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Zustellung einer Urteilsverfügung von Amts wegen ist nicht ausreichend - OLG Oldenburg, Beschluss vom 14. September 2010, Az.: 1 W 40/10

Leitsätzliches

OLG Oldenburg gibt frühere Rechtsprechung auf: Auch im Bezirk des OLG Oldenburg ist nunmehr im Falle einer Urteilsverfügung eine Zustellung von Amts wegen nicht ausreichend, sondern es bedarf in jedem Fall der zusätzlichen Zustellung im Parteibetrieb gemäß §§ 935, 936, 929 Abs. 2 ZPO

OBERLANDESGERICHT OLDENBURG

BESCHLUSS

Aktenzeichen: 1 W 40/10
Entscheidung vom 14. September 2010

In der Beschwerdesache


1. … e. V.,

2. Herrn ….


Schuldner und Beschwerdeführer,


Verfahrensbevollmächtigte zu 1, 2:

Rechtsanwälte Terhaag und Partner, Dr. Volker Herrmann, Stresemannstraße 26, 40210 Düsseldorf,


gegen


1. …. GmbH,

2. Herrn …,


Gläubiger und Beschwerdegegner,

 

Verfahrensbevollmächtigte zu 1, 2:


hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg

durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts …, die Richterin am Amtsgericht …. und den Richter am Oberlandesgericht … am 14. September 2010 beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde der Schuldner wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 17.5.2010 aufgehoben und der Antrag der Gläubiger auf Ordnungsgeldfestsetzung zurückgewiesen.

Die Kosten des Ordnungsgeldverfahrens (einschließlich des Beschwerdeverfahrens) tragen die Gläubiger.

Der Streitwert für das Ordnungsgeldverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Gläubiger betreiben die Vollstreckung aus einem in einem einstweiligen Verfügungsverfahren erwirkten Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 19.11.2008, mit dem die Schuldner verurteilt worden sind, unter Androhung von Ordnungsmitteln bestimmte Behauptungen in Bezug auf die Gläubiger zu unterlassen.

Die Gläubiger meinen, dass die Schuldner bzw. der für die Schuldnerin zu 1 handelnde Schuldner zu 2 durch Versendung einer E-Mail am 22.4.2009 gegen die titulierte Unterlassungsverpflichtung verstoßen hätten. Sie haben deswegen beim Landgericht die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen die Schuldner beantragt.

Die Schuldner sind dem Ordnungsgeldantrag entgegengetreten und haben ausgeführt, dass ein Verstoß nicht vorliege, u.a. bereits deshalb nicht, weil es sich um eine vertrauliche E-Mail ohne Außenwirkung gehandelt habe.

Das Landgericht hat mit Ordnungsgeldbeschluss vom 17.5.2010 ein Ordnungsgeld in Höhe von 5.000 € gegen die Schuldner festgesetzt. Wegen der Begründung dieser Entscheidung wird auf den genannten Beschluss des Landgerichts Bezug genommen. Hiergegen wenden sich die Schuldner mit der sofortigen Beschwerde, mit der sie ihr Vorbringen zum angeblich fehlenden Verstoß wiederholen und vertiefen. Sie machen außerdem geltend, dass die einstweilige Verfügung innerhalb der Vollziehungsfrist weder durch Vollstreckungsmaßnahmen, noch durch eine Parteizustellung der einstweiligen Verfügung, noch in sonstiger Weise vollzogen worden sei und dass aus ihr deshalb nicht mehr vollstreckt werden könne.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Wegen der Begründung der Nichtabhilfeentscheidung wird auf den Beschluss des Landgerichts vom 2.7.2010 Bezug genommen.

II.

Die sofortige Beschwerde der Schuldner ist nach §§ 793, 567 ZPO zulässig und in der Sache auch begründet.

Der Ordnungsgeldbeschluss des Landgerichts ist aufzuheben und der Antrag der Gläubiger auf Verhängung eines Ordnungsgeldes zurückzuweisen, weil die im Urteil vom 19.11.2008 enthaltene einstweilige Verfügung nicht mehr vollstreckbar ist.

