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"Zu Tränen gerührt" ist eine Tatsachenbehauptung, keine Meinungsäußerung! - OLG Karlsruhe, Urteil vom 11.3.2011, Az.: 14 U 185/11

Leitsätzliches

Die Aussage "...war zu Tränen gerührt" stellt keine Meinngsäußerung dar, sondern ist im Kern eine Tatsachenbehauptung, deren Grundlage dem Beweis zugänglich ist
Es besteht ein Richtigstellungsstellungsanspruch, wenn eine Zeitung schreibt, ein Prominenter Deutscher sei zu Tränen gerührt, ohne dass die betreffende Person tatsächlich in der beschriebenen Situation zu Tränen gerührt war. vgl hierzu auch unseren Beitrag zur Entscheidung unter http://www.aufrecht.de/6817.html

OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

Entscheidungsdatum: 30.11.2010

Aktenzeichen: 18 O 150/10

Im Rechtsstreit

...

- Verfügungskläger / Berufungskläger –

Prozessbevollmächtigte: …

gegen

...

- Verfügungsbeklagte / Berufungsbeklagte -

Prozessbevollmächtigte: ...

wegen einstweiliger Verfügung

hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 25. Februar 2011 unter Mitwirkung von Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht …. Richter am Oberlandesgericht …. Richterin am Oberlandesgericht ….

für Recht erkannt:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Offenburg vom 30. November 2010 - 2 O 414/10 - wie folgt geändert:

Der Verfügungsbeklagten wird im Wege einstweiliger Verfügung auferlegt, in dem gleichen Teil der Zeitschrift „n. w.“, in der der Artikel „TV-Liebling G. J. Triumph & Tränen! Alles über sein geheimes Privat-Leben“ erschienen ist, mit gleicher Schrift und unter Hervorhebung des Wortes „Gegendarstellung“ als Überschrift durch entsprechende drucktechnische Gestaltung und Schriftgröße wie „Triumph & Tränen“ sowie der weitere Fließtext in der Größe des Fließtexts im genannten Artikel in der nächsten für den Druck noch nicht abgeschlossenen Nummer ohne Einschaltungen und Weglassungen die folgende Gegendarstellung zu veröffentlichen:

Gegendarstellung
In „n. w.“ Nr. 42 vom 15.10.2010 schreiben Sie in einem Artikel auf der Seite 9 mit der Überschrift „TV-Liebling G. J. Triumph & Tränen! Alles über sein geheimes Privat-Leben“ über mich:

„Sicherlich war er auch zu Tränen gerührt, als er vom Schicksal sozial benachteiligter Kinder in seinem Wohnort P. hörte.“

Hierzu stelle ich fest:

Ich war nicht zu Tränen gerührt, als ich vom Schicksal sozial benachteiligter Kinder in meinem Wohnort Potsdam hörte.

P., ...
G. J.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu tragen.

3. Beschluss: Der Streitwert für beide Rechtszüge beträgt 20.000 EUR.

Gründe:
I.

Der Verfügungskläger (in der Folge: Kläger) ist ein bekannter Journalist und Moderator. Er wendet sich mit Antrag (und Hilfsantrag) auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Satz

„Sicherlich war er auch zu Tränen gerührt, als er vom Schicksal sozial benachteiligter Kinder in seinem Wohnort P. hörte.“

in dem Artikel

„TV-LIEBLING G. J. Triumph & Tränen Alles über sein geheimes Privat-Leben“

in Heft Nr. 42/10 vom 15.10.2010 der von der Verfügungsbeklagten (in der Folge: Beklagte) verlegten Zeitschrift „n. w.“. Der im wesentlichen mit diesen Worten auch schon auf der Titelseite der Zeitschrift angekündigte Artikel geht zunächst auf die „Erfolgsgeschichte“ des Klägers ein, der sich zum „beliebtesten TV-Moderator“ im Lande entwickelt habe, und erwähnt dann, dass der Kläger auf dem Sendeplatz von A. W. eine ARD-Politiksendung moderieren werde. Nach einer Zwischenüberschrift „Vielen traurigen Seelen hat er schon geholfen“ folgen unvermittelt in der Textgröße des Fließtexts des Artikels (und damit zum dritten Mal im Heft) die Worte

„Triumph und Tränen.“

Nach Erwähnung des Einstiegs des Klägers in das Geschäft des Winzers - „Winzer-König“ - und des Umstands, dass der Kläger „höchstes Glück“ „tief im Herzen seiner Familie“ finde, folgt der oben wiedergegebene, vom Kläger beanstandete Satz; danach wird ausgeführt, dass der Kläger das Kinderhilfsprojekt „A.“ großzügig unterstützt habe.

