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BGH: Urteil vom 28. November 2002, AZ.: 4 StR 260/02 - Sportwetten

Leitsätzliches

Sportwetten im Ergebnis nach Auffassung des Bundesgerichtshofes nun doch Glücksspiel!

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

Aktenzeichen: 4 StR 260/02

Entscheidung vom 28. November 2002

 

 

In der Strafsache

 

gegen

...

 

wegen unerlaubter Veranstaltung eines Glücksspiels

 

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. November 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof ..., Richter am Bundesgerichtshof ..., ..., Richterin am Bundesgerichtshof, Richter am Bundesgerichtshof ... als beisitzende Richter,

 

Staatsanwältin ... als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt ..., Rechtsanwalt ... als Verteidiger,

 

Justizangestellte ... als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

 

für Recht erkannt:

 

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bochum – Auswärtige Strafkammer Recklinghausen - vom 26. Februar 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.

 

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

 

Von Rechts wegen

 

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf der unerlaubten Veranstaltung eines Glücksspiels aus Rechtsgründen freigesprochen. Mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt, erstrebt die Staatsanwaltschaft die Aufhebung des freisprechenden Urteils. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

 

1. Der Angeklagte bot im Land Nordrhein–Westfalen unter der Bezeichnung „G. S. , Sportinformation und Online - Kurierdienst“ die Möglichkeit an, Wetten auf das Ergebnis von Fußballspielen oder von anderen sportlichen Ereignissen zu festen Gewinnquoten (sog. „Oddset-Wetten“) abzuschließen.

Zu dem Ablauf der Wettvorgängen hat das Landgericht festgestellt:

In den Geschäftsräumen des Angeklagten lagen Wettprogramme aus. Auf einem Tippzettel konnte ein Kunde auf den Gewinn einer Mannschaft oder aber auch auf einen bestimmten Spielausgang wetten. Gegenstand der Wetten waren alle Europaligen bis herunter zu Regionalligen, und zwar vornehmlich im Bereich des Fußballs. Die Wetten waren nicht auf ein Spiel beschränkt, sondern es waren Tipps für bis zu zehn Spiele möglich. Die Mitspieler füllten die Tippzettel aus, übergaben sie dem Angeklagten oder dessen Angestellten und zahlten einen Einsatz. Der Angeklagte gab die Tipps sodann in einen Computer ein, von welchem die Daten online an die Firma M. , Isle of Man, weitergeleitet wurden. Hatte der Spieler gewonnen, erhielt er seinen Gewinn nach den bereits bei Abgabe des Tipps festgelegten Quoten vom Angeklagten ausgezahlt. Einmal im Monat rechnete der Angeklagte mit der Firma M. ab und überwies den Gewinnsaldo von durchschnittlich 6.500.- Euro an diese. Er selbst erhielt einen monatlichen Festbetrag von 4.000.- Euro, von dem er die Miete für das Ladenlokal und die Gehälter für zwei Teilzeitbeschäftigte bestreiten mußte. Weder der Angeklagte noch die Firma M. waren Inhaber einer Genehmigung für die Veranstaltung von Glücksspielen in Nordrhein-Westfalen (hier: § 1 Abs. 1 Satz 1 des Sportwettengesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen vom 3. Mai 1955 [GS. NRW. S. 672], zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. Dezember 1999 [GV. NRW. S. 687]) oder in einem anderen deutschen Bundesland.