Nach §§ 935, 936, 929 Abs. 2 ZPO ist eine einstweilige Verfügung - ebenso wie ein Arrest - nur innerhalb eines Monats ab Urteilsverkündung oder Zustellung der Beschlussverfügung an den Gläubiger zu vollziehen, d.h. zu vollstrecken. Diese Regelung trägt dem Eilcharakter der einstweiligen Verfügung Rechnung und errichtet eine zeitliche Schranke, innerhalb der der Gläubiger die Verwirklichung des ihm durch den Titel ermöglichten Rechtsschutzes in Angriff genommen haben muss. Sie soll außerdem im Interesse des Schuldnerschutzes verhindern, dass der Arrest oder die einstweilige Verfügung unter wesentlich veränderten Umständen noch vollstreckt wird als unter denen, die bei der gerichtlichen Anordnung zugrunde gelegen haben (vgl. zum Normzweck der Vollziehungsfrist Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 4. Aufl., § 929 ZPO Rn. 6; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 929 ZPO Rn. 3, m.w.N.). Nach Ablauf der Monatsfrist ist jede Vollstreckungsmaßnahme aufgrund der einstweiligen Verfügung unzulässig.

Der dargestellte Inhalt der gesetzlichen Regelung und vor allem der zugrunde liegende Normzweck sprechen bereits dafür, dass aus der über 1 1/2 Jahre alten einstweiligen Verfügung vom 19.11.2008 nicht mehr vollstreckt werden kann.

Die überwiegende Rspr. und h.M. modifiziert allerdings § 929 Abs. 2 ZPO bei einstweiligen Verfügungen, die auf ein Unterlassen gerichtet sind oder vergleichbare (nicht sofort vollstreckbare) Inhalte haben, in der Weise, dass innerhalb der genannten Frist eine Vollziehung durch Vollstreckung nicht erforderlich ist (eine solche käme bei einer Unterlassungsanordnung auch nur in Betracht, wenn vor Ablauf der Frist bereits eine Zuwiderhandlung vorläge). Es soll bei solchen einstweiligen Verfügungen ausreichen, aber auch erforderlich sein, dass innerhalb der Vollziehungsfrist der Vollziehungswille des Gläubigers durch Zustellung der einstweiligen Verfügung im Parteibetrieb oder in anderer eindeutiger Weise nach außen manifestiert wird. Eine Vollziehung der einstweiligen Verfügung durch deren Zustellung im Parteibetrieb wird dabei nicht nur bei der Beschlussverfügung, sondern auch bei einer Urteilsverfügung zugelassen und gefordert (vgl. dazu BGHZ 120, 78, 86; BGH WM 1989, 927, 929; NJW 1990, 122f ; WRP 2009, 999, 1000; OLG Stuttgart WRP 2009, 337, 338; OLG Köln WRP 2003, 738; OLG Schleswig MDR 2001, 231; Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, 68. Aufl., § 936 ZPO Rn. 9; Brox/Walker, Vollstreckungsrecht, 8. Aufl., Rn. 1654; MK-ZPO/Drescher, ZPO, 3. Aufl., § 938 WO, Rn. 50 f.; Musielak/Huber, ZPO, 7. Aufl., § 936 ZPO Rn. 5; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, § 938 ZPO Rn. 30 (S. 226) mit Fn. 77; SchuschkeANalker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, § 929 ZPO Rn. 28; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 31. Aufl., § 936 ZPO Rn. 7, 8; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 929 ZPO Rn. 12, mit gew. Einschränkungen).

Ist eine solche Vollziehung erfolgt, soll grundsätzlich auch nach Ablauf der Vollziehungsfrist von einem Monat noch eine Vollstreckung der Unterlassungsanordnung nach § 890 ZPO in Betracht kommen.

