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Gegendarstellung, - KG Berlin, Urteil vom 9. November 2004, AZ: 9 U 215/04 -

Leitsätzliches

Ein Anspruch auf Gegendarstellung kommt in Betracht, wenn die beanstandete Äußerung mindestens ebenso gut als Tatsachenbehauptung wie als Meinungsäußerung zu verstehen ist (amtl. Leitsatz).

KAMMERGERICHT BERLIN

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

Aktenzeichen: 9 U 215/04
Entscheidung vom 9. November 2004


In dem Rechtsstreit

...

hat der 9. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 09.11.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht ... , den Richter am Amtsgericht ... und den Richter am Kammergericht ... für Recht erkannt:

 

Auf die Berufung der Antragsgegnerin werden das am 7. Oktober 2004 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin und die einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin vom 16. September 2004 - 27 O 783/04 - teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

 

Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, in der nächsten für den Druck noch nicht abgeschlossenen Sonntagsausgabe des „Tagesspiegel“ auf Seite 3 die nachfolgende Gegendarstellung in Abdruck zu bringen, und zwar unter drucktechnischer Hervorhebung der Überschrift „Gegendarstellung“ in der Schrift der Überschrift „Die Geschichtenmacher“ über der Ausgangsmitteilung vom 5. September 2004, aber mit einer Buchstabengröße entsprechend der Titelzeile „DIE DRITTE SEITE“, und unter Hervorhebung der Fundstelle sowie der Namensunterschrift „Axel Springer AG“ in einfachem Fettdruck:

 

„Gegendarstellung
Im Tagesspiegel von Sonntag, den 5. September 2004, berichtet ihre Redakteurin ... auf Seite 3 unter der Überschrift „Die Geschichtenmacher“ u.a. über die Recherchegewohnheiten der von der ... AG verlegten BILD-Zeitung und insbesondere der BILD-Unterhaltungsredaktion. Mit diesem Bericht verbreiten Sie zahlreiche Falschbehauptungen:

1. Es wird berichtet, die Viva-Moderatorin ... sei einige Wochen nach dem Unfall-Tod ihrer Brüder heimlich fotografiert worden, als sie mit ihrem Freund lachend auf der Straße stand. Kurz danach sei sie von jemandem aus der BILDRedaktion angerufen worden. Der Journalist habe gesagt:
„Entweder, Du gibst uns ein Interview, oder wir machen eine Geschichte, die nicht gut ist für Dich. In der Art „So tief ist ihre Trauer“, daneben die lachende ...“. Frau R. habe geschwiegen und Glück gehabt: BILD habe geblufft, das Foto als Druckmittel genutzt, es aber nicht veröffentlicht.
Diese Darstellung ist falsch. Kein BILD-Journalist hat sich gegenüber ... wie zitiert geäußert. Die Redaktion hat das beschriebene Foto auch nicht als Druckmittel benutzt, da sie es nicht besaß und von seiner Existenz auch nichts wusste. Folglich konnte und sollte ein solches Foto auch nicht veröffentlicht werden.

2. Sie berichten, dass J R einem befreundeten BILDJournalisten über angebliche gemeinsame Nächte mit einer Schlagersängerin aufs Tonband geplappert habe.
Das ist falsch. Keiner der beiden BILD-Journalisten, die diese Geschichte gemacht haben, ist oder war mit ... befreundet.

3. Sie behaupten, die TV-Moderatorin ... habe im Auftrag der BILD-Zeitung einen Bericht über ihre Reise in den Gaza-Streifen geschrieben, der sehr Israel-kritisch ausfiel. BILD-Chef .. habe den heiklen Text daraufhin der „BILD am Sonntag“ überlassen.
Dazu stellen wir richtig: Der Auftrag wurde nicht von der BILDZeitung erteilt. BILD-Chefredakteur .. hat den Artikel auch nicht wegen seiner Israel-kritischen Aussage der „BILD am Sonntag“ überlassen.

