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ArbG Nürnberg, Beschluss vom 9. März 2000, 12 Ca 10856/99 - Kündigungsschutzklage nach Fristablauf

Leitsätzliches

Eine Kündigungsschutzklage kann auch nach Fristablauf noch zugelassen werden, wenn sich der Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Kündigungszugangs in Urlaub oder Kur befand. In einem Zeitraum von 4 Wochen Abwesenheit muss der Arbeitnehmer nach Ansicht der Kammer noch keine gesonderten Vorkehrungen treffen, wichtige Briefe zu erhalten. Etwas anderes kann nur gelten, wenn etwa eine Kündigung bereits angekündigt wurde.

 

ARBEITSGERICHT NÜRNBERG

IM NAMEN DES VOLKES

BESCHLUSS

 

Aktenzeichen: 12 Ca 10856/99

 

Entscheidung vom 9. März 2000

 

 

 

In dem Rechtsstreit

 

In dem Rechtsstreit

 

pp.

 

wegen Kündigung (hier: nachträgliche Klagezulassung)

 

erlässt das Arbeitsgericht Nürnberg, Kammer 12, durch Richter am Arbeitsgericht *** als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter *** auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 09. März 2000 folgenden Beschluss:

Die Klage gegen die Kündigung vom 22.11.1999 wird nachträglich zugelassen.

 

Gründe:

I.

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung. Der am 11.05.1955 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit mindestens 1974 als Maschinenschlosser beschäftigt. Er erhielt zuletzt ein durchschnittliches Bruttogehalt von 4.400,- bis 4.600,- DM nach eigenen, von DM 5.164,- nach Beklagtenangaben. Die Beklagte beschäftigt in ihrem Betrieb in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die Deutsche Bahn AG Anwendung.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 22.11.1999 wegen der tariflichen Unkündbarkeit des Klägers außerordentlich mit sozialer Auslauffrist mit Wirkung zum 30.06.2000. Kündigungsgrund waren die häufigen Krankheitszeiten des Klägers. Des genauen Wortlautes des Kündigungsschreibens wegen wird auf die mit der Klage vorgelegte Ablichtung Bezug genommen (Bl. 10 f. d.A.). Die Kündigung wurde mit normaler Post an den Kläger gesandt.

In seiner am 29.12.1999 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage selben Datums macht der Kläger die Unwirksamkeit dieser Kündigung geltend. Er beantragt gleichzeitig, die Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen. Er erklärt, er habe sich im Zeitraum 17.11.1999 bis 15.12.1999 auf Veranlassung der Bahnversicherungsanstalt in einer Rehabilitationsmaßnahme befunden, und zwar in Bad ***. Als er am 15.12.1999 nach Hause zurückgekehrt sei, habe er das Kündigungsschreiben in seinem Briefkasten gefunden. Er sei somit gehindert gewesen, die Klage rechtzeitig innerhalb der Drei-Wochen-Frist einzureichen. Im Übrigen sei die Kündigung unberechtigt, weil die Krankheiten im Wesentlichen ausgeheilt seien und eine negative Prognose daher nicht bestehe. Der Kläger hat den Aufenthalt in der Rehabilitationsklinik sowie das Auffinden des Kündigungsschreibens am 15.12.1999 an Eides Statt versichert (Anlage zur Klageschrift, Bl. 12 d.A.).

Der Kläger stellt daher den Antrag,

die Klage nachträglich zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage sowie den Zulassungsantrag abzuweisen.

Sie trägt vor, das Kündigungsschreiben sei am 22.11.1999 von den Zeugen *** und *** in den Wohnungsbriefkasten des Klägers eingeworfen worden. Sie bestreitet mit Nichtwissen, dass sich der Kläger im angegebenen Zeitraum auf der Kurmaßnahme befunden und das Kündigungsschreiben erst am 15.12.1999 entdeckt habe. Da das Kündigungsschreiben am 23.11.1999 zugegangen sei, hätte der Kläger bis 14.12.1999 Klage erheben müssen, um die Berechtigung der außerordentlichen Kündigung klären zu lassen. Dies habe er nicht getan. Im Übrigen sei, selbst wenn man den Sachvortrag des Klägers unterstelle, die Klage nicht nachträglich zuzulassen, weil es der Kläger, wenn er denn einen längeren Zeitraum abwesend gewesen sei, versäumt habe, den Zugang der Post durch Nachsendeauftrag oder Dritte sicherzustellen.

