dann erkennbar, wenn Sie selbst besorgt, dass Dritte sie wegen anderer Merkmale als das Gesicht erkennen können. Dazu zählen z. B. Kleidung, Schmuckstücke oder die Umgebung im Hintergrund.
Und mal ganz ehrlich: an Stelle des vermeintlichen Täters würde ich mich (zumindest für Bekannte) für erkennbar halten.
Da es sich beim „Tatort Internet“ aber um Berichterstattung im Rundfunk handelt, greift zu seinen Gunsten die Rundfunkfreiheit des Artikel 5 Grundgesetz (GG).
„(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“
Aber auch für die Widerstreitenden Interessen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des „Täters“ und seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung einerseits und der Presse- und Rundfunkberichterstattungsfreiheit andererseits gibt es eine Fülle von verfassungsgerichtlichen „Anleitungen“ zu einem gerechten Ausgleich.
Eine Einwilligung ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn die Bildnutzung mit einem gewissen Informationsinteresse der Öffentlichkeit zu rechtfertigen ist. Das scheint hier aber gerade nicht der Fall. Bei den enttarnten Kinderschändern handelt es sich ersteinmal nicht um Personen der Zeitgeschichte, sondern zumeinst um bis dato eher weniger auffällige Zeitgenossen. Und eine Berichterstattung, die eine unkenntlich gemachte Person im Kontext des Vorwurfs des vermeintlichen Kindesmissbrauchs rechtswidrig enttarnbar macht, tut dem Informationsinteresse keinen Dienst.
Die "Zusammenarbeit"
Aber eine neue Qualität wird erst dadurch erreicht, dass durch die „Zusammenarbeit“ von Rundfunk und Netzgemeinde innerhalb weniger Stunden sämtliche Details zu dem Enttarnten recherchiert und „für immer“ im Netz gespeichert sind.
„Es ist wohl doch nicht in Ordnung, selbst wenn er ein Kinderschänder wär“. Ein Kommentar bei youtube: „Wie wäre es mit "Tatort RTL 2?“
Es lauern viele Gefahren im Internet. In unserer täglichen Mandatsarbeit werden wir immer öfter mit ähnlichen Sachverhalten konfrontiert. Auch wenn es in einigen Fällen weit weniger brisant medial ausgeschlachtet wird.
Persönlichkeitsrechtsverletzungen sind im Netz an der Tagesordnung weil schnell bewirkt und schnell einem großem Publikum zugänglich.
Sollten Sie selbst Opfer einer solchen Tat geworden sein, nehmen sie anwaltliche Hilfe in Anspruch. Nur der Fachmann Ihres Vertrauens kann Ihre Rechte effektiv für Sie wahrnehmen.