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Zur Eintragungsfähigkeit potentiell sittenwidriger Kennzeichenbestandteile - BPatG, Beschluss vom 1.4.2010, Az.: 27 W (Pat) 41/10

Leitsätzliches

Auch wenn der Wortbestandteil „Fick“ sexuelle Bezüge aufweist und vulgärsprachlichen Ursprungs ist, stellt dies für sich genommen keinen Grund für eine Schutzversagung aus dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen die guten Sitten dar. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass durch dieses Wort das sittliche Empfinden der überwiegenden Bevölkerungsteile generell oder im Rahmen seines Einsatzes als Waren- oder Dienstleistungskennzeichnung über Gebühr berührt ist; vielmehr ist aufgrund der zahlreichen Verwendung dieses Wortes etwa in literarischen oder filmischen Zusammenhängen eine gewisse Abnutzung in der Weise festzustellen, dass es kaum noch als anstößig oder gar (sexuell) provozierend empfunden wird.

BUNDESPATENTGERICHT


BESCHLUSS


Entscheidung vom: 1. April 2010

Aktenzeichen: 27 W(pat) 41/10

In der Beschwerdesache

...

betreffend die angemeldete Marke 306 01 864.0

hat der 27. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 1. April 2010 durch den Vorsitzenden Richter … und die Richter … und … beschlossen:

Die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 25 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 20. Juni 2008 und 22. Dezember 2009 werden aufgehoben.

 

Gr ü n d e

I.

Das Deutsche Patent- und Markenamt hat zunächst mit Beschluss der Markenstelle für Klasse 25 vom 20. Juni 2008 die Anmeldung der in den Farben schwarz und rot beanspruchten Bildmarke

 

 

für die Waren und Dienstleistungen

Bekleidung, Schuhwaren, Kopfbedeckungen; Haarschmuck, Spielzeug

nach § 37 Abs. 1, § 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG als sittenwidrige Angabe und mit weiterem Beschluss vom 22. Dezember 2009 auch die hiergegen eingelegte Erinnerung der Anmelderin zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, die angemeldete Marke setze sich aus dem vulgärsprachliche Ausdruck „Fick“, der für „Koitus“ stehe, und dem chinesische Wort „Shui“ für „Fluss“, „Gewässer“, „Wasser“ zusammen und lehne sich in ihrer Gesamtheit offenkundig an den chinesischen Begriff Feng-Shui an, mit der die taoistische Kunst und Wissenschaft vom Leben in Harmonie mit der Umgebung bezeichnet werde. Wegen der Ersetzung von „Feng“ durch „Fick“ werde ein relevanter Teil des inländischen Verkehrs der Wortkombination „FickShui“ einen obszönen, in Bezug auf Feng-Shui abwertenden bzw. beleidigenden Bedeutungsgehalt beimessen und damit eine solche Wortwahl nicht nur als grob geschmacklos, sondern auch als gesellschaftlich anstößig und zudem beleidigend gegenüber den Anhängern der Grundideen des Feng Shui empfinden.

Selbst wenn vom Ausschlusstatbestand des Verstoßes gegen die guten Sitten nur sehr zurückhaltend Gebrauch zu machen sei, sei dem Eindruck entgegenzuwirken, dass Marken mit anstößigem Inhalt staatlichen Schutz erfahren.

Die Einräumung eines staatlichen Monopolrechts an der angemeldeten Marke widerspreche aber den sittlichen und gesellschaftlichen Wertvorstellungen beachtlicher Teile des deutschen Verkehrs, weil sie als anstößig empfunden werde, wobei zu berücksichtigen sei, dass sich die Waren an breite Verkehrskreise wendeten, zu denen unter anderem auch Eltern, Kinder und ältere Personen zählten. Da Ziel des absoluten Eintragungshindernisses des § 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG nicht sei, die Verwendung von Begriffen oder Zeichen mit fäkal- oder vulgärsprachlichem Bedeutungsgehalt von jeglicher Benutzung im geschäftlichen Verkehr auszuschließen, sondern nur die Einräumung eines staatlichen Monopolrechts an einem solchen Begriff bzw. Zeichen verhindern wolle, stehe es der Anmelderin frei, (weiterhin) ihre Produkte mit dem Anmeldezeichen zu versehen und zu vertreiben.