Nach einer abweichenden Meinung, die auch früher vom Senat vertreten worden ist, soll es auf den formalen Akt der Parteizustellung nicht ankommen (vgl. OLG Oldenburg WRP 1992, 412; vgl. ferner OLG Hamburg WRP 1980, 341; OLG Stuttgart NJW-RR 1998, 622, 623; OLG Koblenz FamRZ 1991, 589). Der Senat hat allerdings in seiner früheren Rspr. dem oben dargestellten Normzweck der Vollziehungsfrist meist dadurch in gewisser Hinsicht Rechnung zu tragen versucht, dass er die Unterlassungsanordnung in einer einstweiligen Verfügung regelmäßig befristet hat, nämlich auf einen Zeitraum (etwa 6 Monate), der im Regelfall ausreicht, damit der Antragsteller, falls dies erforderlich ist, in einem Hauptsacheverfahren in erster Instanz eine vollstreckbare Entscheidung herbeiführen kann. Eine solche zeitliche Beschränkung, die dem hinter § 929 Abs.2 ZPO stehenden Normzweck zumindest in gewissem Umfang noch Rechnung trägt, ist in der hier relevanten einstweiligen Verfügung des Landgerichts vom 19.11.2008 jedoch von vornherein nicht enthalten gewesen.

Aber unabhängig davon scheidet im vorliegenden Fall eine Vollstreckung aus der genannten einstweiligen Verfügung des Landgerichts aus. Der Senat hält nämlich insgesamt nicht mehr an seiner früheren Rspr. fest (auch die oben zitierten OLG Hamburg und Stuttgart haben ihre frühere Auffassung wohl aufgegeben; vgl. OLG Stuttgart WRP 2009, 337, 338; weitere Nachw. bei Zöller/ Vollkommer, § 929 ZPO Rn. 12).

Die Aufgabe der dargestellten früheren Rspr. des Senats erscheint im Hinblick auf vorhandene Sachgründe, aber auch im Hinblick auf eine anzustrebende Rechtsvereinheitlichung geboten. Zum letztgenannten Gesichtspunkt, der im nachhaltigen Interesse der Rechtssuchenden liegt, ist nach dem jetzigen Stand der Entwicklung des Meinungsstreits festzustellen, dass heute in fast allen anderen Oberlandesgerichtsbezirken der herrschenden Meinung gefolgt wird. Überdies sind andere Senate des OLG Oldenburg ebenfalls der dargestellten ganz überwiegenden Rechtsprechung gefolgt. Die insoweit vorhandenen Unterschiede in der Rechtsprechung, wie sie sich danach selbst im hiesigen OLG-Bezirk ergeben, sind den Rechtssuchenden schwerlich zuzumuten und ihnen nicht mehr zu vermitteln.

Schließlich kommt entscheidend hinzu, dass die überwiegende Rechtsprechung herrschender Meinung näher an der gesetzlichen Regelung des § 929 Abs. 2 ZPO liegt als die frühere Senatsrechtsprechung.

Der Senat hat - wie oben ausgeführt - dem Normzweck des § 929 Abs. 2 ZPO in gewissem Umfang durch eine zeitliche Begrenzung der Unterlassungsverfügung Rechnung zu tragen versucht. Eine solche zeitliche Begrenzung der einstweiligen Verfügung selbst, die sich auf einen Zeitraum von mehreren Monaten erstreckt, hat jedoch wenig mit dem Vollzug der einstweiligen Verfügung binnen Monatsfrist zu tun. § 929 Abs. 2 WO ist nach der gesetzlichen Konzeption unzweifelhaft auch auf die einstweilige Verfügung anwendbar. Das Gesetz verlangt danach generell innerhalb der genannten Frist von einem Monat eine - wie auch immer geartete - Vollziehung der einstweiligen Verfügung. Mit dieser Gesetzesregelung ist es jedenfalls unvereinbar, dass der Antragsteller (Gläubiger) die erlangte einstweilige Verfügung über einen Monat hinaus "in der Schublade liegen lässt" und erst einmal abwartet. Er muss vielmehr innerhalb der genannten gesetzlichen Frist irgendeinen Vollziehungsakt vornehmen. Vollziehung meint dabei grundsätzlich eine Zwangsvollstreckung der Arrestanordnung oder der einstweiligen Verfügung.