4. Sie behaupten, BILD suche Journalisten für das Unterhaltungs-Ressort, was sich als äußerst schwierig erweise.
Das ist falsch. BILD hat unlängst zwei neue Unterhaltungs- Redakteure eingestellt und sucht derzeit keine weiteren Redakteure. Die Suche nach ihnen war auch nicht schwierig.
Berlin, den 15. September 2004
Rechtsanwalt Prof. Dr. .... für ... AG"

Der weitergehende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung und die weitergehende Berufung werden zurückgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens haben die Antragstellerin 1/6 und die Antragsgegnerin 5/6 zu tragen.

Gründe:

Die Berufung ist zulässig und hat zum kleineren Teil Erfolg. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Veröffentlichung einer Gegendarstellung ist gemäß § 10 Abs. 1 Berliner Pressegesetz (nur) in dem sich aus dem Urteilsausspruch ergebenden Umfang begründet.

1. Das Gegendarstellungsverlangen zur (nunmehrigen) Ziffer 1. ist aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung begründet. Insbesondere ist es nicht offensichtlich unwahr oder irreführend, wenn die Antragstellerin bestreitet, dass ein „BILD“-Journalist gegenüber C... mit dem Abdruck einer Geschichte und eines Fotos gedroht habe um von ihr ein Interview zu erlangen und dass die Redaktion ein solches Foto weder als Druckmittel benutzt noch besessen oder gekannt habe. Vielmehr bestand unstreitig kein direkter Kontakt mit C... und ist auch nicht unstreitig, dass der „BILD“-Redakteur C.. sich in der geschilderten Weise gegenüber dem VIVA-Mitarbeiter P... geäußert hätte.

2. Zur (nunmehrigen) Ziffer 2. ist die Ausgangsmitteilung, dass der „BILD“-Journalist mit ... befreundet war, als Tatsachenbehauptung und damit als gegendarstellungsfähig zu werten.
Der im angefochtenen Urteil und in der älteren Rechtsprechung des Senats (AfP 1984, 228, 229) vertretene „weite“ Tatsachenbegriff im Gegendarstellungsrecht ist zwar problematisch, weil gemäß dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25.8.1998 (NJW 1999, 483, 484) für die Qualifikation als Meinungsäußerung oder Tatsachenbehauptung im Gegendarstellungsrecht dieselben Anforderungen gelten, die für die Deutung der Äußerung im Zusammenhangmit der Meinungsfreiheit entwickelt worden sind. Für die rechtliche Würdigung von Äußerungen gilt der Grundsatz, dass bei mehrdeutigen Äußerungen nicht die zur Verurteilung führende Bedeutung zugrunde gelegt werden darf, wenn konkrete, nicht entfernte Alternativen nicht mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen werden (vgl. BVerfGE 93, 266, 295), bzw. dass bei mehreren Auslegungsmöglichkeiten diejenige der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen ist, die dem in Anspruch Genommenen günstiger ist und den Betroffenen weniger beeinträchtigt (vgl BGH NJW 1998, 3047, 3048; AfP 2004, 56, 58). Hiernach muss sich der Behauptende auch im Gegendarstellungsrecht nicht entgegenhalten lassen, eine eher als Wertung erscheinende Äußerung lasse noch eben die Deutung als Tatsachenbehauptung zu. Die Verpflichtung zum Abdruck einer Gegendarstellung beeinträchtigt die Freiheit der Presse in der Auswahl und Gestaltung ihrer Berichterstattung (vgl. BVerfG NJW 1998, 1381, 1382). Die Äußerungsfreiheit würde mittelbar beschränkt, wenn schon jede nicht ganz fern liegende Missverständlichkeit vermieden werden müsste um sich nicht einem Gegendarstellungsanspruch auszusetzen und damit die Möglichkeit zur Veröffentlichung anderer Beiträge einzuschränken.

Andererseits bleibt zu berücksichtigen, dass die Gegendarstellung der individuellen und öffentlichen Meinungsbildung dient, indem sie gerade auch den Betroffenen zu Wort kommen lässt. Ein Gegendarstellungsanspruch ist daher nach Auffassung des Senats zu gewähren,  wenn die beanstandete Äußerung mindestens ebenso gut als Tatsachenbehauptung wie als Meinungsäußerung zu verstehen ist. So liegt es hier. Der Durchschnittsleser wird die Äußerung über die Freundschaft nicht vornehmlich als Wertung der Antragsgegnerin, sondern wenigstens gleichermaßen als (zusammengefasste) Tatsacheninformation auffassen. Das rechtliche Interesse an der Gegendarstellung fehlt nicht etwa wegen Belanglosigkeit dieses Punktes, denn die Ausgangsmitteilung kann den Eindruck erwecken, die Berichterstattung sei unter Ausbeutung der Freundschaft erfolgt.

