Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit wegen Rückfalls in Folge langjähriger Alkoholabhängigkeit

Zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, Urteil vom 18. März 2015 - 10 AZR 99/14 -
- von Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht -
- Peter Kaumanns, LL.M. -
Was war passiert
Ausgangspunkt es Verfahrens war die schwere Alkoholsucht eines Arbeitnehmers, bei dem es trotz mehrerer Therapien bedauerlicherweise immer wieder zu Rückfällen kam:
"Der alkoholabhängige Herr L., war seit dem Jahr 2007 bis zum 30. Dezember 2011 Arbeitnehmer der beklagten Arbeitgeberin. Herr L. wurde am 23. November 2011 mit einer Alkoholvergiftung (4,9 Promille) in ein Krankenhaus eingeliefert und war in der Folge für über zehn Monate arbeitsunfähig erkrankt. Zuvor hatte er zwei stationäre Entzugstherapien durchgeführt. Es kam jedoch immer wieder zu Rückfällen."
Die Klägerin, die Krankenkasse des Arbeitnehmers, zahlte diesem während eines Rückfalls Krankengeld und verlangte nunmehr von der Arbeitgeberin Ersatz dieser Zahlung aus übergegangenem Recht. Dies lehnte die Arbeitgeberin ab. Sie war der Ansicht, dass dem Arbeitnehmer schon keine überleitbaren Rechte zugestanden hätten, da ein Rückfall nach mehrfachem stationärem Entzug und diesbezüglich erfolgter Aufklärung ein Verschulden des Arbeitnehmers darstellen würden. Ein solches Verschulden iSv.des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG liege vor, wenn ein Arbeitnehmer in erheblichem Maße gegen das von einem verständigen Menschen in seinem eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstößt. Dies war nach Ansicht der Arbeitgeberin der Fall, so dass kein überleitbarer Anspruch auf Entgeltfortzahlung bestehen würde.
Regelmäßig kein Verschulden
Dem folgten die Instanzgerichte sowie das Bundesarbeitsgericht nicht. Bei einem alkoholabhängigen Arbeitnehmer fehle es suchtbedingt auch im Fall eines Rückfalls nach einer Therapie regelmäßig an einem solchen Verschulden.
"Bei einer Alkoholabhängigkeit handelt es sich um eine Krankheit. Wird ein Arbeitnehmer infolge seiner Alkoholabhängigkeit arbeitsunfähig krank, kann nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht von einem Verschulden im Sinne des Entgeltfortzahlungsrechts ausgegangen werden. Die Entstehung der Alkoholsucht ist vielmehr multikausal, wobei sich die unterschiedlichen Ursachen wechselseitig bedingen. Dies gilt im Grundsatz auch bei einem Rückfall nach einer durchgeführten Therapie. Im Hinblick auf eine Abstinenzrate von 40 bis 50 % je nach Studie und Art der Behandlung kann nach einer durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme jedoch ein Verschulden des Arbeitnehmers an einem Rückfall nicht generell ausgeschlossen werden. Der Arbeitgeber kann deshalb in diesem Fall das fehlende Verschulden bestreiten. Das Arbeitsgericht hat dann ein medizinisches Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob der Arbeitnehmer den Rückfall schuldhaft iSd. § 3 Abs. 1 EFZG herbeigeführt hat. Lässt sich dies nicht eindeutig feststellen, weil ein Ursachenbündel hierfür vorliegt, geht dies zulasten des Arbeitgebers. Das im konkreten Fall eingeholte sozialmedizinische Gutachten hat ein Verschulden des Arbeitnehmers unter Hinweis auf die langjährige und chronische Alkoholabhängigkeit und den daraus folgenden "Suchtdruck" ausgeschlossen."
Fazit
Eine Arbeitsunfähigkeit ist nur dann verschuldet iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG, wenn ein Arbeitnehmer in erheblichem Maße gegen das von einem verständigen Menschen in seinem eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstößt. Nur dann verliert er seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Bei einem alkoholabhängigen Arbeitnehmer fehlt es suchtbedingt auch im Fall eines Rückfalls nach einer Therapie regelmäßig an einem solchen Verschulden.