Mit ihrer Beschwerde macht die Anmelderin im Wesentlichen geltend, die Anmeldemarke verstoße nicht gegen die guten Sitten; eine Herabwürdigung von Feng-Shui sei mit der Marke nicht verbunden, was sich auch aus der Eigendarstellung der Anmelderin auf ihrer Webseite ergebe. Der Hinweis auf die weitere Benutzung der Kennzeichnung außerhalb des Markenschutzes sei unlogisch. Schließlich verstoße die Zurückweisung auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, weil vergleichbare Marken, die einen viel eindeutigeren Bezug auf Sexualität enthielten, bereits eingetragen worden seien.

Die Anmelderin beantragt sinngemäß,

die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 25 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 20. Juni 2008 und 22. Dezember 2009 aufzuheben.

 

II.

A. Die nach § 66 MarkenG zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Die angemeldete Kennzeichnung ist entgegen der Auffassung der Markenstelle nicht nach § 37 Abs. 1, § 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG von der Eintragung ausgeschlossen.

1. Nach § 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG sind nur solche Kennzeichnungen vom Markenschutz ausgenommen, welche gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten Sitten verstoßen. Letzteres ist bei solchen Marken anzunehmen, welche das Empfinden eines beachtlichen Teils der beteiligten Verkehrskreise zu verletzen geeignet sind, indem sie sittlich, politisch oder religiös wirken oder eine grobe Geschmacksverletzung enthalten (vgl. Ströbele/Hacker, Markengesetz, 9. Aufl. 2009, § 8 Rn. 500), wobei hierbei im Hinblick auf die Liberalisierung und Säkularisierung allerdings eine zurückhaltende Betrachtung zu wählen ist und nur solche Verstöße den Entzug des staatlichen (Marken-)Schutzes rechtfertigen, welche ein nicht mehr erträgliches Maß erreichen (vgl. Ströbele/Hacker, a. a. O., Rn. 501; BPatG vom 16. Oktober 2002 – 24 W (pat) 140/01 – Dalai Lama; BPatG Mitt. 1983, 156 – Schoasdreiber; Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 2. Aufl., § 8 Rn. 304 ff.).

Soweit die Markenstelle hierbei meint, zwischen dem staatlichen Schutz als eingetragener Marke und der Kennzeichenverwendung als nicht-eingetragener Marke unterscheiden zu können, kann dem nicht gefolgt werden. Auch nicht-eingetragene Marken können dem staatlichen Schutz (vgl. § 4 Nr. 2, § 5 i. V. m. § 12, § 42 Abs. 2 Nr. 4 MarkenG, § 8 i. V. m. §§ 3, 4 Nr. 7 UWG 2004, § 12 BGB) unterstehen, wobei auch dieser Schutz seine Grenzen in den bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften und hier insbesondere in polizei-, gewerbe- oder strafrechtlichen Normen findet, die u. a. auch Untersagungsmöglichkeiten bei Verstößen gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit vorsehen oder den Schutz bei Sittenwidrigkeit des geltend gemachten Rechts versagen. Es ist aber kein Grund ersichtlich, weshalb der staatliche Schutz einer Kennzeichnung durch Einräumung eines durch Eintragung entstehenden Monopolrechts engeren Grenzen unterliegen sollte als der staatliche Schutz für nicht eingetragene Kennzeichnungen. § 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG soll nur sicherstellen, dass Kennzeichnungen, deren Verwendung entweder untersagt werden kann oder die wegen bestehender Sittenwidrigkeit nicht gegenüber Dritten geschützt werden sollen, nicht über die Eintragung als Marke einen Schutz erfahren oder zumindest den Eindruck erwecken, dass sie hierdurch einen (staatlichen) Schutz beanspruchen können. Demgegenüber soll über § 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG nicht über die allgemeinen Untersagungstatbestände hinaus ein eigenständiges markenrechtliches Schutzhindernis geschaffen werden; umgekehrt bedeutet dies, dass Kennzeichnungen, deren Verwendung als nicht-eingetragene Marke aus dem Gesichtspunkt der öffentlichen Sicherheit und Ordnung keine Hindernisse entgegenstehen, nicht die Eintragung über § 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG versagt werden kann. Damit ist im Rahmen dieser Vorschrift allein zu prüfen, ob die Verwendung der angemeldeten Kennzeichnung auch außerhalb des Markenrechts einem Verbot staatlichen Schutzes wegen Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung unterliegt. Darunter fällt neben gewerbe-, polizei- und strafrechtlichen Normen (einschließlich des Jugendschutzes) auch die generelle Verneinung von zivilrechtlichen Ansprüchen des Kennzeicheninhabers gegenüber Dritten entsprechend den allgemeinen Rechtsgedanken der §§ 138, 242 BGB – deren Bejahung wiederum zugunsten des Kennzeicheninhabers verfassungsrechtliche Garantien, insbesondere die Gewährung der Grundfreiheiten wie Meinungs-, Kunst-, Wissenschafts- und Religionsfreiheit entgegenstehen können. Dabei muss sich diese Verbotsmöglichkeit auf alle Verwendungsformen der angemeldeten Marke beziehen und alle unter das Waren- und Dienstleistungsverzeichnis fallenden Waren und Dienstleistungen erfassen, um ihr die Eintragung ins Markenregister zu versagen; fällt nämlich nur eine bestimmte Verwendungsform oder nur die Verwendung der Marke für einzelne konkrete Waren oder Dienstleistungen unter das (außermarkenrechtliche) allgemeine Verbot, besteht kein Grund, der angemeldeten Marke insgesamt die Eintragung zu versagen, weil bereits durch die allgemeinen Verbotstatbestände ihr Einsatz in bestimmten Sachverhalten untersagt ist; ihr darüber hinaus insgesamt den Anspruch auf Einräumung der Gewährung des stattlichen Schutzes zu entziehen, wäre demgegenüber unverhältnismäßig.