Der Kläger wendet ein, der Kuraufenthalt habe in Kenntnis der Beklagten stattgefunden; er habe diese über den Zeitpunkt und die voraussichtliche Dauer der Kur informiert. Er sei nicht verpflichtet gewesen, besondere Vorkehrungen für seine in diesem Zeitraum eingehende Post zu treffen, weil er mit der Kündigung nicht habe rechnen müssen.

Die Beklagte bestreitet, dass die Personalabteilung von der Kündigung Kenntnis gehabt habe, zumal der Kläger seit 16.09.1999 ununterbrochen erkrankt gewesen sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Niederschriften über die mündlichen Verhandlungen vom 09.02.2000 und vom 09.03.2000 Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag ist auch begründet. Der Antrag ist statthaft. Das Kündigungsschutzgesetz ist nach Beschäftigungsdauer des Klägers und Beschäftigtenzahl bei der Beklagten auf das Arbeitsverhältnis anwendbar. Die Klage ist nicht innerhalb der in §§ 13, 4 KSchG geforderten Frist von drei Wochen nach Zugang der Kündigung erhoben. Dies gilt unabhängig davon, ob die Kündigung bereits am 22. oder erst am 23.11.1999 – der Sachvortrag der Beklagten ist insoweit nicht ganz klar - in den Hausbriefkasten des Klägers eingeworfen worden ist. Auch bei Einwurf am 23.11. ist die Frist nach §§ 187, 188 BGB am Dienstag, den 14.12.1999 um 24.00 Uhr abgelaufen. Der Kläger hat Klage jedoch erst am 29.12.1999 erheben lassen.

Der Antrag ist zulässig; er ist insbesondere in der in § 5 KSchG geforderten Form gestellt. Insbesondere hat er mit seiner ausweislich des Eingangsstempels am 29.12.1999 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage die versäumte Handlung innerhalb der Zulassungsfrist von zwei Wochen nach behauptetem Wegfall des Hindernisses am 15.12.1999 nachgeholt, gleichzeitig nachträgliche Zulassung beantragt und mit seiner eidesstattlichen Versicherung die Mittel der Glaubhaftmachung angeführt.

Der Antrag ist auch begründet. Der Kläger hat die Frist von drei Wochen zur Erhebung der Klage nach §§ 13, 4 KSchG unverschuldet im Sinne des § 5 KSchG nicht eingehalten.

Dabei geht die Kammer auf Grund der Versicherung des Klägers davon aus, dass er sich tatsächlich im Zeitraum 17.11. bis 15.12.1999 auf einer Rehabilitationsmaßnahme befunden, dass er seine Wohnung in diesem Zeitraum nicht betreten und dass er das Kündigungsschreiben erst am 15.12.1999 im Briefkasten vorgefunden hat. Die Kammer sieht keinen Grund, an der Richtigkeit der leicht nachprüfbaren Tatsache des Kuraufenthalts zu zweifeln, zumal der Kläger im Einzelnen angegeben hat, wann er sich wo aufgrund welcher Anordnungen befunden hat. Es erscheint angesichts dessen auch als glaubwürdig, dass er in der Zwischenzeit nicht nach Hause zurückgefahren ist, so dass es beim Einwurf des Schreibens in den Hausbriefkasten nahe liegend ist, dass er das Schreiben erst bei Rückkehr vorgefunden hat.