 

2. Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf einer Straftat nach § 284 StGB mit der Begründung freigesprochen, daß es sich bei Sportwetten nicht um Glücksspiele im Sinne dieser Vorschrift handele. Anders als bei diesen hänge das Ergebnis bei der Sportwette nicht vom „reinen Zufall“ ab. Ihr Ausgang könne vielmehr „überwiegend“ vom Mitspieler aufgrund von Informationen aus den Medien prognostiziert werden. Hierbei dürfe nicht auf den Durchschnitt der Bevölkerung abgestellt werden, da dieser nicht Kunde in Wettbüros für Sportwetten sei. Vielmehr müsse davon ausgegangen werden, daß derjenige Spieler, der ein „reines Zufallsergebnis“ bewetten wolle, also ein „Glücks“spiel betreiben möchte, seinen Tipp nicht bei einer Sportwette, sondern „eher beim Lotto“ abgeben werde. Abzustellen sei daher bei der Frage, ob ein Glücksspiel vorliege, auf den Durchschnitt der Mitspieler des jeweiligen Spiels. An Sportwetten der vorliegenden Art würden jedoch von vorneherein überwiegend nur solche Spieler teilnehmen, die aufgrund eigener Kenntnisse und Fähigkeiten in der Lage seien, eine begründete Prognose für den Ausgang des jeweiligen Sportereignisses abzugeben.

 

3. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Das Wesen des Glücksspiels im Sinne des § 284 StGB besteht nach allgemeiner Auffassung darin, daß die Entscheidung über Gewinn und Verlust nach den Vertragsbedingungen nicht wesentlich von den Fähigkeiten, den Kenntnissen und der Aufmerksamkeit der Spieler abhängt, sondern allein oder hauptsächlich vom Zufall (BGHSt 2, 274, 276; 29, 152, 157; 36, 74, 80; v. Bubnoff in LK-StGB 11. Aufl. § 284 Rdn. 7 f m.w.N.). Maßgebend für die Beurteilung sind dabei die Spielverhältnisse, unter denen das Spiel eröffnet ist und gewöhnlich betrieben wird, also die Fähigkeiten und Erfahrungen des Durchschnittsspielers (BGHSt 2, 276). Den Maßstab hierfür bildet das Publikum, für das das Spiel eröffnet ist, nicht der geübtere oder besonders geübte Teilnehmer. Ist ein Spiel danach ein Glücksspiel, so behält es diese Eigenschaft auch für den besonders geübten oder versierten Spieler, der den Spielausgang besser abschätzen kann als ein weniger geübter oder versierter (BGH aaO).

 

b) Diesen Maßstäben wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht.

aa) Die Ausführungen des Landgerichts begegnen bereits insoweit Bedenken, als darin darauf abgestellt wird, daß das Ergebnis bei einer Sportwette nicht vom „reinen Zufall“ abhängig, sondern „überwiegend“ aufgrund entsprechender Informationen und hieraus gezogener Schlüsse prognostizierbar sei. Dies läßt befürchten, daß das Landgericht schon von einem unzutreffenden Ansatz ausgegangen ist. Ein Glücksspiel liegt auch dann vor, wenn der Spielerfolg nicht allein vom Zufall abhängt, dem Zufallselement aber ein Übergewicht zukommt. Das Überwiegen des Zufalls wird jedoch nicht bereits dadurch in Frage gestellt, daß über den Ausgang anhand bestimmter Kriterien eine begründete Vorhersage getroffen werden kann, sofern der Ausgang von weiteren wesentlichen Unsicherheitsfaktoren bestimmt wird, die für den Spieler weder beeinflußbar noch vorausberechenbar sind (vgl. auch BGHSt 2, 139, 140/141).

 

