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OLG Hamm, Urt. v. 4. August 2015, Az.: 4 U 66/15

Leitsätzliches

Für das unerwünschte Zusenden einer E-Mail-Werbung kann unter Kaufleuten - nach vorausgegangenem Vertragsstrafeversprechen - eine Vertragsstrafe von 3.000 Euro zu zahlen sein.

typo3/

Oberlandesgericht Hamm

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

Entscheidung vom 4. August 2015

Az.: 4 U 66/15

 

In dem Rechtsstreit

[…]

gegen

[…]

G r ü n d e

A. Von einer Sachverhaltsdarstellung wird nach §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

B. Die – zulässige – Berufung der Verfügungsbeklagten ist unbegründet. Das Landgericht hat die von der Verfügungsklägerin beantragte einstweilige Verfügung – im Ergebnis – zu Recht erlassen.

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig.

1. Die Verfügungsklägerin ist als Mitbewerberin der Verfügungsbeklagten nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG antragsbefugt.

2. Das Vorgehen der Verfügungsklägerin erweist sich nicht als rechtsmissbräuchlich (§ 8 Abs. 4 Satz 1 UWG). Die – darlegungsbelastete – Verfügungsbeklagte hat ihren Vorwurf, die Verfügungsklägerin gehe „massenhaft“ gegen Internet-Versandhändler vor, nicht substantiiert. Dass die Verfügungsklägerin nicht gegen den Betreiber der Internetplattform „amazon“ vorgeht, sondern einzelne Unternehmer, die ihre Waren über diese Plattform vertreiben, in Anspruch nimmt, ist nicht geeignet, den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs zu begründen. Denn bei Wettbewerbsverstößen der hier in Rede stehenden Art sind regelmäßig diese einzelnen Unternehmer als Täter anzusehen, während der Plattformbetreiber in der Regel allenfalls als Teilnehmer eingestuft werden kann.

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist auch begründet.

1. Es besteht ein Verfügungsgrund. Die Dringlichkeitsvermutung nach § 12 Abs. 2 UWG ist nicht widerlegt.

2. Es besteht auch ein Verfügungsanspruch. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch findet seine Grundlage in § 8 Abs. 1 Satz 1, § 3, § 5 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 UWG.

a) Die von der Verfügungsklägerin beanstandete Werbung der Verfügungsbeklagten für einen Sonnenschirm auf der Internetplattform „amazon“ ist irreführend im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG. Nach dieser Vorschrift ist eine geschäftliche Handlung irreführend, wenn sie unwahre oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über die wesentlichen Merkmale der Ware enthält, wobei die Vorschrift zu den wesentlichen Merkmalen der Ware ausdrücklich auch deren Ausstattung mit Zubehör zählt.

aa) Die streitgegenständliche Werbung enthält unwahre oder zumindest zur Täuschung geeignete Angaben über das zusammen mit dem beworbenen Sonnenschirm gelieferte Zubehör. Sie erweckt den Eindruck, zum Lieferumfang gehörten auch die auf der Abbildung des mittels eines Plattenständers aufgestellten Sonnenschirms zu sehenden Betonplatten, obwohl diese Betonplatten tatsächlich nach den Vorstellungen der Verfügungsbeklagten nicht von dem streitgegenständlichen Warenangebot umfasst sind.

(1) Wie eine Werbung zu verstehen ist, hängt maßgeblich von der Auffassung der von ihr angesprochenen Verkehrskreise ab. Adressat der streitgegenständlichen Werbung ist das allgemeine Publikum, dessen Verkehrsauffassung die Mitglieder des erkennenden Senats aufgrund eigener Sachkunde beurteilen können. Abzustellen ist hierbei auf den durchschnittlich informierten und verständigen Verbraucher, der der Werbung die der Situation angemessene Aufmerksamkeit entgegenbringt (Köhler/Bornkamm/Bornkamm, UWG, 33. Aufl. [2015], § 5 Rdnr. 2.87 m.w.N.).

(2) Ein solcher Verbraucher wird – irrigerweise – annehmen, dass das streitgegenständliche Angebot der Verfügungsbeklagten auf der Internetplattform „amazon“ auch die abgebildeten, zur Beschwerung des (auch nach den Vorstellungen der Verfügungsbeklagten zum Lieferumfang gehörenden) Plattenständers erforderlichen Betonplatten umfasst.