Wenn aber schon - im Hinblick auf die Besonderheiten der Unterlassungsverfügung und inhaltlich gleichgearteter einstweiliger Verfügungen - auf eine Zwangsvollstreckung bzw. die Einleitung einer solchen Maßnahme durch entsprechenden Vollstreckungsantrag in der genannten Frist verzichtet wird, dann ist es konsequent und zwingend geboten, dass zumindest eine der Vollziehung durch Vollstreckung gleichzustellende Handlung als "Vollziehungssurrogat" vorgenommen wird. Anderenfalls würde die gesetzliche Regelung des § 929 Abs. 2 ZPO zumindest für Unterlassungsverfügung vollständig leer laufen, was mit dem Gesetz unvereinbar wäre. Ein als Vollziehung anzuerkennender Akt bzw. eine der Vollziehung zumindest gleichzustellende Handlung sieht die herrschende Meinung in der Zustellung der einstweiligen Verfügung im Parteibetrieb, mit der der Vollziehungswille des Gläubigers in eindeutiger Weise manifestiert werden soll. Es ist dann weiterhin sachgerecht, auch andere Akte des Gläubigers für die Vollziehung ausreichen zu lassen, die jedenfalls in gleicher Weise den Vollziehungswillen des Gläubigers in eindeutiger Weise zum Ausdruck bringen.

Nach diesen Grundsätzen der herrschenden Meinung, denen der Senat folgt, ist eine Vollziehung der hier relevanten einstweiligen Verfügung innerhalb der bis zum 19.12.2008 laufenden Vollziehungsfrist nicht festzustellen.

Eine Einleitung der Vollstreckung durch entsprechenden Vollstreckungsantrag erfolgte innerhalb der genannten Frist nicht.

Auch eine von den Gläubigern veranlasste Zustellung der einstweiligen Verfügung im Parteibetrieb fehlt hier unstreitig.

Schließlich ist innerhalb der Vollziehungsfrist auch eine anderweitige, in der Sache eindeutige Manifestation des Vollziehungswillens der Gläubiger nicht festzustellen. Eine solche kann insbesondere nicht in der Vorlage einer Ablichtung des am 19.11.2008 verkündeten Urteils des Landgerichts Osnabrück in dem vor dem Landgericht Köln geführten Prozess gesehen werden. Wie sich aus dem in Ablichtung vorgelegten Schriftsatz der Gläubiger vom 9.12.2008 ergibt, mit dem das hier relevante Verfügungsurteil dem Landgericht Köln im dortigen Prozess vorgelegt worden ist, diente die Vorlage des Urteils lediglich zur Ergänzung des eigenen Vortrags im dortigen Verfahren. Aus dem Sinnzusammenhang der Ausführungen auf S. 8 des Schriftsatzes ergibt sich, dass die Gläubiger lediglich belegen wollten, dass nicht sie, sondern die Schuldner es sind, die sich in der Vergangenheit wettbewerbswidrig verhalten haben Eine eindeutige Manifestation des Willens der Gläubiger, die einstweilige Verfügung gegenüber den Schuldnern zu vollziehen, kann darin nicht gesehen werden.

Nach alledem ist jedenfalls mangels rechtzeitiger Vollziehung der einstweiligen Verfügung innerhalb der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO eine Vollstreckung der einstweiligen Verfügung durch die von den Gläubigern beantragte Ordnungsgeldfestsetzung nicht mehr zulässig. Die sofortige Beschwerde der Schuldner hat danach Erfolg.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Festsetzung der Streitwert für die Beschwerdeinstanz beruht auf §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO. Maßgebend für die Wertfestsetzung ist danach die Höhe des Ordnungsgeldes, das die Schuldner durch die sofortige Beschwerde abwenden wollten.

Unterschriften