Erben bekommen keine Einsicht in Facebook-Account
Von Rechtsanwalt Michael Terhaag
Fachanwalt für IT-Recht
Erben haben keinen Anspruch auf Einsicht in den Facebook-Account des Verstorbenen. Das hat das Kammergericht Berlin entschieden (Urteil vom 31. Mai 2017, Az. 21 U 9/16). Wir haben über das Verfahren schon mehrfach berichtet.
Geklagt hatten Eltern, deren Tochter im Alter von 15 Jahren unter ungeklärten Umständen durch eine U-Bahn ums Leben gekommen war. Die Kläger als Erben erhoffen sich, über den Facebook-Account ihrer Tochter und die dort ausgetauschten Nachrichten mehr über die Umstände des Todes ihrer Tochter zu erfahren. Auch, ob es es um einen Suizid handelte. Facebook verweigerte der Klägerin die Zugangsdaten zu dem in einen Gedenkzustand versetzten Account, so dass diese Klage erhob.
Das Landgericht Berlin verpflichtete Facebook in erster Instanz, den Eltern der Verstorbenen als deren Erben Zugang zu dem Benutzerkonto und dessen Kommunikationsinhalten zu gewähren. Mehr zu dem Urteil erfahren Sie an dieser Stelle.
Einen Vergleichsvorschlag des Kammergerichts nahmen die Parteien nicht an – deswegen wurde nun das Urteil des Gerichts verkündet.
Wie hat das Kammergericht Berlin entschieden?
Der Schutz des Fernmeldegeheimnisses nach dem Telekommunikationsgesetz stehe dem Anspruch der Erben entgegen, Einsicht in die Kommunikation der Tochter mit Dritten zu erhalten. Das Fernmeldegeheimnis werde durch das Grundgesetz geschützt und sei damit eine objektive Wertentscheidung der Verfassung. Daraus ergebe sich eine Schutzpflicht des Staates und auch die privaten Diensteanbieter müssten das Fernmeldegeheimnis achten.
Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 16.6.2009, 2 BvR 902/06, BVErfGE 124, 43) erstrecke sich das Fernmeldegeheimnis auch auf E-Mails, die auf den Servern von einem Provider gespeichert seien. Denn der Nutzer sei schutzbedürftig, da er nicht die technische Möglichkeit habe, zu verhindern, dass die E-Mails durch den Provider weitergegeben würden. Dies gelte entsprechend für sonstige bei Facebook gespeicherten Kommunikationsinhalte, die nur für Absender und Empfänger oder jedenfalls einen beschränkten Nutzerkreis bestimmt sind.
Zwar sehe das Gesetz vor, dass einem Dritten Kenntnisse vom Inhalt der Kommunikation verschafft werden dürfe, wenn dies erforderlich sei. Als erforderlich könne jedoch nur angesehen werden, was dazu diene, den Dienst technisch zu ermöglichen oder aufrecht zu erhalten. Da Facebook jedoch seine Dienste nur beschränkt auf die Person des Nutzers angeboten habe, sei es auch aus der Sicht der ebenfalls schutzbedürftigen weiteren Beteiligten am Chat in technischer Hinsicht nicht erforderlich, einem Erben nachträglich Zugang zum Inhalt der Kommunikation zu verschaffen.
Auch außerhalb des Erbrechts bestehe kein Anspruch auf Zugang zu dem Account, so der Senat. Insbesondere das Recht der elterlichen Sorge verhelfe nicht zu einem solchen Anspruch. Dieses Recht erlösche mit dem Tode des Kindes. Das den Eltern noch zufallende Totenfürsorgerecht könne nicht dazu dienen, einen Anspruch auf Zugang zu dem Social-Media-Account des verstorbenen Kindes herzuleiten.
Auch das eigene Persönlichkeitsrecht der Mutter sei nicht geeignet, einen Anspruch auf diesen Zugang zu begründen. Als ein Teilbereich des Persönlichkeitsrechts sei etwa anerkannt, seine eigene Abstammung zu kennen. Trotz des verständlichen Wunsches der Eltern, die Gründe für den tragischen Tod ihres Kindes näher zu erforschen, lasse sich hieraus kein Recht auf Zugang zu dem Account ableiten. Auch wenn eine verbleibende Unkenntnis darüber die Persönlichkeitsentfaltung der Eltern massiv beeinträchtigen könne, gebe es auch vielfältige andere Ereignisse, die die gleiche Wirkung zeigen könnten. Dadurch würde das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu einem konturenlosen und nicht mehr handhabbaren Grundrecht führen.
Fazit: Regelung des digitalen Erbes immer wichtiger
Der Fall ist spannend - und womöglich noch nicht abschließend entschieden. Es ist das erste Verfahren zum Thema Vererbarkeit eines Facebook-Accounts - und könnte, aufgrund seiner Wichtigkeit, bald auch noch den Bundesgerichtshof beschäftigen. Die Revision ist zugelassen.
Die Frage um das digitale Erbe wird zunehmend wichtiger und sollte nicht in Vergessenheit geraten. Der Inhalte eines Social-Media-Accounts kann für die Erben von wesentlicher Bedeutung sein. Viele nutzen die Netzwerke zur (privaten) Kommunikation, aber auch für Geschäftskontakte. Somit können sich in den Nachrichten auch wichtige Informationen befinden, die das Erbe betreffen. Somit kann der Einblick, zumindest in Form eines Leserechts, für die Erben bedeutend sein.
Im vorliegenden Fall, über den das Kammergericht zu entscheiden hatte, ist die Klärung über die Todesumstände der Erben auch aus einem anderen Grund wichtig: Der Fahrer der U-Bahn, die die Verstorbene erfasst hatte, machte gegen die Erben ein Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen Verdienstausfalls geltend. Und zu guter Letzt haben die Hinterbliebenen auch ein Interesse daran zu erfahren, warum ihre Tochter verstorben ist. Dies ist für die Trauerbewältigung von hoher Wichtigkeit.
Auf der anderen Seite stehen natürlich datenschutzrechtliche Belange – insbesondere der Kommunikationspartner des Verstorbenen. Sie wollen vielleicht nicht, dass ihre Mitteilungen gegenüber den Erben offen gelegt werden. Das Landgericht Berlin, das in erster Instanz zu entscheiden hatte, sah darin keinen Hinderungsgrund: Vertrauliche Briefe, die ein Dritter verschickt habe, würden nach dem Tod des Empfängers auch von den Erben gelesen werden können - ohne dass ein Eingriff in die Rechte der Absender vorliege. Nichts anderes gelte für digitale Daten. Das sah das Kammergericht nun anders.
(Mit Material der Pressemitteilung des KG Berlin vom 31. Mai 2017)
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