Urteilsverkündung in Sachen Vorratsdatenspeicherung - Bundesverfassungsgericht fällt wichtige Grundsatzentscheidung
Top Thema bei "Volle Kanne" im ZDF
<link>mit Rechtsanwalt Michael Terhaag
Am 2. März 2010 verkündet das Bundesverfassungsgericht sein lang erwartetes Urteil zur so genannten „Vorratsdatenspeicherung“.
Hierbei geht es maßgeblich um die verdachtsunabhängige Protokollierung elektronischer Nutzerspuren In Telefonnetzen und dem Internet.
Die Vorschriften
Die aktuelle Regelung des § 113a Telekommunikationsgesetz (TKG) verpflichtet Anbietern von Telefon, Internet und Email-Diensten so genannte Verkehrsdaten, die bei der Inanspruchnahme von Telekommunikationsdiensten entstehen, jeweils für sechs Monate zu speichern.
Zum Beispiel sind bei Telefongesprächen die Rufnummern des Anrufenden und des angerufenen Anschlusses sowie Beginn und Ende des Gesprächs ebenso wie bei Handygesprächen der Aufenthaltsort der Beteiligten zu speichern ein halbes Jahr lang zu sichern.
Vorratsdaten
Die „auf Vorrat“ also ohne jeden Verdacht gespeicherten Daten sollen von den Diensteanbietern an die zuständigen Behörden zur Strafverfolgung, zur Abwehr von erheblichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und zur Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes, des Bundesnachrichtendienstes und des militärischen Abschirmdienstes übermittelt werden dürfen. Hierbei steht besonders der vergleichsweise weite Begriff der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr in der Kritik.
Der Senat erließ hierzu bereits im Laufe des Verfahrens einstweilige Anordnungen, wonach die Übermittlung der Vorratsdaten zu Strafverfolgungszwecken bzw zur Gefahrenabwehr bis zur nun anstehenden Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden nur eingeschränkt erfolgen darf.
Rekord-Verfassungsbeschwerden
Gegen die sechsmonatige Aufbewahrung von Verbindungs- und Standortdaten wurden insgesamt beinahe 35.000 Verfassungsbeschwerden erhoben; ein bislang bei weiten nie erreichter Wert.
Die Beschwerdeführer sehen durch die Vorratsdatenspeicherung vor allem das Telekommunikationsgeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Sie halten die anlasslose Speicherung aller Telekommunikationsverbindungen für unverhältnismäßig. Insbesondere machen sie geltend, dass sich aus den gespeicherten Daten Persönlichkeits- und Bewegungsprofile erstellen ließen.
Einige Beschwerdeführer wie z.B. Rechtsanwälte, Ärzte oder Journalisten fühlen sich darüber hinaus durch die Vorratsdatenspeicherung in ihrer Berufsfreiheit verletzt, weil sie die Vertraulichkeit der Kontakte zum Mandanten beeinträchtige. Soweit sich das Bundesverfassungsgericht an einer verfassungsrechtlichen Prüfung in vollem Umfang gehindert sehe, weil es sich bei den beanstandeten Regelungen um die Umsetzung von EG-Recht handele, regen die Beschwerdeführer eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof an.
Interessanterweise berichtet das Nachrichtenmagazin Der Spiegel unmittelbar vor der Entscheidung des BVerfG, die neue EU-Justizkommissarin Viviane Reding habe angekündigt, die zugrunde liegende EU-Richtlinie grundlegend zu überprüfen. Sie werde sich für das "richtige Gleichgewicht" zwischen der Terrorismusbekämpfung und der Achtung der Privatsphäre einsetzen und die Richtlinie "noch in diesem Jahr auf den Prüfstand stellen".
Gespräch exakt eine Stunde vor Urteilsverkündung
Rechtsanwalt Michael Terhaag tritt am Dienstag unmittelbar vor der Verkündung der Entscheidungsgründe im ZDF Vormittagsprogramm bei „Volle Kanne“ auf, um die Bedeutung des Gesetzes und der anstehenden Grundsatzentscheidung zu erläutern.
Einen enstprechenden Ausschnitt können –wie gewohnt- unten einsehen.
Aus Sicht des Verfassers zeigen gerade die diversen aktuellen Datenskandale, dass man zum Grundsatz der Datenaskese zurückkehren sollte und nicht -auch nicht zur Terrorabwehr- privaten Unternehmen gesetzlich aufgeben sollte, erhebliche Datenbanken mit höchstpersönlichen Informationen anzulegen.
Prognose
Theoretisch ist natürlich auch eine Vorlage zum EuGH möglich, wir denken aber insbesondere nach den bereits ergangenen einstweiligen Anordnungen, dass das höchste deutsche Gericht die aktuellen Regelungen massiv „eindampfen“ und dem Gesetzgeber einmal mehr ordentlich was ins Hausaufgabenheft schreiben wird.
Update nach der Entscheidung
Das Urteil ist mittlerweile ergangen. Die streitgegenständlichen Gesetze sind als verfassungswidrig und nichtig bewertet worden. Die auf dieser Grundlage gespeicherten Daten sind sofort zu löschen. Ob und wie die weitergebenen Informationen noch verwendet werden dürfen bleibt abzuwarten.
Das Gericht hat aber festgestellt, dass nicht jede Vorratsdatenspeicherung unzulässig sein muss, sodass tatsächlich mit neuen gesetzgebrischen Aktivitäten in diesem Bereich nach Maßgabe der vorliegenden Entscheidung des BVerfG zu rechnen ist.