Der Kläger hat geltend gemacht, mit der beanstandeten Passage werde ihm eine sog. innere Tatsachenbehauptung unterstellt. Insbesondere Absichten, Beweggründe, Hoffnungen und Motive seien gegendarstellungsfähige innere Tatsachenbehauptungen. Er handele nicht aus reiner Rührung heraus als gewissermaßen Herzschmerzgeschichte für den Boulevard, sondern überlege sich genau, bei welchen Projekten er spende und bei welchen nicht.

Erstinstanzlich hat der Kläger beantragt,

1. den Erlass der nachfolgenden einstweiligen Verfügung:

Der Verfügungsbeklagten wird auferlegt, in dem gleichen Teil der Zeitschrift „n. w.“, in der der Artikel „TV-Liebling G. J. Triumph & Tränen! Alles über sein geheimes Privat-Leben“ erschienen ist, mit gleicher Schrift und unter Hervorhebung des Wortes „Gegendarstellung“ als Überschrift durch entsprechende drucktechnische Anordnung und Schriftgröße wie „Triumph und Tränen“ sowie der weitere Fließtext der Größe der Schrift der Worte „TV-Liebling G. J.“ in der nächsten für den Druck noch nicht abgeschlossenen Nummer ohne Einschaltung und Weglassungen die folgende Darstellung zu veröffentlichen:

Gegendarstellung

In „n. W.“ Nr. 42 vom 15. Oktober 2010 schreiben Sie in einem Artikel auf der Seite 9 mit der Überschrift „TV-Liebling G. J. Triumph & Tränen! Alles über sein geheimes Privat-Leben“ über mich:

Sicherlich war er auch zu Tränen gerührt, als er vom Schicksal sozial benachteiligter Kinder in seinem Wohnort P. hörte“.

Hierzu stelle ich fest:

Ich war nicht zu Tränen gerührt, als ich vom Schicksal sozial benachteiligter Kinder in meinem Wohnort P. hörte.

P., ...

G. J.

2. hilfsweise den Erlass der nachfolgenden einstweiligen Verfügung:

Der Verfügungsbeklagten wird auferlegt, in dem gleichen Teil der Zeitschrift „n. w.“, in der der Artikel „TV-Liebling G. J. Triumph & Tränen! Alles über sein geheimes Privat-Leben“ erschienen ist, mit gleicher Schrift und unter Hervorhebung des Wortes „Gegendarstellung“ als Überschrift durch entsprechende drucktechnische Anordnung und Schriftgröße wie „Triumph und Tränen“ sowie der weitere Fließtext der Größe der Schrift der Worte „TV-Liebling G. J.“ in der nächsten für den Druck noch nicht abgeschlossenen Nummer ohne Einschaltung und Weglassungen die folgende Darstellung zu veröffentlichen:

Gegendarstellung

In „n. W.“ Nr. 42 vom 15. Oktober 2010 schreiben Sie einen Artikel auf der Seite 9 mit der Überschrift „TV-Liebling G. J. Triumph & Tränen! Alles über sein geheimes Privat-Leben“ über mich:

„Sicherlich war er auch zu Tränen gerührt, als er vom Schicksal sozial benachteiligter Kinder in seinem Wohnort P. hörte.“

Hierzu stelle ich fest:

Ich war in dem von Ihnen beschriebenen Fall nicht zu Tränen gerührt.

P., ...

G. J.

Die Beklagte ist den Anträgen des Klägers entgegengetreten. Bei der beanstandeten Passage handele es sich nicht um die Behauptung einer inneren Tatsache, sondern um eine wertende Schlussfolgerung aus den im Zusammenhang mit der Veröffentlichung mitgeteilten Tatsachen.

Wegen der vom Kläger verfolgten Ansprüche und des zugrundeliegenden Sachverhalts im einzelnen sowie wegen des Vorbringens der Parteien wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 S. 1 ZPO).