2. Solche allgemeinen Versagungstatbestände hat aber weder das Deutsche Patent- und Markenamt aufgezeigt noch sind sie anderweitig ersichtlich. Auch wenn der Wortbestandteil „Fick“ sexuelle Bezüge aufweist und vulgärsprachlichen Ursprungs ist (vgl. hierzu Duden – Deutsches Universalwörterbuch, 6. Aufl. Mannheim 2006 [CD-ROM] Stichwort „ficken“), stellt dies für sich genommen keinen Grund für eine Schutzversagung aus dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen die guten Sitten dar. Es gibt nämlich keine Anhaltspunkte dafür, dass durch dieses Wort das sittliche Empfinden der überwiegenden Bevölkerungsteile generell oder im Rahmen seines Einsatzes als Waren- oder Dienstleistungskennzeichnung über Gebühr berührt ist; vielmehr ist aufgrund der zahlreichen Verwendung dieses Wortes etwa in literarischen oder filmischen Zusammenhängen eine gewisse Abnutzung dieses Wortes in der Weise festzustellen, dass es kaum noch als anstößig oder gar (sexuell) provozierend empfunden wird. Auch eine Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsteile ist bei der Verwendung dieses Begriffs nicht ersichtlich.

Ob die angemeldete Marke den Anforderungen des guten Geschmacks genügt, ist nicht entscheidungsrelevant, weil die Verneinung dieser Frage für eine Schutzversagung gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG regelmäßig nicht ausreicht. Eine ästhetische Prüfung auf die Anforderungen des guten Geschmacks ist nicht Gegenstand des patentamtlichen Eintragungsverfahrens.

Ein unerträglicher Verstoß gegen das sittliche Empfinden wäre dann anzunehmen, wenn die angemeldete Marke über eine bloße Geschmacklosigkeit hinaus Aussagen enthält, die massiv (z. B. geschlechtsspezifisch) diskriminierend und/oder die Menschenwürde beeinträchtigend sind bzw. ernsthaft so verstanden werden können. Davon kann bei dem Wort „Fick“, dessen Grundform „ficken“ seit geraumer Zeit nicht nur ständiger Bestandteil von Talkshowbeiträgen im deutschen Privatfernsehen ist, sondern auch zum Vokabular u. a. des modernen Theaters gehört, auf Grund dieser veränderten Sprachgewohnheiten, aber auch deshalb, weil es in seinem Aussagegehalt geschlechtsneutral und damit nicht einseitig herabsetzend ist, nicht ausgegangen werden (vgl. BPatG, Beschluss vom 21. September 2005, Az. 26 W (pat) 244/02 – Ficke).

