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Recht auf Anonymität auch bei falschen Tatsachenbehauptungen oder Schmähkritik? - Showdown in Karlsruhe

Recht auf Anonymität auch bei falschen Tatsachenbehauptungen oder Schmähkritik? - Showdown in Karlsruhe

Rechtsanwalt Michael Terhaag, LL.M.,
Fachanwalt für IT-Recht

UPDATE (BGH-Entscheidung und Kommentar siehe unten)

Wir haben schon viel über Bewertungsforen im Internet berichtet, vgl. einen der ersten TV-Auftritte des Verfasser im ZDF, einen von zwischendurch im WDR sowie einen der letzten bei RTL. Der vermeintlich neutralen Empfehlung oder Kritik im Netz kommt mittlerweile eine verehrende Marktmacht zu. Viele Teilnehmer lassen ihre Entscheidung welches Produkt sie kaufen oder welchen Dienstleister sie in Anspruch nehmen maßgeblich hiervon abhängen, was natürlich für die Betroffenen den Druck enorm erhöht, sich gegen unzulässige Einträge mit aller Härte zu wehren.

Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut – es findet jedoch zu Recht seine Grenzen in unzulässigen Beleidigungen und der vielbeschriebenen Schmähkritik, bei der es ohne Sachbezug ausschließlich darum geht, den Betroffenen (öffentlich) nieder zu machen. Auch falsche Tatsachenbehauptungen sind unzulässig und lassen sich –notfalls mit gerichtlicher Hilfe – löschen.

Aber was ist, wenn die Bewertung von „Bruce Wayne“ oder „sexysabine68“ stammen?Da wird es mit der ladungsfähigen Anschrift etwas schwierig.

Nach dem Teledienstegesetz hat ein Internetdiensteanbieter die Nutzung von Telemedien und ihre Bezahlung anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist. Der Nutzer ist über diese Möglichkeit zu informieren.

Ok, per so genannter Notice-and-Takedown Mitteilung kann ich als Betroffener an den Forenbetreiber herantreten. Aber was wenn dieser z.B. im entfernteren Ausland sitzt und einfach ein falsches Impressum führt und dadurch die Löschung zwar möglich, aber vergleichsweise aufwendig ist? Der eigentliche Verursacher bleibt im Verborgenen. In besonders harten Fällen bleibt nur eine Strafanzeige – die Staatsanwälte bedanken sich.

Gibt es den Anspruch auf Auskunft über Anmeldedaten gegen den Betreiber eines Internetportals?

Mit dieser Frage musste sich zuletzt der Bundesgerichtshof auseinandersetzen, dessen Entscheidung für den 1. Juli 2014 angekündigt hat – (Az. VI ZR 345/13). Der Kläger, ein frei praktizierender Arzt, macht einen Auskunftsanspruch gegen die Betreiberin eines Internetportals, das Bewertungen von Ärzten ermöglicht.

Im November 2011 entdeckte der Kläger auf der Internetseite der Beklagten eine Bewertung, in der über ihn verschiedene unwahre Behauptungen aufgestellt wurden. Im Juni 2012 wurden weitere, den Kläger betreffende Bewertungen mit unwahren Tatsachenbehauptungen veröffentlicht. Auf sein Verlangen hin wurden die Bewertungen jeweils von der Beklagten (siehe oben Notice-and-Takedown) gelöscht. Am 4. Juli 2012 erschien (jedenfalls) bis November 2012 erneut eine Bewertung mit den von dem Kläger bereits beanstandeten Inhalten. Es liegt also ein klassischer Fall der Internethydra vor – schlägst Du einen Kopf ab, wachsen u.U. mehrere neue nach. Unsere Erfahrung in der Praxis ist übrigens eine andere. In den allermeisten Fällen machen sich Bewerter kurz im Internet Luft und akzeptieren später, dass es so nicht geht oder der Ärger ist einfach verraucht. Ausnahmen bestätigen die Regel – so wie im hier vorliegenden und nunmehr zu entscheidenden Fall.

Das Landgericht hat die Beklagte zur Unterlassung der Verbreitung der vom Kläger beanstandeten Behauptungen und zur Auskunft über Name und Anschrift des Verfassers der Bewertung vom 4. Juli 2012 verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat einen Auskunftsanspruch des Klägers gegen die Beklagte wegen der bei ihr hinterlegten Anmeldedaten des Verletzers bejaht.
Der oben zitierte § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG, wonach ein Diensteanbieter die Nutzung von Telemedien anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen hat, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist, schließe den allgemeinen Auskunftsanspruch nicht aus.