(a) Einer Abbildung des Produktes in einer Werbung oder einem Warenangebot im Internet kommt grundsätzlich eine maßgebliche Bedeutung für die Bestimmung des im Falle eines späteren Vertragsschlusses geschuldeten Leistungsinhaltes zu (BGH, MMR 2011, 238). Gerade bei der Betrachtung von Internetseiten sind visuelle Eindrücke für die Erfassung des jeweiligen Inhaltes von entscheidender Bedeutung. Das allgemeine Publikum fasst eine Produktabbildung in einer Internetwerbung daher als maßgeblichen Teil der Produktbeschreibung auf. Keinesfalls lässt sich der Auffassung der Verfügungsbeklagten zustimmen, der Produktabbildung komme „generell nur eine untergeordnete Rolle“ zu.

Für Produktabbildungen auf der Internetplattform „amazon“ gilt nichts anderes. Die Behauptung der Verfügungsbeklagten, jeder durchschnittlich informierte Verbraucher, der ein Produkt über die genannte Internetplattform kaufe, wisse, dass die Produktabbildungen nicht zwangsweise vom konkreten Verkäufer eingestellt worden seien, und verlasse sich daher nicht auf diese Abbildungen, trifft nicht zu. Der durchschnittliche Verbraucher – dessen Erfahrungs- und Kenntnishorizont die Mitglieder des Senats aus eigener Sachkunde beurteilen können – geht vielmehr davon aus, dass auch auf der genannten Internetplattform die Produktabbildungen vom jeweiligen Verkäufer stammen oder der Verkäufer sich den Inhalt dieser Abbildungen jedenfalls zu eigen machen will, wenn er ein Warenangebot auf der genannten Internetplattform einstellt. Die Vorstellung, dass die Produktabbildungen auf der Internetplattform „amazon“ nicht zur Bestimmung des angebotenen Leistungsumfanges herangezogen werden dürfen, ist dem angesprochenen, durchschnittlich informierten Verbraucher mehr als fremd.

(b) Der Verbraucher fasst die abgebildeten Betonplatten auch nicht lediglich als (mehr oder weniger schmückendes) Beiwerk zu dem abgebildeten Sonnenschirm auf. Der durchschnittliche Verbraucher ist grundsätzlich daran interessiert, nur funktionsfähige Produkte zu erwerben. Ein Produkt, das für sich genommen nicht funktionsfähig ist, sondern erst durch den Hinzuerwerb weiteren Zubehörs funktionsfähig gemacht werden muss, ist vor diesem Hintergrund für den Verbraucher (deutlich) weniger interessant als ein Produkt, das sogleich zusammen mit allem für die Herstellung der Funktionsfähigkeit erforderlichen Zubehör geliefert wird. Ohne die abgebildeten Betonplatten ist der angebotene Sonnenschirm nicht mit der erforderlichen Standfestigkeit aufstellbar, mithin nicht funktionsfähig. Der Verbraucher wird die Abbildung der Betonplatten vor diesem Hintergrund dahin verstehen, dass diese Betonplatten zum Lieferumfang gehören. Dass es neben der Aufstellung mittels eines Plattenständers auch andere Möglichkeiten gibt, Sonnenschirme standsicher aufzustellen (z.B. mit einer Bodenhülse), ist für den vorliegenden Fall, in dem es unstreitig um einen mit einem (ebenfalls in der Produktabbildung zu sehenden) Plattenständer zu liefernden Sonnenschirm geht, ohne Bedeutung.

(c) Der Verbraucher wird auch keineswegs davon ausgehen, dass die abgebildeten Betonplatten angesichts des von der Verfügungsbeklagten verlangten Kaufpreises nicht vom Angebot umfasst sein können. Derartige Betonplatten können im Einzelverkauf für geringfügige Beträge erworben werden, gebrauchte (Wasch-)Betonplatten werden häufig sogar kostenlos abgegeben. Der Verbraucher hat mithin keinen Anhaltspunkt zu glauben, die vier abgebildeten Platten könnten preislich gar nicht in dem Angebot der Verfügungsbeklagten enthalten sein.

(3) Der in der „Produktbeschreibung“ zu findende Hinweis der Verfügungsbeklagten, der Sonnenschirm werde „ohne Platten“ geliefert, vermag die Verfügungsbeklagte im Hinblick auf den Irreführungsvorwurf nicht zu entlasten.

(a) Die den Lieferumfang unzutreffend wiedergebende Produktabbildung ist durch ihre Platzierung an prominenter Stelle des Angebotes, nämlich am Beginn der Angebotsseite und unmittelbar neben der fett und in großer Schrift gedruckten Angebotsüberschrift, blickfangmäßig herausgestellt.