Ein Verstoß gegen die guten Sitten kann auch nicht aus der Verbindung des vorgenannten vulgärsprachlichen Ausdrucks mit dem chinesischen Wort „shui“ und der Anlehnung an den Begriff „Feng shui“ hergeleitet werden. Letzterer ist – wie auch die Markenstelle ausgeführt hat – nicht religiösen Ursprungs, sondern stammt eher aus einem Kontext, der eine bestimmte Lebenseinstellung kennzeichnet. Zwar kann unter bestimmten Umständen auch die Herabsetzung einer philosophischen Ausrichtung untersagt werden, wenn sie unter den Schutzbereich des Art. 4 GG fällt. Im Fall der hier betroffenen Lehre ist aber zu beachten, dass sie bereits vielfältig kommerzialisiert ist, wie ihr Einsatz zur Beschreibung zahlreicher Waren und Dienstleistungen (einschließlich der Unterbringung und Verpflegung von Gästen, wie zahlreiche Feng-Shui-Hotels und -gaststätten belegen) zeigt; damit hat dieser Begriff aber den rein (lebens-) philosophischen Kontext bereits verlassen und ist zu einem allgemein kommerzialisierten Werbemittel geworden. Vor diesem Hintergrund ist damit nicht anzunehmen, dass beachtliche Bevölkerungsteile die in der vorliegenden Anmeldemarke vorhandene Verbindung mit einem vulgärsprachlichen sexuellen Begriff in irgendeiner Weise als so anstößig oder diskriminierend empfinden, dass sie als Kennzeichnung von Waren ausschiede. 

3. Da die Prüfung des angefochtenen Beschlusses durch den Senat allein auf  den Versagungsgrund des § 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG beschränkt ist, ist mit den vorstehenden Ausführungen noch nichts dazu gesagt, ob die Anmeldemarke ggf. aus anderen Gründen – etwa wegen fehlender Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG oder eines bestehenden Freihaltungsbedürfnisses nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG – schutzunfähig wäre. Dabei wäre allerdings zu beachten, dass diese Schutzhindernisse nicht nur in Bezug auf die vorliegend allein zu erörternde Wortkombination vorliegen, sondern sich auf die angemeldete Marke in ihrer Gesamtheit beziehen müssten.

4. Da die Markenstelle somit im Ergebnis der Anmeldemarke zu Unrecht die Eintragung wegen des Schutzhindernisse nach § 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG versagt hat, war auf die Beschwerde der Anmelderin der Beschluss der Markenstelle aufzuheben.

B. Für eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach § 71 Abs. 3 MarkenG bestand keine Veranlassung, denn besondere Umstände, aufgrund derer es unbillig wäre, die Beschwerdegebühr einzubehalten (vgl. Ströbele/Hacker, Markengesetz, 8. Aufl. 2006, § 71 Rn. 31 ff.; Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 2. Aufl., § 71 Rn. 35 ff.) sind weder dargetan noch anderweitig ersichtlich; insbesondere liegen weder schwere Verfahrensverstöße (vgl. hierzu i. e. Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 2. Aufl., § 71 Rn. 40 f.; Ströbele/Hacker, Markengesetz, 8. Aufl. 2006, § 71 Rn. 32) oder Verstöße gegen die Verfahrensökonomie (vgl. hierzu i. e. Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 2. Aufl., § 71 Rn. 42; Ströbele/Hacker, Markengesetz, 8. Aufl. 2006, § 71 Rn. 32) im Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt vor. 

Allein der Umstand, dass der Senat der Beurteilung der Markenstelle über das Vorliegen eines (bestimmten) Schutzhindernisses nicht gefolgt ist, rechtfertigt nach st. Rspr. nicht die Rückzahlung der Beschwerdegebühr (vgl. BPatGE 2, 78; 22, 29, 32).Allein der Umstand, dass der Senat der Beurteilung der Markenstelle über das Vorliegen eines (bestimmten) Schutzhindernisses nicht gefolgt ist, rechtfertigt nach st. Rspr. nicht die Rückzahlung der Beschwerdegebühr (vgl. BPatGE 2, 78; 22, 29, 32). 

(Unterschriften)