Vor dem BGH geht es jetzt nur noch maßgeblich um den im Raum stehenden Auskunftsanspruch. Der für das Recht der unerlaubten Handlung zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs wird darüber zu befinden haben, ob der in seinem Persönlichkeitsrecht Verletzte von dem Betreiber eines Internetportals Auskunft über die bei ihm hinterlegten Anmeldedaten des Verletzers beanspruchen kann.

Im Grunde geht es also um die Frage, ob das oben beschriebene Recht auf Anonymität auch für vermeintlich unwahre Tatsachenbehauptungen gelten darf. Für die Meinungsäußerung muss dieses Recht aus Sicht des Verfassers grundsätzlich weiterbestehen, bei falschen Tatsachenbehauptungen, Beleidigungen oder Schmähkritik allerdings, darf sich ein Internetnutzer nicht hinter diesem Recht auf Anonymität verstecken dürfen und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen den Vorzug eingeräumt werden. Das Problem ist, die Grenzen zwischen Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerung sind sehr häufig schwer zu ziehen und verwischen zumeist.

Update - die Entscheidung:

Nachdem das Oberlandesgericht noch einen Auskunftanspruch bejahte, hatte die Revision hiergegen nunmehr heute Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat die Klage auf Auskunftserteilung abgewiesen!

Dabei geht es weniger um das Recht auf Anonymität, sondern vielmehr um die Ermangelung einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage zur Herausgabe der Daten.

Der Forenbetreiber ist nach Auffassung des BGH nach dem Teledienstegesetz (TMG) nicht befugt, ohne Einwilligung des Nutzers dessen personenbezogene Daten zur Erfüllung eines Auskunftsanspruchs wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung an den Betroffenen zu übermitteln.

Die für Bereitstellung von Telemedien erhobene personenbezogene Daten dürfen für andere Zwecke als den Teledienst selbst nur verwendet werden, soweit eine Rechtsvorschrift dies erlaubt oder der Nutzer - was hier nicht in Rede stand - eingewilligt hat. Insofern bleibt es bei dem Grundsatz aus dem Bundesdatenschutzgesetz bzw. dem hier spezielleren TMG.

Gesetzgeber gefragt?

Ein Verwenden stellt natürlich nicht nur die Speicherung, sondern insbesondere auch die Herausgabe an Dritte dar. Eine Erlaubnis durch Rechtsvorschrift kommt außerhalb des Telemediengesetzes nach dem Gesetzeswortlaut lediglich dann in Betracht, wenn sich eine solche Vorschrift ausdrücklich auf Telemedien bezieht. Eine solche Vorschrift habe der Gesetzgeber bisher – bewusst – nicht geschaffen.

Im Übrigen stellt der BGH nocheinmal klar, dass dem durch persönlichkeitsrechtsverletzende Inhalte einer Internetseite Betroffenen allerdings ein Unterlassungsanspruch gegen den Portalbetreiber zustehen kann und dieser auf Anordnung der zuständigen Stellen im Einzelfall Auskunft über Bestands-, Nutzungs- und Abrechnungsdaten erteilen muss, soweit dies u. a. für Zwecke der Strafverfolgung erforderlich ist.

Das bedeutet, bei Beleidigung, Verleumdung und ähnlichen bleibt auch weiterhin nur der Umweg über die Strafanzeige, neben dem Notice-and-Takedown gegenüber dem Portal. Im Falle von bloßen falschen Tatsachenbehauptungen (die ja viel schlimmer sein können) ist dieser Weg eigentlich versperrt... wie gut das de Grenzen so fließend sind. ;)

Unser Kommentar: Ein Pyrrhussieg für die Meinungsfreiheit

Das Urteil ist aus Sicht des Verfassers ein Pyrrhussieg für die Meinungsfreiheit - Unter deren Deckmantel können also auch weiterhin falsche Tatsachen verbreitet und Personen diskreditiert werden – ohne das der Seitenbetreiber Ross und Reiter nennen muss.

Wer sich diskreditierend und inhaltlich sachlich falsch über andere öffentlich äußert, haftet auf Unterlassung und Schadensersatz. Die Durchsetzung dieses rechtlich legitimen Interesses eines Geschädigten wird durch die heutige Entscheidung des BGH nicht unmöglich, aber im Einzelfall unnötig erschwert und u.U. sogar gänzlich vereitelt. Dieser Frage wird sich der Gesetzgeber wohl mittelfristig einmal stellen müssen.

Zum aktuellen Thema durften wir einmal mehr bei Volle Kanne im ZDF live Stellung beziehen.

Haben Sie Fragen oder Beratungsbedarf? Bitte sprechen Sie uns gern an.