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Pokertuniere mit 15 € Startgeld sind zulässig - OVG Münster, Beschluss vom 10.06.2008, Az.: 4 B 606/08

Leitsätzliches

Der Senat hat zwar keine durchgreifenden Zweifel daran, dass beim Pokerspiel auch in der hier in Rede stehenden Variante die Entscheidung über Gewinn und Verlust überwiegend vom Zufall abhängt [...]
Das von der Antragstellerin nach ihrer ursprünglichen Planung vorgesehene Eintrittsgeld in Höhe von 15 Euro (ohne Rebuy-"Möglichkeit") stellt sich indes nicht als Entgelt bzw. Spieleinsatz [...] dar.
Erst recht stellt das von der Antragsstellerin nach Erlass der streitigen Verfügung beabsichtigte Charity-Turnier, bei dem kein Eintrittsgeld gefordert, sondern lediglich eine (freiwillige) Spende für einen gemeinnützigen Zweck erbeten wird, kein Glückspiel im beschriebenen Sinne dar.
Soweit im Rahmen der Veranstaltung der Antragsstellerin für illegale Glückspiel geworben werden sollte, ist ein Verbot der gesamten Veranstaltung unverhältnismäßig.

vgl. hierzu unsere Beiträge "Flop, Turn, River - eine Nation im Pokerfieber" und " All-in vor dem OVG Münster".

OBERVERWALTUNGSGERICHTS FÜR DAS LAND NORDRHEIN-WESTFALEN

B E S C H L U S S

Aktenzeichen: 4 B 606/08
Entscheidung vom 10. Juni 2008
Vorinstanz: 9 L 13/08 - VG Münster


In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren


der ...

Antragstellerin,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Terhaag & Partner, Stresemannstraße 26, 40210 Düsseldorf,

gegen

die Bürgermeisterin der Stadt Rheine,

Antragsgegnerin,

 

wegen Untersagung von Pokerveranstaltungen;
hier: Vorläufiger Rechtsschutz


hat der 4. Senat des 


OBERVERWALTUNGSGERICHTS FÜR DAS LAND NORDRHEIN-WESTFALEN

am 10. Juni 2008 durch [...]
auf die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster vom 03. April 2008 beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird geändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 4. Dezember 2007 wird hinsichtlich der unter Nr. 1 der Verfügung getroffenen Untersagungsanordnung wiederhergestellt und bezüglich der unter Nr. 3 ausgesprochenen Zwangsmittelandrohung angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.

 

Gründe:
 

Die Beschwerde hat Erfolg.
 

Das Verwaltungsgericht hat den einstweiligen Rechtsschutzantrag - wie die Antragstellerin hinreichend dartut - zu Unrecht abgelehnt. Die Voraussetzungen für die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin liegen vor. Die im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotene Interessenabwägung fällt zu Gunsten der Antragstellerin aus, weil ihre Klage voraussichtlich Erfolg haben wird. Nach der im vorliegenden Verfahren allein möglichen summarischen Prüfung erweisen sich die unter Nr. 1 der Ordnungsverfügung ausgesprochene Untersagungsanordnung und damit zugleich die unter Nr. 3 der Verfügung enthaltene Zwangsmittelandrohung als rechtswidrig.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin und des Verwaltungsgerichts ist nach dem Akteninhalt zu Grunde zu legen, dass die Antragstellerin im Rahmen der von ihr geplanten Pokerturniere kein Glücksspiel im Sinne von §§ 284 Abs. 1 StGB, 3 Abs. 1 Satz 1 Glücksspielstaatsvertrag in der seit dem 1. Januar 2008 gültigen Fassung veranstaltet.

Ein Spiel ist dann ein Glücksspiel im Sinne von § 284 Abs. 1 StGB, wenn die Entscheidung über Gewinn oder Verlust ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt, es auf die Erzielung eines Gewinns ausgerichtet ist und für den Erwerb der Gewinnchance ein Entgelt verlangt wird.

Vgl. etwa Fischer, StGB, 55. Aufl., § 284 Rdn 4 f., Eser/Heine, in: Schönke/Schröder, 27. Aufl., § 284 Rdn 5 f., jeweils m w.N.

Die in § 3 Abs. 1 Satz 1 Glücksspielstaatsvertrag gegebene Legaldefinition ist mit dem Glücksspielbegriff des § 284 Abs. 1 StGB deckungsgleich.