3. Zur (nunmehrigen) Ziffer 3. kann auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils (zu 4) verwiesen werden.

4. Das Gegendarstellungsbegehren ist auch zur (nunmehrigen) Ziffer 4. berechtigt, weil die Äußerung nach den vorstehend dargelegten Maßstäben als Behauptung mit Tatsachenkern zu behandeln ist. Die Entgegnung, „BILD“ suche derzeit keine weiteren Redakteure, ist nicht  offenkundig unwahr, selbst wenn die Stelle eines stellvertretenden verantwortlichen Redakteurs für Leute/Fernsehen unbesetzt ist.

5. Soweit die Gegendarstellung begehrt wird, dass die Antragsgegnerin den im Ausgangsartikel abgebildeten Nachrichtenchef Drechsler der „BILD“-Zeitung fälschlich als Heidemanns - den Unterhaltungschef der „BILD“-Zeitung - bezeichnet hat, fehlt es an der erforderlichen Betroffenheit der Antragstellerin. Eine Befugnis zur Gegendarstellung setzt voraus, dass die eigene Interessensphäre durch die in dem Bericht aufgestellte Behauptung berührt wird und dass der Anspruchsteller zu der mitgeteilten Tatsache in einer individuellen Beziehung steht (vgl. Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Auflage, Kap. 11 Rn.. 77; Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 465; Löffler/Sedelmeier, Presserecht, 4. Auflage, § 11 Rn. 54; Seitz/Schmidt/Schoener, Der Gegendarstellungsanspruch, 3. Auflage, Rn. 62; Soehring, Presserecht, 3. Auflage, Rn. 29.10). Die Personenverwechselung löst hier aber keine die Antragstellerin berührende Fehlvorstellung aus, die Verhältnisse in ihrer Redaktion werden nicht dadurch in ein schiefes  Licht gerückt, dass der erwähnte Mitarbeiter in Wirklichkeit anders aussieht als abgebildet. Betroffen sind vielmehr nur die beiden verwechselten Personen, die dementsprechend selbst (erfolgreich) Gegendarstellung verlangt haben.