Damit war der Kläger mangels Kenntnis vom Erhalt der Kündigung innerhalb der 3-Wochen-Frist unter Berücksichtigung der ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert, rechtzeitig Klage zu erheben (§ 5 Abs. 1 KSchG). Ihn trifft entgegen der Ansicht der Beklagten nicht schon deswegen ein Verschulden, weil er es versäumt hat, für einen unmittelbaren oder zeitnahen Zugang der im Zeitraum seiner Rehabilitationsmaßnahme eingehenden Schreiben zu sorgen. Nach Auffassung der Kammer trifft den Arbeitnehmer zumindest dann, wenn er nicht konkret mit dem Zugang eines offiziellen Schreibens rechnen muss – z.B. weil die Kündigung angekündigt ist – bei einer bis zu vierwöchigen Abwesenheit keine Pflicht, für die Nachsendung in diesem Zeitraum zugehender Schreiben zu sorgen. Er darf in diesem Fall damit rechnen, bei durch die Abwesenheit verursachte Fristversäumnis Wiedereinsetzung zu erlangen.

Dieser Grundsatz, der für die Urlaubsabwesenheit im Wesentlichen unstreitig ist (vgl. hierzu etwa BAG vom 16.03.1988 NZA 1988, 875 unter I.4.b) der Entscheidungsgründe; LAG Köln vom 04.03.1996, LAG Hamm vom 28.03.1996 [bis zu sechs Wochen Ortsabwesenheit], vom 18.04.1996, LAG Hessen vom 02.10.1996 LAGE § 5 KSchG Nrn. 75, 78, 79 und 83 am Ende; KR-Friedrich, Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzrecht, 5. Aufl. 1998, § 5 KSchG, RdNrn.59 ff.), gilt auch für sonstige, bereits im Zeitpunkt des Einwurfes des Kündigungsschreibens bestehende Ortsabwesenheit (so ausdrücklich LAG Hamm vom 28.03.1996, a.a.O.; KR-Friedrich, a.a.O., RdNr. 59 am Anfang; Sowka, KSchG, Kölner Praxiskommentar, § 5 RdNr. 12; Hauck in Heidelberger Kommentar zum KSchG, 2. Aufl. 1998, § 5 RdNr. 60; Köhne, AR-Blattei SD Kündigungsschutz III.A. 1020.3.1. RdNr. 165 [bis sechs Wochen Ortsabwesenheit]). Die Kammer hält zumindest einen Zeitraum von vier Wochen, bis zu dem der Arbeitnehmer keine gesonderten Vorkehrungen treffen muss, für gerechtfertigt. Derartige Abwesenheitszeiten sind im Geschäftsleben als üblich anzusehen. Urlaubszeiten von vier Wochen sind auch im Arbeitsleben nach wie vor nicht ungewöhnlich. Die Kammer vermag – wie die dargestellte Rechtsprechung – insoweit keinen Unterschied zwischen urlaubsbedingter oder durch sonstige Umstände veranlasste Abwesenheit zu erkennen. Wenn die Ortsabwesenheit nicht länger andauert, kann der Arbeitnehmer damit rechnen, dass eventuell durch die Abwesenheit veranlasste Fristversäumnisse korrigierbar sind. Soweit sich die Beklagte darauf beruft, der Kläger hätte seine Post mittels Nachsendeauftrag an die Klinik nachsenden lassen können, ist dieser Einwand nach den obigen Darlegungen unbeachtlich, weil der Arbeitnehmer überhaupt keine Vorkehrungen treffen muss. Im Übrigen geht er – selbst wenn man ihn als beachtlich ansehen würde – vorliegend ins Leere, weil auch ein solcher Nachsendeauftrag nicht dazu geführt hätte, dass er das Kündigungsschreiben der Beklagten vor seiner Rückkehr aus der Rehabilitationsmaßnahme erhalten hätte. Unstreitig hat die Beklagte ihm das Schreiben ja nicht durch die Post zuleiten, sondern durch Boten in den Hausbriefkasten werfen lassen. Das Unterlassen einer derartigen Pflicht wäre also für die Fristversäumnis vorliegend nicht ursächlich gewesen.

Sonstige Pflichtverletzungen sind nicht ersichtlich. Der Antrag ist rechtzeitig innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses beim Arbeitsgericht eingegangen. Aus diesem Grund war die nachträglich Zulassung der Kündigungsschutzklage zu gewähren.