Vgl. etwa Fischer a.a.O.

Anhaltspunkte dafür, dass § 3 Abs. 1 Satz 1 Glücksspielstaatsvertrag ein anderer, namentlich weiterer Glücksspielbegriff zu Grunde liegt, ergeben sich weder aus dem Wortlaut der Vorschrift noch aus der Entstehungsgeschichte des Staatsvertrages.

Vgl. zu letzterem Landtags-Drucksache 14/4849, Anlage „Staatsvertrag", Seite 33; Landtags-Drucksache 13/5365, Seite 7.

Das nach beiden Vorschriften erforderliche Entgelt, das als Spieleinsatz für die Teilhabe an der Gewinnchance erbracht wird, kann auch in versteckter Form, wie z.B. durch Eintritts- oder Verzehrkarten, geleistet werden.

Vgl. etwa Eser/Heine, a.a.O., § 284 Rdn 6 m.w.N.

Voraussetzung ist jedoch, dass das gezahlte Entgelt nicht lediglich - wie etwa der für den Eintritt in eine Spielbank aufgewendete Betrag - die Teilnahme am Spiel ermöglicht und deswegen stets verloren ist, sondern über eine solche Art von Eintrittsgeld" hinaus aus dem Spieleinsatz der Spielteilnehmer die Gewinnchance des Einzelnen erwächst.

Vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 1986 - 4 StR 148/86 BGHSt 34, 175; Eser/Heine, TuP, a.a.O., § 284 Rdn 6.

Hiervon ausgehend erfüllen die von der Antragstellerin geplanten Pokerveranstaltungen die Voraussetzungen des Glücksspielbegriffs nicht. Der Senat hat zwar keine durchgreifenden Zweifel daran, dass beim Pokerspiel auch in der hier in Rede stehenden Variante die Entscheidung über Gewinn oder Verlust überwiegend vom Zufall abhängt, wobei auf die Fähigkeiten eines „Durchschnittspielers" abzustellen ist.

Vgl. etwa Fischer, a.a.O., § 284 Rdn 8 m.w.N.

Das Spiel ist auch auf die Erzielung eines Gewinns ausgerichtet. Das von der Antragstellerin nach ihrer ursprünglichen Planung vorgesehene Eintrittsgeld in Höhe von 15 Euro (ohne ,,Rebuy"-Möglichkeit) stellt sich indes nicht als Entgelt bzw. Spieleinsatz im vorgenannten Sinne dar. Da es lediglich der Deckung der Veranstaltungskosten, nicht aber der Finanzierung der von Sponsoren zur Verfügung gestellten Gewinne dient, erwächst aus ihm nicht - wie es nach den dargelegten Grundsätzen erforderlich wäre - die Gewinnchance des Einzelnen. Das von der Antragstellerin geplante Eintrittsgeld ermöglicht lediglich die Teilnahme am Spiel und ist - anders als ein Spieleinsatz - stets verloren. An der Richtigkeit der in diesem Zusammenhang gemachten tatsächlichen Angaben der Antragstellerin hat der Senat nach summarischer Prüfung keine Zweifel, zumal auch die Höhe des Betrages es plausibel erscheinen lässt, dass das Eintrittsgeld lediglich für die Veranstaltungskosten unter Ausschluss der Finanzierung der Gewinne verwendet wird.

Vgl. zum Vorstehenden insgesamt auch Fischhaber/Manz, Grenzen der Zulässigkeit von Pokerturnieren, GewArch 2007, 405 (407); Schönleiter/Stenger, Frühjahrssitzung 2007 des Bund-Länder-Ausschusses „Gewerberecht", GewArch 2007, 320 (322); Erlass des Innenministeriums des Landes Nordrhein- Westfalen vom 16. Februar 2007 - 14-38.07.01 11.1 -.

Erst recht stellt das von der Antragstellerin nach Erlass der streitigen Verfügung beabsichtigte „Charity-Tunier", bei dem kein Eintrittsgeld gefordert, sondern lediglich eine (freiwillige) Spende für einen gemeinnützigen Zweck erbeten wird, kein Glücksspiel im beschriebenen Sinne dar. Ob und inwieweit die angegriffene Ordnungsverfügung auch diese Veranstaltungsvariante erfasst, kann deshalb dahin stehen.