bb) Das Urteil kann jedenfalls deshalb keinen Bestand haben, weil die Strafkammer bei der Bestimmung des „Durchschnittsspielers“, auf dessen Kenntnisse und Erfahrungen es für die Beurteilung ankommt, ob ein Glücksspiel im Sinne des § 284 StGB vorliegt, von einem zumindest unklaren Maßstab ausgegangen ist. Nach den oben genannten Grundsätzen ist insoweit auf den Personenkreis abzustellen, für den das Spiel eröffnet worden ist und gewöhnlich betrieben wird. Für die Qualifizierung als Glücksspiel gilt zudem der Grundsatz der einheitlichen Betrachtungsweise (vgl. BGHSt 2, 274, 276/277; v. Bubnoff aaO § 284 Rdn. 8). Es kann daher nicht maßgeblich sein, ob – wie die Verteidigung in der Revisionshauptverhandlung vorgetragen hat – einzelne Mitspieler über derartige Fähigkeiten verfügen, daß sie bestimmte Sportergebnisse mit einer überwiegenden Richtigkeitsgewähr vorhersagen können, sofern sich an dem Spiel auch Spieler beteiligen können und in einem nicht völlig untergeordneten Maße auch tatsächlich beteiligen, die diese Fähigkeiten nicht besitzen. Gerade der eher „unbedarfte“ Spieler bedarf des Schutzes vor den Gefahren des Glücksspiels. Soweit das Landgericht meint, an den vom Angeklagten veranstalteten Sportwetten würden sich von vorneherein „überwiegend“ nur im Sportwesen besonders kenntnisreiche und befähigte Spieler beteiligen, handelt es sich um eine unzulässige, weil nicht durch Tatsachen belegte Vermutung.

 

c) Darüber hinaus bleibt offen, ob und in welchem Maße auch der kenntnisreiche „Durchschnittsspieler“ die Entscheidung über Gewinn und Verlust beeinflussen kann, mit der Folge, daß bei einem entsprechenden Zurücktreten des Zufallsmoments ein Geschicklichkeitsspiel und kein Glücksspiel anzunehmen wäre. Hierbei handelt es sich um eine Frage tatsächlicher Art, die einer tatrichterlichen einzelfallorientierten Abgrenzung - gegebenenfalls mit Hilfe eines Sachverständigen - unter Berücksichtigung der einzelnen in Betracht kommenden Spielvorgänge bedarf (vgl. v. Bubnoff aaO § 284 Rdn. 8). Dem wird die angefochtene Entscheidung, die bereits eine konkrete Darstellung der einzelnen Wettvorgänge vermissen läßt, nicht gerecht. Der bloße Hinweis, daß aus Tages-, Sportzeitungen und auch aus dem Internet vielfältige Informationen über die an einem Sportereignis beteiligten Spieler und Mannschaften erlangt werden können, genügt nicht. Denn es versteht sich nicht von selbst, daß ein derart umfassend informierter Spieler das Ergebnis eines sportlichen Wettkampfes mit einer überwiegenden Richtigkeitsgewähr vorhersagen kann. Dies gilt umso mehr, als bei Sportwetten der vorliegenden Art die zugesagten Gewinnquoten und damit auch der Anreiz für den Spieler umso höher sind, je unübersehbarer oder unwahrscheinlicher der Spielausgang ist, auf den der Spieler setzt. Nicht das Setzen auf den „Favoriten“ (mit einer regelmäßig niedrigen Gewinnquote), sondern das Setzen auf den „Außenseiter“ (mit einer regelmäßig hohen Gewinnquote) kommt dem naturgemäß bestehenden Bestreben des Spielers entgegen, seinen Einsatz in größtmöglichem Maße zu vervielfachen. Insoweit hätte es auch Feststellungen bedurft, nach welchen Maßstäben die Gewinnquoten für die vom Angeklagten angebotenen Wetten festgelegt worden sind. Es liegt im übrigen auf der Hand, daß der Ausgang eines sportlichen Wettkampfs, sieht man einmal von den Fällen der Manipulation ab, von einer Vielzahl von Faktoren abhängt, die sich vielfach einer exakten Vorausberechnung entziehen werden. Der Reiz eines sportlichen Wettbewerbs, etwa eines Fußballspiels, liegt gerade darin, daß dessen Ergebnis nicht im voraus bestimmbar ist. Nicht selten wird ein Spiel durch einen „Zufallstreffer“ einer an sich nach Vorhersagen von „Experten“ und nach dem gesamten Spielverlauf unterlegenen Mannschaft entschieden. Zu Recht hat daher das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 28. März 2001 (BVerwGE 114, 92 = NJW 2001, 2648) darauf hingewiesen, daß die Gewinnerwartung des Veranstalters einer Sportwette gerade auf der Unkalkulierbarkeit der Ergebnisse beruht. Demzufolge sind sowohl in der neueren höchstrichterlichen verwaltungsrechtlichen (BVerwG aaO) als auch zivilrechtlichen Rechtsprechung (BGH, Urt. v. 14. März 2002- I ZR 279/99 = NJW 2002, 2175) Sportwetten zu festen Gewinnquoten als Glücksspiele im Sinne des § 284 StGB qualifiziert worden.