6. Daher ist die Antragsgegnerin auf den entsprechenden Hilfsantrag des Antragstellers zur Veröffentlichung einer Gegendarstellung ohne die ursprünglichen Ziffer 1. zu verurteilen, auch wenn der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin die mangelnde Zuleitung der hilfsweise beantragten Gegendarstellung gerügt und ferner erklärt hat, er sei nicht bevollmächtigt neue Gegendarstellungsfassungen entgegenzunehmen. Einer gesonderten Zuleitung der gekürzten Fassung an die Antragsgegnerin bedarf es hier nicht. Der erkennende Senat hält insoweit an seiner bisherigen Linie (vgl. KG AfP 1984, 228) fest, die der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur entspricht (vgl. OLG Frankfurt a. M. AfP 1980, 225; OLG Celle NJW-RR 1995, 794; OLG München NJW-RR 1998, 1632 und ZUM-RD 1999, 8; OLG Brandenburg NJW-RR 2000, 326, 327; OLG Karlsruhe NJW-RR 2003, 109; Wenzel/Burckhardt, a. a. O. Kap. 11 Rn. 50 und 259 ff.; Löffler/Sedelmeier, a. a. O., Rn. 220 f.; Seitz/Schmidt/Schoener, a. a. O., Rn. 715 ff.; Prinz/Peters, a. a. O., Rn. 618; anderer Auffassung: OLG Hamburg AfP 1978, 158, 159 und AfP 1979, 405, 406; OLG Köln NJW-RR 1990, 1119; Soehring, a. a. O., Rn. 29.45c). Das Gegendarstellungsrecht, welches dem Schutz der Selbstbestimmung des Einzelnen über die Darstellung der eigenen Person dient, bedarf eines effektiven verfahrensrechtlichen Schutzes (vgl. BVerfG NJW 1983, 1179 zu II.1.a). Gerade wenn mehrere selbständige Punkte in einer Gegendarstellung zusammen gefasst sind - was regelmäßig im Interesse beider Seiten liegt -, wäre es dem Betroffenen erheblich erschwert rasch zu Wort zu kommen, wenn er bei - häufig erst in der mündlichen Verhandlung geäußerten - Bedenken des Gerichts gegen einzelne Punkte dem Verpflichteten zunächst eine geänderte Fassung der Gegendarstellung zuleiten müsste. Nach Auffassung des Senats ist § 10 Abs. 2 Satz 3 Berliner Pressegesetz deshalb einschränkend dahin auszulegen, dass nur die ursprüngliche Gegendarstellung dem zuständigen Redakteur oder dem Verleger zugehen muss, wenn der Aussagegehalt der Neufassung vom Ursprungstext umfasst ist und insbesondere wenn nur eigenständige Ziffern der begehrten Gegendarstellung entfallen sind. Die Belange des Verpflichteten sind dabei hinreichend gewahrt, denn durch ein sofortiges Anerkenntnis des geänderten Antrages kann er gemäß § 93 ZPO vermeiden, dass ihm Kosten auferlegt werden. Eine solche Entscheidung kann dem Verpflichteten bzw. seinem Verfahrensbevollmächtigten auch in der mündlichen Verhandlung zugemutet werden, nachdem sich das Gegendarstellungsbegehren von Anfang an auf  die letztlich verbliebenen Punkte erstreckte. Ob der Verfahrensbevollmächtigte ohnehin als empfangsbevollmächtigt für ein geändertes Gegendarstellungsverlangen anzusehen ist (vgl. BGH NZM 2000, 382 zur Kündigungsempfangsbefugnis des Mieteranwaltes im Räumungsprozoss), kann offen bleiben. Gerade wenn - wie im vorliegenden Fall - der Gegendarstellungsanspruch in allen Punkten bestritten worden ist, wäre es eine leere Förmelei einen gesonderten Zugang der gekürzten Fassung zu verlangen.

Daher ist es auch unschädlich, dass die geänderte Gegendarstellung nicht in schriftlicher Form vorliegt, sondern die Protokollierung des entsprechenden (Hilfs-) Antrages genügt. Der persönliche Charakter der Gegendarstellung schließt zwar - entgegen dem OLG Frankfurt (a. a. O.) - eine inhaltliche Änderung durch das Gericht aus. Dass das Gericht - wie es das OLG München und das OLG Karlsruhe (jeweils a. a. O.) fordern - unmittelbar durch den Betroffenen und nicht nur durch dessen Verfahrensbevollmächtigten zu Änderungen ermächtigt wird, ist aber nach dem Berliner Pressegesetz nicht erforderlich, welches - im Gegensatz zum bayrischen und zum baden-württembergischen Pressegesetz - keine eigenhändige Unterzeichnung der Gegendarstellung verlangt. Im Übrigen ist der Hilfsantrag in den mündlichen Verhandlungen beider Instanzen im konkludenten Einverständnis der anwesenden Justitiarin der Antragstellerin gestellt worden.

7. Die Größe der Überschrift der Gegendarstellung hat der Senat gegenüber der Überschrift der Ausgangsmitteilung etwas herab gesetzt. Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 Berliner Pressegesetz muss die Gegendarstellung zwar „mit gleicher Schrift wie der beanstandete Text“ abgedruckt werden. Vorliegend betrifft die Gegendarstellung aber nur einige Passagen aus dem (umfangreichen) Artikel der Antragsgegnerin und nicht dessen Überschrift. Von daher genügt eine kleinere Überschrift um der Gegendarstellung den gleichen Aufmerksamkeitswert zu sichern wie den Behauptungen, denen sie entgegen tritt.

8. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, wobei der Gegendarstellung zur nunmehrigen Ziffer 1. besonderes Gewicht zukam.

(Unterschriften)