Die streitige Verfügung rechtfertigt sich auch nicht im Hinblick auf § 284 Abs. 4 StGB (Werbung für öffentliches Glücksspiel) oder § 5 Abs. 4 Glücksspielstaatsvertrag (Werbung für unerlaubtes Glücksspiel). Soweit im Rahmen der Veranstaltung der Antragstellerin für illegale Glücksspielangebote geworben werden sollte, ist ein Verbot der gesamten Veranstaltung grundsätzlich unverhältnismäßig; die Untersagungsanordnung hat sich dann auf die entsprechenden Werbemaßnahmen zu beschränken. Entsprechendes gilt, falls bei der Veranstaltung der Antragstellerin persönliche Daten der Spielteilnehmer erhoben und dann zwecks Durchführung von Werbemaßnahmen an Veranstalter illegaler Spielveranstaltungen weiter gereicht werden sollten.

Vgl. zu einem solchen Sachverhalt VG Frankfurt, Beschluss vom 11. Oktober 2007 - 7 G 311/07 -, juris.

Darin dürfte zwar Beihilfe zur Werbung für öffentliche Glücksspiele zu sehen sein (§§ 27, 284 Abs. 4 StGB). Auch hier kommt aber grundsätzlich nicht die Untersagung der gesamten Veranstaltung, sondern lediglich ein Verbot des strafbewehrten Verhaltens in Betracht.

Das Argument der Antragsgegnerin, jedenfalls das regelmäßige Veranstalten von Pokerturnieren durch die Antragstellerin gefährde - ungeachtet der Frage, ob das Eintrittsgeld als Spieleinsatz zu bewerten sei - das Glücksspielmonopol der Spielbanken, greift schon deshalb nicht durch, weil dieses Monopol nicht betroffen sein kann, wenn sich das von der Antragstellerin geplante Spiel mangels Spieleinsatzes nicht als Glücksspiel im Sinne der maßgeblichen Vorschriften darstellt.

Handelt es sich bei dem Pokerspiel unter den hier gegebenen Bedingungen nicht um ein Glücksspiel i.S.v. § 284 Abs. 1 StGB und liegen damit zugleich die Voraussetzungen des § 33 h Nr. 3 GewO nicht vor, könnte allerdings in Betracht zu ziehen sein, das Pokerspiel als anderes Spiel mit Gewinnmöglichkeit i.S.v. § 33 d Abs. 1 Satz 1 GewO zu qualifizieren.

Vgl. dazu auch Hahn, in: Friauf, Kommentar zur Gewerbeordnung, Stand: Februar 2008, § 33 d Rdnr. 7 b, 11.

Ob hiervon ausgehend eine Untersagung der Pokerveranstaltungen auf § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO bzw. § 60 d GewO gestützt werden könnte - eine Erlaubnisfreiheit nach § 5 a Spielverordnung dürfte nicht gegeben sein, da alles dafür spricht, dass Poker kein Geschicklichkeitsspiel ist -, vgl. zu § 5 a Spielverordnung auch Schönleiter/Stenger a.a.O., bedarf indes keiner weiteren Klärung. Denn die genannten Ermächtigungsgrundlagen räumen der Behörde Ermessen ein, das die Antragsgegnerin bisher nicht ausgeübt hat. Sie hat ihrer Verfügung vielmehr ausschließlich § 14 OBG und dabei unzutreffenderweise eine Strafbarkeit des von der Antragstellerin geplanten Pokerspiels nach § 284 Abs. 1 StGB zugrunde gelegt. Dass im Rahmen der angeführten gewerberechtlichen Vorschriften zu Lasten der Antragstellerin eine Ermessensreduzierung auf Null in dem Sinne gegeben ist, dass allein eine Untersagungsanordnung in der Weise rechtmäßig wäre, wie sie unter Nr. 1 der streitigen Verfügung ausgesprochen worden ist, vermag der Senat nach summarischer Prüfung nicht zu erkennen. Dabei stellt der Senat auch in Rechnung, dass die Antragstellerin die Antragsgegnerin rechtzeitig über die geplanten Veranstaltungen unterrichtet hat und nicht vorab auf eine mögliche Erlaubnispflicht nach § 33 d GewO hingewiesen worden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus den §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

(Unterschriften)