 

4. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des freisprechenden Urteils und Zurückverweisung an die Vorinstanz, da auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen bei Annahme eines Glücksspiels eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 284 Abs. 1 1. Alt. StGB in Betracht kommt. Veranstalter im Sinne dieser Bestimmung ist, wer verantwortlich und organisatorisch den äußeren Rahmen für die Abhaltung des Glücksspielsschafft und der Bevölkerung dadurch den Abschluß von Spielverträgen ermöglicht (vgl. BGH Urt. v. 28. Mai 1957 – 1 StR 339/56; BayObLG NJW 1993, 2820, 2821; v. Bubnoff aaO § 284 Rdn. 18; Lampe, JuS 1994, 737, 741). Diese Voraussetzungen kann der Angeklagte dadurch erfüllt haben, daß er zur Durchführung des Spielbetriebes unter einer eigenen Firmenbezeichnung Räumlichkeiten anmietete, Angestellte beschäftigte, die erforderliche Ausstattung bereitstellte, Wettprogramme auslegte, Einzahlungen der Spieler entgegennahm und Gewinne auszahlte. Daß er die Wettdaten an die Firma M. , Isle of Man, weiterleitete und bis auf den ihm zustehenden Festbetrag von 4.000.- Euro monatlich den verbleibenden Gewinnsaldo an diese zu überweisen hatte, ändert für sich gesehen daran nichts. Der Begriff des „Veranstaltens“ setzt nämlich nicht notwendig voraus, daß der Täter mit eigenen finanziellen Interessen am Ergebnis des Spielbetriebes tätig wird (so zutreffend BayObLG, v. Bubnoff, Lampe jeweils aaO; vgl. auch Eser/Heine in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 284 Rdn. 12: nur „Indiz“; Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 284 Rdn. 11: „idR“ ). Allerdings gestatten die getroffenen Feststellungen insoweit keine abschließende rechtliche Bewertung, da sich das Urteil zu den Einzelheiten des Wettbetriebes, insbesondere zu den Befugnissen des Angeklagten bei dessen Ausgestaltung, nur unzureichend verhält. Im übrigen würde jedenfalls das festgestellte Verhalten des Angeklagten die tatbestandsalternative des „Bereitstellens von Einrichtungen“ (§ 284 Abs 1 3. Alt. StGB) erfüllen. In Betracht käme ferner auch eine Verwirklichung des Tatbestandes des § 284 Abs. 4 StGB. Der Angeklagte hat schließlich auch „ohne behördliche Erlaubnis“ gehandelt. Eine Zulassung des Wettbetriebes des Angeklagten nach §§ 1, 2 des Sportwettengesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen ist nicht erfolgt. Der Senat hat auch auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen angesichts der der Bevölkerung vom öffentlichen Glücksspiel drohenden Gefahren (vgl. hierzu im einzelnen BVerwGE 114, 92, 100), die den Gesetzgeber des Sechsten Strafrechtsreformgesetzes zu einer Verschärfung der §§ 284 ff. StGB veranlaßt haben (vgl. hierzu BTDrucks. 13/8587 S. 67), und in Anbetracht des dem Gesetzgeber grundsätzlich zustehenden Beurteilungs- und Prognosespielraums (vgl. BVerfGE 102, 197, 218) derzeit keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der die Zulassung von Wettunternehmen regelnden Bestimmungen des Sportwettengesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (vgl. auch BVerwG aaO. S. 97 ff.).

 

 

(Unterschriften)