Das Landgericht hat die Anträge des Klägers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Es fehle an einer gegendarstellungsfähigen Tatsachenbehauptung. Der beanstandete Satz ziehe ersichtlich aus der mitgeteilten Hilfsbereitschaft des Klägers den Rückschluss, hierfür müssten normalerweise („auch“) emotionale Gründe mitursächlich gewesen sein, ohne dass dies als feststehend behauptet werde (Hinweis auf Senat, NJW-RR 2003, 109 - R. B.).

Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung weiter. Das Landgericht habe bei seiner Entscheidung den Gesamteindruck des Artikels nicht hinreichend beachtet und verkannt, dass auch eine oberflächlich betrachtet wertende Einkleidung die Einordnung einer Äußerung als Tatsachenbehauptung nicht hindere.

Der Kläger beantragt,

Abänderung des angefochtenen Urteils und Erlass einer einstweiligen Verfügung nach Maßgabe der im ersten Rechtszug gestellten Anträge.

Die Beklagte bittet um Zurückweisung der gegnerischen Berufung.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft ihr Vorbringen aus dem ersten Rechtszug. Gegen eine als Vermutung gekennzeichnete Schlussfolgerung aus mitgeteilten Bezugstatsachen gebe es keinen Anspruch auf eine Gegendarstellung.

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens im Berufungsrechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist auch in der Sache begründet.

1. Gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 BadWürttPrG ist der Verleger eines periodischen Druckwerks zum Abdruck einer Gegendarstellung verpflichtet, soweit der den Abdruck Verlangende durch eine Tatsachenbehauptung betroffen ist. Die Gegendarstellung muss sich als Entgegnung auf die in der Erstmitteilung enthaltene Tatsachenbehauptung darstellen (Seitz-Schmidt, Der Gegendarstellungsanspruch, 4. Aufl., Kap. 6 Rdn. 1; Burkhardt, in: Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., Rdn. 11.100; Sedelmeier, in: Löffler, PresseR, 5. Aufl., Rdn. 11.126). Entgegen der Ansicht des Landgerichts enthält der beanstandete Satz der Erstmitteilung eine Tatsachenbehauptung.

a) Zweifelhaft ist, ob die vom Kläger vorgenommene Einordnung der beanstandeten Passage als Behauptung einer (rein) inneren Tatsache dem allgemeinen Sprachgebrauch und dem - maßgebenden, vgl. Seitz-Schmidt a.a.O. Rdn. 26, 27 - Verständnis des Durchschnittslesers der „n. w.“ und/oder des verständigen Empfängers der Mitteilung über die Rührung des Klägers zu Tränen entspricht. Wenn jemand „zu Tränen gerührt“ ist, besagt dies mehr als eine tiefgreifende emotionale Affektion, die aber ganz im Inneren des Betroffenen bleibt (wie das etwa bei einem Motiv oder einer Absicht der Fall ist). Ein sicher beträchtlicher Teil des Publikums verbindet mit „zu Tränen gerührt“ das Bild eines Menschen, der nicht nur beinahe, sondern der auch tatsächlich geweint hat. Auch wenn ein weiterer ebenfalls nicht geringer Teil des Publikums mit „zu Tränen gerührt“ nicht dieses Bild verbinden mag, wird er doch erwarten und voraussetzen, dass die betroffene Person jedenfalls ganz kurz vor dem Ausbruch der Tränen ist und dass dies auch spürbar, wenn nicht sogar sichtbar wird: Die Stimme einer solchen Person wird teigig und unsicher werden, ihre Augen sind gerötet und feucht, und vielleicht tritt - obwohl die Person gegen die Emotion ankämpft - die eine oder andere vereinzelte Träne doch schon hervor. Bei alledem handelt es sich um körperliche Vorgänge, die nicht im Inneren des Menschen verbleiben, sondern ebenso wie eine stockende Sprechweise oder ein gerötetes Gesicht bzw. andere als „Körpersprache“ bekannte Phänomene ohne weiteres im Wege einer Beweisaufnahme einer Feststellung zugeführt werden könnten. Schon diese Erwägung (zum Beweiszugänglichkeitsaspekt bzw. zum Klärbarkeitsaspekt als Kriterien bei der Prüfung des Vorliegens einer Tatsachenbehauptung s. die umf. N. bei Seitz-Schmidt a.a.O. Rdn. 41 ff.) spricht eindeutig für eine Einordnung der beanstandeten Passage als Behauptung einer (äußerlich wahrnehmbaren) Tatsache. Dies wird auch bei Betrachtung der davon abzugrenzenden innerlich bleibenden Emotion deutlich: Niemand wird von einer Person, die zwar emotional stark aufgewühlt ist, die sich aber völlig in der Gewalt hat und der nichts „anzusehen“ ist, sagen, sie sei „zu Tränen gerührt“ gewesen.