(b) In Fällen, in denen der Blickfang für sich genommen eine fehlerhafte Vorstellung vermittelt, kann der dadurch veranlasste Irrtum regelmäßig nur durch einen klaren und unmissverständlichen Hinweis ausgeschlossen werden, der selbst am Blickfang teilhat (BGH, GRUR 2015, 698 [Schlafzimmer komplett]). Danach reicht es nicht aus, wenn der beworbene Artikel zusammen mit weiteren Artikeln abgebildet wird, ohne die er nicht benutzt werden kann, und der aufklärende Hinweis nur innerhalb der Produktbeschreibung steht, ohne am Blickfang teilzuhaben und die Zuordnung zu den herausgestellten Angaben zu wahren (BGH, a.a.O.). Der hier in Rede stehende Hinweis nimmt nicht am Blickfang teil. Insbesondere ist er nicht als sogenannter „Sternchenhinweis“ durch ein am Blickfang teilhabendes Hinweissymbol mit diesem Blickfang verknüpft. Er findet sich vielmehr – ohne eine solche Verknüpfung – auf der Angebotsseite in deutlichem Abstand unterhalb der den Blickfang des Angebotes darstellenden Produktabbildung.

(c) Ausnahmsweise kann zwar dann auf einen Sternchenhinweis oder einen anderen klarstellenden Hinweis an den irreführenden blickfangmäßigen Angaben in einer Werbung verzichtet werden, wenn es sich um eine Werbung – namentlich für langlebige und kostspielige Güter – handelt, mit der sich der Verbraucher erwartungsgemäß eingehend befasst und die er auf Grund einer kurzen und übersichtlichen Gestaltung insgesamt zur Kenntnis nehmen wird (BGH, a.a.O.). Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Weder handelt es sich bei einem Sonnenschirm mit einem Preis von 134,07 € um ein langlebiges oder kostspieliges Wirtschaftsgut, noch zeichnet sich das hier streitgegenständliche Produktangebot im typischen „amazon“-Format durch eine kurze und übersichtliche Gestaltung aus.

bb) Die Irreführung ist auch geschäftlich (wettbewerblich) relevant. Die Frage, ob die abgebildeten Betonplatten zum Lieferumfang gehören oder nicht, hat für das Marktverhalten der angesprochenen Verkehrskreise keine lediglich unwesentliche Bedeutung. Die Lieferung eines – ohne Weiteres aufstellbaren – Sonnenschirmes mit Plattenständer und mit Betonplatten ist für den Verbraucher, wie bereits ausgeführt, deutlich attraktiver als die Lieferung eines Schirmes mit Ständer, aber ohne Platten.

Dass der Verbraucher im Internet – nach der Behauptung der Verfügungsbeklagten – vor der Abgabe der endgültigen Bestellerklärung aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung in Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGBGB noch einmal in Textform den Hinweis erhält, dass die Betonplatten nicht zum Lieferumfang gehören, vermag die geschäftliche Relevanz der Irreführung nicht auszuschließen. Zwar fehlt es – vor dem Hintergrund der europarechtlichen Hintergründe des Tatbestandsmerkmals der geschäftlichen Relevanz – an einer geschäftlich relevanten Irreführung, wenn die Irreführung lediglich dazu geeignet ist, den Verbraucher zu veranlassen, sich überhaupt mit der Werbung näher zu befassen (BGH, a.a.O.). Eine geschäftlich relevante Entscheidung ist (erst) jede Entscheidung eines Verbrauchers darüber, ob, wie und unter welchen Bedingungen er einen Geschäftsabschluss tätigen will (BGH, a.a.O.). Dieser Begriff erfasst allerdings außer der Entscheidung über den Erwerb oder Nichterwerb eines Produkts auch damit unmittelbar zusammenhängende Entscheidungen wie insbesondere das Betreten eines Geschäfts (BGH, a.a.O. m.w.N.). Den von der Verfügungsbeklagten behaupteten Hinweis nach Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGBGB erhält der Verbraucher erst, nachdem er die grundsätzliche Entscheidung getroffen hat, überhaupt einen Bestellprozess einzuleiten. Diese Entscheidung geht über die bloße nähere Befassung mit der Werbung hinaus und stellt eine geschäftlich relevante Entscheidung im vorstehend geschilderten Sinne dar. Es handelt sich zwar noch nicht um die endgültige Kaufentscheidung bei Abgabe der endgültigen Bestellerklärung. Die Einleitung eines Bestellprozesses im Internet geht – verglichen mit dem stationären Handel – indes noch über das Betreten eines Geschäfts hinaus und ist damit zumindest als unmittelbar mit der Erwerbsentscheidung zusammenhängende Entscheidung zu qualifizieren.

b) Umstände, die geeignet sind, die aufgrund des begangenen Wettbewerbsverstoßes zu vermutende Wiederholungsgefahr auszuräumen, sind nicht ersichtlich.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.