b) Der Umstand, dass die strittige Äußerung der Erstmitteilung mit dem Wort „sicherlich" eingeleitet wird, steht der Annahme, es handele sich um die Behauptung einer Tatsache, nicht entgegen. Einschränkende Zusätze dieser Art reichen grundsätzlich nicht aus, „von einer Tatsachenbehauptung zu einer Meinungsäußerung überwechseln zu können" (Seitz-Schmidt a.a.O. Rdn. 39 m.w.N.). Im Streitfall spricht der Kontext des Artikels auf S. 9 der „n. w.“ unter gebührender Berücksichtigung von „Überschrift und Vorspann“ (Seitz-Schmidt a.a.O. WTRP Rdn. 31 unter Hinweis auf BGH, NJW 1988, 1589 - Mit Verlogenheit zum Geld) zwingend für das Vorliegen einer Tatsachenbehauptung: Vor der bewussten Passage finden sich nicht weniger als drei Mal die plastischen und einprägsamen Worte „Triumph & Tränen“ bzw. „Triumph und Tränen“, nämlich als Aufmacher auf der Titelseite, in der Überschrift des Artikels auf S. 9 des Hefts - jeweils in der größten Schriftgröße - und danach nochmals im Fließtext. Der solchermaßen konditionierte Leser wird dann im ersten Teil des Artikels mit harten Fakten zur TV-Karriere des Klägers konfrontiert. Auch der nur durchschnittlich aufmerksame und informierte Leser wird konstatieren, dass ihm diese Fakten zur TV-Laufbahn des Klägers wohlbekannt sind und dass sie gar keinen Zweifel zulassend auch tatsächlich zutreffen. Die dadurch beim Leser gewissermaßen hervorgerufene „Sogwirkung der Faktizität" drängt ihm unter diesen Umständen geradezu auf, dass dann aber auch wohl der zweite mit „Tränen“ zu überschreibende Teil des Artikels ungeachtet des vorangestellten „sicherlich" seine Richtigkeit haben und ebenso im Faktischen verwurzelt sein werde wie der Auftakt, auch wenn sich der Artikel insoweit dann doch als deutlich weniger ergiebig erweist. Die ihm auf diese Weise nahegebrachte Faktizität der mitgeteilten Rührung des Klägers zu Tränen wird noch bestärkt durch die Formulierung "übernahm er kurzerhand ... alle laufenden Kosten", die an diese rührselige Gefühlsregung des Klägers anknüpft und einen kausalen Zusammenhang herstellt zu der wiederum unzweifelhaften Tatsache der finanziellen Unterstützung des Kinderhilfsprojekts Arche durch den Kläger. Das Wort „sicherlich" wirkt in diesem Gesamtzusammenhang auf den Leser nur als bloßes Stilmittel ohne eigenständige einschränkende Aussagebedeutung.

2. Geringfügig zu modifizieren ist die im Verfügungsantrag vorgesehene Art des Abdrucks der Gegendarstellung. Nicht zu beanstanden ist es, wenn die Überschrift „Gegendarstellung“ in gleicher Größe gehalten sein soll wie „Triumph & Tränen“. Dagegen ist es mit § 11 Abs. 3 S. 1 1. Hs. badwürttLPrG unvereinbar, wenn der Abdruck des weiteren Texts in der Textgröße wie beim ersten Teil der Überschrift „TV-Liebling G. J.“ gewünscht wird; es hat insoweit bei der Schriftgröße des Fließtexts der Erstmitteilung sein Bewenden zu haben. Rechtliche Probleme, namentlich solche des Medienrechts, wirft diese Abweichung nicht auf (§ 938 Abs. 1 ZPO; vgl. Seitz-Schmidt a.a.O. Tup Kap. 12 Rdn. 20).

3. Die Nebenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO. Das Urteil ist rechtskräftig (§ 542 Abs. 2 S. 1 ZPO).

Unterschriften